In der Rekonstruktion des Koalitionsbruchs drängen sich Parallelen zur vorzeitigen Beendigung der sozialliberalen Koalition im Jahre 1982 auf. Damals hatten sich die beiden Parteien während der Legislaturperiode ähnlich voneinander entfremdet, wobei neben der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die für die Trennung letztlich den Ausschlag gab, auch die Uneinigkeit innerhalb der SPD über die NATO-Nachrüstung eine Rolle spielte. Als Bundeskanzler Helmut Schmidt den liberalen Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff bat, seine wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen in einem Papier niederzulegen, nutzte dieser die Gelegenheit, um mit einem »Scheidungsbrief« das Ende der Koalition gezielt herbeizuführen. Nichts anderes war die Intention von Christian Lindners »Konzept für Wachstum und Generationengerechtigkeit«, das er wenige Tage vor der Sitzung des Koalitionsausschusses lancierte. Es lehnte sich auch in Inhalt und Diktion bewusst an das seinerzeitige Lambsdorff-Papier an.
Anders als 1982
Vergleicht man die Situation, in der sich die FDP nach dem Koalitionsbruch 1982 befand, mit der heutigen, zeigen sich allerdings zwei bedeutsame Unterschiede. Zum einen führte der damalige Bruch die Liberalen nicht zurück in die Opposition, sondern in ein neues Regierungsbündnis mit CDU/CSU, das unter der Führung von Kanzler Helmut Kohl 16 Jahre Bestand haben sollte. Und zum anderen ging er mit heftigen Verwerfungen in der Partei selbst einher, die in den Folgejahren etwa ein Viertel ihrer Mitglieder verlor, darunter prominente Vertreter des linken Parteiflügels wie Ingrid Matthäus-Maier und Günter Verheugen, die zur SPD wechselten.
Heute kann von solchen Verwerfungen nicht ansatzweise die Rede sein. Sieht man vom abtrünnigen Verkehrsminister Volker Wissing ab, der als eigenbrötlerischer Solitär wohl eine Fußnote bleiben wird, stieß das Koalitionsaus unter den Funktionären und an der Basis auf einhellige Zustimmung und wurde zum Teil als regelrechter Befreiungsschlag empfunden. Nach eigenen Angaben verzeichnet die FDP seither zahlreiche Neueintritte. Christian Lindner, der als Vorsitzender fest im Sattel sitzt, wird bei der Bundestagswahl wieder Spitzenkandidat sein und hat sich selbst schon als alt-neuer Finanzminister der nächsten Bundesregierung ins Spiel gebracht.
Doch in welcher Koalition? Hier kommt der zentrale Unterschied zu 1982 ins Spiel. Während die Liberalen damals von der Union aufgefangen wurden und ohne Unterbrechung in eine neue Regierung umsteigen konnten, droht ihnen jetzt der Gang in die Opposition und vielleicht sogar das parlamentarische Aus. Das Tischtuch zur SPD ist zerschnitten und das Verhältnis zu den Grünen zumindest stark belastet. Auch bei CDU und CSU dürften die von Christian Lindner 2017 beendeten Verhandlungen über die Bildung einer Jamaika-Koalition ungute Erinnerungen wecken. Sie fügen sich in das über Lindner verbreitete, wenig vorteilhafte Narrativ eines politischen Spielers, dem es an Verantwortungsbewusstsein und der gebotenen Seriosität fehle.
Die mit Blick auf die Wahlchancen der FDP spannende Frage wird sein, ob dieses Bild in der potenziellen Wählerschaft verfangen könnte. Die Unterstützung, die das Ausscheiden aus der Regierung in den eigenen Reihen erfährt, ist das eine. Eine andere Sache ist, ob das ihm vorausgehende Auftreten der FDP als »Opposition in der Regierung« von den Wählern in ähnlicher Weise goutiert wird.
