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Sozialdemokratische Parteien in Europa: Typologie und Erfolge

In vielen europäischen Ländern hatten sozialdemokratische Parteien in der jüngeren Vergangenheit bei Wahlen massive Stimmenverluste zu verkraften. In den Niederlanden, in Österreich und Italien wurden sie aus der Regierung verdrängt. In Frankreich erzielte die Parti socialiste (PS) bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2017 die schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte. Die niederländische PvdA befindet sich auf einem ähnlich historischen Tiefstand. Auch die deutschen und schwedischen Sozialdemokraten wurden bei den letzten Wahlen erheblich geschwächt, konnten jedoch erneut in die Regierung zurückkehren. Die Labour Party in Großbritannien gewann hingegen bei den Parlamentswahlen 2017 gegenüber 2015 fast zehn Prozentpunkte hinzu.

Wahlergebnisse sozialdemokratischer Parteien (in %)

Name/LandBestes WahlergebnisSchlechtestes WahlergebnisLetzte WahlenStimmengewinn/ -verlust gegenüber vorletzter Wahl
Labour (GBR)48,8 (1951)29,0 (2010)40,0 (2017)+9,6
SPÖ (AUT)51,0 (1979)26,8 (2013)26,9 (2017)+0,1
SAP (SWE)50,1 (1964)28,3 (2018)28,3 (2018)-2,7
PD (ITA)33,2 (2008)18,7 (2018)18,7 (2018)-6,7
PvdA (NL)33,8 (1977)5,7 (2017)5,7 (2017)-19,0
PS (FRA)*37,5 (1981)7,4 (2017)7,4 (2017)-22,0

(*Anteil in der ersten Runde und nach der Neugründung der PS um François Mitterrand)

Die jüngsten Verluste sozialdemokratischer Parteien fügen sich ein in das Bild eines langfristigen Rückgangs an Wählerstimmen, unter dem die traditionellen Mitte-links-Parteien leiden. In den vergangenen zehn Jahren waren die sozialdemokratischen Parteien Europas einer zunehmenden Konkurrenz aus unterschiedlichen Teilen des politischen Spektrums ausgesetzt. Studien zeigen, dass die traditionelle sozialdemokratische Wählerbasis in vielen Ländern besonders anfällig ist für das politische Angebot von radikalen sozialistischen linken Parteien, von grünen Umweltparteien sowie von radikalen rechtspopulistischen Parteien. Darüber hinaus tragen libertäre Parteien des rechten politischen Lagers ebenfalls zu einer Erosion der sozialdemokratischen Wählerschaft bei, etwa in Frankreich, wo die Partei La République En Marche! (LREM) von Präsident Emmanuel Macron viele ehemalige Wähler der Parti socialiste überzeugen konnte. Oder in den Niederlanden, wo die sozialliberale Democraten 66 (D66) viele ehemalige Unterstützer der dortigen Sozialdemokraten für sich gewann. Die Sozialdemokraten verfügen traditionell über eine starke Wählerbasis im politischen Zentrum, weshalb viele ihrer früheren Wähler zu Mitte-rechts-Parteien tendieren. Sind diese Verluste Vorboten eines dauerhaften Niedergangs? Oder kann das Pendel zugunsten der Mitte-links-Parteien zurückschwingen, wie dies bei den Wahlen in Großbritannien 2017 der Fall war? Wie reagieren die unterschiedlichen sozialdemokratischen Parteien auf diesen politischen Druck und auf welche Weise versuchen sie, den Übergang von Wählerstimmen an Parteien vollkommen gegensätzlicher ideologischer Ausrichtungen zu stoppen?

In dieser Studie kategorisieren wir vier verschiedene Strategien sozialdemokratischer Parteien, indem wir deren Positionen zu relevanten Themen mit den Positionen von zwei Wählergruppen vergleichen: den Kernwählern, die die Absicht äußern, für die jeweilige sozialdemokratische Partei zu stimmen, und den potenziellen Wählern, die eine hohe Neigung haben, für die jeweilige sozialdemokratische Partei zu stimmen, in Umfragen jedoch angeben, für eine andere Partei stimmen zu wollen.

