Menü

Sprachmoden in der Politik

Politik ist zu großen Teilen Sprachhandeln. Ganz besonders gilt das für die Politik in der Demokratie. Wer etwas durchsetzen will, muss andere, die eigene Partei, die eigene Fraktion, die Wähler, die Medienvertreter, die Öffentlichkeit, oft auch noch den Koalitionspartner und die Kabinettskollegen von der Richtigkeit seiner Ideen überzeugen. Und meistens erzeugt seine Rede bei einem anderen Politiker einer anderen Partei, bei einem Verbandsvertreter, einem der lästigen Intellektuellen, die ja bekanntlich immer etwas auszusetzen haben, eine Gegenrede, auf die er dann wieder antworten muss usw.

Politiker in der Demokratie müssen bei tausend verschiedenen Gelegenheiten reden, manchmal auch, wenn sie gar nichts zu sagen haben und womöglich lieber schweigen würden. Und manchmal auch, bevor sie zum Nachdenken gekommen sind. Politiker sind Vielredner. Zwar erreichen nur wenige von ihnen die elegante Beredsamkeit der großen antiken Rhetoren, aber wenn man ihre Leistungen als Redner so messen würde, wie die Leistungen der heutigen Bologna-Studenten zumeist gemessen werden, nämlich schlicht nach Arbeitsstunden oder, wie es im modischen Fachenglisch heißt, als workload, dann sähe ein Cicero selbst im Vergleich mit dem hintersten Hinterbänkler ziemlich alt aus.

Kein Wunder also, dass die politische Rede nicht immer so präzise, so erhellend, so rhetorisch glanzvoll, so verständlich ausfällt, wie es im Interesse einer lebendigen demokratischen Selbstverständigung zu wünschen wäre. Kein Wunder auch, dass die überforderten Politiker verzweifelt nach Wendungen suchen, die sich bei möglichst vielen Gelegenheiten einsetzen lassen und ihnen so die mühevolle Suche nach dem rechten Ausdruck ersparen.

Als die Republik noch im Wesentlichen aus NRW und Umgebung bestand, in den glorreichen Zeiten Konrad Adenauers, Ludwig Erhards, Helmut Schmidts und Willy Brandts also, waren die Politiker, wenn irgendwo »Not am Mann« war, stets »vor Ort«. Der Ausdruck stammt aus der Arbeitskultur des Ruhrpotts, wo er die Stelle im Stollen bezeichnet, an der die Kohle abgebaut wird. Weil der Ausdruck etwas handfest Proletarisches an sich hatte, gewann er schnell an Beliebtheit unter SPD-Politikern, die damals noch in großer Zahl engere Beziehungen zur Arbeitswelt hatten. Wo immer es Probleme gab, war man »vor Ort«, auch wenn der Anlass mit dem Abbau von Steinkohle gar nichts zu tun hatte. Es dauerte nicht lange, bis die Sprachmarotte auch von Vertretern anderer Parteien übernommen wurde, sogar von solchen, die sonst eine vornehme Distanz zum proletarischen Milieu einhielten.

Die Sprache der Politik ist seit eh und je anfällig für modische Wendungen. Ich erinnere mich, dass in den 60er Jahren in vielen Politikerreden die Wendung auftauchte, man wolle aus seinem Herzen »keine Mördergrube« machen. Die Anmutung von Biederkeit und Ehrlichkeit, verbunden mit einer geradezu courths-mahlerschen Bigotterie schien damals Politikern für die Selbstdarstellung opportun. Wer aus seinem Herzen »keine Mördergrube« machte, kündigte damit an, offenzulegen, was ihn im Innersten bewegte, trug das Herz sozusagen auf der Zunge, wie es Politromantiker von ihnen erhoffen, Realisten aber von ihnen am allerwenigsten erwarten.

Aber dann kamen andere Zeiten. Auf einmal wollten und sollten Politiker nicht mehr bieder erscheinen, sondern professionell, dynamisch, leistungsorientiert. Wo Leistung sich wieder lohnen sollte, war man auch in der Politik wie auf dem Fußballplatz gern »gut aufgestellt«, Der Politiker oder Verbandsfunktionär, der von seiner Partei, seiner Fraktion, seiner Organisation sagte, sie sei »gut aufgestellt«, umgab sich mit der Aura eines Fußballtrainers, der mit einer ausgetüftelten Mannschaftsaufstellung ins alles entscheidende Match geht und dabei unvermeidlich »auf Sieg setzt«. Und natürlich spricht so jemand von sich und seinen Mitarbeitern als dem »Team«, in dem jeder angehalten ist, seine »optimale Leistung abzurufen«, Von der Opposition dagegen verlangt so einer gern herablassend, dass sie erst einmal »ihre Hausaufgaben machen solle«, als handele es sich bei den gerade nicht regierenden Abgeordneten um eine unmündige Schülerschar.

