Menü

Amerikanische Grenzen South of the Border

Die Geschichte schreckt nicht vor Peinlichkeiten zurück: So siegte Ende 1980 mit Ronald Reagan ein konservativer Präsidentschaftskandidat in den USA, den viele für ein politisches Leichtgewicht hielten. Dieser ehemalige Cowboy-Darsteller brachte es am 12. Juni 1987 in Westberlin fertig, dem Führer der Sowjetunion zuzurufen: »Mr. Gorbachev, tear down this wall!« Und wurde von der Geschichte erhört. Inzwischen gibt es einen neuen Konservativen im Weißen Haus, der sich entschlossen gibt, eine Mauer zu bauen. Sie soll die USA und deren Grenze zu Mexiko vor illegalen Einwanderern aus Lateinamerika schützen. Während dieser Artikel entstand, waren Tausende von Honduranern auf einem Marsch gen Norden. Und Donald Trump hat erklärt: »In that caravan you have some very bad people.« Die Marschierer freilich waren nur ein willkommener Anlass, um im Vorfeld der bevorstehenden Midterm-Wahlen den Demokraten vorwerfen zu können, sie »ermutigten Millionen von illegalen Fremden, unsere Gesetze zu brechen, unsere Grenzen zu verletzen und unsere Nation zu überwältigen«.

Irgendwann soll offenbar selbst in den USA einmal Schluss sein mit der Einwanderung und mit dem Grundsatz, alle Menschen seien gleich geschaffen. Das ist nicht nur bigott, sondern auch absurd, denn es war ja gerade jene »Greatness«, die Trump Amerika zurückgeben will und nach eigener Anschauung auch schon zurückgegeben hat, die das Land selbst für Einwanderer aus Ländern, wo man den »Yankees« sonst eher mit Ablehnung und Verachtung begegnet, zum Sehnsuchtsort gemacht hat.

Auch im Positiven vermögen Grenzen also eine selektive Wahrnehmung zu befördern, besonders bei der touristischen Sicht auf arme, korrupte bis diktatorische Länder, die aber den Vorteil haben, »von der Sonne verwöhnt« zu werden. Ausgeblendet wird in solchen Fällen nicht nur, dass man bei einem Urlaub den Boden der Demokratie verlässt, sondern auch, dass man dabei mehr als Zoll- und Sprachgrenzen überwindet. Die Südgrenze der USA wiederum markiert eine Frontlinie, bis zu der sich dieser traditionell protestantische Staat weit in Regionen ausgedehnt hat, die zuvor über Jahrhunderte spanisch-mexikanisch geprägt waren. Noch immer gedenken Millionen US-Amerikaner an der Kultstätte »The Alamo« des Widerstandes einer hoffnungslos unterlegenen Fortbesatzung gegen die mexikanische Armee im Jahre 1836.

Seitdem haben sich die Machtverhältnisse gewandelt. Geblieben ist in den USA die Überzeugung, man habe Waffen immer nur zur Verteidigung eingesetzt. Geblieben ist vor allem eine 3.144 Kilometer lange Grenze, die vor bösartigen Einwanderern und Drogenschmugglern schützen soll, aber, wie es die Natur so will, erschweren natürliche Barrieren wie Flüsse und Schluchten die Errichtung von Zäunen und Mauern. Die natürlichen Lebensbedingungen entlang einer Grenze ähneln sich auf ihren beiden Seiten weit mehr als die zwischen Grenz- und Zentralland. So entstehen Grenzregionen, die durch das Trennende vereint werden. Welcome to Borderland hat die Ethnologin und Dokumentarfilmerin Jeanette Erazo Heufelder ihre literarische Erkundung entlang dieser Grenze genannt. Mit prägnanten Beispielen gelingt es ihr, unsere Sicht etwa auf die mexikanische Arbeitsmigration teils zu korrigieren, teils zu präzisieren.

Sinnbild dafür sind die mexikanischen Tomatenpflücker, die wie bei uns die osteuropäischen Erntehelfer saisonal über die Grenze gingen. In den 40er bis 60er Jahren hätten agroindustrielle Investitionsprogramme des mexikanischen Staates eine einheimische Mittelschicht entstehen lassen, so dass sich die Lebensstile auf beiden Seiten der Grenze einander angeglichen hätten: »In Arizona freuten sich die Ladenbesitzer über die neuen mexikanischen Kunden, die zum Einkaufen über die Grenze fuhren.« Bald habe sich dieser Austausch intensiviert: »Familien aus Sonora und Sinaloa schickten ihre Kinder zum Studieren an die Universität von Arizona. Umgekehrt entdeckten Arizonans den Fischerort Puerto Peñasco am Golf von Kalifornien.« 1965 habe Mexikos Regierung ein Industrialisierungsprogramm gestartet, das für Vollbeschäftigung gesorgt habe. Die lateinamerikanische Schuldenkrise, die Loslösung der Landeswährung vom Dollar und der darauffolgende Wertverlust des Pesos hätten dieser Egalisierung dann ein Ende gemacht. Aus gern gesehenen Kunden waren wieder misstrauisch beäugte Arbeitsmigranten geworden.

