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Zum Jubiläum der berühmten Schule für Gestaltung Sind wir nicht alle ein bisschen Bauhaus?

664 Euro kostet die Schreibtischlampe von Christian Dell, 2.154 Euro der berühmte Wassily Chair von Marcel Breuer, ein Sessel aus Lederriemen und Stahlrohr, für den einst ein Fahrrad Modell gestanden haben soll. Und die kleine, silberne Teekanne von Marianne Brandt: 8.700 Euro. Wer sich so ein lizenziertes Original nach den Entwürfen der Bauhaus-Meister aus Weimar, später Dessau und zuletzt Berlin leisten möchte, der sollte schon einigermaßen liquide sein.

Das Bauhaus-Motto hat der Architekt Ludwig Mies van der Rohe einmal zusammengefasst: Jedes Objekt solle so einfach sein wie möglich. Und er fügte hinzu: koste es, was es wolle! Nun hat der letzte Direktor des Bauhauses, bevor die Nationalsozialisten die Schule 1933 schlossen, mit »Kosten« vor allem den gedanklichen, intellektuellen Aufwand gemeint, den es braucht, einen Entwurf – eines Möbelstücks oder auch eines ganzen Wohnviertels – so konsequent zu reduzieren, bis wirklich nur die reine, der Funktion geschuldete Form übrig bleibt. Keine Schnörkel, keine Verzierung, keine redundante Geste, sondern reine Form. Bauhaus eben. Die strenge Forderung liegt lange zurück und hat heute etwas anderes hinzugewonnen – den Beiklang von bildungsbürgerlicher Elite, sogar von Snobismus. 8.700 Euro für eine Teekanne? Dabei hatte das Bauhaus doch eigentlich das Gegenteil erreichen wollen. Oder etwa nicht?

Die Mythenmaschine

Was da vor genau 100 Jahren begann und inzwischen als Weltkulturerbe der UNESCO gefeiert wird – das beschränkt sich ja nicht auf die klar strukturierten und gerade in ihrer Schlichtheit schönen Gebäudeensembles der Schule in Weimar und Dessau. Es umfasst nicht allein die berühmten Designobjekte, die Wagenfeld-Lampe oder den Barcelona-Sessel, die in den Augen von Sammlern aus der ganzen Welt eine Brücke schlagen vom stolzen Gedanken der Aufklärung ins eigene Wohnzimmer. Und auch das Bekenntnis zur klaren Form und zur Ehrlichkeit im Material, das sich heute jeder Möbeldiscounter auf seine Werbetafel schreibt, fasst dieses Erbe nicht vollständig und nicht einmal sinngemäß zusammen.

Das Bauhaus war nämlich nicht nur eine besonders erfolgreiche Reformschule für Gestaltung – es war und ist noch immer eine große Mythenmaschine. Vielleicht nicht ganz so strategisch eingesetzt als Instrument zur Belehrung und Bekehrung, aber auf lange Sicht schon außerordentlich effektiv. Denn irgendwie sind wir doch alle ein bisschen Bauhaus.

Da war zunächst der Rückgriff auf die Tradition mittelalterlicher Dombauhütten – kein Gedanke mehr an die Romantik des 19. Jahrhunderts, an den dröhnenden Pomp der Kaiserzeit, an alles, was das Land in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs geführt haben mochte. Überall war der Ruf nach Erneuerung laut geworden, nach neuen Formen des Miteinanders. Als das Bauhaus sich auf den Weg machte, waren es Arbeiter- und Soldatenräte, die das Land in eine neue Zeit führen wollten. Die Revolution in Russland lag keine zwei Jahre zurück. Waren es dort nicht gerade Künstler und Architekten gewesen, die aus dem Konstruktivismus die Vision einer revolutionären Zukunft entwickelt hatten? Vom politischen Scheitern ihrer Utopien war damals ja noch nichts zu ahnen.

Was am Bauhaus daraus erwuchs, war ein Mythos der Moderne, der Klarheit und Geradlinigkeit, der schwebenden Leichtigkeit. Ein Mythos des Neuanfangs und der Erlösung durch Technik. Filigrane Glasfassaden, gebogenes Stahlrohr und flache Dächer. Und aus alledem folgend, geprägt vom Ethos des redlichen Handwerks: das Traumbild einer neuen Gemeinschaft. Frei, gerecht, solidarisch, emanzipiert.

In diesem Sinne auch die offiziellen Gedenkreden: Kulturstaatsministerin Monika Grütters etwa lobte das Institut als »Schule der Moderne für eine weltoffene Gesellschaft« und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bestätigte den »inneren Zusammenhang von Bauhaus und Demokratie«. Der Wert dieses Juwels, in dem Ästhetik und demokratische Staatsführung gemeinsam glänzen, einander bedingen und bestätigen, ist also erkannt: Auf das Bauhaus kann man stolz sein. Die Feierlichkeiten ziehen sich über das ganze Jahr: Ausstellungen, Symposien, Festivals. Die 21 Millionen Euro, die der Bund dafür bereitgestellt hat, sind mit Weitblick investiert. Für Museumsum- oder -neubauten an den drei historischen Orten der Schule kommen noch einmal 52 Millionen Euro hinzu. Was da zu neuem Leben erweckt werden soll, ist das Bauhaus als Ursprung einer immer noch lebendigen Moderne. Als Mahnung an die Gegenwart, nach vorn zu schauen. Manchmal kann so ein rundes Jubiläum ein wahrer Glücksfall sein.

