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picture alliance/dpa | Jan Woitas

»Sollte Elternzeit in gleichem Umfang für Frauen und Männer zur Norm werden?« NEIN!

Nein, denn die Emanzipation von vorgegebenen Geschlechterrollen ist erst dann abgeschlossen, wenn es wahre Entscheidungsfreiheit gibt.

Wer in den 50er, 60er Jahren geboren ist, also die Generation, die heute als die Baby-Boomer bezeichnet wird, wird ein Bild sicherlich nicht erinnern: Väter, die Kinderwagen schieben, Väter mit ihren Kindern auf dem Spielplatz, Väter, die das Baby wickeln, ins Bett bringen, Kleinkinder füttern… Der Vater als Alleinverdiener war meistens abwesend – damit seine Familie am Wirtschaftswunder partizipieren konnte. Noch eine Generation davor war die Rollenverteilung noch eindeutiger. Sobald der gestresste Ernährer nach Hause kam, hatten die Kinder bis auf den obligatorischen Gutenachtkuss unsichtbar zu sein, sollten nicht stören. Die Kinder waren die »Blagen«. Geht man noch weiter zurück in der Geschichte der Familienbilder, dann war es – zumindest in großbürgerlichen Kreisen – allerdings auch den Müttern nicht zumutbar, sich um Alltag und Erziehung der Nachkommen zu kümmern. Das wurde Ammen und Kindermädchen übertragen, die die lieben Kleinen satt und gebadet und brav den Eltern für Momente kurz zuführten.

Das Beziehungsgeflecht von Vater, Mutter und Kind(ern) ist also gesellschaftlich geprägt, sozial genormt und gerahmt von den je kulturellen und ökonomischen Bedingungen.

Von einer Norm zur nächsten

Nun haben sich die gesellschaftlichen Rollenerwartungen an Mütter wie Väter in gewisser Weise aufgelöst, sie sind durchlässiger geworden. Alles kann, alles geht, nichts muss. Und das ist gut so.

In der Öffentlichkeit erregen Männer mit einem Baby im Tragetuch vor dem Bauch keine besondere Aufmerksamkeit. Der Mann: fütternd, tröstend, wickelnd, spielend – normal. Ein Vater bei der Kinderärztin, beim Kita-Elternabend – keine Ausnahme. Männliche Erzieher und Grundschullehrer sind keine als merkwürdig wahrgenommene Randerscheinung mehr. Dieser Wandel in Familie und Gesellschaft ist wunderbar. Weil alle davon profitieren: die Mütter, weil sie mehr Freiraum haben, die Väter, weil sie ihren Kindern mehr sein können als der abwesende, im Zweifel eher strafende Ernährer, das Kind, weil es Erfahrungen mit beiden Geschlechtern, mit zwei Persönlichkeiten macht.

Unter der Hand hat sich eine Verschiebung der Erwartung an Frauen vollzogen und damit ein neuer Rechtfertigungsdruck.

Doch nach einer Phase des Ausprobierens, des Herantastens, nach einem Prozess des Hinterfragens und Infragestellens von Vater-Mutter-Kind-Stereotypen und damit einhergehendem gesellschaftlichen Wandel hat eine neue Norm die Köpfe erobert: Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau (wir reden jetzt von derjenigen auf der persönlichen, familiären Ebene) gebe es nur dann und nur dort, wo sie sich in vorgegebenen, genau 50 : 50 austarierten Zuständigkeiten für Haushalt und Kinder manifestiere.

Wenn das den Wünschen, Bedürfnissen und Möglichkeiten der Beteiligten entspricht – sehr gut. Nicht gut hingegen ist, dass sich unter der Hand eine Verschiebung der Erwartung an Frauen vollzogen hat: Galt einst eine Mutter, die ihr Kind in fremde Betreuung gab, als »Rabenmutter«, so genügt heute jene Frau nicht den gesellschaftlichen Erwartungen, die nicht schnellstmöglich wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt, sich der »Karriere« widmet (einer »Karriere« im Übrigen häufig hinter der Kasse eines Supermarktes oder in einem langweiligen Bürojob). In beiden Fällen gab bzw. gibt es einen Rechtfertigungsdruck und eine in gewisser Weise »Verkürzung« des Lebens als Frau und Mutter. Mal in die eine, mal in die andere Richtung. Wovon darf es denn ein bisschen mehr sein?

