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Regieren und weiterdenken Sozialdemokratische Doppelstrategie

Für eine Politik, die Deutschland, Europa und der globalen Entwicklung zugutekommt, brauchen wir eine starke Sozialdemokratie. Folgt man den letzten Wahl- und Umfrageergebnissen, ist sie derzeit nicht stark. Andererseits haben die letzten Monate eine achtunggebietende demokratische Vitalität und Diskussionskultur offenbart, die das Engagement der Mitglieder wie der Führung für Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität deutlich machen. Sie haben auch über die Parteigrenze hinaus öffentliche Anerkennung gefunden. Das ist ein wertvolles Potenzial für die Zukunft der SPD.

Wie kann es uns gelingen, überzeugende und verlässliche Regierungsarbeit mit sozialdemokratischer Profilierung so zu verbinden, dass die SPD am Ende der Legislaturperiode bei Neuwahlen deutlich dazugewinnt und in die Lage kommt, eine Bundesregierung zu führen?

Sowohl in der Regierungsarbeit wie als profilierte unabhängige Partei können Sozialdemokraten Vertrauen zurückgewinnen, wenn sich ihre Politik an ihren Grundwerten orientiert, inhaltlich durchdacht und kohärent ist und wenn sie so öffentlich erkennbar und nachvollziehbar gut begründet wird.

Das erfordert nicht notwendig andauernde Konflikte innerhalb der Regierung, darf diese aber auch nicht um jeden Preis vermeiden. Vielmehr müssen politische Unterschiede »unaufgeregt« ausgesprochen werden, anstatt sie als personalisierte Skandalisierungen »aufzumotzen«. Sozialdemokraten sollten leidenschaftlich engagiert und zugleich inhaltlich-argumentativ seriös auftreten und medialen Sensationslüsten widerstehen. Das schafft Vertrauen. So können die Bürgerinnen und Bürger auch allmählich besser durchschauen, worum es bei den jeweils anstehenden Aufgaben geht und welche Ziele die SPD unabhängig von der Regierungsarbeit vertritt. Transparenz ist immer gut für die Demokratie. Die SPD sollte auf die beharrliche Kommunikation dieser konstruktiven Spannung – auch institutionalisiert innerhalb ihrer Öffentlichkeitsarbeit – von vornherein großen Wert legen.

Schwierige Balancearbeit

Dabei sollte es tendenziell – nicht sklavisch lupenrein – eine Rollenverteilung zwischen den Regierungsmitgliedern, die auch individuell psychologisch eine kooperative Atmosphäre mit der Union aufbauen und erhalten müssen, und Vertretern der SPD außerhalb der Regierung geben. Der Fraktionsvorsitzenden wird dabei eine besonders schwierige Balancearbeit abverlangt, in der sie unterstützt werden sollte. Sie wird mit ihrem Kollegen Volker Kauder natürlich auch vertrauensvoll zusammenarbeiten und zugleich der Unabhängigkeit der Partei eine Stimme oder zumindest ihre Zustimmung geben müssen.

Um hier nicht durch innere Widersprüche persönliche Kraft und Profil zu verlieren, sollte der innerparteilichen Diskussion breiter Raum gegeben werden. Dabei die unangefochtene Führung zu bewahren, wird umso besser gelingen, je offener, fairer und zugleich kompetent argumentationsstärker die Parteiführung auftritt. Das strahlt auch positiv in die Öffentlichkeit aus. Gegen die instinktive Haltung der Exekutive – wehret den kritischen »zersetzenden« Anfängen – muss bewusst und konsequent das Vertrauen in die kollektive Vernunft, d. h. die Überzeugungsfähigkeit wie Überzeugbarkeit der Parteimitglieder als Pfund eingesetzt werden.

Die SPD kann nur noch durch echte, Vertrauen genießende Autorität geführt werden. Autorität und Vertrauen beruhen in der Demokratie auf Kompetenz, Fairness sowie Ehrlichkeit bzw. Wahrhaftigkeit. Sie müssen diskursiv erworben und erhalten werden, nicht mehr durch ein »Basta«, schweigendes Negieren oder offene bzw. versteckte Einschüchterung. Damit entstehen Risse, die viele Medien instinktiv und zielsicher vertiefen werden. Stabilität wächst nicht durch starre Festigkeit, sondern durch kluge Responsivität. Dass Politik in Sachen Ehrlichkeit komplizierteren Maßstäben folgen muss, als das im rein persönlichen Umgang miteinander möglich ist, versteht sich von selbst.

Vertrauen ist aber keine Einbahnstraße, sondern beruht auf gegenseitiger guter Kommunikation. Auch die von der Regierungsarbeit unabhängigen Parteimeinungsträger müssen ihren Teil zum innerparteilichen Vertrauen beitragen und sich an denselben Forderungen für die Vertrauensbildung orientieren und messen lassen wie die Parteiführung. Fairness ist unteilbar. Sie hält die Partei zusammen, nicht einzelne dogmatisierte Inhalte. Das gemeinsame politische Ziel (gute sozialdemokratische Politik für Deutschland, Europa und die globale Entwicklung) muss im Blick bleiben. Über unterschiedliche Wege muss offen und argumentativ gestritten werden.

Neben den Inhalten spielt auch die Haltung der Parteimitglieder untereinander eine wichtige, nicht zu unterschätzende Rolle. Sozialdemokraten haben den Ruf, innerparteilich eher unsolidarisch miteinander umzugehen. Die Art, wie wir z. B. Personalwechsel in der SPD gestalten, oft ohne Dankbarkeit und Anstand, macht nach innen wie außen keinen guten Eindruck; hier ist eine erhebliche Verbesserung des Stils angesagt!

Die Grundwertekommission kann bei der inhaltlichen Profilierung eine konstruktive Rolle spielen. Ihr Ruf hängt von ihrer geistigen Unabhängigkeit ab. Sie will damit auch Vertrauen stiften, innerhalb der Partei und nach außen. Aktuelle Unklarheiten und Formelkompromisse in der sozialdemokratischen Programmatik, die eine sozialdemokratische politische Führung unterminieren, sollten thematisiert und geklärt werden. Neben langfristigen Überlegungen und Papieren wird die Grundwertekommission der SPD in Abstimmung mit der Parteiführung gern Workshops zu aktuelleren Themen durchführen, wie sie dies schon zweimal zum Thema »Sozialdemokratische Wirtschaftspolitik« getan hat.

Ein Probefall für das Gelingen dieser »Doppelstrategie« der SPD sollte die Formulierung einer sozialdemokratischen Antwort an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron werden. Ein Workshop der Grundwertekommission bereitet einen Text vor. Er kann schon bald auf dem wichtigen Gebiet der Europapolitik zeigen, wie die SPD diese in einer von ihr geführten Bundesregierung gestalten würde.

Übrigens: Vor die Frage, wie konstruktive Regierungsarbeit in einer Koalition mit eigenem Parteiprofil verbunden werden kann, werden zukünftig tendenziell alle Parteien gestellt sein. Von einer politisch klugen und transparenten Praxis dieser »Doppelstrategie« hängt das Gelingen der Demokratie ab.

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