Der charismatische Gründer

Walter Gropius hat es ja vorgemacht. Als er am 1. April 1919 das Bauhaus in Weimar aus der Taufe hob, wusste er: Dies war seine Chance. Zwei Hochschulen, eine für Kunst und eine für Gestaltung, waren zusammengeführt worden – die Zeiten waren karg; es ging ums Sparen. Gropius hatte aber weitaus Größeres im Sinn: die Vereinigung von freier Kunst und Handwerk, die Gleichrangigkeit aller Künste, von der Wandmalerei und Architektur über Fotografie, Weberei und Bühnenbild bis hin zur Arbeit mit Metall. Kunst und intellektuelle Freiheit sollten nicht mehr den alten Eliten vorbehalten sein. Der nächste Schritt, der Schritt zu industrieller Fertigung, war vorgezeichnet.

Das Ego für die Umsetzung seiner Vision brachte er mit. Er sah blendend aus, war selbstbewusst, perfekt in den Umgangsformen, überzeugend in Stimme und Sprache. Einer, dem man folgen wollte. Gropius wusste das, und er wusste auch, davon Gebrauch zu machen. Mag sein, dass er als Architekt irgendwann übertroffen wurde. Es gingen ja Generationen genialer Baumeister aus dem Bauhaus und seinen vielen Ablegern hervor. Unbestritten aber bleibt die Virtuosität, mit der er die Kunst der Vermarktung und Selbstvermarktung beherrschte. Gropius gab seiner Schule den Namen, sorgte mit allerlei Inszenierungen für die Verbreitung seiner Ideen und gewann die Besten seiner Zeit als Lehrer: Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer. Das Bauhaus wurde ein Markenprodukt; selbst in Amerika kannte man das eigenwillige Schriftbild seiner Publikationen und die Besonderheit, alle Worte klein zu schreiben.

Für viele sollte eben darin die Rettung liegen. Als die Nazis nahezu die ganze Schule auf ihre Fahndungslisten setzten, blieb Vielen nur die Flucht ins Exil. Was aus dem Bauhaus hätte werden können, das lässt sich heute in Tokio und Chicago, in Tel Aviv und Mexiko-Stadt ermessen. Ob Deutschland den Verlust eines Großteils seiner Intelligenz und seiner Kreativen jemals überwinden kann – darauf wird es nie eine Antwort geben.

Das Charisma des Gründers vermag den so nachhaltigen Erfolg der Schule nicht vollständig zu erklären. Eben weil das Bauhaus unter dem Zwang der politischen Verhältnisse nicht nur seine Orte wechselte: Weimar, Dessau, Berlin, sondern auch seine Direktoren: Gropius, Hannes Meyer, Mies van der Rohe; weil auch die Lehrer dem Programm ihren Stempel aufdrückten: der esoterisch-verschrobene Johannes Itten etwa, auf den der technikbegeisterte László Moholy-Nagy folgte – aus all dem Wechsel in diesen gerade einmal 14 Jahren, in denen die Schule bestehen durfte, ergibt sich heute die kuriose Situation, dass alle unter dem Namen »Bauhaus« das bestätigt finden können, was sie finden möchten: die alten Traditionen des Handwerks ebenso wie die Begeisterung für industrielle Serienproduktion, das Genie der Meister ebenso wie die Abkehr vom Geniekult. Einige Jahrzehnte später machte Joseph Beuys Furore mit seinem erweiterten Kunstbegriff – aber es war Walter Gropius, der die Idee in die Welt gesetzt hatte, jeder Künstler sei ein Handwerker und jeder Handwerker ein Künstler, jede Schreibtischlampe und jeder Bürostuhl mithin ein Werk des Geistes.

100 Jahre sind eine lange Zeit für eine Institution, die der Gegenwart immer ein Stück voraus sein wollte. Jede Idee droht zu verwässern, wenn sie nur lange genug bewundert und verklärt wird. Ist wirklich alles Bauhaus, was seine Einfachheit wie ein Bekenntnis vor sich herträgt und dazu noch ein flaches Dach hat? Ist die Diskriminierung der Frauen im Bauhaus hinreichend aufgearbeitet? Zahlreiche Bücher zum Jubiläum legen nahe, dass noch eine Menge Fragen offen sind. Und ob ein Teekännchen für 8.700 Euro den Kerngedanken dieser Reformschule adäquat wiedergibt oder doch eher das Bücherregal von Ikea, das mehr als 100 Millionen Mal verkauft wurde – darüber lässt sich lange streiten. Vom Bauhaus lernen lässt sich aber die Grundhaltung der Moderne: Dass es besser ist, die Zukunft zu gestalten, die individuelle wie die der Gesellschaft, als nur darauf zu warten, was sie bringen wird.

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