Hätte die Partei die Funktion eines sozial- und wirtschaftspolitischen Korrektivs in einer Koalition mit zwei aus ihrer Sicht linken Parteien nicht auch auf andere Weise ausüben können – kompromissorientierter, mit mehr Teamgeist und weniger Hang zur Selbstprofilierung? Und wäre es nicht klüger gewesen, statt sich in die Rolle des ständigen Blockierers zu begeben, sowohl auf das gemeinsam Erreichte als auch die eigenen Leistungen innerhalb der Regierung stärker und selbstbewusster hinzuweisen? So wie die Fortführung des »Deutschlandtickets« droht durch die vorgezogene Wahl jetzt auch die Einführung einer Aktienrente im Bundestag zu scheitern – beides von der FDP (mit)betriebene Projekte, mit denen sie im Wahlkampf für sich hätte werben können.
Am Geld gescheitert
So wie vorangegangene Regierungen ist auch die Ampelkoalition inhaltlich am Geld beziehungsweise Haushalt und hier vor allem am Umgang mit der Schuldenbremse gescheitert. Rückblickend betrachtet bildete hier die vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erachtete Umbuchung nicht verbrauchter Coronakredite die entscheidende Zäsur. Sie entzog der Ampel Ende 2023 die politische Geschäftsgrundlage. Dass Finanzminister Lindner es im Nachhinein als Fehler bezeichnet, sich auf das Manöver eingelassen zu haben, ist wohlfeil. Das Fehlen eines Plans B nach dem Karlsruher Urteil trifft die Verantwortung aller Regierungsparteien gleichermaßen. Einen solchen Plan hätte es im Grunde schon am Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geben müssen, der den kurz zuvor verhandelten Koalitionsvertrag in weiten Teilen zur Makulatur machte. So war der Dauerstreit um die Schuldenregeln von Anfang an programmiert.
Ob das Festhalten an der Schuldenbremse zum Gewinnerthema oder gar Wahlkampfschlager der FDP werden kann, erscheint zweifelhaft. Die Befunde der FES-Vertrauensstudie von 2022/23 zeigen zwar, dass zusätzliche Schulden zur Finanzierung notwendig werdender Staatsaufgaben in der Bevölkerung auf äußerst geringe Sympathie stoßen. Nach den Alternativen gefragt, sprechen sich die Wähler aber nur zu einem Drittel für allgemeine Ausgabenkürzungen aus, während die große Mehrheit für eine höhere Besteuerung von Besserverdienenden und Vermögenden plädiert – also eine Position einnimmt, die die FDP erst recht ablehnt.
»Da eine gemeinsame Mehrheit von Union und FDP außer Reichweite ist, werden sich beide Parteien im Wahlkampf nichts schenken.«
Signalisieren die Umfragen vor der Wahl, dass eine gemeinsame Mehrheit von Union und FDP außer Reichweite ist, werden sich beide Parteien im Wahlkampf nichts schenken. Weil CDU und CSU jede Stimme brauchen, um in einer Koalition mit Sozialdemokraten und/oder Grünen möglichst deutlich die Nase vorn zu haben, muss die FDP fürchten, dass manche ihrer potenziellen Wähler im Zweifel lieber Union wählen. Dies gilt zumal, wenn unklar ist, ob die Partei überhaupt über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Das Menetekel von 2013, als sie nach der letzten schwarz-gelben Koalition aus dem Bundestag ausschieden, wirkt bei den Liberalen bis heute nach.
Es ist nicht davon auszugehen, dass die Unionsparteien der FDP das Thema Schuldenbremse im Wahlkampf als Alleinstellungsmerkmal überlassen wollen. Dies gilt auch in bezug auf die europäische Ebene, wo sich die Frage gemeinschaftlicher Schulden mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine demnächst neu stellen könnte. CDU und CSU werden aber flexibel genug sein, um in einer Koalition mit SPD und/oder Grünen von dieser Position abzurücken, die ja auch in den eigenen Reihen (etwa der Ministerpräsidenten) längst nicht von allen geteilt wird. Die Liberalen stünden dann mit ihrer starren Haltung im Abseits. Als organisatorisch gefestigte und auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems hinreichend verankerte Kraft könnten sie sich dann allenfalls mit der Aussicht trösten, aus der Oppositionsrolle (der parlamentarischen oder außerparlamentarischen) heraus erneut den Wiederaufstieg zu schaffen.
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