Wo enden biologische, wo beginnen soziale Faktoren

Bereits im Uterus geschieht das Heranwachsen des Fötus unter sozialen Bedingungen. Geräusche, Stimmen, Gefühle. Und doch ist diese besonders enge Verbindung zwischen Mutter und Kind eine enge seelische und biologische. Das Durchtrennen der Nabelschnur ist nicht einfach das Ende der Entbindung, vielmehr der Beginn des Prozesses der Abnabelung. Für das Kind wie für die Mutter. Überspitzt formuliert: Mutter und Kind müssen sich voneinander lösen, Vater und Kind eher zueinanderfinden. So lassen sich Säuglinge in den ersten Lebensmonaten (in der Regel!) leichter von der Mutter beruhigen und im Wortsinne stillen, später, als Kleinkind, wird zunehmend der Vater wichtig.

Doch zunächst einige Fakten: Zwar kann man einen Teil der Elternzeit zwischen dem 3. und 8. Geburtstag nehmen, die meisten Eltern beantragen diese Zeit jedoch in den ersten drei Lebensjahren. Was nicht verwundert, sind doch die ersten Lebensmonate die, in denen die Betreuung zumeist im familiären Umfeld erfolgt. 21 Prozent aller Eltern, deren jüngstes Kind unter drei Jahren ist, beantragen Elternzeit; davon beträgt der Anteil der Mütter 45,2 Prozent, lediglich 3,0 Prozent der Väter wechselt vom Schreibtisch an den Wickeltisch. Bei Kindern unter sechs Jahren gehen nur 12,4 Prozent der Eltern in Elternzeit: Dabei kommen auf 25,1 Prozent Frauen lediglich 1,9 Prozent Männer. (Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2022). Diese Zahlen kann man nun verschieden interpretieren. Sie könnten belegen, dass ein (politischer) Handlungsbedarf darin besteht, für mehr Arbeitsteilung zu sorgen, womöglich mit leichtem Druck über eine Ausgestaltung der Antragsbedingungen für das Elterngeld.

»Vielleicht ist es einfach so, dass Paare / Eltern genau das realisieren, was ihren Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht.«

Sie könnten aber auch belegen, dass die Paare / Eltern sehr genau wissen was sie tun und eben genau das realisieren, was ihren Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht. Und die Aufgabe von Politik darin besteht, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass ihnen, aus welcher Konstellation auch immer, kein Nachteil erwächst. Und in einer idealen Welt würde die Gesellschaft dies schlicht und einfach akzeptieren. Und, psst, unter uns gesagt: Könnte es sein, dass nicht wenige Frauen geradezu befürchten, dass die Väter sie schnell wieder in den Berufsalltag befördern, weil diese selbst ihren Anteil an Elternzeit beanspruchen? Denn, entgegen einem verbreiteten Bild: Das Leben mit einem Säugling und Kleinkind kann sehr erfüllend sein.

Noch eine ketzerische Schlussbemerkung: Seit einigen Jahren wird an der Entwicklung eines extrakorporalen Uterus geforscht. Also einer künstlichen Gebärmutter, in der der Fötus heranreift. Ist dies nun die Vollendung des Feminismus? Befreit zu sein von der oft beschwerlichen Schwangerschaft? Oder ist es seine Dialektik – die Frau wird ihrer besonderen Rolle im Fortpflanzungsprozess enthoben und überflüssig. Und steht dafür umso nahtloser für die produktive Verwertung ihrer Arbeitskraft zur Verfügung.

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