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Eine monumentale Biografie Martin Bubers Stimme der Verständigung

Als Martin Buber 1928 eine Vorlesung des Philosophen Edmund Husserl besuchte, stellte er sich vor: »Mein Name ist Buber«. Worauf Husserl erwiderte: »Der wirkliche Buber? Den gibt es doch gar nicht! Buber – das ist doch eine Legende!« Die lebende Legende war damals gerade 50 Jahre alt.

Martin Buber wurde in Wien geboren, wuchs bei seinen Großeltern im galizischen Lemberg auf, wo er ein polnischsprachiges Gymnasium besuchte, und studierte Philosophie in Wien, Leipzig und Berlin. Sein französischer Biograf Dominique Bourel zeichnet nun das Bild eines unkonventionellen Schriftstellers und Denkers, der in vielem seiner Zeit weit voraus war. Mit seiner Lebensgefährtin, der Romanautorin Paula Winkler, lebte er jahrelang ohne Trauschein zusammen, auch noch nach der Geburt ihrer beiden Kinder Rafael und Eva. Um 1900 war dies ein Skandal.

Mit nur 24 Jahren wurde Buber Redaktionsleiter der Zeitschrift Zionistische Welt und wenig später verantwortlicher Lektor und dann Leiter des Verlages Rütten & Loening. Die Soziologie als akademische Disziplin steckte damals noch in den Kinderschuhen, doch Buber initiierte bereits selbstbewusst und vorausschauend eine Publikationsreihe soziologischer Schriften. Den Anarchopazifisten Gustav Landauer beauftragte er mit dem Band über Revolution, Lou Salomé, die eng mit Paul Reé und Friedrich Nietzsche befreundet gewesen war, bat er um den Beitrag über Erotik. 30 Jahre später, im Exil in Jerusalem, wurde der Religionsphilosoph Buber auf den Lehrstuhl für Soziologie an der Hebräischen Universität berufen.

»Der gebildetste Mensch, den ich kenne«

Martin Buber war ein Multitalent: Schriftsteller, Lehrer, Pädagoge, Psychologe, Erzähler, Übersetzer. Der Zionist Kurt Blumenfeld nannte ihn mehrfach »den gebildetsten Menschen, den ich kenne«. Zusammen mit Franz Rosenzweig übersetzte Buber das Alte Testament mit dem ehrgeizigen Ziel, den hebräischen Gehalt jedes einzelnen Wortes »aufzugraben«, seine hebräische Urbedeutung aufscheinen und seinen Klang im Deutschen anklingen zu lassen.

Dominique Bourels brillant geschriebene und von Horst Brühmann vorzüglich übersetzte Biografie hat die Kraft einer Zeitmaschine, die uns an den Anfang des 20. Jahrhunderts katapultiert. Wir werden Zeugen, wie in Wien, Leipzig und Berlin zionistische Zirkel entstehen, die selbstbewusst über eine Heimstatt für das europäische Judentum diskutieren. Martin Buber war früh dabei. Als Redakteur der Zionistischen Welt, als Gründer der Zeitschrift Der Jude, als Autor und Redner, nicht zuletzt auch als strategischer Planer und gewandter Organisator, der in seinem Leben mehr als 50.000 Briefe verfasste.

Von der allgemeinen Begeisterung bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs ließ er sich nur kurz anstecken. Schon bald meldeten sich Zweifel. Auf die sogenannte »Judenzählung«, die statistische Erfassung des Anteils der jüdischen Soldaten im Heer, reagierte Buber unmittelbar: »Wir sind das Gezähltwerden gewohnt. Russland zählt unsere Kinder in seinen Schulen und Polen unsre Arbeiter, ob ihrer nicht zu viele sind. Dahingegen hat (…) ein deutscher Studentenverband angeregt, unsere Gefallenen auf Deutschlands Schlachtfeldern zu zählen. Es schienen ihm ihrer nicht genug zu sein.«

Die Ermordung von Kurt Eisner, Rosa Luxemburg und Gustav Landauer bestätigte die düstere Prognose Chaim Weizmanns, dass die Position der Juden nach dem Krieg noch schlimmer als vorher sein würde.

Klarer und schärfer als seine Zeitgenossen sah Martin Buber, dass die jüdische Einwanderung in das britische Mandatsgebiet Palästina nicht das Wohlwollen der arabischen Bevölkerung wecken konnte. In Vorträgen, Reden, Artikeln und Aufsätzen argumentierte er »mit Abscheu« gegen die Methoden des Herrschaftsnationalismus, dessen Opfer das jüdische Volk so lange gewesen war, und plädierte dafür, »in einem gerechten Bund mit dem arabischen Volk eine gemeinsame Wohnstätte zu einem wirtschaftlich und kulturellen Gemeinwesen [zu] machen«.

Pflicht zum Respekt

Was wir heute lapidar unter dem Begriff des Nahostkonflikts subsumieren, sah Martin Buber früh heraufziehen. Immer wieder warnte er: »Hüten wir uns, das, was uns widerfahren ist, nunmehr selbst zu tun.« Zwar schien manches Unrecht unvermeidlich: »Leben heißt Unrecht tun. Atmen, sich ernähren, wachsen, alle organischen Funktionen des Lebens schließen Unrecht ein.« Aber: »Ich will nicht mehr Unrecht tun als ich muss, um zu leben.« Daraus leitete er die Pflicht ab, die Nachbarn kennenzulernen und zu respektieren: »Unser Verhältnis zu den Arabern müsste auf allen Gebieten positiv aufgebaut werden. Wirtschaftlich dadurch, dass wir eine praktische Interessen-Solidarität aufbauen und (…) das Interesse des arabischen Volkes berücksichtigen.«

Buber lehnte die durch die von Menachem Begin geführte paramilitärische Organisation Irgun vollkommen ab: »Nichts ist für uns durch die blinde Gewalt zu gewinnen. Aber alles ist durch sie zu verlieren.« Den Anschlag der Irgun auf das King David Hotel im Juli 1946 kommentierte er mit den Worten: »Es ist nicht genug, dass wir unser Entsetzen ausdrücken. Wir haben zu sagen, dass wir teilhaben an dieser Schuld. (…) Wir sind mitschuldig.« Den vermeintlichen Gegensatz zwischen Realpolitik und politischen Idealen hielt er für fatal: »Ich mache keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem, was in moralischer und politscher Hinsicht richtig ist. Eine unmoralische Tat mag manchmal Nutzen bringen für kurze Zeit, aber nicht für Generationen, nicht einmal für eine Generation.«

Seit 1942 lebte Martin Buber im arabischen Viertel von Jerusalem in einem Haus der muslimischen Patrizierfamilie Dejani. Verständigung und Dialog waren seine Lebensthemen, Ich und Du lautete der Titel seines 1923 erschienenen Hauptwerks. Kultur hieß für ihn Austausch. Um »ich« sagen zu können, benötigt ein jeder das »du« oder, bezogen auf die materielle Welt, ein »es«. Auf diesem »dialogischen Prinzip« beruht nach Buber die menschliche Existenz. Seine Gegner warfen ihm gern vor, dass er, der so viel von Zwiegesprächen halte, vor allem in Monologen lebte. Das mag eine hübsche Pointe sein, aber selbst wenn Bubers Dialogfähigkeit in der Theorie stärker war als in der Praxis, so schmälert diese Schwäche keinesfalls seine Verdienste um Ausgleich und Verständigung.

Dominique Bourel: Martin Buber – Was es heißt, ein Mensch zu sein. Gütersloher Verlagshaus 2017, 976 S., 49,99 €.

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