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picture alliance / Hans Lucas | Isabelle Souriment

»Sollten wir weiterhin in den Urlaub fliegen?« JA

»Alles ist relativ« – ist out. Wir leben in einer Zeit des absoluten Entweder-oder: Entweder man isst Fleisch – oder gar keines; entweder ist man begeisterte Autofahrerin – oder gnadenloser Verächter der individuellen motorisierten Mobilität; hier sind die, die urbanes Leben als das einzig lebenswerte feiern – dort jene, die ein Loblied auf die ländliche Idylle singen. Ähnlich meinungspuristisch geht es beim Thema Kreuzfahrten zu oder eben: der Frage des Fliegens. In privaten Lebensweisen wie auf der Ebene politischer Werte und Einstellungen (wobei gerade auch bei dem hier verhandelten Thema gilt: das Private ist immer auch politisch) sind die Grauzonen, das Sowohl-als-auch, das Ambivalente oder eine gewisse Unschärfe der Meinung verschwunden oder gelten sogar als Zeichen von Dummheit, Verweigerung, Ignoranz.

Es ist richtig, das Fliegen ist – und das ist keine Frage von Meinung sondern wissenschaftlicher Fakt – eine ökologisch schädliche Form der Fortbewegung. Allerdings wäre es kein so immenses Problem, würden wir heute in einer Häufigkeit das Flugzeug nutzen, wie, sagen wir, in den 60er Jahren.

Dieses Pro will nicht der grenzenlosen Freiheit des Reisens über den Wolken das Wort reden, es ist ein Plädoyer für das rechte Maß. Was im Übrigen für die meisten Dinge im Leben zutrifft. Argumentative Unterstützung wird sich die Autorin – im Kant-Jahr zumal – bei Immanuel Kant, dem Philosophen der Aufklärung holen.

It’s the quantity, stupid!

Es ist das Dilemma der massenhaften Verbreitung ehemaliger Luxusphänomene, in deren Genuss einst nur wenige kamen – wie beim »Automobil«: Konnten sich anfangs nur wenige (Reiche) ein Auto leisten, wurde es später zu einem Massenprodukt, ja mehr noch, zu einem Massenanspruch und damit zu einem Problem. Der Geist unbegrenzter individueller Mobilität war aus der Flasche gelassen, in die wir ihn nicht mehr zurück locken können.

»Es ist das Dilemma der massenhaften Verbreitung ehemaliger Luxusphänomene.«

So auch das Fliegen. Es war den Reichen vorbehalten und ein Flug, auch für diese, etwas Besonderes. Mehr Ereignis als Reise. Dann eroberte das Fliegen, weil es immer billiger wurde und die Einkommen stiegen, immer mehr Bevölkerungsschichten – bis es billiger wurde als eine Fahrt mit der Bahn. Noch ein Beispiel: War Fleisch früher eine Besonderheit für das Sonntagsessen und an Feiertagen, wurde es dann sogar preiswerter als Gemüse, mit all den Folgen von Massentierhaltung, Metangas-Emissionen, usw.

In einer Reportage über das größte Kreuzfahrtschiff der Welt (5.400 Passagiere auf 18 Decks), der »Harmony of the Seas« wurde ein Ehepaar interviewt, das begeistert und stolz erzählte, es habe im vergangenen Jahr 18 (!!) Kreuzfahrten unternommen. Daneben gibt es aber jene, die sich darauf freuen, einmal so eine Kreuzfahrt machen zu können. (Wer es denn mag. Für die Autorin war die Reportage eher ein Zeugnis des Vergnügungshorrors). Weil es letztlich um die Frage eines erträglichen CO2-Fußabdrucks geht, ist es eben eine Frage des Maßes.

In all diesen Beispielen, und sie ließen sich fortsetzen, zeigt sich die Janusgesichtigkeit des steigenden Wohlstandes: Der Segen des »Mit-am-Tisch-sitzen-Könnens« der Massen geht mit dem Fluch der Umweltschädlichkeit einher.

Daraus ließe sich der Schluss ziehen, dass unser aller Verhalten entweder über den Preis (ein Flug von Berlin nach New York 1.500,- Euro statt 200,-) oder über Verbote, zum Beispiel von innerdeutschen oder gar innereuropäischen Flügen, geregelt werden müsse. Sind also Rationierung (Verbote) oder Preissteigerungen (Allokationsfunktion des Marktpreises) die Mittel der Wahl?

An dieser Stelle übergeben wir an Immanuel Kant. Freiheit ist, so Kant, die Einsicht in Notwendigkeit. Moment mal. Notwendigkeit bedeutet doch Pflicht, mithin das Gegenteil von Freiheit? Nein, es ist die Einsicht, die den Unterschied macht. Da wo ich etwas einsehe, verstehe, mir zu eigen mache, braucht es kein Verbot, keine Regelung über einen Marktpreis, um mich zu einem Handeln bzw. Unterlassen zu bringen. Ich tue oder lasse es aus Überzeugung. Darin liegt meine Freiheit und nicht in: freies Fliegen für freie Bürger. Flugscham wäre dafür der auf die Emotionsebene gebrachte Begriff. Aber eben nur »wäre«: Ein Gefühl ist keine Erkenntnis.

»Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.« (Immanuel Kant)

Würden wir in diesem Sinne – Für und Wider abwägen, den Verstand nutzen – von Auto, Flugzeug, Schiff Gebrauch machen, wären wir einen großen ökologischen Schritt weiter. Finde ich es richtig, ist es mir das wert, für einen Weihnachtseinkauf mal eben nach New York zu fliegen; kann ich eine Flugreise nach Asien mit meinem Gewissen vereinbaren, weil ich ein Gespür für Land und Menschen gewinnen möchte?

Die kantsche Einsicht in die Notwendigkeit wird im Übrigen auch darüber entscheiden, wie wir individuell und auch als Gesellschaft die Transformation erleben: Im schlechtesten Fall erleben wir sie als Zwang, dann wird es nur mit Druck und Verboten gehen und viele werden sich dagegen auflehnen und entrüsten und trotzig Parteien wählen, die ihnen Wandel, Änderung und Verzicht ersparen. Zu Lasten kommender Generationen. Auch wenn ich skeptisch bin, die Hoffnung stirbt zuletzt. Meine gilt: der Einsicht.

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