Die zahlreichen Entleihungen aus der Sprache der Ökonomie, die heute die Sprache der Politik charakterisieren, dienen vor allem dem Zweck, die Politik als nüchtern professionelles Geschäft erscheinen zu lassen, in dem allein Sachverstand und Kompetenz entscheidend sind. Und nebenbei suggeriert man damit, dass man nicht die Absicht habe, sich von der Meinung der politischen Laien, die das Volk ausmachen, beirren zu lassen. So wurde denn aus Deutschland in zahlreichen Politikerreden der »Standort Deutschland« oder gar die »Deutschland AG« und aus einer Gruppe älterer weißer Männer, die einen ebenfalls schon leicht vergreisten Kanzlerkandidaten im Bundestagswahlkampf beraten sollten, ein »Kompetenzteam«, Parteifunktionäre und Spindoktoren sprachen auf einmal von der Politik als einem »Produkt«, das es »zu verkaufen« gelte. Parlamentarier machten statt Politik einen »guten Job«, der Finanzminister erwartete von seinen Kabinettskollegen, dass »sich rechne«, was sie in ihren Ressorts veranlassten, ganz gleich, ob sich die Ergebnisse in Zahlen ausdrücken ließen oder nicht. Mit einem Mal war überall von Benchmarking die Rede und von Evaluation, von Best Practice und von New oder Corporate Governance.

Was bei solchen sprachmodischen Eskapaden leicht aus dem Blick gerät, ist, dass Sprache und Denken ebenso wie Denken und Handeln enger zusammenhängen, als den meisten bewusst ist. Wer ständig über Politik so redet, als handele es sich darum, ein Geschäft abzuwickeln oder einen Konzern zu führen, wird womöglich am Ende auch genauso handeln – und damit gegen den Geist und die Regeln der Demokratie verstoßen. Wo dauernd vom »Standort Deutschland« und von der »Deutschland AG« die Rede ist, gerät leicht in Vergessenheit, dass in einer Demokratie nicht einfach nach ökonomischen Parametern entschieden wird, sondern Entscheidungen der Zustimmung der Mehrheit und der Übereinstimmung mit der Verfassung bedürfen, um legitim zu sein. Inzwischen erscheint es denn auch nicht mehr opportun, nach der Methode »Friss, Vogel, oder stirb! Basta! There is no alternative!« zu verfahren. Im Grunde wissen wir, dass die Umständlichkeit der Demokratie zu ihren Stärken zu zählen ist, und wir wissen eigentlich auch, wohin es führt, wenn starke Männer mit großer Geste »gordische Knoten« durchschlagen, statt sie mit Mühe und Ausdauer zu lösen.

Im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung kann heute kein Politiker darauf verzichten, seine Verlautbarungen mit Anglizismen zu spicken. Anglizismen in der Politikerrede haben den Vorteil, dass sie zugleich Weltläufigkeit und jugendlichen Aufbruch suggerieren. In Bayern genügte lange die Mischung aus »Laptop und Lederhose«, die Roman Herzog kreierte, während Politiker im urbanen Berlin sich schon bald das Vokabular der jugendlichen Netzgemeinde zu eigen machten und nun auch von usern, downloaden und posten sprachen und Twitter- und Chatbotschaften mit vielen Smileys und Emojis versandten, weil sie sich davon bei Jüngeren – meist vergebens – mehr Verständnis für ihre politischen Positionen versprachen.

Die Bedeutung von Sprache im Wahlkampf

Der Bedarf an sprachlichen Wendungen, die dem grauen Gegenstand der Politik ein wenig Farbe verleihen, ist allerdings nach wie vor riesengroß. Das gilt besonders für Wahlkämpfe, in denen allzu viele Akteure darum ringen, ein mit politischer Werbeprosa überfüttertes, mehr oder weniger lethargisches Publikum, vor allem aber die mit allen Wassern gewaschenen und zum Zynismus neigenden Medienprofis für ihre Botschaften zu interessieren. Eine naheliegende Methode ist die der Dramatisierung. Diesem Zweck dient die zumeist grobschlächtig populistische Sprache vieler Wahlkämpfer, die ein Ringen der Mächte des Lichts mit denen der Finsternis suggeriert, wo es in Wirklichkeit allenfalls um unterschiedliche Akzentsetzungen geht, die Ängste schürt und Feindbilder beschwört, die die eigenen Leistungen ins Unermessliche steigern und den Gegner mit allen Mitteln herabzusetzen suchen.

