Charles Darwin ahnte etwas davon, als er den Regenwurm als »unbesungenes Geschöpf« pries, welches das Land ebenso verändert habe wie die Korallenpolypen die Weltmeere. In den 1960er Jahren entwickelten der britische Wissenschaftler James Lovelock und die amerikanischen Biologin Lynn Margulis die sogenannte »Gaia-Hypothese«, wonach alle belebten und unbelebten Elemente der Erde miteinander interagieren und gemeinsam den Planeten als Lebensraum gestalten. Die Wissenschaftsgemeinschaft lachte herzlich über solchen mutmaßlichen Unsinn.
Inzwischen ist die Forschung weiter. Der nordamerikanische Wissenschaftsjournalist Ferris Jabre präsentiert in seinem spannend erzählten Buch: Das Erwachen der Erde - Wie das Leben unseren Planeten formt, in drei Kapiteln »Gestein, Wasser und Luft« vielfache Beweise für die Lebendigkeit der Erde.
Bis vor wenigen Jahrzehnten erschien unterirdisches Leben abwegig. Inzwischen haben Wissenschaftler selbst in 1500 Meter Tiefe eine Vielzahl von Mikroorganismen entdeckt. Sie sind uralt, pflanzen sich nur selten fort und leben möglicherweise über Jahrmillionen. Sie atmen keinen Sauerstoff, sondern verzehren im Gestein den Wasserstoff, atmen Sulfate ein, geben Schwefelwasserstoff ab und erzeugen neue Lagerstätten aus Sulfidmineralien.
Unterirdische Plattwürmer
Unterirdische Mikroben schaffen riesige Hohlräume, reichern Mineralien und kostbare Metalle an und steuern die globalen Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe. In fast drei Kilometern Tiefe leben nicht nur Mikroorganismen, sondern auch Pilze, Plattwürmer, Gliederfüßer und Rädertierchen. Bakterien fressen unterirdische Ölreserven und setzen Schwefelwasserstoffgas frei, das mit dem Sauerstoff im Grundwasser reagiert; dabei entsteht Schwefelsäure, die Kalkstein auflöst.
Die Entwicklungsgeschichte unseres Planeten neu betrachten.
Möglicherweise lebt sogar die Mehrzahl aller Mikroorganismen unseres Planeten tief unter der Erde. Zusammen machen diese unterirdischen Lebewesen nach Schätzungen zehn bis 20 Prozent der gesamten lebenden Materie auf der Erde aus. Anzuerkennen, dass lebendige Organismen tief unter der Oberfläche durch biochemische Prozesse die Erdkruste ständig umgestalten, resümiert Jabre, bedeutet die Entwicklungsgeschichte unseres Planeten neu zu betrachten.
Eine ähnliche Rolle spielt in den Weltmeeren das Plankton: pflanzliches Phytoplankton und tierähnliches Zooplankton setzen ungefähr die Hälfte der gesamten Fotosynthese in Gang. Ein einziger Tropfen Meerwasser enthält durchschnittlich mehrere 10.000 Planktonorganismen. Sie halten die biochemischen Kreisläufe in Gang und machen die Erde seit Millionen von Jahren bewohnbar. Würde das Phytoplankton verschwinden, würde sich die Kohlendioxidmenge in der Atmosphäre verdoppeln, wie im frühen Eozän, als in der Arktis Krokodile schwammen. Mangroven, Seegraswiesen und Tangwälder speichern pro Quadratmeter mehr als 20mal so viel Kohlenstoff wie die Wälder an Land; sie binden jährlich ca. drei Milliarden Tonnen Kohlendioxid.
Die Bäume und Pflanzen im Amazonaswald sättigen die Luft jeden Tag mit Milliarden Tonnen Wasserdampf. Gleichzeitig scheiden sie ein Bukett aus gasförmigen Verbindungen aus: Pilze, Bakterien, Pollenkörner und Pflanzenpartikel steigen in die Atmosphäre auf und impfen die Wolken, sodass diese sich zusammenballen und beginnen abzuregnen. Der Amazonaswald erzeugt die Hälfte seines Regens selbst.
Ferris Jabr versteht es, all diese faszinierenden Erkenntnisse verblüffend verständlich darzustellen. Er fragt zuversichtlich, ob die schlimmsten Folgen des Klimawandels nicht gemildert werden könnten durch eine Kombination aus Naturschutz, Renaturierung und verbesserter ökologischer Landwirtschaft. Denn es wird wahrscheinlich nicht ausreichen, nur die fossilen Brennstoffe so schnell wie möglich durch nachhaltige Energieträger zu ersetzen.
