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Statussorgen und Rechtspopulismus

Vor dem Hintergrund des starken Abschneidens der AfD bei einer Reihe von Landtagswahlen und der letzten Bundestagswahl stellt sich die Frage, warum eine rechtspopulistische Partei einen solchen Zuspruch erfahren konnte. In der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte existieren unterschiedliche Einschätzungen darüber, welche Bedeutung Erfahrungen sozialer Ausgrenzung für die Entscheidung die AfD zu wählen haben und in welchem Verhältnis diese zu kulturellen Faktoren, wie der Ablehnung von Migrationsprozessen stehen. Bezugspunkt des »kulturellen« Erklärungsversuchs ist die empirische Erkenntnis, dass die AfD auch von Personen gewählt wurde, die nicht von sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Parallel dazu hat jedoch eine Reihe von Analysen einen Einfluss von sozialstrukturellen Merkmalen wie Bildung, Einkommen und Berufsstatus nachgewiesen. So zeigt etwa Thomas Lux, dass laut Sonntagsfrage sogenannte Modernisierungsverlierer häufiger die AfD wählen würden. Andere kommen zu dem Ergebnis, dass Arbeiter signifikant häufiger die AfD wählen würden. Daneben wurde in zahlreichen Analysen deutlich, dass Sorgen um den eigenen Status die Bereitschaft erhöhen, die AfD zu wählen. Eine Onlinebefragung der Hans-Böckler-Stiftung (Working Paper Forschungsförderung Nummer 044: »Einstellung und soziale Lebenslage – Eine Spurensuche nach Gründen für rechtspopulistische Orientierung, auch unter Gewerkschaftsmitgliedern«) kommt hinsichtlich dieser Frage zu folgenden Ergebnissen:

  • Auch AfD-Wähler/innen mit höheren Einkommen und Bildungsstand haben eine größere Angst vor dem sozialen Abstieg.
  • Bei AfD-Wähler/innen scheinen somit objektive soziale Lage und subjektive Ängste auseinanderzufallen (was nicht bedeutet, dass sie sich vollständig entkoppeln).
  • Konkrete Arbeitslosigkeitserfahrung hat keinen signifikanten Einfluss auf das Wahlverhalten. Wer arbeitslos ist oder mal war, wählt nicht häufiger die AfD. Hingegen hat die Einschätzung der Chancen auf Wiederbeschäftigung im Falle von Arbeitslosigkeit einen Einfluss. Wer also glaubt, im Falle des Verlustes des Arbeitsplatzes nur schwer eine oder gar keine neue Beschäftigung zu finden, wählt häufiger die AfD.

Es scheint somit weniger um die konkrete Erfahrung von sozialer Ausgrenzung oder eines sozialen Abstiegs zu gehen, sondern vielmehr um die Angst davor. Um zu verstehen, warum die AfD bei der letzten Bundestagswahl einen solchen Zuspruch erfahren konnte, ist es daher wichtig, detailliert zu analysieren, wie weit Abstiegsängste in Deutschland verbreitet sind, aus welchen Erfahrungen sich soziale Verunsicherung und Ängste vor dem sozialen Abstieg speisen und in welchem Zusammenhang diese Ängste mit der Ablehnung von Migration stehen.

Diese Aspekte werden im Folgenden auf der Grundlage der Ergebnisse einer repräsentativen Onlineerhebung bei annähernd 5.000 wahlberechtigten Personen dargestellt, die von der Politikforschungs- und -beratungsgesellschaft policy matters im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung im Dezember 2016 durchgeführt wurde.

Abhängig davon, welche Dimensionen von Abstiegsangst betrachtet werden, hatten zum Befragungszeitpunkt im Dezember 2016 unterschiedlich weite Teile der Bevölkerung Abstiegsängste: Immerhin 39 % der Befragten gaben an, sich große oder sehr große Sorgen um die eigene finanzielle Situation zu machen. 20 % gingen davon aus, dass sich ihre finanzielle Situation innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre etwas oder deutlich verschlechtern wird. 49 % machten sich Sorgen oder große Sorgen um ihre finanzielle Situation im Alter. Knapp 47 % sagten, dass die Aussage »Ich befürchte meinen Lebensstandard nicht dauerhaft halten zu können« eher zutrifft. Im Vergleich zu anderen Generationen gaben 27 % der Befragten an, dass es ihnen in Bezug auf den Lebensstandard schlechter gehe als ihren Eltern und 20 % der befragten Personen mit Kindern gingen davon aus, dass es ihren Kindern in Bezug auf den Lebensstandard einmal schlechter gehen wird als ihnen selbst. Ca. 25 % der Befragten machten sich große oder sehr große Sorgen um ihre Arbeitsplatzsituation.