Da aber der Wahlerfolg in unserer komplizierter gewordenen Welt wesentlich davon abhängt, dass man viele nach Geschmack, Lebensstil und Interessen sehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen für sich einnimmt, dürfen Aggressivität und Originalität auch wieder nicht zu weit getrieben werden. Was dabei herauskommt, wenn man es möglichst allen recht machen will, sind zuweilen Werbefloskeln von vollendeter Blödsinnigkeit. Ein gutes Beispiel konnte man vor einigen Jahren in München bewundern, wo auf den Plakaten eines Landtagswahl-Kandidaten zu lesen stand: »Wörner macht Sinn«, eine Aussage, die in ihrer abgründigen Sinnlosigkeit nicht leicht zu übertreffen sein dürfte.

Natürlich, Politik ist nicht nur Wahlkampf. Und es ist durchaus nicht so, dass Politiker immer nur darauf aus seien, um fast jeden Preis Aufmerksamkeit zu erwecken. Zuweilen geht es im Gegenteil darum, Aufsehen zu vermeiden, das allzeit lauernde Misstrauen der Öffentlichkeit zu zerstreuen, Formulierungen zu finden, die herzliches Einverständnis suggerieren, wo in Wirklichkeit unvereinbare Interessen aufeinander prallen und mit harten Bandagen gekämpft wird. Die Sprache der Kommuniqués ist seit eh und je voller beschwichtigender und vielseitig auslegbarer Floskeln und Wendungen. Ein Klassiker ist die Meldung, dass Gespräche zwischen zwei Staatsmännern »in guter Atmosphäre« stattfanden und »allgemein interessierenden Fragen« galten. Und wenn es bei Verhandlungen gar nicht mehr weiter geht, wird die Öffentlichkeit oft mit der Nachricht überrascht, dass man »konstruktive und offene Gespräche« geführt habe, dass man hoffe, weiter »gute Fortschritte zu machen«, allerdings noch »einige dornige Details« geklärt werden müssten und im Übrigen die »Atmosphäre offen und konstruktiv« war. Kein Wunder, dass Talleyrand, der Ahnherr aller modernen Diplomaten, der Meinung war, dass die Sprache dem Menschen nicht gegeben wurde, um die Wahrheit zu bezeugen, sondern »damit er seine Gedanken verhülle«.

Auch jene Politiker, die so gern nach »unpopulären Maßnahmen« rufen, neigen doch oft dazu, ihre wahren Absichten zu verschleiern. Wenn Arbeitslosen und Kleineinkommensbeziehern immer neue Opfer zugemutet, Großverdiener aber wieder einmal geschont werden sollen, heißt es unvermeidlich, in schweren Zeiten müssten »alle Opfer bringen«; wenn Politiker und Verbandsfunktionäre weitere Steuerentlastungen für Großverdiener und Vermögensmillionäre durchsetzen wollen, dann ist ebenso unvermeidlich die Rede davon, dass »der Bürger steuerlich entlastet« werden müsse. Die FDP lebt seit jeher von solcher orwellschen Dialektik und der freundliche Herr Laschet glaubt mit derselben Masche die anstehende Bundestagswahl gewinnen zu können.

Zu Recht wird heute die Verwahrlosung der Sprache und die Zunahme an Hass- und Verschwörungsbotschaften im Netz kritisiert. Selten aber wird der betrübliche Zustand der politischen Sprache selbst zum Thema gemacht. Dabei ist die Verschleierung von Missständen, die beschönigende Vernebelung gefährlicher Entwicklungen, ist die Leugnung gut recherchierter und wissenschaftlich belegter Tatsachen im Politikbetrieb nicht weniger verbreitet als bei der übererregten Netzgemeinde. »Die deutsche Sprache«, hat Karl Kraus einmal gesagt, »ist die tiefste, die deutsche Rede die seichteste«. Zumindest für die politische Rede scheint dies leider weithin zuzutreffen – vermutlich nicht nur in Deutschland. Und leider auch nicht nur in Wahlkampfzeiten.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben