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© SPD Schleswig-Holstein/Flickr/CC BY 2.0

SPD: Es ist noch Leben in dieser Partei – und wie!

Am Anfang war der mediale Spott über die von der SPD gewählte riskante Methode zur Findung ihrer neuen Parteiführung einhellig und oft voller Häme. So bösartig eben, wie die Partei das seit Längerem oftmals von den Medien erfahren und erlitten hatte. Und in der Tat, beim malträtierten Thema »Erneuerung« bestand dafür durchaus ein gewisser Anlass. Doch schon nach wenigen der 23 geplanten Regionalkonferenzen wich der alte Missmut neuer, mitunter begeisterter Anerkennung und offenem Erstaunen. Welch ein Leben zeigt sich in den bestens besuchten Vorstellungsrunden – und welche Vielzahl respektabler Kandidatinnen und Kandidaten. Dabei hatte die ursprüngliche Skepsis innerhalb und außerhalb der SPD gute Gründe: die zu erwartende fünfmonatige Selbstbeschäftigung der nur kommissarisch geführten SPD, die Risiken einer Kette unübersichtlicher Castingshows im Geschwindmarsch, die von den Grünen entlehnte Paarbildung im Parteivorsitz und die vielleicht allzu kühne Erwartung, dass aus der Schar der überwiegend unerprobten Kandidatinnen und Kandidaten das Traumpaar hervorgehen könnte, dem es gelingt, gleichzeitig das große Erbe der SPD mit neuem Leben zu füllen, die störrische Partei zusammen- und zuversichtlich in die Zukunft zu führen. Nun scheint es auf einmal, als könnte das halbwegs gelingen.

Die existenzielle Krise der SPD hat viel damit zu tun, dass der Parteivorsitz, einst aufgewertet vom Charisma eines August Bebel und eines Willy Brandt, zuletzt seine Autorität verlor. Ständige Personalwechsel, in Spitzenrunden ausgekungelte Entscheidungen darüber und die Neigung allzu Vieler in der Partei alles, was schief läuft dem/der Vorsitzenden anzulasten. Am Ende dann der öffentliche Eindruck, dieses ehrwürdige Amt lockt keinen mehr. So wurde ein ganz neues Verfahren aus der Not geboren, das nun im Handumdrehen alle überzeugt hat. Die satzungsgemäße Neuwahl der Vorsitzenden auf dem Parteitag Anfang Dezember muss dies nach fast fünf Monaten besiegeln.

Die Bewerberinnen und Bewerber für den Parteivorsitz – zu Beginn waren es acht Duos und ein Einzelbewerber – stellen sich und ihre politischen Ziele auf vielen Regionalkonferenzen bis zum 12. Oktober überall in Deutschland der Parteibasis vor. Und siehe: »Die Häme war verfrüht. Die Veranstaltungen funktionieren, sind kurzweilig, erfrischend und lassen sogar Raum für ein paar Inhalte«, so selbst Markus Feldenkirchen auf spiegelonline. Die Hallen sind voll bis überfüllt. »Kein Krawall, kein Geschrei – und kein wirklicher Favorit«, so Stefan Reinecke in der taz. Das Format aus knappen Selbstvorstellungen, selbstgewählten Positionierungen, kurzen Kontroversen, aus Fragen aus der Mitgliedschaft, die die Moderatorin oder der Moderator stellt, eines bekannten Überraschungsgastes und aus dem Publikum selbst überzeugt. In der Diskussion zeigt sich, wie viele kluge, interessante und sympathische Köpfe mit einer Fülle von Zukunftsideen die SPD jenseits ihrer Rampenlichtelite tatsächlich hat. Sie können alle in der ersten Reihe stehen – und sollten es auch! Denn ein großes Stück wirklicher Erneuerung wäre doch: Alle, die dort auf der Bühne 23 Abende durchstehen und zeigen, was sie draufhaben und wie ernst ihnen die sozialdemokratische Sache ist, am Ende auf dem Parteitag als Mitglieder des neuen Vorstands zu wählen.

Es gab nach dem Rücktritt von Andrea Nahles zunächst keinen Plan B, wie die SPD aus ihrer mangelnden Erkennbarkeit, Zerstrittenheit, Selbstbeschäftigung und Depression herausfinden und wieder wie in den besseren Zeiten ihrer Geschichte mehrheitsfähige Brücken für fortschrittliche Politik in der Gesellschaft bauen könnte. Nun also ist die Antwort der Versuch einer fundamentalen Demokratisierung: Jede und jeder konnte bei einem Mindestmaß regionaler Unterstützung kandidieren, alle 430.000 Genossinnen und Genossen dürfen jetzt mitreden und am Ende entscheiden. Die Hoffnung besteht, dass dies dauerhaft eine neue partizipative Führungskultur hervorbringen könnte. Eine neue, vielleicht die letzte Chance für die SPD, wieder Glaubwürdigkeit und – ja auch – ihren historischen Stolz zurückzugewinnen.

Vom Himmel gefallen ist das Verfahren freilich nicht. Seit Jahrzehnten gibt es organisationspolitische Beschlüsse und auch Erfahrungen, das Parteileben durch Mitgliederversammlungen und Mitgliederbefragungen in ganzer Breite wieder attraktiver zu machen. Viele Studien verweisen darauf, dass das Mitentscheidenwollen ein wesentliches Argument für den Parteieintritt ist. Zudem könnte die Entfremdung von der Bundespartei gemildert werden, die sicher auch an der Großen Koalition liegt, aber oft dem Willy-Brandt-Haus als vermeintlich unfähiger »Schlangengrube« zugeschrieben wurde. Diese so erfolgreichen Kandidatenveranstaltungen haben die Untergliederungen überwiegend in Eigenregie organisiert.

Mitbestimmung, Mobilisierung und Identität

»Mehr Demokratie wagen«, natürlich von unten, war doch immer schon das sozialdemokratische Ziel, eine Kernforderung im Godesberger Programm, wo der demokratische Sozialismus im Sinne einer Demokratie als »allgemeine Staats- und Lebensordnung« beschrieben ist. Nun mahnt das Verfahren der Kandidatenauswahl mit dem Nachdruck gelungener Praxis, dass in der Gesellschaft und in der Partei die unersetzliche Repräsentation durch echte direktdemokratische Elemente ergänzt werden muss. Demokratisierung ist ja nicht nur ein Weg, sondern selbst ein Teil des Ziels, weil sie Mitbestimmung, Mobilisierung und Identität verbindet. Zudem verkörpert die neue Doppelspitze die gelungene Gleichberechtigung der Geschlechter. Das alles kann, wenn es dauert, das Berliner Macho-»Basta« von oben überwinden, und ebenso die innerparteilichen Machtkämpfe und Proporze zwischen Gliederungen, Strömungen und Kreisen, die Viele in und außerhalb der Partei abschrecken.

Vorgeführt wurde bislang auch eine gute Kultur des Streits, denn die wirklichen politischen Differenzen und Konflikte wurden trotz der betonten Gemeinsamkeiten keineswegs einer verkrampften Harmonieschau geopfert. Es gibt auch viel Streit über die »Groko«, besonders über das »Klimapaket« und die »Schwarze Null«. Das sind Fragen, in denen sich viele andere Themen aus der Debatte symbolisch verdichten, voran das häufig bekräftigte Verlangen nach Zukunftsinvestitionen, zumal ökologischen, nach Modernisierung sowie Erneuerung des Sozialstaats. Dazu gehört das Verlangen nach einer die Gleichheit fördernden Steuerreform inklusive Vermögenbesteuerung, die nicht nur den Staat handlungsfähiger, sondern auch die Gesellschaft gerechter macht. Dazu kamen Friedenspolitik, Bekämpfung des Rechtsextremismus und die Zukunft Europas. Als große Klammer erwies sich die Verbindung: Gleichheit – Ökologie – Frieden – Europa. Allemal genug Stoff, um für die beiden genannten Streitfragen Brücken bauen und für die nächsten und übernächsten Reformschritte Orientierung geben zu können.

Frisch eingeübte Streitkultur

Damit nun aus diesem Neubeginn etwas Bleibendes werden kann, muss der Parteitag im Dezember das Ergebnis des zweiten Wahlgangs ratifizieren, und die Mitgliedschaft als Ganze muss die frisch eingeübte Streitkultur bei der notwendigen Fortsetzung der begonnenen Debatte zur Gewohnheit werden lassen. Es hat sich gezeigt, dass der Einfluss zynischer Medienberichterstattung auf das Gemüt der Partei zurückgedrängt werden kann, wenn »handlungsorientierte Kommunikation« von Angesicht zu Angesicht geführt wird. Sie prämiert das bessere Argument, während das leicht manipulierbare »Liken« in den »sozialen Medien« es verachtet.

Schon klar, eine solch gigantische und flächendeckende Debattenserie kann sich die SPD nicht oft leisten. Ihre beispiellosen Energien, der immense Mitteleinsatz und die begeisterte Mitwirkung so vieler Mitglieder wurden erst durch die große Not der letzten Jahre und den dramatischen Weckruf des Rücktritts der Vorsitzenden mobilisiert. Aber, warum eigentlich nicht: Vielleicht ist diese neue Art des Zusammentreffens und Miteinanderredens der Mitglieder über die »großen Fragen« der Gesellschaft und der Partei, nicht nur in Berlin, sondern überall im ganzen Land, der Auftakt einer Revitalisierung der SPD als Mitgliederpartei. Es kommt nun alles darauf an, dass sich die SPD wieder als lebendige, attraktive und erkennbare Zukunftskraft präsentiert. Im Übrigen erwächst Solidarität ja nicht aus Appellen und Ermahnungen, sondern aus den sozialen Energien solcher auf gemeinsames Handeln gerichteten Verständigungsprozesse. Es liegt nun in der Hand des Pateitags, diese tolle Vorlage in ein paar entscheidende Tore zu verwandeln.

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