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Wie Initiativen den Erneuerungskurs mitbestimmen wollen #SPDerneuern – von der Basis bis zur Spitze?

Moderner, weiblicher, digitaler und interaktiver soll die SPD werden. Darüber sind sich die Parteispitze und die SPD-Basis einig. Nicht nur das schlechte Abschneiden bei der letzten Bundestagswahl 2017 ist ein Indikator für eine notwendige Veränderung, auch die Altersstruktur und die sinkende Anzahl aktiver Mitglieder stellt die sozialdemokratische Partei vor große Herausforderungen. Aber wie soll die SPD diesen Erneuerungsprozess angehen, gestalten und umsetzen? Aus der Basis heraus haben sich unabhängig von der Parteispitze Initiativen gegründet, um diesen Prozess mitzugestalten. Diese Initiativen nennen sich »SPD++«, »DisruptSPD« und »Progressive Soziale Plattform« (PSP). Sie stechen bundesweit besonders hervor, da sie zum einen bereits einige Mitstreiter/innen hinter sich und Anträge erfolgreich durch den Parteitag bringen konnten sowie mediale Aufmerksamkeit erregten. Was wollen diese Initiativen, wer steckt dahinter und wie reagiert die SPD-Spitze darauf?

»Heute ist ein Parteitag, mit dem wir ein neues Kapitel der SPD aufschlagen, weil wir das Wort der Erneuerung mit Leben füllen«, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden am 22. April 2018 vor über 600 Delegierten. Klingbeil hat sich wie kein anderer aus der SPD-Führung den Slogan »#SPDerneuern« auf die Fahne geschrieben. Auch auf der offiziellen Internetpräsenz der Partei findet sich seit der Ernennung Klingbeils zum Generalsekretär eine eigene Rubrik zum Thema »Erneuerung«. »Du bist herzlich eingeladen, Deine Ideen für eine starke Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert einzubringen. Egal, ob mit oder ohne Parteibuch«, steht dort auffordernd. Und diese Einladung nimmt die Basis nicht nur durch die Teilnahme an jüngst eingeführten E-Mail-Umfragen an. Aus einer Umfrage des Willy-Brandt-Hauses, an der knapp 50.000 Mitglieder teilnahmen, geht hervor, dass sich über 70 % mehr digitale Teilnahmemöglichkeiten und – insbesondere die Jüngeren – mehr Austausch in Online-Themenforen wünschen.

Drei Initiativen wollen den Erneuerungsprozess selbst in die Hand nehmen und können erste kleinere Errungenschaften vorweisen. Die sozialdemokratischen Initiativen »SPD++«, »Disrupt SPD« und »Progressive Soziale Plattform« haben nicht nur durch ihre attraktiven Webauftritte auch zahlreiche SPD-Mitglieder überzeugen können, wie man auf den zum Teil öffentlichen Unterstützertreffen erkennen kann. Interessanterweise blendet die SPD-Führung diese drei Initiativen bislang aus – weder auf spd.de noch bei Interviews geht die Parteispitze darauf ein, obwohl Andrea Nahles und Lars Klingbeil der Basis mehr Gehör verschaffen wollen.

Erst im April 2018 organisierte die Initiative »Disrupt SPD« (was so viel bedeutet wie »SPD stören«) eine große Diskussionsrunde unter dem Motto »Unsere Reise beginnt« in Berlin-Kreuzberg. Über 100 junge SPD-Mitglieder nahmen daran teil und präsentierten ihre Ideen für eine modernere SPD. Man möchte der Parteispitze zeigen, dass die Basis konkrete Ideen entwickeln und unabhängig nach vorne bringen kann. Das Besondere an dieser Initiative ist auch, dass nur SPD-Mitglieder unter 35 Jahren mitwirken können – damit will man sich als Sprachrohr der jüngeren Generation positionieren.

Die Veranstaltungen im Online- und Offline-Format sollen vor allem die drei Bereiche Parteistruktur, Kommunikation und Politikfelder behandeln. Durch crossmediale Instrumente wie einen starken Internetauftritt, Videobotschaften und Face-to-face-Veranstaltungen möchten die Organisator/innen die Mitglieder zur regen Teilnahme motivieren.

