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© marcinjozwiak/Pixabay

Sozial-ökologische Wende durch einen European Green Deal

Schon am elften Tag seiner neuen Amtszeit hat der niederländische Sozialdemokrat und Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, eine Mitteilung zum European Green Deal vorgestellt. Dass die Vorstellung so schnell kam, zeigt, wie ernst es ihm mit dem Thema ist.

»Mitteilungen« sind Papiere der Europäischen Kommission, in denen die Grundideen von Politikvorhaben und die Zeitleiste für Gesetzesvorhaben der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Diese werden dann später im Gesetzgebungsverfahren detaillierter und konkreter. Aber schon aus der Mitteilung zum European Green Deal lässt sich Folgendes herauslesen: Er stellt zwar keinen radikalen politischen Paradigmenwechsel dar, um das Wachstumsprinzip infrage zu stellen, aber es kann dennoch ein Ambitionsschub in der europäischen Klima- und Umweltpolitik erwartet werden, der in die richtige Richtung geht, so wie auch von der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im Europäischen Parlament gefordert. Bei einigen Vorhaben gibt es aber noch Verbesserungspotenzial bzw. es werden noch mehr Detailinformationen benötigt.

Fundament des Green Deals soll ein europäisches Klimaschutzgesetz werden. Damit soll das Ziel im EU-Recht festgeschrieben werden, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird. Außerdem soll das mittelfristige Klimaziel der Union angehoben werden. Derzeit plant die EU, bis 2030 40 % ihrer klimaschädlichen Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einzusparen. Die Kommission schlägt nun vor, das Ziel auf 50 % und eventuell auf 55 % zu erhöhen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament fordern, dass das Ziel direkt bei 55 % angesetzt wird. Das, und die Forderung der EU-Klimaneutralität bis 2050 sind auch die Positionen des Europäischen Parlaments. Obwohl sie dort nur die zweitstärkste Fraktion ist, hat es die S&D-Fraktion geschafft, eine progressive Mehrheit aus Sozialdemokraten, Grünen, Linken, Liberalen (ja, in Europa gibt es tatsächlich Liberale, mit denen ambitionierte Klimapolitik möglich ist) und einigen von ihrer Fraktionslinie abweichenden Konservativen für mehr Klimaschutz zu bilden.

Das Europäische Parlament alleine kann jedoch keine EU-Gesetze verabschieden. Es muss sich dafür mit den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten einigen. Und da sieht die Sache leider schwieriger aus. Polen, Tschechien und Ungarn, deren Energiesysteme noch stark von fossilen Brennstoffen, insbesondere der Kohle abhängig sind, stellten sich lange gegen das 2050-Klimaneutralitätsziel. Nun sieht es so aus, als würden sie diesen Widerstand aufgeben. Das liegt unter anderem daran, dass der Green Deal auch die Schaffung eines »Just Transition Funds«, eines neuen Fonds für einen gerechten Wandel vorschlägt. Der soll Regionen, die auf dem Weg zur Klimaneutralität besonders vom Strukturwandel betroffen sind, bei den nötigen Transformationen unterstützen. Etwa durch Wirtschaftsförderung, oder durch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer/innen für neue und grüne Sektoren. Auch dies ist eine Idee der europäischen Sozialdemokratie, die endlich in europäisches Recht umgesetzt wird. Noch ist jedoch nicht klar, in welcher Höhe der Fonds ausgestattet werden wird und welche Regionen genau ihn beanspruchen können. Anfang 2020 wird die Kommission dazu nähere Vorschläge machen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass es sich dabei um frisches Geld und nicht um bloße Umetikettierung von bereits existierenden Regionalfördertöpfen handelt.

Dieser Just Transition Fund ist ein wichtiger Baustein, er ist Symbol des Leitprinzips der neuen Klimapolitik sozialdemokratischer Färbung in der EU: Ehrgeizige Klimapolitik muss mit Sozial- und Strukturpolitik verbunden werden. Denn sozialdemokratische Klimapolitik bedient nicht nur diejenigen, die sich um das Ende der Welt, sondern auch diejenigen, die sich um das Ende des Monats Sorgen machen. Kommissionsvize Timmermans hat zudem noch eine energetische Renovierungswelle für Wohnungen und Häuser, insbesondere für einkommensschwache Haushalte angekündigt. Das ist nicht nur vor dem Hintergrund wichtig, dass Wohnen ganze 40 % des europäischen Energieverbrauchs ausmacht, sondern auch, weil es ein riesiges Problem mit Energiearmut in Europa gibt: Etwa 50 Millionen Menschen, das ist jeder zehnte Europäer, kann es sich in Europa im Winter nicht leisten, die Wohnung ausreichend warm zu halten – mit all seinen Konsequenzen, von gesundheitlichen Problemen bis zu sozialer Exklusion aufgrund von Stigmatisierung. Gebäudesanierungen können einen großen Beitrag zur Verringerung der Energiekosten leisten.

Aber gerade im Bereich der Energiearmutsbekämpfung hätte ich mir mehr Ankündigungen für Initiativen gewünscht, zum Beispiel durch die Stärkung der Rechte von Energieverbraucher/innen. Hier wird die S&D-Fraktion weitere Maßnahmen ins Spiel bringen.

Auch das Thema Kreislaufwirtschaft, also die Transformation der Wirtschaft hin zu einer Produktionsweise, in der Rohstoffe ständig wiederverwertet werden und Müll weitestgehend vermieden wird, findet sich in der Kommissionsmitteilung prominent wieder. In diesem Bereich spielen Verbraucherrechte eine größere Rolle. Die Kommission will unter anderem prüfen, ob es ein »Recht auf Reparieren« geben soll. Dies wäre nicht nur gut für die Umwelt, sondern würde Verbraucherinnen und Verbrauchern auch dabei helfen, bares Geld zu sparen.

Überhaupt adressiert die Mitteilung mehr als nur die Klimafrage: auch den Schutz der Artenvielfalt und der europäischen und weltweiten Wälder, ökologische Finanzen, Landwirtschaft, Handel und Umwelt und vieles mehr. Gerade das Thema Artenschutz hat einen enormen Aufmerksamkeitsschub in der neuen Kommission erhalten. Das begrüße ich sehr. Denn weltweit sind eine Million der uns bekannten acht Millionen Arten vom Aussterben bedroht. Allerdings sind die Ankündigungen im Bereich Artenschutz noch recht vage. Hier erwarte ich mehr Details und Vorschläge für verbindliche Ziele und eine eigenständige Finanzierung im Laufe des Jahres 2020. Auch hätte ich mir einen deutlicheren Richtungswechsel in der europäischen Landwirtschaftspolitik gewünscht. Schließlich macht sie den größten Posten im EU-Haushalt aus und fördert derzeit fast ausschließlich nach Fläche. Ich will eine EU-Landwirtschaftspolitik, bei der es öffentliche Gelder nur für öffentliche Leistungen wie Klima- und Artenschutz gibt.

Von der Europäischen Kommission kommen nun also Impulse für eine sozial-ökologische Wende. Es darf aber nicht überschätzt werden, was die EU leisten kann. Gerade im Umwelt- und Klimabereich hat die EU zwar sehr weitgehende Kompetenzen und setzt Ziele und Mindeststandards. Aber gerade, was die Finanzierung und die sozialpolitische Begleitung der Umwelt- und Klimapolitik betrifft, müssen die nationalen und regionalen Regierungen ihren Beitrag leisten. Der jährliche Haushalt der EU ist viel zu klein (etwa doppelt so groß wie der Nordrhein-Westfalens – aber für eine halbe Milliarde Menschen statt für rund 18 Millionen), als dass er die Transformation alleine finanzieren könnte. Aber er kann Anreize setzen. Die nationalen Haushalte müssen ihren Beitrag leisten. Das ist aber aufgrund der europäischen Schuldenregeln nicht immer so einfach. Daher fordere ich eine Reform des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts hin zu einem Nachhaltigkeitspakt, in dem Investitionen in die sozial-ökologische Transformation nicht als Schulden begriffen werden. In der Sozialpolitik hat die EU so gut wie gar keine Kompetenzen. Hier kommt es auf die nationalen Sozialsysteme an, gleiche Chancen, Zugang zum Arbeitsmarkt, faire Arbeitsbedingungen, soziale Sicherheit und Inklusion in Zeiten des schnellen Wandels in der (Arbeits-)Welt zu schaffen. Dieser Wandel wird nicht nur durch Klimaanpassungen verursacht, sondern auch durch andere Trends, wie die Digitalisierung oder Globalisierung. Die SPD hat auf ihrem letzten Bundesparteitag mit ihrem Papier für einen neuen Sozialstaat ein Konzept dafür vorgelegt, wie der Staat Menschen in diesen Zeiten begleiten kann.

Nachdem es ein halbes Jahr gedauert hat, bis die neue Kommission endlich ihre Arbeit aufnehmen konnte, werde ich mich nun für eine ambitionierte Rahmensetzung der europäischen Klimapolitik und ihrer sozial-, struktur- und finanzpolitischen Flankierung für die sozial-ökologische Wende einsetzen. Ich erwarte, dass die CDU- und CSU-geführten Ministerien für Wirtschaft, Landwirtschaft und Verkehr jetzt konstruktive Beiträge liefern, damit die Bundespolitik endlich mitziehen kann.

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