Wasser neu denken
Einen ähnlichen Ansatz wie Ferris Jabre verfolgt der britische Essayist Robert Macfarlane in seinem Buch: Sind Flüsse Lebewesen?. Macfarlane erzählt noch persönlicher als Jabre, der zwar auch von Reisen berichtet und der Renaturierung seines Gartens, aber das Buch des Briten ist im Wesentlichen ein großer dreiteiliger Reisereport. Er führt uns in den Osten Kanadas, wo eine Kampagne versucht, den Bau eines Staudamms am Wildfluss Mutehekau zu verhindern, nach Südindien, wo Aktivisten verseuchte Flüsse und Lagunen wiederherstellen wollen und in den Nebelregenwald von Ecuador. Der Zedernwald »Los Cedros« sei, schreibt Mecfarlane, eine »lebende Wunderkammer mit Tieren, Vögel, Pflanzen und Pilzen, die direkt der Fantasie eines Hieronymus Bosch entsprungen sein könnten. Wo die Bäche und Flüsse des Los Cedros über Stromschnellen schießen, ist ihr Wasser grün, in den Gumpen, in denen es sich sammelt, ist es blau wie das Herz eines Gletschers. Pumas und Tigerkatzen trinken daraus. Wasseramseln fischen darin.« Dieser seltene Urwald ist möglicherweise mehr als eineinhalb Millionen Jahre alt und wäre beinahe durch ein australisches Bergbauunternehmen, das dort großflächig Gold abbauen wollte, zerstört worden. Allerdings: Ecuador hat bereits in einer Verfassungsreform 2008 die »Rechte der Natur« anerkannt. Die Natur, heißt es in Artikel 71, habe das Recht auf die Pflege und Widerherstellung ihrer Lebenszyklen, Funktionen und evolutionären Prozesse. Und unter Berufung auf diesen Artikel urteilte das Verfassungsgericht 2021, das australische Bergbauvorhaben verletze das Recht des Zedernwaldes sowie seiner Flüsse, Pflanzen und Tiere und untersagte der Firma das Projekt.
Sind Flüsse Lebewesen? unternimmt den Versuch, Wasser neu zu denken. Denn Wasser ist die Grundlage des Lebens. Interessanterweise bezeichnet die englische Sprache Flüsse, Bäche und Seen als »waterbodies«: Gewässer besitzen demnach einen Körper. Und auch wir Menschen bestehen ja zu großen Teilen aus Wasser. Muskelgewebe enthält dreiviertel Anteile Wasser, Blutplasma sogar 90 Prozent. »Bewegen wir uns fort, sind wir Flüsse, wenn wir sitzen, sind wir Tümpel«, schreibt Macfarlane. Das Fragezeichen hinter seinem Buchtitel hätte er eigentlich weglassen können.
Bakterien, Viren, Pilze und der Mensch
Wir Menschen stehen nicht außerhalb der Natur, sondern sind ein Teil von ihr und könnten ohne sie nicht existieren. Am einfachsten versteht man das, wenn man sich klarmacht, dass die Mikroorganismen in unserem Darm unser Immunsystem und unsere Gesundheit wesentlich beeinflussen. Ohne all die Bakterien, Viren und Pilze könnten wir unsere Nahrung nicht verdauen und würden schnell zugrunde gehen. Darauf weisen Sarah Darwin und Johannes Vogel im Gespräch mit Boris Herrmann hin.
Da wo Menschen Natur vernichten, vernichten wir uns selbst.
Das Parlament der Natur ist ein ungewöhnliches Buch. Ein mehrteiliges Interview mit Johannes Vogel, dem Leiter des Berliner Museums für Naturkunde und Sarah Darwin, der Ururenkelin von Charles Darwin, aufgewertet durch zahlreiche farbige Fotos von Flora und Fauna. Beide forschen als promovierte Botaniker und sind miteinander verheiratet, worauf das Gespräch mehrfach zurückkommt. Insofern kann man das Buch als personenkultig kritisieren.
Es hat aber dennoch Stärken. Insbesondere in den Passagen, in denen Darwin und Vogel darauf hinweisen, dass wir dringend lernen müssten, uns als Teil der Natur zu begreifen und sie deshalb nicht länger ausbeuten, sondern nur nachhaltig nutzen dürften. Dem Planeten sind die Folgen des Klimawandels egal. Das Leben wird weitergehen. Auch ohne Menschen. Wenn Menschheit weiter existieren soll, müssen wir jetzt die Natur schützen, also auch den Kohlenstoffkreislauf, den Wasserkreislauf, den Phosphorkreislauf. Und nicht zuletzt die Meere und ihre Strömungen wie den sogenannten Golfstrom im Nordatlantik.