Großbritannien: Corbynismus und ökonomische Polarisierung

Die britische Labour Party befindet sich links von ihren Wählern und ihren potenziellen Wählern – eine Strategie, die wir als »ökonomische Polarisierung« charakterisiert haben. Bei den Parlamentswahlen 2017 schwenkte Labour unter der Führung von Parteichef Jeremy Corbyn auf eine radikalere wirtschaftspolitische Agenda ein, womit die Partei auf der ökonomischen Achse klar nach links rückte – weiter nach links, als Kernwähler und Sympathisanten der Partei stehen. Gleichzeitig stimmte Labour auf der kulturellen Achse mit beiden Wählergruppen weitgehend überein. Unter Jeremy Corbyn hat die Labour Party die öffentliche Meinung in ökonomischen Fragen erfolgreich polarisiert und zahlreiche neue Wähler angezogen. Durch die anhaltenden Sparmaßnahmen und die Deregulierungspolitik zweier konservativer Regierungen hintereinander sind viele Briten wirtschaftlich schlechtergestellt worden oder verspüren eine ökonomische Unsicherheit. Dies hat zu Labours Erfolgen bei den Wahlen 2017 beigetragen. Jeremy Corbyn hat die breite Öffentlichkeit in wirtschaftspolitischen Fragen erfolgreich polarisiert und die Labour Party nach links gerückt. Viele Experten und Beobachter haben ihn für diese Entwicklung kritisiert. Eine solche Strategie, so lautet ihr Argument, berge die Gefahr, Wähler der politischen Mitte heute oder in Zukunft von der Partei zu entfremden. Diese Prophezeiung hat sich bisher jedoch noch nicht bewahrheitet: Unter Jeremy Corbyn holte die Labour Party 2017 zahlreiche verlorene Sitze wieder zurück und liegt seit Januar 2019 in vielen Umfragen vor den Tories. Derweil stimmt die Labour Party mit ihren Wählern und Sympathisanten in kulturellen Fragen weitgehend überein.

Frankreich und Italien: Macronismus und marktorientierter Progressivismus

Zwar liegt der Fokus dieser Studie auf sozialdemokratischen Parteien, dennoch lohnt es aufgrund ihrer beispiellosen Wahlerfolge, die zentristische Partei La République En Marche! (LREM, dessen Gründer und inhaltlicher Kopf Emmanuel Macron früher der Partie socialiste angehörte) einzubeziehen. Außerdem verfolgen einige sozialdemokratische Parteien wie der italienische Partito Democratico eine ganz ähnliche Strategie: Sie sind auf der Links-rechts-Achse in die politische Mitte gerückt, während sie hinsichtlich der kulturellen Achse klar progressive Positionen vertreten. Zu dieser Strategie gehört es, die eigene Partei in wirtschaftspolitischen Fragen in der Mitte oder rechts von der Mitte zu positionieren und sich zugleich auf der kulturellen Achse ausgesprochen progressiv und proeuropäisch zu verorten. Programmatisch treten diese Parteien für marktfreundliche, liberale Wirtschaftsreformen ein; sie stehen für eine tolerante Einwanderungspolitik und unterstützen den Multikulturalismus ebenso wie die europäische Integration. Die Strategie des marktorientierten Progressivismus war zunächst sehr erfolgreich, aber die marktorientierten Wirtschaftsreformen kommen im Falle Italiens und Frankreichs in der breiten Bevölkerung nicht gut an, weil die Bürger das Gefühl haben, dass die Regierung den Interessen der großen Unternehmen und der Wohlhabenden Priorität einräumt, auf Kosten der »hart arbeitenden Menschen«. In Frankreich sind Macrons Zustimmungswerte inzwischen auf ein Allzeittief gesunken, insbesondere nach den landesweiten Protesten der Gelbwestenbewegung Ende 2018 und Anfang 2019. Ein ähnliches Schicksal hat den sozialdemokratischen PD in Italien ereilt.

