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Christan Dietrich beleuchtet die Zeit der Weimarer Republik Sozialdemokratische Antisemitismusabwehr

Der Antisemitismus hat sich in der Gegenwart leider keineswegs erledigt. Dies rückt auch historische Arbeiten darüber in den Fokus des aktuellen Interesses, obgleich naturgemäß jede Konstellation eine spezifische ist. Aufmerksamkeit verdient das aus einer Habilitationsschrift der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder hervorgegangene Buch Im Schatten August Bebels von Christian Dietrich, das sich mit dem sozialdemokratischen Umgang mit dem Antisemitismus in der Epoche der Weimarer Republik auseinandersetzt. Dietrich stellt fest, dass sich keine andere Partei in Deutschland wie die Sozialdemokratie mit dem Phänomen insgesamt und vor allem mit konkreten Erscheinungsformen engagiert kritisch auseinandergesetzt hat. Und doch werden auch hier Grenzen erkennbar; der Titel soll wohl andeuten, dass die Auseinandersetzung zwischen 1918 und 1932 nicht in jeder Hinsicht dem historischen Moment angemessen war.

Christian Dietrich unterscheidet in seiner konzeptionell recht umfassenden ideengeschichtlichen Arbeit nicht nur zwischen verschiedenen Phasen der Auseinandersetzung (wobei er die Vorgeschichte einbezieht), sondern beleuchtet auch die Mehrschichtigkeit der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus: auf Parteitagen, insbesondere in der Programmatik, in den Debatten des Reichstages, durch staatliches Handeln auf Reichs-, (preußischer) Landes- und lokaler Ebene, in der Aufklärungsarbeit der Partei durch selbstständige Publikationen, Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften. Hinzu kommen die Agitation des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold sowie das Verhalten an der Basis (über das wir am wenigsten wissen). Die Betrachtung schließt dabei auch die Beurteilung des Zionismus durch die Sozialdemokratie ein. Einige der Komplexe seien hier angesprochen.

August Bebel hatte in seiner großen Rede auf dem Parteitag in Köln im Oktober 1893 (die er bei anderen Gelegenheiten zum Teil variierte) besonders herausgestellt, dass die Ausbeutung der Menschen durch Menschen keine speziell jüdische, sondern »eine der bürgerlichen Gesellschaft eigentümliche Erwerbsform« sei, die es zu überwinden gelte. Insofern impliziere der Antisemitismus eine Ahnung vom Niedergang der bürgerlichen Ordnung. In der Nachfolge von Bebel versuchten viele Sozialdemokraten, den Antisemitismus mit einem marxistischen Denkansatz zu beurteilen, der auf Klasseninteressen zu rekurrieren versuchte, wodurch bestenfalls die durch die ökonomischen Prozesse bedrohten Mittelschichten in den Blick kamen, doch die Eigengewichtigkeit des Antisemitismus, der sich aus verschiedenen Quellen speist, verkannt wurde. Vielfach erschien er dementsprechend lediglich als Agitationsinstrumentarium, mit dem eine Mobilisierung der Mittelschichten gegen ihre eigenen Interessen ermöglicht wurde. Der Antisemitismus erschien als bloßes Mittel.

Gewiss ist es bis in die Gegenwart eine Stärke des sozialdemokratischen Denkens, die realen sozialen Verhältnisse mitzudenken. Doch nicht selten lassen sich – so scheint es – in der Sozialdemokratie gleichzeitig Tendenzen finden, die im weitesten Sinne kulturelle Faktoren, die erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung von Wirklichkeit haben und nicht selten Interessen hervorbringen, in ihrem Gewicht erheblich zu unterschätzen.

Verhältnis zum Zionismus

Zu den meist wenig behandelten Aspekten des Verhältnisses von Sozialdemokratie und Juden gehört das Verhältnis zum Zionismus, das Dietrich schon deshalb einbezieht, weil der Zionismus – den gewiss verschiedene Momente angetrieben haben – auch eine Reaktion auf den Antisemitismus darstellt. Auch diese Frage impliziert also einen aktuellen Aspekt, da in der heutigen Diskussion gefragt wird, inwieweit der Antisemitismus inzwischen seinerseits von antizionistischen und antiisraelischen Haltungen geprägt ist bzw. diese in den gegenwärtigen Antisemitismus eingehen.

Christian Dietrich, das ausgehende Kaiserreich und die Kriegszeit einbeziehend, untersucht die Einschätzung des Zionismus bemerkenswerterweise im Rahmen der sozialdemokratischen Kolonialdebatte. Zwar fanden Kolonien und Kolonialreiche dabei überwiegend Ablehnung, doch wurde zum Teil eben auch zwischen Ausbeutungs- und Siedlungskolonien unterschieden und die zivilisatorische Funktion von Kolonien anerkannt. Sympathien für zionistische Ambitionen wurden vor allem in den Sozialistischen Monatsheften geäußert, der Zeitschrift der »Revisionisten«. Betont wurde, dass hinter den zionistischen Siedlern kein Staat stehe. Es war vorrangig der »proletarische Zionismus«, der bei deutschen Sozialdemokraten Unterstützung fand. Zwar schlossen sich in der Weimarer Zeit in Deutschland nur wenige jüdische Sozialdemokraten zionistischen Organisationen an, doch übte immerhin ein prominenter Sozialdemokrat wie Eduard Bernstein – so kann Dietrich zeigen – eine Brückenfunktion zum Arbeiterzionismus aus, über den in den 20er und frühen 30er Jahren der Vorwärts positiv berichtete.

Auch nach dem Ende des Kaiserreiches blieben bestimmte Argumentationsmuster der Sozialdemokratie gegen den während des Ersten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit sich steigernden Judenhass erhalten – ein gewisser Ökonomismus als Hauptperspektive, die Kritik an einer Sündenbockrolle der Juden und der instrumentelle Charakter des Antisemitismus –, doch hatte sich die Konstellation inzwischen erheblich verändert. Der Antisemitismus, der von Deutschnationalen, völkischen und anderen rechtsextremen Gruppen vertreten wurde, wandte sich nun gegen die Republik und gegen die Juden zugleich, etwa in Angriffen auf die »Judenrepublik«. Auch galt die Einwanderung von Ostjuden, verursacht durch die Auseinandersetzungen im Kontext der Kämpfe in Ostmitteleuropa um eine am Nationalitätsprinzip orientierte neue Ordnung der Staaten, als gravierendes deutsches gesellschaftliches Problem, wobei sich Antisemitismus und Rassismus überlagerten.

Die Mehrheitssozialdemokratische Partei (MSPD) und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) lehnten im Reichstag diesen rassistischen Antisemitismus entschieden ab. Bei der MSPD dominierte in der Argumentation gegen den Judenhass die Verteidigung der liberalen Demokratie und der jüdischen Bevölkerung, bei Repräsentanten der USPD die Annahme des instrumentellen Charakters des Antisemitismus. Das von der Sozialdemokratie geprägte »Gesetz zum Schutz der Republik« (1922), an dessen Ausarbeitung Gustav Radbruch maßgeblich beteiligt war, hatte eine scharfe Stoßrichtung gegen antisemitische und antidemokratische Tendenzen. Die Antisemi-tismusabwehr war ein Teil des Republikschutzes, dessen Hauptvertreterin im politischen Raum die SPD war. Dazu passt auch der von der Sozialdemokratie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) betriebene Aufbau des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, das nicht nur demokratisch orientierte ehemalige Frontsoldaten vertreten, sondern auch Straßen, Plätze und Säle gegen die Kampfverbände der Extremparteien verteidigen sollte.

Intensiv werden von Dietrich auch die Diskussionen um das Görlitzer und das Heidelberger Programm im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus befragt. Es ist der Kampf um die Republik, der die Abwehr des Antisemitismus zur Konsequenz hat. Auch die Forderungen etwa nach einem Schutz der Minderheiten oder einem Selbstbestimmungsrecht, das sich auf die Juden anwenden ließ, lassen erkennen, dass die Auseinandersetzung auch hier ihren Niederschlag fand. Seit Mitte der 20er Jahre schwächte sich zwar die Debatte über den Antisemitismus im politischen Raum und in der Öffentlichkeit ab, verschwand aber nicht.

Fehlende Gesamtstrategie

Auch wenn der Antisemitismus als Gegenstand der Auseinandersetzung in der Krisenphase nach 1930 nicht im Vordergrund stand, so verlor die Demokratie doch an Boden. Deshalb intensivierten sich in der Sozialdemokratie ambitionierte Versuche der Auseinandersetzung mit dem zum Teil als »deutscher Faschismus« bezeichneten Nationalsozialismus in Parteitagsreden – etwa der Rede von Rudolf Breitscheid in Leipzig – oder in theoretischen Beiträgen. Ungeachtet ihres beträchtlichen Niveaus führten sie freilich nicht zu einer schlüssigen Gesamtstrategie, die auch die Bekämpfung des Antisemitismus einschloss.

Allerdings ist die Sozialdemokratie eben doch – soweit ihr politischer Einfluss reichte – auf allen Ebenen dem Antisemitismus auch durch Verwaltungshandeln im Rahmen des Republikschutzes entgegengetreten. Insbesondere gilt dies für das Preußische Innenministerium, für die Polizeipräsidenten usw., die sich nicht scheuten, auch Verbote auszusprechen. Herausgearbeitet wird von Dietrich auch die immer engere Zusammenarbeit zwischen der Sozialdemokratie mit dem »Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens«, der die SPD als wichtigsten Ansprech- und Bündnispartner im politischen Raum betrachtete.

Dietrichs Werk beeindruckt durch die Fülle der verarbeiteten Materialien und vermag wesentliche Lücken zu verschiedenen offenen Fragen zu schließen. Viele Verschränkungen mit anderen Fragen werden deutlich. Sicherlich hätten einige Aspekte noch stärker angesprochen werden können, etwa der Anteil von Juden in der deutschen Sozialdemokratie, auch darin hat sie sich von anderen Parteien unterschieden und wurde deshalb mit dem ganzen Arsenal des Antisemitismus bekämpft.

Vielleicht hätte am Ende noch einmal eine Gesamtwürdigung versucht werden müssen: auf der einen Seite der besonderen Leistung der Sozialdemokratie, doch eben auch ihres Scheiterns im Kampf um die demokratische Republik, die die Partizipation der Juden am politisch-gesellschaftlichen Leben in einer Weise ermöglichte, wie dies vorher nicht der Fall war. Das Scheitern war multikausal bedingt. Doch zu den politisch-gesellschaftlichen Destruktionsfaktoren gehörte auch der Antisemitismus, der nicht nur eine Funktion anderer Faktoren war, sondern ein eigenständiger politisch-kultureller Faktor, den selbst die Sozialdemokratie unterschätzte, obgleich sie den Nationalsozialismus als Gefährdung der Demokratie ungleich ernster nahm als die anderen Weimarer Parteien.

Christian Dietrich: Im Schatten August Bebels. Sozialdemokratische Antisemitismusabwehr als Republikschutz 1918–1932. Wallstein, Göttingen 2021, 319 S., 34,90 €

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