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picture alliance / Westend61 | Oxana Guryanova

Wie sich Film und Fotografie das Thema psychische Erkrankung erschließen Sichtbar machen

Das Thema seelische Gesundheit hat spätestens seit den Coronajahren immer mehr an gesellschaftlicher Relevanz hinzugewonnen. Auf den Webseiten einschlägiger Vereine und Stiftungen wie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), der Stiftung Deutsche Depressionshilfe oder auch auf der Seite des Bundesministeriums für Gesundheit können Betroffene und Angehörige Tipps zum Umgang mit ihrer Erkrankung erhalten.

Vor Corona begegnete man dem Thema gesamtgesellschaftlich eher verhalten oder vermied es in Teilen sogar gänzlich. Wie in vielen anderen Lebensbereichen diente die Pandemie auch hier als Katalysator um aufzudecken, wie es tatsächlich um den psychischen Zustand der Bevölkerung bestellt ist. Laut der diesjährigen Statistik der DGPPN ist mittlerweile etwa jeder vierte Erwachsene von einer psychischen Erkrankung betroffen. Dies entspricht rund 27,8 Prozent der erwachsenen Gesamtbevölkerung. Die häufigsten Erkrankungen sind laut Studie Angststörungen und Depressionen. Zudem starben im Jahre 2020 9.200 Menschen in Deutschland durch Suizid. Jugendliche und Kinder sind von der Erhebung bislang ausgenommen.

Gleichzeitig gibt es einen Mangel an Therapieplätzen. Die zur Verfügung stehenden 13.500 Fachkräfte reichen kaum aus, um den Andrang derer abzufangen, die dringend Hilfe benötigen. Die hohe Nachfrage nach Hilfsangeboten verdeutlicht jedoch auch, dass immer mehr Menschen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass mentale Gesundheit einen Teil ihrer ganzheitlichen Gesundheit darstellt. Dieses Verständnis wird unter anderem auch durch die World Health Organization (WHO) bestätigt. Auf deren Webseite heißt es: »Mentale Gesundheit ist ein fester Bestandteil von Gesundheit; faktisch gibt es keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit«.

Verfälschende Darstellungen

Auch die Film- und Fernsehindustrie, insbesondere die der Vereinigten Staaten, schenkt dem Thema wachsende Aufmerksamkeit. Erfolgreiche Serien wie This is Us (seit 2016; sechs Staffeln) oder Modern Love (seit 2019; zwei Staffeln) zeigen, dass man sich den diversen Aspekten von psychischer Gesundheit auf vielschichtige und vor allen Dingen entstigmatisierende Weise nähern kann.

Meist ist jedoch das Gegenteil der Fall. Tatsächlich hat die Unterhaltungsbranche einen maßgeblichen Anteil an der verfälschenden, verherrlichenden und stigmatisierenden Darstellung psychischer Erkrankungen. Dies wurde durch eine Studie der USC Annenberg unter der Leitung von Stacy L. Smith belegt. Smith fand unter anderem heraus, dass das Thema bislang filmisch unterrepräsentiert ist, trotz der Tatsache, dass weltweit immer mehr Menschen an psychischen Erkrankungen leiden. Versteht man Film als Spiegel der Gesellschaft, so lässt sich hier eine Diskrepanz zwischen der erlebten Wirklichkeit einer wachsenden Vielzahl von Betroffenen und der fehlenden Darstellung dieser auf der großen Leinwand feststellen.

Hinzu kommt eine Kriminalisierung der Filmfiguren mit psychischen Erkrankungen. Von den gerade mal 1,7 Prozent aller gezeigten Charaktere mit diesen Leiden werden ganze 46 Prozent davon als kriminell oder gewalttätig dargestellt. Zuschauenden, die in ihrem Privatleben wenig Berührungspunkte mit dem Thema haben, also weder selbst betroffen noch angehörig sind, wird somit ein falsches Bild vermittelt, welches ihre Meinung über betroffene Personen nachhaltig prägen kann.

Dies ist besonders relevant, wenn es um Blockbuster geht, die ein großes, diverses Publikum anziehen. Der Film Joker von Regisseur Todd Philipps aus dem Jahre 2019 etwa erzielte laut variety.com über eine Milliarde US-Dollar an den Kinokassen und Joaquin Phoenix erhielt 2020 den Academy Award für die beste männliche Hauptrolle.

Der Film erzählt die Geschichte von Arthur Fleck, einem Außenseiter, der unter einer seltenen Lachstörung, einer sogenannten pseudobulbären Affektstörung leidet. Missverstanden von der Gesellschaft und seinen Mitmenschen sowie eingeholt von den Traumata seiner Kindheit, entwickelt sich Arthur über die Dauer des Films hinweg zu einem mordlustigen Clown. Der Bruch vom fragilen, leidenden Comedian hin zum impulsgetriebenen Mörder geschieht abrupt, beinahe fragmentarisch. Der Film drängt den Protagonisten dramaturgisch in eine Ecke und lässt keinen anderen Handlungsspielraum zu, als dass er unter seiner Psychose zum Gewaltverbrecher und Mörder wird.

