Durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine sind vor dem Hintergrund der bereits zuvor bestehenden multiplen Krisen Demokratie und Demokraten herausgefordert wie selten zuvor. Mit dem Zulauf zu rechtsextremen Bewegungen und Parteien stieg wie nach der Flüchtlingsdebatte der Jahre 2015 und 2016 und der sogenannten Querdenkerbewegung zu Zeiten der Pandemie mit dem klassischen Thema der Abwertung von Migrantinnen und Migranten, auch der längst »Integrierten«, das Potenzial an rassistischer Gewalt.
Wir haben in den letzten knapp zehn Jahren erlebt, wie schnell die Bereitschaft zu rassistischen Straftaten und vor allem Gewaltstraftaten angewachsen ist und nur kurz durch den Schock über das Attentat in Hanau am 19. Februar 2020 und zuvor den ersten politischen Mord von ganz rechts an dem couragierten CDU-Landespolitiker Walter Lübcke unterbrochen wurde, ehe mit den weit in die bürgerliche Mitte reichenden antidemokratischen Protestbewegungen während der Pandemie auch die Bereitschaft zu rassistischer Gewalt wieder anwuchs.
Es ist kein Zufall, dass in Phasen entfesselter Stimmungsmache auch jene sich ermutigt fühlen, die nicht nur das Reden übernehmen, sondern es praktisch umsetzen wollen. Die Mobilisierung der terroraffinen Netzwerkstrukturen, die zehn Jahre lang als NSU-Terror die türkischen Communities verängstigt und viele Menschen verletzt und umgebracht haben, ohne dass die Sicherheitsbehörden auch nur einigermaßen fähig gewesen waren, dagegen zu halten, ist ein trauriges und erschreckendes Beispiel.
Entfesselte Spaltungen blockieren die Demokratie
Spaltungen von rechts, das mag das Beispiel der Zuspitzungen in der amerikanischen Demokratie in den letzten Jahren exemplarisch zeigen, führen zu Blockaden, die das demokratische Zusammenleben erschweren, nötige Kompromisse unwahrscheinlich machen, zu Erstarrung und zu Formen eines (geistigen) Bürgerkriegs führen können.
Die Republikanische Partei unter der Führung von Donald Trump hat systematisch an einer solchen Spaltung in den USA gearbeitet und er selbst am 6. Januar 2021 durch einen von ihm mitorganisierten Putschversuch die Demokratie zugrunde zu richten versucht. Die Spaltungsgefahren von rechts in Deutschland sind andere, aber nicht minder besorgniserregend. Unser Demokratieverständnis und auch die institutionelle Verteidigungsfähigkeit in einer abwehrbereiten Demokratie ist absehbar stark genug, sodass dank einer starken Verankerung des Grundgesetzes und ihres Kernrechts, der Menschenwürde bei über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung solche rechtsextrem-faschistoiden Tendenzen in ihrem Umfrageturm von 10 bis 15 Prozent verharren und nicht etwa wie in Österreich auf 30 Prozent klettern.
Wie qualitativ schnell sich die Gefahren für die Demokratie erweitern können, mag das Beispiel Österreich zeigen. Bekanntermaßen hat es da seit Langem mit der FPÖ einen weit gravierenderen Einbruch des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus gegeben. Die weit rechts stehende Partei war an mehreren Regierungen beteiligt und hat für ein antidemokratisches Klima erhebliche Wirkungen entfaltet. Anfang 2023 hat sie mit 27 Prozent die relativ höchsten Zustimmungswerte und präsentiert mit ihrer vergleichsweise putinnahen Haltung für Mehrheiten eine »Alternative« zum gegenwärtigen Kurs der Medien und der Regierung – eine in der Tat prekäre Konstellation.
Die Bedeutung des Sozialen in der Demokratie
Spaltungen von rechts werden systematisch durch Schwächen der Demokratie angefacht: ihrem Mangel an sozialer Sensibilität und sozialstaatlichem Ausgleich, ihren Schwächen hinsichtlich verantwortlichen Handelns im Rahmen des politischen Systems. Sowie dem (rechts)autoritären Potenzial und dem jeweiligen rechtspopulistisch/rechtsextremen, öffentlich wirksamen Angebot von Bewegungen und Parteien. Können diese vier Faktoren ins Schwingen gebracht werden, so droht eine Gefahr für die Demokratie, die in ihrer schlimmsten Ausprägung am 6. Januar 2021 in den Vereinigten Staaten sichtbar geworden ist.
Die Phänomene, auf die der Rechtspopulismus/Rechtsextremismus reagiert, finden sich gewiß in unterschiedlicher Weise in einer Vielzahl westlicher Länder. In dem Beitrag »Wut auf die Eliten« schreibt Helmut Anheier 2017, dass es mehrere Wahrnehmungen sind, die zu einem Verlust des Westens an Einheit und Kohärenz beigetragen haben.
Da ist der liberale Marktkapitalismus, der in den goldenen 90er Jahren als einziges Modell nach dem Scheitern des Kommunismus übriggeblieben zu sein schien – in einer angeblich posthistorischen Periode. Dieses Modell brach mit der globalen Finanzkrise 2008 zusammen – was vielfach erst Jahre später realisiert wurde.
Da ist das Versagen der Wirtschafts- und politischen Eliten in der Mehrheit der kapitalistischen Länder. Als Hüter der Gesellschaften haben sie sich zu sehr auf ihre eigenen Interessen bezogen und verloren dadurch ihre moralische Autorität. Das reicht in Deutschland von der Täuschung und Selbsttäuschung bei der Entwicklung blühender Landschaften im neu hinzugewonnenen ostdeutschen Teil über den Skandal um die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 und den VW-Betrugsskandal bis zu der grotesken Hinnahme von Steuerverbrechen, wie sie von den Panama Papers bis zu den Paradise Papers nachgezeichnet wurden. Betrug wird normal – und »die da oben machen, was sie wollen«.
In Deutschland
Wie sich das in Deutschland entwickeln würde, zeigt gegenwärtig allenfalls die Situation in den ostdeutschen Bundesländern, nämlich in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, wo jeweils bis zu 30 Prozent eine rechtsextreme Partei wählen wollen. Wenn dann demokratische Parteien versagen und sich mit dieser Partei gemein machen, also die Brandmauer der CDU nach rechts durchbrechen, ist wie im Fall Thüringen eine Kooperation zwischen CDU und der AfD nicht mehr ganz ausgeschlossen. Dies würde graduell zu einer erheblichen Veränderung in Richtung einer illiberalen Republik führen.
Wie entschieden antidemokratisch hierbei die AfD ist, zeigen etwa wiederholte Äußerungen von Björn Höcke über »wohltemperierte Grausamkeit«, mit der er in riesigen Rückführungsprogrammen Millionen Menschen aus Asien und Afrika aus dem Land haben will, um seinen Ideen eines völkisch-ethnisch reinen Deutschland zu entsprechen.
Es ist klar, das wäre so sehr ein Bürgerkrieg wie der, den die Nationalsozialisten Anfang der 30er Jahre versucht und an der Macht im furchtbaren Krieg gegen die Juden im Völkermord des Holocaust umgesetzt haben. Ein tödlicher Friede im Bürgerkrieg, wenn Höcke an der Macht wäre. Er will laut seiner faschistoiden Programmatik mit Verweis auf den rechten Philosophen Carl Schmitt raumfremde Mächte verbannen, um der eigenen autarken Autonomie eines neuen starken Deutschlands willen – jenseits aller Regeln des Grundgesetzes.
Das Ressentiment-Risiko der CDU
Die Gefahr von rechts steigt, wenn demokratische Parteien, seien sie konservativ oder rechtsliberal, ihre Brandmauer nun gegenüber rechtspopulistischen oder rechtsextremen Bewegungen und Ideologien öffnen. Das ist zwar beispielsweise mit Blick auf die größte konservative Partei, die CDU, gegenwärtig (noch) nicht der Fall. Der billige Griff nach rassistischen Ressentiments durch den Bundesvorsitzenden und den Berliner Vorsitzenden und ihre Erfolge nach den Silvesterausschreitungen 2022 und im Wahlkampf für den Berliner Senat zeigen aber das ihnen innewohnende Ressentimentpotenzial und das in beträchtlichen Teilen der Bevölkerung – mithin die vielleicht größte Gefahr eines Rechtsrucks der Republik.
Glücklicherweise ist Rassismus in Berlin nicht besonders in. Es ist auch eine Schwäche des CDU-Bundesvorsitzenden, wenn er sich mit seinen rechtspopulistisch-diskriminierenden Äußerungen zu »Pascha-Söhnen« auch noch am Tag nach der Wahl – assistiert von Jens Spahn – bestätigt sieht. Und der CDU-Kandidat in Berlin Kai Wegner äußerte sich noch nicht einmal überzeugend kritisch dazu, dass man zu den Tätern der Silvesterkrawalle die Vornamen haben wolle.
Am 3. Januar 2023 gab Markus Lanz Friedrich Merz die Gelegenheit zu hetzen: »Wir sprechen hier über Leute, die eigentlich in Deutschland nichts zu suchen haben. Die wir seit längerer Zeit dulden, die wir wenig zurückschieben, die wir nicht abschieben und bei denen wir uns dann darüber wundern, dass es hier solche Exzesse gibt.« Er bezog dies auf am Ende 38 Personen, die wegen Böllerattacken Silvester 2022 festgenommen worden waren, davon zwei Drittel deutsche Staatsbürger.
Er habe dem Volk aufs Maul geschaut und eine Beobachtung wiedergegeben. Als die CDU bei den Wahlen am 12. Februar 2023 28,2 Prozent und damit 10 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Wahl erreichte, sah sich Friedrich Merz in seiner Haltung »bestätigt«; die CDU insgesamt stieg bei Umfragen in den Tagen danach auf stolze 30 Prozent. Berlin zeigt: Auch 2023 lassen sich mit deutschnationalen Diskursen Wahlen »gewinnen«, wenn auch 28,2 Prozent noch keinen Sieg darstellen.
Fatal wäre es, die rassistische Stimmungsmache mit Problemanalyse zu verwechseln. Rassistische Erzählungen sind in der rechtspopulistischen Tradition der CDU schon seit den Zeiten Helmut Kohls, Roland Kochs und Rudolf Seiters' präsent. Koch verlor allerdings in Hessen, als er seine fremdenfeindliche Kampagne von 1999 im Jahr 2008 mit dem Spruch »Ab nach Sibirien« über die ihm unkontrolliert erscheinenden Jugendlichen zu wiederholen versuchte.
Eindämmung kann gelingen
Spaltungsversuche von rechts können in Deutschland in dem Maße eingedämmt werden, in dem die große Mehrheit von über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung sich gegen Attacken auf die Demokratie wendet, die ihren Kern zerstören könnten: die gewaltengeteilte Demokratie und insbesondere die Grundrechte. Rechtsautoritäre Einstellungen und Mentalitäten haben bisher da ihre Grenze, wo sie als Gefahr erkannt werden. Das ist auch der Grund dafür, warum rechtsextreme Bewegungen und Parteien noch in ihrem 10–14-Prozent-Turm gefangen bleiben.
Die Eindämmung gelingt der Politik darüber hinaus, wenn ihr ein Mindestmaß an Effizienz und Glaubwürdigkeit zugesprochen werden kann und sie sich mit allen Mitteln den sozialen Problemen stellt und ernsthaft Antworten sucht. Es geht um eine kompetente, die Probleme in der Gesellschaft angehende und eine effiziente an den vor allem sozialen Bedürfnissen orientierte Politik. Ohne sozial zu sein gibt es keine Demokratie.
Schließlich geht es auch um die Wehrhaftigkeit der Demokratie, auch durch ihre Sicherheitsbehörden. Inzwischen hat man insbesondere an den Spitzen der Sicherheitsbehörden erhebliche Konsequenzen aus dem Versagen in Sachen NSU gezogen, etwa in der ausführlichen und gut begründeten Strategie gegenüber der rechtsextrem radikalisierten AfD und nicht zuletzt in der präventiven Beobachtung terroraffiner Netzwerkstrukturen wie im Fall der Razzia gegen die allenthalben bis dahin verharmloste Reichsbürgerbewegung und ihre Reichsideologie.
Insgesamt geht es um ein zivilcouragiertes Engagement und öffentliches Eintreten für die Sache der Demokratie und um eine strikte Erfassung und Ahndung rechtsextremer und rassistischer Straftaten durch die Sicherheitsbehörden.
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