Welche möglichen Ursachen für Abstiegsängste gibt es? Zunächst stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang Abstiegsängste (gemessen an der Zustimmung zu der Aussage: »Ich befürchte meinen Lebensstandard nicht dauerhaft halten zu können«) mit dem Nettoeinkommen stehen. Hier zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang. So haben über die Hälfte der Personen, die unter 1.500 Euro verdienen, Abstiegsängste. Dieser Anteil sinkt zwar mit steigendem Einkommen, aber auch in der Gruppe mit Einkommen über 4.000 Euro machen sich immerhin noch mehr als 15 % große oder sehr große Sorgen.

Für den überwiegenden Teil der befragten Personen gilt: Je niedriger die subjektive soziale Einordnung, je größer die Abstiegsängste. Von denjenigen, die sich auf einer Skala von eins bis zehn »ganz unten« (eins) in der Gesellschaft einordnen, geben über 90 % an, sich große oder sehr große finanzielle Sorgen zu machen. Dies nimmt mit dem Ansteigen der sozialen Selbsteinordnung kontinuierlich ab, wobei finanzielle Sorgen auch noch bei den Personen, die sich der unteren Mittelschicht zuordnen weit verbreitet sind und auch dort immer noch gut die Hälfte der befragten Personen betreffen. Auffällig und unerwartet ist, dass finanzielle Sorgen am oberen Rand der Gesellschaft (ab Position neun auf der Skala) wieder steigen. Von denen, die sich »ganz oben« in der Gesellschaft einordnen, geben immerhin 47,6 % an, sich große oder sehr große finanzielle Sorgen zu machen.

Als eine mögliche Ursache für das Erstarken des Rechtspopulismus wird immer wieder das Gefühl eines generellen Kontrollverlustes thematisiert. In der Studie zeigt sich, dass Personen die der Aussage »Über mein Leben wird irgendwo draußen in der Welt entschieden« zustimmen, in allen Gehaltsgruppen häufiger Abstiegsängste haben. Dies spricht dafür, dass sich Abstiegsängste auch aus dem Gefühl speisen, den Unsicherheiten, die gesellschaftliche Veränderungen wie Digitalisierung oder Globalisierung mit sich bringen, schutzlos ausgeliefert zu sein. Diese Angst zieht sich durch alle Gehaltsgruppen – sie ist somit von der finanziellen Situation ein Stück weit entkoppelt.

In einem weiteren Schritt wurde untersucht, in welchem Zusammenhang die Ablehnung von Migration, das individuelle Nettoeinkommen und Abstiegsängste stehen. Dabei zeigt sich, dass Personen, die der Migration negativ gegenüberstehen, in allen Gehaltsgruppen häufiger Abstiegsängste haben. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Ablehnung von Migration mit steigendem Gehalt sinkt. Eine Ausnahme stellen hier Personen dar, die über 4.000 Euro verdienen, hier steigt die Ablehnung wieder.

Abstiegsängste reflektieren also ein Gefühl der sozialen Verunsicherung, das sich in den unteren sozialen Schichten mit einer schwierigen materiellen Situation erklären lässt. Sie betrifft aber auch Personen, die nicht unmittelbar von einem sozialen Abstieg bedroht sind. Dies lässt sich damit erklären, dass sich Abstiegsängste auch aus einem Gefühl des »Ausgeliefertseins« speisen. Menschen mit Abstiegsängsten stehen Migrationsprozessen häufiger ablehnend gegenüber. Für fortschrittliche Politik besteht die Herausforderung darin, zu zeigen, dass zentrale politische Herausforderungen gestaltbar sind, um dem Gefühl des »Ausgeliefertseins« politische Handlungsfähigkeit entgegenzusetzen.

(Das Working Paper der Hans-Böckler-Stiftung ist abrufbar unter: www.boeckler.de.)

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