Auch in Arizona habe sich die Situation verändert. Seit man die Grenzstaaten der USA zum »Sun Belt« gemacht habe, seien Hundertausende meist älterer US-Amerikaner nach Arizona gezogen, wo der Winter milder und das Leben billiger ist. In deren »Vorstadtsiedlungen vom Reißbrett« seien Mexikaner »nur als Gärtner und Putzfrauen« aufgetaucht. Als aber Anfang des neuen Millenniums »das Gefühl zerbrach, in der sichersten aller Welten zu leben, verwandelte sich die Tatsache, dass dreißig Prozent der sie umgebenden Bevölkerung mexikanisch-stämmig war, in eine gefühlte Bedrohung«.

Hier spielen demografischer Wandel und Binnenmigration in den USA eine gewichtige Rolle. Der Kulturwissenschaftler und Betriebswirt Alexander Gutzmer ergänzt diese Darstellung in seinem Buch Die Grenze aller Grenzen aus ökonomischer Sicht. Nicht nur im Fall Mexikos könnte eine Grenzregion zu einem »regelrechten wirtschaftlichen Kraftfeld« werden. Dort gebe es die sogenannten »maquilas« bzw. »maquilladoras«, hinter denen sich Montagebetriebe verbergen, »welche importierte Einzelteile oder Halbfertigware zu Endprodukten zusammensetzen«.

Aus der Luft könne man dies wie eine als »flächendeckende Vergrauung sichtbare Teppichstruktur« wahrnehmen, die mit der klassischen Industriearchitektur nichts mehr zu tun habe: »Hier wird nicht für die Ewigkeit gebaut, nicht einmal für einen überhaupt definierten Zeitraum oder für ein bestimmtes Produkt. Vielmehr braucht es maximal flexible, billige, jederzeit umdefinierbare Montageräume.« Jene graue Teppichstruktur erinnert an ein kapitalistisches Flächenbombardement, das die Konzepte einer sozial geprägten Wirtschaftsförderung in Mexiko atomisiert hat. Interessant sei dabei die »sozialtopographische Positionierung« dieser Fabriken: »Man baut sie mit Vorliebe direkt neben Slums.« Und Gutzmer wird noch deutlicher: »Nicht eine gute Infrastruktur ist entscheidend, sondern die Nähe zu billigen und willigen Arbeitskräften.«

Der verlorene Traum

Wenn Donald Trump von »America« spricht, meint er allein die USA, nicht Kanada, nicht Mexiko, nicht die Länder Lateinamerikas. Er bedient sich der simpelsten Form von Identitätsstiftung – durch Ausschluss der Fremden, der Außenstehenden, der Ausländer. Das mag bei kleinen Ländern mit einer kohärenten Bevölkerungsstruktur einstmals funktioniert haben, im Einwanderungsland USA aber schürt jede Fremdenhetze die Antagonismen im eigenen Land. Die angeblichen Fremden, gegen die man Grenzen und Mauern errichtet, sind ja seit Generationen da. Einem Einwanderungsland, das die Einwanderung verteufelt, droht die Selbstzerfleischung, wie das Attentat auf die Synagoge von Pittsburgh gezeigt hat.

Implizit enthalten Trumps Ausfälle gegen Einwanderer das Eingeständnis, dass Amerikas Großartigkeit begrenzt ist, dass Wachstum und Wohlstand auch in den USA nicht grenzenlos sind und dass Verteilungskämpfe bereits entschieden sind. Die Sieger stehen längst fest. Es sind die Superreichen, die sich auch einen Trump und eine Verrohung der Öffentlichkeit leisten können, weil ihre Lebenswelten sich längst von dem Leben der Masse abgekoppelt haben. Hier liegt das Provokationspotenzial jener jungen Lateinamerikaner, die schon als Kinder ohne Ausweispapiere in die USA geschmuggelt worden waren und die Sprache des Landes inzwischen besser beherrschen als die ihrer Herkunftsländer. Diese »Dreamers« zählten zu den ersten Zielscheiben des neuen US-Präsidenten, denn sie halten auf provozierende Weise an dem Traum fest, dass man in diesem Land mit anständiger Arbeit sein Glück machen kann, auch wenn dieser Traum längst ausgeträumt ist.

Ich hatte einen Traum heißt denn auch das Buch, in dem der mexikanische Romancier Juan Pablo Villalobos die Stimmen jugendlicher Grenzgänger/innen in Amerika versammelt hat. »Ich hatte einen Traum«, sagt eine von ihnen, die inzwischen in den USA Jura studiert: »Ich träumte, Menschen zu verteidigen. Ich war Anwältin für Menschenrechte.« In den USA habe sie zwar keine Angst mehr, dass »schlimme Menschen kommen und mich überfallen«, wie es ihr in Honduras widerfahren ist. »Nur dass ich meine Familie so vermisse, ist traurig.« Ihre Mutter läge dort seit Monaten im Krankenhaus: »Als ich mit ihr telefoniert habe, hat sie gesagt, dass sie diese Welt nicht verlassen würde, ohne mich noch einmal gesehen zu haben, dass es ihr letzter Wunsch sei, mich noch einmal zu sehen.« Bei allem, was sich über Grenzen und Migration sagen lässt, sollte dies nicht vergessen werden.

Alexander Gutzmer: Die Grenze aller Grenzen. Inszenierung und Alltag zwischen den USA und Mexiko. Kursbuch Edition, Hamburg 2018, 216 S., 22 €. Jeannette Erazo Heufelder: Welcome to Borderland. Die US-mexikanische Grenze. Berenberg, Berlin 2018, 256 S., 25 €. Juan Pablo Villalobos: Ich hatte einen Traum. Jugendliche Grenzgänger in Amerika. Berenberg, Berlin 2018, 96 S., 22 €.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben