Das Königreich Elis versank im Kuhmist, unter dem Kunst von unschätzbarem Wert begraben worden sein sollte. Ein Ausmister musste also her. So beginnt das Hörspiel Herkules und der Stall des Augias von Friedrich Dürrenmatt. Der Bauernkönig Augias berät sich mit seinem Bauernparlament, wer den Auftrag übernehmen könnte. Der alternde Herkules erhält am Ende den Zuschlag. Der Halbgott ist zwar von der Perspektive ausmisten zu müssen wenig begeistert, doch seine Finanzen müssen dringend saniert werden. Und elische Bauern zahlen gut, so scheint es: »Die Elier sind ein Bauernvolk. Fleißig, einfach, ohne Kultur. Sie vermögen nur bis drei zu zählen«, schreibt Dürrenmatt. Deshalb haben sie auch, um das Honorar zu beziffern, »eine Pergamentrolle mit lauter Dreien beschrieben«.
Deutschland versinkt noch nicht im Mist. Man lebt schließlich im 21. Jahrhundert, ist nicht nur von hohen Hygieneansprüchen, sondern auch vom rasanten Fortschritt, von Digitalisierung und Automatisierung geprägt – und wird teilweise davon überrannt. Es sind die Algorithmen, künstliche Intelligenz und digitale Innovationen, die Deutschland überfluten. Das Internet der Dinge, die allgemeine Vernetzung haben das Land schon verändert – und sie werden es künftig noch umfassender und schneller verändern als bisher. Davon sind Bundesregierung und Bundestagsfraktionen überzeugt.
»Deutschland soll international Vorreiter bei der digitalen Spitzentechnologie werden«, heißt es deshalb im Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Die Linke zur »Einsetzung einer Enquete-Kommission ›Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale‹« (Bundestagsdrucksache 19/2978). Von »KI made in Germany« ist die Rede. Bescheidener geht’s nicht. Der Einsatz digitaler Innovationen birgt Potenziale. Gleichzeitig würden sich aber zahlreiche ethische und rechtliche Fragen stellen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wünscht sich daher Hilfe bei der Digitalisierung, die Deutschland auch dringend benötigt: In vielen Regionen fehlt es an einer grundlegenden Infrastruktur, vom schnellen Internet bis zur flächendeckenden Mobilfunkversorgung. Ein Held muss also her. Noch besser: gleich mehrere.
Die Enquetekommission besteht aus 19 Mitgliedern des Bundestages (CDU/CSU: sieben, SPD: vier, AfD, FDP, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen: je zwei) und 19 Sachverständigen (benannt im Einvernehmen mit den Fraktionen). Beauftragt wurde die Enquetekommission, »unabhängig von und zusätzlich zu aktuellen Gesetzgebungsverfahren« in mehreren definierten Bereichen, um laut Antrag »Chancen und Potenziale der KI sowie die damit verbundenen Herausforderungen zu untersuchen und Antworten auf die Vielzahl an technischen, rechtlichen, politischen und ethischen Fragen im Kontext von KI zu erarbeiten«. Dazu gehören Fragestellungen wie Auswirkungen der KI auf demokratische Prozesse, Werte und technische Aspekte, Identifizierung von Lebensbereichen, »in denen der Einsatz von KI aus ethischen Gründen geboten ist oder unvertretbar sein könnte«. Verantwortung und Haftungsfragen. Konzepte zum Ausbau der Dateninfrastruktur, aber auch zum Datenschutz und zur IT-Sicherheit gehören nach Auffassung der antragstellenden Fraktionen in den Bereich der Wirtschaft.
»Hemmungsloser Ausbruch der Kommissionen«
Die Enquetekommission sollte sich unverzüglich konstituieren und spätestens nach der parlamentarischen Sommerpause 2020 ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorlegen, so der Wunsch der Fraktionen. Die Benennung der Mitglieder durch die Parteien zog sich dennoch bis in die ersten Herbstwochen. Ein Änderungsantrag der Grünen mit der Forderung, dass die Kommission regelmäßig öffentlich tagen solle und die Sitzungen dann im Internet live übertragen werden sollten, wurde mit der Mehrheit von CDU/CSU, SPD und FDP gegen das Votum von AfD, Die Linke und den Grünen abgelehnt. Dementgegen war schon die konstituierende Sitzung im September teilöffentlich. Weitere Sitzungen hat die Enquete um den öffentlichen Teil erweitert – inklusive Übertragung im Internet. Bei der Sitzung Mitte Januar 2019 gab es dann öffentliche Kurzvorträge von sechs Sachverständigen.
