Die Coronakrise hat den im Netz und in einschlägigen Verlagen verbreiteten Verschwörungsmythen Auftrieb gegeben. Dies zeigt nicht nur der »Selbstversuch mit rechten Medien«, der den Journalisten Hans Demmel 2020/21 unter Supervision seines Kollegen Friedrich Küppersbusch für lange Monate in deren »Anderswelt« führte. Fokussiert auf einen exponierten Protagonisten und mit zahlreichen O-Tönen gespickt kann man es auch in dem sechsteiligen, vom Autor und Redakteur Khesrau Behroz und seinem Team produzierten Podcast Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen? verfolgen. Zu den seltsamen Ansichten der dauerhaft in der Anderswelt Ansässigen hat Tobias Ginsburg mit Die Reise ins Reich. und Die letzten Männer des Westens gleich zwei Reportagebände beigesteuert.
Während frühere Pandemien moralisch als Gottesstrafe und naturgemäß als physische Bedrohung gedeutet wurden, wird die eigentliche Seuche heute in solchen Kreisen entweder verleugnet, verharmlost oder als Machination (»Plandemie«) hingestellt, die der Beschränkung von Grundrechten oder gar der heimtückischen »Einimpfungen« in den Volkskörper Vorschub leisten soll. Rasch wird in den hier vorgestellten Publikationen deutlich, dass die Anderswelt überhaupt voller Paradoxien und Absurditäten steckt, in deren Verhau sich ein aufklärerischer Impetus totläuft. Man taucht als Beobachter in eine irrationale, prärationale Sphäre ein. Nicht umsonst hat Umberto Eco in einem Essay zum Thema auf Karl Poppers Feststellung aus dem Jahre 1969 hingewiesen, nach der Verschwörungstheorien eine säkulare Fortsetzung des Deismus seien, des antiken Glaubens also, das Weltgeschehen sei den Launen der Götter unterworfen. Deren Stelle sei darin von mächtigen Menschen und Organisationen übernommen worden.
So wird es auch verständlicher, dass Verschwörungsmythen unsere aktiven Politiker zwar für unfähig, deren verborgene Lenker aber gleichzeitig für nahezu allmächtig halten. Man kann dies nur zum Teil auf gezielte Kampagnen wie etwa die des neoreaktionären Spindoctors Steve Bannon und seiner berüchtigten Website Breitbart zurückführen, doch gibt es nicht zuletzt auch wegen der weltweiten Vernetzung einen beunruhigenden Trend zur – nur zum Teil gelenkten – Selbstorganisation wahnhaften Denkens, das an reaktionäre Traditionen anknüpfen kann.
Wenn Ginsburg den Bierabend einer schlagenden Verbindung, den Grillabend der Bundesvereinigung Liberale Männer e. V. oder einen Putztag im reichsbürgerlichen »Königreich Deutschland« besucht, stößt er nicht auf offenes Misstrauen und geheime Machenschaften, sondern auf viele persönliche Probleme der Vereinsmitglieder und Untertanen und auf einen bekenntnishaften Mitteilungsdrang. Wenn etwa ein selbsternannter Rechtsexperte erläutert, »die BRD ist eine GmbH und der Personalausweis macht uns alle zum Personal dieser Firma. Drum auch Personal-Ausweis« und ein bierseliger Burschenschaftler über »Hypergamie und Staatsfeminismus« schwadroniert, dann ahnt man, dass Selbstversuch und Reportage ebenso wie der Podcast mit Ratlosigkeit enden werden.