Damit »DisruptSPD« freier agieren kann, hat sich die Initiative als Verein »Neue Sozialdemokratie e. V.« gegründet, damit Veranstaltungen unabhängiger organisiert werden können, aber auch, um Spenden annehmen zu können. Zum Vorstand gehören SPD-Mitglieder, die mehr oder weniger direkt oder indirekt für die SPD arbeiten: Lasse Thorwesten, der derzeit für den Berliner Innensenator Andreas Geisel das Abgeordnetenbüro leitet, Vereinsvorsitzender Tom Schlansky, der bis 2017 für den gleichen Senator das Büro managte und nun beim Public Affairs Fight Club arbeitet. Tanja Hille arbeitete für das Progressive Zentrum und betreibt aktuell den Podcast YPolitik. Margan Sharifzada setzt sich vor allem für die Internationalisierung der SPD ein und Daniel Neumann ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Abteilung Karow-Buch.

Unterstützung erhalten die jungen »Störer/innen« von SPD-Politiker/innen und von SPD-nahen Organisationen wie dem Progressiven Zentrum oder der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Die Initiative »SPD++« konnte einen ersten Erfolg in der parteiinternen Entscheidungshierarchie verbuchen. Beim Wiesbadener Parteitag im April 2018 orientierten sich die Delegierten an dem Leitantrag der progressiven Gruppierung zur Verbesserung der Gleichstellungskultur und zur Einführung von onlinebasierten Themenforen. Aber SPD++ möchte die SPD strukturell und nachhaltig verändern, sich mit dem Erreichten nicht zufriedengeben. Vor allem die digitale Partizipation und die Verjüngung der Parteispitze ist im Fokus dieser Initiative. »Der neu gewählte Parteivorstand ist jünger und weiblicher, doch das reicht nicht aus. Es gibt weiterhin keine Instrumente für eine nachhaltige Verjüngung der Partei. Hier heißt es: dran bleiben!«, appelliert SPD++ auf ihrer Internetseite. Ein weiteres wichtiges Ziel, neben dem Anspruch, eine neue Gleichstellungskultur von Frauen und Jugend in der Parteispitze zu etablieren, ist die Digitalisierung. SPD++ fordert neue Möglichkeiten zur Teilhabe ein, damit das parteipolitische Engagement weniger orts- und zeitgebunden ist. Denn, so ist das erklärte Selbstverständnis dieser Initiative, dass die Organisationsfrage für die SPD bei der Bewältigung künftiger Herausforderungen eine entscheidende Bedeutung haben wird.

Die SPD-Mitglieder können konkret mitmachen und Musteranträge von der Homepage beziehen. Laut eigener Aussage sind bereits 75 SPD-Gliederungen eingetragen und folgen dem Aufruf: »Nimm diese Anträge mit zu der nächsten Sitzung deiner SPD-Gliederung vor Ort und wirb für eine Mehrheit!«

Diese Initiative startete bereits vor der Bundestagswahl 2017 und rekrutierte sich aus verschiedenen Strömungen. So zählen zu den Mitgründer/innen etwa Simon Vaut, ein enger Mitarbeiter des ehemaligen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und Redenschreiber im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, und die Bundestagsabgeordneten Oliver Kaczmarek und Cansel Kiziltepe, die beide der »Parlamentarischen Linken« zuzuordnen sind. Somit spiegelt diese Initiative beide wichtigen SPD-Strömungen wider. Auch außerhalb der Bundes-SPD erhält SPD++ von sozialdemokratischen Vordenkern Unterstützung. Zu nennen wäre noch der kritische Autor Wolfgang Gründinger, der mit Publikationen wie Alte-Säcke-Politik mehr Rechte für die Jugend einfordert und die Generationsgerechtigkeit thematisiert, oder Henning Tillmann, Digitalexperte der SPD und Unterhändler für den Bereich Digitales bei den Vorbereitungen zur Großen Koalition.