Niederlande und Frankreich: progressiv-libertäre Distanzierung

Viele Beobachter sind der Auffassung, für sozialdemokratische Parteien seien Verschiebungen entlang der wirtschaftspolitischen Achse am problematischsten. Doch unsere Analysen zeigen eindeutig, dass eine zu starke Distanzierung von den Kernwählern auf der kulturellen Achse ein viel größeres Risiko birgt, sich insgesamt von Stammwählergruppen zu entfernen. So nahmen die Partij van de Arbeid (PvdA) in den Niederlanden und die französische Parti socialiste (PS) auf der kulturellen Achse eine progressivere Haltung ein als ihre Wähler und Sympathisanten, wobei dieser Abstand in den Niederlanden bei Weitem am größten war. Gleichzeitig behielten beide Parteien auf der ökonomischen Achse eine gemäßigte, zentristische Position bei. Diese Kombination aus wirtschaftlicher Mäßigung und kulturellem Progressivismus kam der PvdA und der PS bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden und Frankreich 2017 teuer zu stehen.

Eine wichtige Beobachtung lautet, dass ökonomische Mäßigung nicht zu funktionieren scheint, wenn gleichzeitig in kulturellen Fragen eine Polarisierung stattfindet: Die Wähler und Sympathisanten der PS befinden sich nach unseren Ergebnissen auf der ökonomischen Achse leicht links von der Partei, während die Wähler und insbesondere die Sympathisanten der PvdA auf dieser Achse rechts von der Partei stehen. Der Niedergang der PvdA und der PS bei den nationalen Wahlen könnte entweder dadurch verursacht worden sein, dass sie nicht ausreichend nach links gerückt sind, um für die Kernwähler ein sichtbares Profil zu besitzen, oder dass sie sich zu extrem in Richtung des progressiv-libertären Pols bewegt haben, wo sich bereits andere progressive Herausforderer befinden.

Im Gegensatz zur Labour Party in Großbritannien haben die französischen und niederländischen Sozialdemokraten eine Strategie der wirtschaftlichen Mäßigung verfolgt und in kulturellen Fragen polarisiert. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Konkurrenz von Anti-Einwanderungsparteien und um sich greifender migrantenfeindlicher Stimmungen hat sich diese Strategie für die beiden sozialdemokratischen Parteien als nicht erfolgreich erwiesen. Sowohl die niederländische PvdA als auch die französische PS waren kulturell wesentlich progressiver als ihre Wähler, was viele ehemalige Anhänger dazu gebracht haben dürfte, sie nicht mehr zu wählen. Anscheinend hatten sich PvdA und PS zu weit von ihren Kernwählern entfernt und waren daher weder in der Lage, die eigene Basis anzusprechen, noch neue Wähler zu begeistern. Dieser Versuch erwies sich auch deshalb als aussichtslos, weil die Gruppe der Sympathisanten hinsichtlich der eingenommenen Positionen sogar noch weiter von den Parteien entfernt stand als die Gruppe der Kernwähler.

Österreich und Schweden: traditionelle Catch-all-Sozialdemokratie

In Österreich und Schweden sind die sozialdemokratischen Parteien auf der ökonomischen und kulturellen Achse weitgehend bei einer Catch-all-Strategie der Mäßigung und des Zentrismus geblieben. Anscheinend sind die Wähler der SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) und SAP (Sveriges Socialdemokratiska Arbetareparti) kulturell konservativer als die Sympathisanten dieser Parteien. Auf der ökonomischen Achse stehen sowohl die tatsächlichen Wähler als auch die Gruppe der Sympathisanten leicht rechts von beiden Parteien. Die österreichischen und schwedischen Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit eher moderate und weniger radikale politische Positionen vertreten, um sowohl für die (eher autoritäre/konservative) Arbeiterklasse, als auch für die Wähler der unteren Mittelschicht wählbar zu sein. Indem sie sich zwischen ihren Kernwählern und den eher fortschrittsorientierten Sympathisanten positionieren, sprechen sie potenziell einen breiten Teil der Bevölkerung an. In Schweden und Österreich nahmen die dortigen sozialdemokratischen Parteien angesichts des Aufstiegs von Anti-Einwanderer-Parteien zudem eine milde Haltung gegenüber Migranten ein. Pragmatische Positionen sowohl in Bezug auf die wirtschaftspolitische Steuerung als auch auf kulturelle Fragen machen es für Sozialdemokraten einfach, Koalitionsverhandlungen auch mit ideologisch anders eingestellten Parteien der politischen Mitte aufzunehmen.

