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»Sind für Wahlerfolge Personen wichtiger als Programme?« JA!

Ja, denn Olaf Scholz wäre wohl kaum Bundeskanzler geworden, wenn Armin Laschet im Wahlkampf beim Besuch im Flutgebiet im Ahrtal nicht so ungehemmt gelacht hätte. Es war im Juli 2021, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit ernstem Gesicht vor den Kameras ein Statement zu den Folgen der Naturkatastrophe abgab. Im Hintergrund war zu sehen, wie sich der Kanzlerkandidat, CDU-Chef und NRW-Ministerpräsident offenbar nicht beherrschen konnte und sich gar nicht mehr einkriegte vor lauter Heiterkeit.

Laschets Lacher

»Laschets Lachnummer geht als Video im Internet viral«, schreibt Stephan Lamby in seinem Wahlkampfbuch »Entscheidungstage« über die Wirkung dieser Szene. Das Verhalten des Kanzlerkandidaten angesichts des Leids der Flutopfer trug zum Eindruck bei, ihm fehle es an Selbstkontrolle und Ernst, zwei Eigenschaften, die wichtig sind für jemanden, der in Deutschland Regierungschef werden will. Das Bild, das sich die deutsche Öffentlichkeit von der Person Armin Laschet machte, wurde in diesem Moment entscheidend geprägt.

Der Wahlkämpfer sollte sich davon jedenfalls nicht mehr erholen. Von da an hatte es der Kanzlerkandidat von CDU und CSU noch schwerer, seine Themen wie Wirtschaftsförderung, Steuersenkung und Bürokratieabbau stark zu machen. Mit seinem Programm drang er nicht mehr durch.

Laschets Lacher ist ein Beispiel dafür, wie sich das Image einer politischen Persönlichkeit innerhalb von Sekunden in einer bestimmten Richtung verfestigen kann. Doch auch jenseits dieses Schlüsselmoments für seinen Wahlkampf im Ahrtal gibt es Gründe, warum Personen in der Politik zunehmend wichtiger werden als Programme.

Die deutsche Politik nähert sich der amerikanischen an.

Denn in mancher Hinsicht nähert sich auch die deutsche Politik der amerikanischen an: Das Interesse der Bevölkerung an Parteien und ihren Programmen nimmt ab, während eine überzeugende Persönlichkeit, die zu ihrer Aufgabe passt, die Herzen gewinnt. Wohl nicht, weil er Sozialdemokrat ist, sondern weil er zupackend, volksnah und ehrlich erscheint und ein positives, emotionales Verhältnis zur Bundeswehr pflegt, konnte Verteidigungsminister Boris Pistorius in kurzer Zeit zum beliebtesten Vertreter der Ampelkoalition aufsteigen.

Die Kompetenz der Parteien wird zunehmend von der Kompetenzzuschreibung ihrer Spitzenkandidaten abgeleitet und weniger aus ihren Wahlprogrammen. So wurde etwa der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Umfragen das Verdienst an der Einführung des Mindestlohns zugeschrieben, der ein ursozialdemokratisches Projekt gewesen war. Der Grund: Ihr wurde Führung zugetraut.

Umfangreiche Wahlprogramme in Funktionärsprosa

Und das »Zukunftsprogramm« der SPD für die Bundestagswahl 2021 (»Wofür wir stehen. Was uns antreibt. Wonach wir streben.«) war sicher wichtig für die Motivation sozialdemokratischer Aktivisten und Funktionäre. Doch kaum eine Wählerin oder ein Wähler der Partei von Olaf Scholz dürfte die 65 Seiten gelesen haben.

Denn noch nie waren die Wahlprogramme so umfangreich wie bei der Bundestagswahl 2021, wie Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim ermittelt haben. Allerdings waren sie auch nur ein einziges Mal, nämlich im Jahr 1994, noch unverständlicher als im bisher jüngsten Bundestagswahlkampf, wie die Hohenheimer Analyse ergab. Bandwurmsätze, sperrige Begriffe und Funktionärsprosa aber laden niemanden zur Lektüre ein.

Die offizielle Begründung für solche Zusammenstellungen politischer Versprechen heißt, sie sollten den mündigen Wahlbürger darüber informieren, welche Ziele eine Partei in der folgenden Legislaturperiode durchsetzen will. Doch wie verlässlich sind solche Kataloge? In einer komplex strukturierten Gesellschaft lässt sich die Zukunft selten so gestalten, wie sie in Spiegelstrichen einer Partei beschrieben wird. Zudem wird Deutschland von Koalitionen regiert, bei schwächer werdenden Volksparteien künftig häufiger von Dreierkonstellationen. Ohne Kompromisse geht es dann nicht, an den eigenen Zielen muss jede Partei Abstriche machen.

Schließlich leben wir in einer Zeit unberechenbarer Herausforderungen. Weder die Corona-Pandemie noch den Krieg Russlands gegen die Ukraine noch den Terrorangriff der Hamas auf Israel konnte die deutsche Politik voraussehen.

Eine Amtsinhaberin oder ein Amtsinhaber wird aller Wahrscheinlichkeit nach mit Krisen konfrontiert werden, die heute noch niemand kennt. Es kommt deshalb darauf an, welcher Kandidatin oder welchem Kandidaten eine relative Mehrheit zutraut, dann die Nerven zu behalten und das Richtige zu tun. Vertrauen aber ist eine Frage der Persönlichkeit.

»Vertrauen ist eine Frage der Persönlichkeit.«

Entscheidend ist schließlich, dass die sozialen Medien die politische Kommunikation grundlegend verändert haben vor allem, was das Nutzerverhalten und das Interesse der jungen Generation angeht. Seit die »Gatekeeper«-Funktion professioneller Medien, die als unwichtig oder unpassend erachtete Botschaften früher vor der Öffentlichkeit ausblenden konnte, durch jeden Internetnutzer umgangen werden kann, ist diese Hürde obsolet geworden.

Politische Botschaften und die sozialen Medien

Jede Partei kann versuchen, ihre Adressaten online direkt anzusprechen, ist aber auch den Regeln digitaler Kommunikation unterworfen, die von ihr kaum zu umgehen sind. So konnte die CDU im Sommer 2021 die massenhafte Verbreitung des Lacher-Videos mit meist hämischen Kommentaren im Netz nicht verhindern und dem auch wenig entgegensetzen. Die Aufmerksamkeitsspanne im Netz ist zeitlich begrenzt, umfangreiche textliche Argumentationsketten wirken weniger stark als Zuspitzungen und bildliche Umsetzungen von Botschaften, etwa durch »Memes«.

Eine politische Kraft, die Menschen überzeugen will, muss sich deshalb heute auch überlegen, wie sie ihre Botschaften in den sozialen Medien so verknappt, auf den Punkt bringt und interessant macht, dass sie auch Menschen anspricht, die beim Wischen auf der Benutzeroberfläche ihres Endgeräts nur wenig Zeit verlieren wollen, während sie sich einen Eindruck vom politischen Angebot machen.

Weil vor allem junge Menschen sich über diese Kanäle informieren, wird deren Bedeutung in Zukunft noch wachsen. Wahlkampf findet zunehmend in der Filterbubble statt. Experten beklagen übrigens, dass demokratische Parteien dort anders als Rechtspopulisten und -extremisten zu wenig Angebote machen.

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