Die jüngste Initiative »Progressive Soziale Plattform« ermöglicht auch Menschen ohne SPD-Parteibuch die Mitgestaltung der Erneuerung. Die PSP möchte vor allem eine gerechte und offene Gesellschaft, die sich progressiv den Herausforderungen stellt. Thematisch im Mittelpunkt stehen die ökonomische Entwicklung, das Auseinanderdriften von Arm und Reich und weitere Themen wie Internationale Beziehungen, Ökologie oder Gleichstellung. Die Erstunterzeichner/innen fordern die Sympathisant/innen dazu auf, sich als Unterstützer/innen einzutragen. Das erste Ziel lautete mehr als 5.000 Unterzeichner/innen zu finden, die einer Gründung solch einer parteiübergreifenden Plattform zustimmen, um die linken progressiven Kräfte zu bündeln. Mittlerweile wurde die Zielmarke erreicht.

Wie und wodurch die hochgesteckten Ziele erreicht werden sollen, hält diese Initiative noch zurück. Dennoch konnte die PSP als Erstunterzeichner einige Politiker/innen gewinnen wie den SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow, der den Themenschwerpunkt Umwelt- und Energiepolitik vertritt, oder die Europaabgeordnete der Piratenpartei Julia Reda, die sich als Vizepräsidentin der Fraktion Die Grünen|Europäische Freie Allianz und Koordinatorin der Grünen|EFA im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz einbringt.

Daneben sind noch zahlreiche Aktivist/innen, die ein SPD-Parteibuch haben oder nicht, aber sich durchaus der progressiven Erneuerung der Partei verschrieben haben. Zu nennen wäre beispielsweise der Kabarettist Till Reiners oder Patrick Schiffer, Designer und nach Mitgliedschaft bei den Piraten nun bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aktiv.

Über Finanzierung, Treffen und weitere geplante Aktionen lagen auf der Homepage von PSP bis Ende April keine Informationen vor. Jedoch zeigt die breite Aufstellung, dass es bundesweit, überfraktionell und unabhängig von der SPD-Mitgliedschaft ein breites Interesse gibt.

Drei Initiativen, drei Wege, ein Ziel

Alle drei Initiativen haben eines gemeinsam: Sie wollen die SPD erneuern – und das unabhängig von der Parteispitze mithilfe des Internets und Vorortveranstaltungen. Trotz eines geringen Budgets oder gänzlich fehlender Finanzmittel konnten die Initiator/innen bereits zahlreiche Interessenten begeistern. Nun gilt es abzuwarten, ob die SPD als Ganzes deren Ideen aufnimmt – oder ob es nur über Anträge auf Bundesparteitagen geht, wie SPD++ bereits demonstriert hat. Die Stärke der Initiativen ist gleichzeitig deren Schwäche: die Ferne zur Parteispitze. Denn solange der SPD-Vorstand keine Veränderung lebt, bleibt auch die Umsetzung auf der Strecke. Keiner der SPD-Größen hat sich bisher dafür entschieden, mit einer der Initiativen medial wirksam zusammenzuarbeiten. Ob die Neuentdeckung von Onlineumfragen die große Erneuerung hervorbringen wird, ist fraglich. Die Taktik Aussitzen und Abwarten lässt sich hier gut erkennen. Wahrscheinlich werden einige der Motoren dieser Bewegung in absehbarer Zukunft auch mit attraktiven Jobangeboten weggelobt werden können. Trotz weitreichender Digitalisierung und sehr guten Internetauftritten bleibt es offen, ob die Initiativen auch jenseits der Politmetropole Berlin und anderen Ballungszentren in die Ortsvereine hineinwirken können. Auch ist zu kritisieren, dass alle drei Bewegungen auf einem hohen intellektuellen Niveau agieren, damit jedoch nicht akademische Kreise abschrecken könnten oder erst gar nicht erreichen. Denn die SPD wird nicht nur älter – sie wird auch immer akademischer. Der hohe Akademisierungsgrad spiegelt sich gerade auch in diesen Initiativen wider.

Nicht nur die SPD muss also nach wie vor viel Arbeit leisten. Auch die eifrigen Initiativen, die mit ihren Vorhaben grundsätzlich in die richtige Richtung weisen.

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