Die sozialdemokratischen Sympathisanten sind in diesen Ländern im Vergleich zu den Parteien kulturell progressiver eingestellt und positionieren sich auf der ökonomischen Achse leicht rechts von der jeweiligen Partei. Das zeigt, dass sozialdemokratische Parteien mit einer traditionellen Catch-all-Strategie sowohl die konservativeren Teile der Arbeiterklasse als auch progressive Intellektuelle, Berufstätige und die Mittelschicht ansprechen können.

 

Sozialdemokratische Strategien im Detail

Aus der vorliegenden Einschätzung der relativen Positionierung sozialdemokratischer Parteien gegenüber ihren wichtigsten Wählergruppen lässt sich der Schluss ziehen, dass zwei Strategien am meisten Erfolg versprechen: eine traditionelle sozialdemokratische Catch-all-Strategie, bei der die Parteien auf dem ökonomischen und kulturellen Feld moderate Positionen einnehmen (wie die SPÖ und die SAP) oder eine Strategie der Polarisierung entlang der ökonomischen Achse – hier als Corbynismus bezeichnet –, bei der eindeutig linke Positionen gewählt werden (wie die britische Labour Party dies getan hat). Die Catch-all-Strategie ist defensiver und hat für stabile Wahlergebnisse gesorgt, wobei der sozialdemokratische Stimmenanteil in Schweden etwas zurückgegangen und in Österreich leicht gestiegen ist. Die Strategie der ökonomischen Polarisierung scheint am besten geeignet zu sein, um wieder mehr Wähler für die Sozialdemokraten zu gewinnen. In Bezug auf die Wahlergebnisse ist es anscheinend die gefährlichste Strategie, moderate ökonomische Positionen mit kultureller Polarisierung zu verbinden, die Partei also in Richtung des progressiven/libertären Pols zu verschieben, so wie es die niederländische PvdA bei den Wahlen 2017 getan hat. Deren Stimmenanteil sank von 24,7 % im Jahr 2012 auf 5,7 % 2017.

Der »Corbynismus« war erfolgreich darin, den Stimmenanteil der Labour Party bei den Wahlen 2017 zu erhöhen, die Partei hat aber mit dieser Strategie noch keine nationalen Wahlen gewonnen. Die ökonomische Polarisierung kann dann potenziell erfolgreich sein, wenn ein Land seit Längerem von Mitte-rechts regiert wird und die Austeritätspolitik so weitreichend war, dass die Auswirkungen in der breiten Öffentlichkeit spürbar sind. Im Vereinigten Königreich waren das Gesundheitswesen und das öffentliche Verkehrssystem, aber auch die Polizei und zahlreiche andere Institutionen jahrelang Budgetkürzungen ausgesetzt. In einer solchen Situation, konfrontiert mit den negativen Auswirkungen der Sparpolitik, wendet sich die Allgemeinheit einschließlich der Regierungsangestellten und Staatsbediensteten häufig gegen rechte Parteien. Dennoch sollten Sozialdemokraten vorsichtig sein und sich nicht zu weit nach links bewegen, um in den Augen moderater, zur Mitte orientierter Wähler nicht inkompetent zu erscheinen. Im Fall von Labour wird die vermeintliche Inkompetenz der Parteiführung als ein großes Hindernis angesehen, das einen entscheidenden Vorsprung in den Umfragen verhindert. Trotzdem sind dies reine Spekulationen: Es ist gut möglich, dass Labour mit einer gemäßigteren Führung sogar in einer noch ungünstigeren Lage wäre.