Mit einer etwas kürzeren Frist, nämlich bereits vor dem Sommer 2019 Handlungsempfehlungen zu geben und Regulierungsmöglichkeiten vorzuschlagen, agiert eine weitere Kommission: die Datenethikkommission. Diese vom Bundesministerium des Innern (BMI) und Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) am 18. Juli 2018 berufene und 16 Mitglieder umfassende Kommission zählt zu ihren Mitgliedern u. a. den Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber (SPD), die schleswig-holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte Marit Hansen und den Hauptberater der Generaldirektion Justiz und Verbraucher der Europäischen Kommission, Paul Nemitz. Die Aufgaben der Datenethikkommission leiten sich aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ab. »Wir werden zeitnah eine Daten-Ethikkommission einsetzen, die Regierung und Parlament innerhalb eines Jahres einen Entwicklungsrahmen für Datenpolitik, den Umgang mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen vorschlägt«, heißt es dort. »Die Klärung datenethischer Fragen kann Geschwindigkeit in die digitale Entwicklung bringen und auch einen Weg definieren, der gesellschaftliche Konflikte im Bereich der Datenpolitik auflöst.« Auf Basis technischer und wissenschaftlicher Expertise sollte die Kommission »ethische Leitlinien für den Schutz der Einzelnen, die Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenlebens und die Sicherung des Wohlstands im Informationszeitalter entwickeln«, gab das BMI bekannt.
In ihrer konstituierenden Sitzung hat die Datenethikkommission bereits Empfehlungen zur Ergänzung der »Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung« bekannt gegeben, das bedeutet die Aufnahme der »ethics by, and for design« als eine weitere Zielbestimmung, damit ethische und rechtliche Grundsätze im gesamten Prozess der KI-Entwicklung und -Anwendung gefordert und gefördert werden. Als Markenzeichen sollte KI »made in Europe« fungieren. Auch die Förderung individueller und gesellschaftlicher Kompetenz und Reflexionsstärke sollte in die Strategie aufgenommen werden, ebenso die Eingrenzung des Begriffs »Künstliche Intelligenz«, der in Medien, Wissenschaft und politischem Diskurs unterschiedlich definiert wird.
Unbequeme Fragen zur Digitalisierung sollte auch der zehnköpfige (ehrenamtlich tätige) Digitalrat der Regierung stellen, der im August 2018 eingesetzt wurde und dem die ehemalige Staatssekretärin im Verteidigungsministerium Katrin Suder vorsteht. Seinen Auftrag leitet der Digitalrat ebenfalls vom Koalitionsvertrag ab und soll einen »engen Austausch zwischen Politik und nationalen sowie internationalen Experten« ermöglichen, die Bundesregierung beraten und weitere Handlungsempfehlungen formulieren.
Auch wenn es nicht explizit im Koalitionsvertrag gefordert wird, lassen sich ja weitere Räte berufen. So beispielsweise der »Rat für Digitalethik«, der sich im September 2018 unter dem Vorsitz des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier konstituiert hat und die Landesregierung in relevanten ethischen Fragen beraten sollte. Hochrangige Vertreter aus Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft, wie der Bischof von Limburg Georg Bätzing, der ehemalige Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber oder der Deutschlandchef der Boston Consulting Group Carsten Kratz sitzen in diesem Gremium.
»Dieser hemmungslose Ausbruch der Kommissionen kam für uns, die wir mit der elischen Politik nicht vertraut waren, überraschend«, klagte in Dürrenmatts Hörspiel Herkules’ Assistent, Polybios. Doch man sollte auch an die Notwendigkeit der Kooperation über die nationalen Grenzen denken, wenn es um die Entfaltung des vollen gesellschaftlichen und ökonomischen Potenzials digitaler Technologien geht, sagte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres anlässlich der Gründung des »High-level Panel on Digital Cooperation« im Sommer 2018. Den Vorsitz teilen sich Melinda Gates und Alibaba-Gründer Jack Ma. Unter den 20 Mitgliedern aus Privatwirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Technologie ist Deutschland nicht vertreten.
Vielleicht ist das auch ganz gut so, denn Deutschland hat jetzt schon ausreichend Digitalräte. »Ich bin Politiker, mein Sohn«, klagte bei Dürrenmatt König Augias, »und die Politik schafft keine Wunder. Sie ist so schwach, wie die Menschen selbst, nicht stärker, ein Bild nur ihrer Zerbrechlichkeit.« Weder die Technologie im Allgemeinen noch die Digitalisierung im Besonderen machen die Demokratie per se besser. Sie unterstützen nur, Zygmunt Bauman folgend, die Trends, die es auch ohne Computer und moderne Technologien geben würde.
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