Wahnsinn mit Methode
Hinter dem WTF im Podcasttitel WTF happened to Ken Jebsen verbirgt sich die Net-Phrase »What the fuck«, die man sich mit »was um Himmels Willen« oder auch »was zum Teufel« übersetzen könnte, aber was Jebsen nun wirklich zum Spezialisten für wahnhafte Einflüsterungen gemacht hat, bleibt offen. Ginsburg wiederum schreibt über seine Begegnungen mit Reichsbürgern und Männerbünden: »Vieles an dieser Situation kann einem Angst einjagen. Zum Beispiel, dass Menschen so einen albtraumfarbenen Mist denken können und dass andere Menschen solche Gedanken teilen – oder, schlimmer noch, solche Gedanken hinnehmen, ohne sie selbst zu glauben.« Wie Behroz und Demmel gelangt er bald an die Grenzen seiner Urteilskraft: »Am erschreckendsten ist die Verworrenheit, die entsetzliche Ununterscheidbarkeit in diesem Moment. Ich kann nicht zwischen gefährlich und verschroben unterscheiden, zwischen Überzeugung und Psychose, zwischen Wahnsinn und Kalkül.«
Dieser Wahnsinn hat teils Methode, teils eine esoterische Tradition. In zeitgemäßen Verschwörungsszenarien kursiert die Vorstellung, die Welt der »Systemparteien« sei eine Art Simulation, wie im Science-Fiction-Klassiker Matrix, berichtet Ginsburg, und man werde – wie dessen Held und ähnlich wie Alice im Wunderland – vor die Wahl gestellt, ob man in den »Kaninchenbau« eintauchen will oder nicht: »Nimmt er die blaue Pille, wird er weiter in einer Welt aus bequemen Lügen und Illusionen leben, schluckt er aber die rote, wird er aufwachen und die finstere Wahrheit erkennen.«
Wer die rote Pille geschluckt hat, ist in den Fußstapfen des weißen Kaninchens offenbar auch über logische Widersprüche erhaben. Demmel zitiert die Selbstanpreisung des Magazins Compact – »Lesen, was andere nicht schreiben dürfen«. Allein die Tatsache aber, dass es dieses Magazin noch gibt – wenn auch nicht auf den prominenten Plattformen des Qualitätsjournalismus –, legt den Schluss nahe, dass das Publikationsverbot, gegen das es vorzugehen vorgibt, nicht existiert.
Ein radikaler Bewusstseinswandel, eine Art umgekehrtes Damaskus-Erlebnis scheint deshalb notwendig, um erfolgreich in die Anderswelt zu wechseln. Manche Protagonisten der rechten Medien, deren ausschließliche Nutzung sich Demmel für einige Monate verordnet hat, seien »bekannte Journalisten aus dem Mainstream, die sich in den letzten Jahren radikalisiert haben. Namhafte und früher zu Recht geschätzte Kollegen wie Roland Tichy, Matthias Matussek, Boris Reitschuster oder Ken Jebsen«, schreibt Demmel.
Im Podcast über Ken Jebsen kann man verfolgen, wie der einstmals genialische RBB-Moderator sich in einer Zwielichtzone eingerichtet hat, in die er zunächst wohl ungewollt geraten war. Sein bekanntestes Video vom Mai 2020 sei dann aber eine »Breitseite gegen Bill und Melinda Gates« gewesen: »Jebsen wirft deren Stiftung vor, die Coronapandemie ausgelöst zu haben, um über ein anschließendes Impfprogramm die Weltherrschaft an sich zu reißen«, schreibt Demmel. Nachdem aber in seinen rechten Medien »die Merkel’sche Antifa-Schlägertruppe« für den Angriff auf den Reichstag verantwortlich gemacht worden ist, stellt er deprimiert fest, dass die rote Pille bei ihm noch immer nicht angeschlagen hat: »So behämmert, mir fällt leider kein präziseres Wort ein, kann doch niemand sein. Das zu schreiben, oder das zu glauben.«
Und angesichts des Versuchs eines gewissen Gerhard Wisnewski, die Morde von Hanau als Folge eines Bandenkriegs hinzustellen, gesteht er, bei solchen Texten frage er sich wieder mal, »ob die Autoren wirklich selbst glauben, was sie schreiben«. Sein Urteil, dies sei »destruktiver Journalismus«, hat deshalb einiges für sich. Demnach wären die Attacken gegen »Systemmedien« und »Lügenpresse« Versuche, den Instanzen demokratischer Selbstkontrolle nicht bloß zu widersprechen, sondern sie in einer Flut »alternativer Fakten« und schieren Unsinns zu ertränken oder sie schlichtweg dem Spott preiszugeben – und sie so zu neutralisieren.