Der »Macronismus« scheint, zumindest zu Beginn, ebenfalls eine erfolgreiche Strategie zu sein. So gelang es dem Partito Democratico – indem er ins ideologische Zentrum rückte, sich einer orthodoxen ökonomischen Strategie verschrieb und zugleich ankündigte, die italienische Wirtschaft zu reformieren –, ein breites Spektrum von Wählern anzusprechen und 2013 die Wahlen zu gewinnen. Und durch die Gründung von La République en Marche! vor den französischen Präsidentschaftswahlen 2017 gewann Macron sowohl das Rennen um das Präsidentenamt als auch die Mehrheit in der Assemblée nationale. Dennoch könnte sich die Strategie des Macronismus auf lange Sicht als kontraproduktiv erweisen. Nachdem die italienischen Sozialdemokraten im Jahr 2013 Wählerstimmen hinzugewinnen konnten, ging ihr Stimmenanteil im Jahr 2018 stark zurück (von 25,4 auf 18,7 %), obwohl die Partei ihre marktfreundliche wirtschaftspolitische Haltung beibehielt. Eine ähnliche Dynamik ist in Frankreich zu beobachten: Nach seinem grandiosen Sieg 2017 sanken Macrons Zustimmungswerte bereits auf ein Rekordtief, als er noch nicht einmal ein Jahr im Amt war. Der Erfolg seines politischen Projekts könnte schon bei den nächsten Wahlen wieder in Gefahr sein. Einer der Hauptkritikpunkte der (linksorientierten) Wähler am Präsidenten lautet, er betreibe eine Politik zugunsten der wohlhabenden Wirtschaftselite auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Macron wird zunehmend als »Präsident der Reichen« wahrgenommen. Deshalb sollten sich sozialdemokratische Parteien davor hüten, eine Strategie des Macronismus zu verfolgen. Diese kann bei Wahlen kurzfristige Vorteile mit sich bringen, bedeutet aber im Grunde den Verzicht auf sozialdemokratische Grundwerte und eine Politik der linken Mitte.

Was dagegen eine tödliche Mischung zu sein scheint, ist eine maßvolle ökonomische Ausrichtung in Kombination mit einer Polarisierungsstrategie auf der kulturellen Achse (so wie PvdA und PS dies versucht haben). In den Augen der Wähler führt diese »progressiv-libertäre Distanzierung« dazu, dass das Profil der sozialdemokratischen Parteien von dem Profil ihrer progressiven Konkurrenten kaum noch zu unterscheiden ist, weil ihre politischen Ansätze fast identisch sind. Mit Blick auf die ökonomische Achse funktioniert eine gemäßigte ökonomische Ausrichtung nur, wenn die jeweilige sozialdemokratische Partei auch in Bezug auf kulturelle Fragen moderat bleibt. Die Kombination aus wirtschaftspolitischem Zentrismus und kultureller Distanzierung in Richtung des progressiven Pols führt hingegen dazu, dass Sozialdemokraten in wirtschaftlichen Fragen nicht mehr von der rechten Mitte zu unterscheiden sind. Gleichermaßen verwischen die Unterschiede zu den Grünen und anderen progressiven Konkurrenten. Die Sozialdemokratie hat – so scheint es – auf der ökonomischen Achse einen großen Bewegungsspielraum (vor allem nach links), während die Bewegung entlang der kulturellen Achse – insbesondere in Richtung des progressiven Pols – die Verbindungen zu den Kernwählergruppen schwächt, ohne dass dadurch neue Wählergruppen hinzugewonnen werden können.

Was langfristig am besten funktioniert, zumindest wenn es um Wahlerfolge geht, ist eine Catch-all-Strategie mit dem Ziel, möglichst breite Bevölkerungsschichten anzusprechen. Bei dieser Strategie geht es darum, die Vision einer Regierungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, da Catch-all-Parteien häufig der Regierung angehören (wie dies in Schweden immer noch der Fall ist und in Österreich bis 2018 der Fall war). Catch-all-Parteien haben traditionell sowohl ökonomisch als auch ideologisch maßvoll agiert und mit einer Zukunftsvision von Stabilität und Wohlstand eine wachsende Mittelschicht angesprochen. Anstatt sich für radikale wirtschaftliche Veränderungen einzusetzen, befürworten diese Parteien mit Blick auf den Bezug von Sozialleistungen den Status quo. Sie wenden sich gegen den Abbau sozialer Sicherheitsnetze und eine weitere unternehmerfreundliche Liberalisierung der Wirtschaft. Wenn es um Identitätspolitik geht, bewahren Catch-all-Parteien eine progressive Haltung, ohne auf den Zug der Identitätspolitik aufzuspringen, indem sie zum Beispiel die Rechte ethnischer und sexueller Minderheiten zu stark betonen.

(Weiterführende Informationen zum Projekt »Strategiedebatten sozialdemokratischer Parteien in Europa 2017« mit zahlreichen Diagrammen finden sich unter: www.fes.de.)

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