Die eigentliche Kritik, die der Film an den dargestellten sozialen und gesellschaftlichen Missständen hinsichtlich der Behandlung psychischer Gesundheit üben will, rechtfertigt eine solch klischeehafte Darstellung ebenso wenig wie sie erklärt, was Arthur letztendlich in den sprichwörtlichen Wahnsinn treibt. Ein nachhaltiger Eindruck bleibt aus. Der Zuschauende wird nicht dazu angeregt, Arthurs Handlungen nachzuvollziehen oder gar Empathie zu entwickeln, sondern bleibt in der Rolle des Beobachtenden beziehungsweise Bewertenden. So versäumt der Film die Möglichkeit, seinen Protagonisten nahbar und dementsprechend glaubhaft darzustellen.

Dem Film gelingt es außerdem nicht, den psychischen Zustand der Joker-Figur differenziert und präzise darzustellen, wodurch kein eindeutiges Bild seiner mentalen Erkrankung gezeichnet wird: Die Grenzen zwischen narzisstischen und depressiven Zügen gepaart mit einer unausgereiften Darstellung von Arthurs Psychose verschwimmen. Dies führt dazu, dass Stigmata und Stereotype über psychische Erkrankungen verhärtet werden; der Film läuft am Ende auf die irrige Schlussfolgerung eines sich wegen einer psychischen Erkrankung zwangsläufig zum Gewaltverbrecher entwickelnden Menschen hinaus.

Neben der Kriminalisierung von Filmfiguren mit psychischen Erkrankungen wie im Fallbeispiel Joker erfahren diese darüber hinaus eine unmenschliche Behandlung. Laut Smiths Studie werden 46 Prozent aller untersuchten Filmfiguren von anderen Charakteren verunglimpft. Dies geschieht im Film vorwiegend durch eine aggressive, stigmatisierende Sprache. Begriffe wie »Psycho«, »verrückt«, »durchgeknallt«, »Freak« oder »Monster« werden lapidar und unreflektiert benutzt. Anstatt sich der Figur mit Verständnis zu nähern, werden die Charaktere sprachlich auf Klischees heruntergebrochen. Werden keine Beleidigungen ausgesprochen, wird sich zudem oftmals des Humors bedient. Bei 22 Prozent aller dargestellten Personen wird sich über die Erkrankung lustig gemacht oder diese nicht ernst genommen.

Was erschwerend hinzukommt, ist die Ausweglosigkeit, mit der viele der Film- und Fernsehbeispiele psychische Erkrankungen verhandeln. Der Moment nach der Diagnose, der Moment der Erkenntnis, der Moment des Hilfesuchens, ohne dass diese Hilfe in eine andere Form von Manipulation oder gar Kriminalität münden würde, ist im Mainstreamkino selten anzutreffen.

Der Weg muss kein aussichtsloser sein

Dabei wäre es ein wesentlich besserer und auch hilfreicher Ansatz zu zeigen, wie die Figur lernt mit ihrer Diagnose oder ihrem psychischen Leiden zu leben, was sich daraus für Chancen und Möglichkeiten entwickeln können. Dass der Weg kein aussichtsloser ist, sondern Perspektiven aufgezeigt werden. Filmschaffenden sollte es darum gehen, mit Klischees aufzuräumen. Echte Geschichten zu erzählen, statt Betroffene als Bösewichte in einer Gefängniszelle zu zeigen, in der sie manisch lachend ihrem Zellengenossen von ihrem nächsten Racheakt berichten.

Smith schlussfolgert in ihrer Studie, dass eine fundierte Recherche zum jeweiligen dargestellten Phänomen der Grundstein für eine authentische und entstigmatisierende Darstellung ist. Die Fragen, die sich Filmemacher darüber hinaus stellen sollten, sind: Warum möchte gerade ich einen Film über Schizophrenie, bipolare Störung oder Borderline erzählen? Dient die Erkrankung nur als Mittel zum Zweck, um Spannung zu erzeugen oder hat sie eine fundierte, unabhängige und eigenständige Berechtigung innerhalb der erzählten Geschichte?

In den USA gibt es einige Ansätze, an dem Umgang mit dem Thema nachhaltig etwas zu verändern, etwa die Inclusion Initiative der USC Annenberg oder die American Foundation of Suicide Prevention. In Deutschland existiert aktuell ein einziges Kurzfilmfestival zu psychischer Gesundheit unter dem Titel Go Mental!, welches ausschließlich authentische Filme zu diesem Thema fördert.

Der mentalen Gesundheit widmen sich jedoch nicht nur Kreative aus dem Bereich Film und Fernsehen. Auch in anderen Kunstsparten stößt das Thema mittlerweile auf immer mehr Resonanz. Ab dem 1. September 2022 etwa gastiert am Berliner Hauptbahnhof eine Ausstellung der renommierten Fotografin Herlinde Koelbl unter dem Titel »Unsichtbarkeit psychischer Erkrankungen«. Es handelt sich um eine Reihe großformatiger Porträtfotografien, die in Zusammenarbeit mit der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LVR-Klinikum Düsseldorf und deren Oberarzt Leonhard Schilbach entstanden ist. Dieser lobt vor allem den anderen Blickwinkel, den Herlinde Koelbl in ihrer Arbeit gegenüber dem Thema einnimmt. Das von der DGPPN geförderte Projekt geht der Frage nach, ob wir eine psychische Erkrankung im Blick des Anderen erkennen können.

Der mentalen Gesundheit kann man sich also auf vielfältige Art und Weise nähern. Nicht zu verkennen ist jedoch, dass besonders im Bereich der visuellen Medien viel Potenzial steckt, um über das Thema authentischer und damit glaubhafter verhandeln zu können.

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