Überall, wo Menschen Natur vernichten, gefährden und vernichten wir uns selbst. Und dieser Prozess der Selbstvernichtung greife zugleich die demokratischen Institutionen an, betonen Darwin und Vogel. Diesen Aspekt hätte man sich deutlicher ausgeführt gewünscht. Nichts sei politischer als die Natur. Johannes Vogel betrachtet sein Berliner Museum für Naturkunde als »Parlament der Natur« und will es als Forum zu Verfügung stellen für die demokratische Auseinandersetzung darüber, wie Natur erhalten werden kann.
Die Welt als menschliches Konstrukt
Biologische Fragen sind in den letzten Jahren zunehmend ins Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzungen gerückt. Nicht nur zur Erklärung, sondern auch oft zur Rechtfertigung von Überzeugungen und Normen. Damit setzt sich der Evolutionsbiologe Frank Zachos in seinem Buch: Die Natur kennt feine Grade auseinander.
Unser menschliches Vermögen, die Welt und damit auch die Natur zu erkennen, ist selbst ein Produkt der Evolution und der Natur. Unser Erkenntnisvermögen bildet die Welt allerdings nicht ab wie sie »wirklich« ist, sondern wie wir sie konstruieren. Zwar können wir auch Phänomene verstehen, die unserer Alltagsanschauen widersprechen wie beispielsweise Quantenphysik. Aber das Schubladendenken liegt uns näher. Auch das könnte evolutionär bedingt sein.
Bestimmte menschliche Verhaltensweisen und Neigungen klassifiziert dieses Schubladendenken gern als »natürlich« und wertet andere als »unnatürlich« ab. Nicht alle Klischees zwischen Männern und Frauen seien nur Klischees, schreibt Zachos. »Biologisch verankert« bedeute aber nicht alternativlos. »Wir sind das Ergebnis, nicht die Sklaven unseres evolutionären Werdegangs.« Gleichgeschlechtliches Sexualverhalten (same-sex sexual behavior, SSB oder SSSB) existiert in der Natur in fast jeder Tiergruppe, die darauf untersucht wurde. Bei Insekten, Schnecken, Würmern ebenso wie unter Fischen, Reptilien, Vögel und Säugetieren. Bei den Primaten wird SSB umso häufiger festgestellt, je mehr wir uns dem stammesgeschichtlichen Ast der Menschen nähern. Wenn also auch Sexualität primär der Fortpflanzung entspringt, dient sie zweifellos ebenso der sozialen Bindung.
Kulturell unterscheiden sich Menschen sehr stark, biologisch kaum. Ostafrikaner sind mit Europäern oder Asiaten genetisch stärker verwandt als mit ihren Nachbarn in Westafrika. Warum? Weil Ostafrika die Wiege der Auswanderung war. Stammesgeschichtlich seien alle Menschen Afrikaner, resümiert Zachos. Auch auf identitäre Fragen kann Biologie nur nüchtern antworten, dass niemand identisch ist mit einem anderen Wesen. »Natur liebt Vielfalt, Gesellschaft hasst sie«, zitiert Zachos den Biologen und Sexualforscher Milton Diamond. Und fügt hinzu: Ob das so bleibe, liege einzig an uns. Mit unseren Genen, der Evolution oder der Biologie könne sich niemand herausreden.
Die vier Bücher vertiefen bedeutende Aspekte zu einem Thema, das uns künftig existenziell beschäftigen wird.
Ferris Jabr: Das Erwachen der Erde. Wie das Leben unseren Planeten formt. Antje Kunstmann, Münschen 2025, 320 S., 28 €.
Robert Macfarlane: Sind Flüsse Lebewesen? Ullstein, Berlin 2025, 416 S., 29,99 €.
Sarah Dawin/Johannes Vogel/Boris Hermann: Das Parlament der Natur. Was uns Farne, Finken und ihre Verwandten zu sagen haben. Ullstein, Berlin 2025, 240 S., 36 €.
Frank E. Zachos: Die Natur kennt feine Grade. Ein biologischer Faktencheck für hitzige Debatten um Vielfalt, Glauben und Identität. Leykam, Graz 2025, 304 S., 25 €.
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