Bei einigen Kollegen aber folgte die »Radikalisierung« auf Rauswürfe, die für extrovertierte Karrierejournalisten, denen die Öffentlichkeit das Lebenselement ist, nicht nur massive narzisstische Kränkungen, sondern auch den Verlust gewohnter Privilegien und Einkünfte mit sich brachten. So schreibt der »früher zu Recht geschätzte Kollege« und Spiegel-Kulturchef, aber dann von Spiegel und Welt geschasste Matthias Matussek in den Political Incorrect News zur US-Wahl und lässt dabei die Sau raus: »Da habt ihrs, ihr hysterischen linken Penner, ihr, um jetzt mal meinen Freund Akif Pirinçci zu zitieren, linksgrün versifften Schwuchteln, die ihr immer von Trump als Kandidaten für alte weiße Männer geschwafelt habt, laberlaberlaber, schon wieder danebengelegen, warum hört euch überhaupt noch einer zu, ihr marxistischen kriminellen Knallköpfe aus Genderseminaren und lilapink gepolsterten Schmuse-Ecken in den Schneeflöckchen-Schutzzonen, wenn ihr nicht gerade wieder Bambule macht.
Was früher in Matusseks Texten »noch Widerspruchsgeist und pointenreich gewesen sein mochte, kommt jetzt wie ›nach Diktat vergreist‹ rüber und ist erstaunlich faktenfrei«, kommentiert Demmel und läuft ihm damit in die Falle, denn der Text ist zwar faktenarm, aber dafür so reich mit provokanten Buzzwords gespickt, dass er – quod erat demonstrandum – in keiner kritischen Darstellung zum Thema fehlen darf. Der professionelle journalistische Selbstdarsteller inszeniert sich noch immer als Insider – früher in Kreisen der Hochkultur, nun in Kreisen der Neuen Rechten, deren Jargon er abspult als sei er dort aufgewachsen. Kann man solche verbalen Amokläufe als kalkuliertes rechtes Remmidemmi verstehen, das Selbstinszenierung und Altersversorgung verbindet?
Ganz so einfach ist es wohl nicht, und bei allem Bemühen um psychologische, politische oder zynisch-pragmatische Erklärungen darf doch nicht übersehen werden, dass der Wechsel in die Anderswelt – anders als journalistische Stippvisiten dorthin – ein Schritt von existenzieller Bedeutung ist, weil damit private und berufliche Beziehungen oft abrupt enden. Hier spaltet sich die Öffentlichkeit in zwei Lager, die einander nicht nur Satisfaktions-, sondern auch Diskursunfähigkeit vorwerfen. Die Sprache verkommt dabei vom Kommunikations- zum Exkommunikationsmittel, in dem Wörter je nach Lage als Brandsätze oder als belastende Beweismittel benutzt werden.
Sechsteilige Podcast-Serie Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen? ARD-Audiothek. – Umberto Eco Verschwörungen. Eine Suche nach Mustern. Hanser, München 2021, 128 S., 12 €. – Tobias Ginsburg: Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats. Rowohlt Polaris, Hamburg 2021, 336 S., 16 €. – Ders.: Die Reise ins Reich. Unter Rechtsextremisten, Reichsbürgern und anderen Verschwörungstheoretikern. Rowohlt, Hamburg 2021, 320 S., 12 €. – Hans Demmel/Friedrich Küppersbusch. Anderswelt. Ein Selbstversuch mit rechten Medien. Kunstmann, München 2021, 224 S., 22 €.
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