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Digitale Meinungsführer in rechten Teilöffentlichkeiten »Stimmen des Volkes«

Wie ein Schlachtruf hallte das Video Die Zerstörung der CDU! in der medialen Öffentlichkeit nach. Empörung, Unsicherheit, aber vor allem peinliche Hilflosigkeit bei den regierenden Parteien folgten. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sprach plötzlich gar von »Regulation« des Internets. Im Mai 2019 hatte der YouTuber Rezo der Politik und den »alten« Medien gezeigt, welche Durchschlagskraft die »neuen« Medien haben können. Mittlerweile verzeichnet das Video schon fast 17 Millionen Aufrufe (Stand März 2020). Eine »Auflage«, von der etablierte Zeitungen nur träumen können.

Die Medienlandschaft und mit ihr die öffentliche Meinungsbildung befindet sich in einem Prozess des Umbruchs. Heute informieren sich viele Menschen immer öfter in den sozialen Medien. Die »alten« Medien haben durch Fake-News-Kampagnen an Ansehen verloren, die »neuen« und ihre Filterblasen werden den Nutzer/innen immer vertrauter.

Dabei sind es oftmals »verhältnismäßig kleine Gruppen, die unverhältnismäßig großen Lärm machen«, wie Frank-Walter Steinmeier 2019 in seiner Eröffnungsrede der re:publika mit Beunruhigung feststellte. Diese »kleinen Gruppen« bilden aber nicht den Querschnitt der Bevölkerung ab. Und einzelne Personen bereiten ihnen den Nährboden, auf dem auch ideologische Früchte wachsen können. Es ist hier die Rede vom Phänomen der Influencer, das spätestens durch das Rezo-Video auch Einzug in die politische Landschaft gehalten hat. In der Wirtschaft sind diese »Beeinflusser« längst Teil umfassender Marketingstrategien. Im Mittelpunkt stehen kommerzielle Interessen. Was aber, wenn das »Produkt« politisch-ideologischer Natur ist?

Beste Beispiele sind wohl die Twitter-Tiraden des US-amerikanischen Präsidenten, bei denen sich Selbstbeweihräucherung und Feindbildpropaganda abwechseln, oder Greta Thunberg, deren Umweltappelle auf eine ähnlich ausgeprägte Polarisierung stoßen. Sie haben erheblichen Einfluss auf das Meinungsklima ihrer Anhängerschaft.

Nach einer Umfrage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft und der Forschungsgruppe Goldmedia informieren sich vor allem junge Internetnutzer/innen bei Influencern, hauptsächlich aus drei Gründen: Sie fühlen sich persönlich angesprochen, über die Vor- und Nachteile eines Produkts aufgeklärt und in ihrer Entscheidungsfindung unterstützt. Influencern werden somit hohe Urteilskompetenzen zugesprochen, da sie sich augenscheinlich länger mit einem Produkt auseinandergesetzt haben als die Nutzer/innen selbst. Sie werden zu Meinungsführer/innen ihrer Community. Dabei müssen sie allerdings keine wirkliche Expertise vorweisen können. Allein eine Stimme im Internet genügt. Und da jede Person in den sozialen Medien die Möglichkeit einer öffentlichen Meinungsäußerung hat, ist auch jede Person mit Internetzugang potenziell Influencer.

Gemessen an Aufrufen ist YouTube der digitale Ort des Vertrauens. Studien zufolge nutzen mehr als 60 % der Menschen zwischen 14 und 29 Jahren das Videoportal täglich für durchschnittlich eineinhalb Stunden. Auch wenn Comedy, Beauty und Gaming dabei den Großteil der Beiträge ausmachen, zeigt ein näherer Blick auf die beliebten Kanäle eine Fülle an politischen Inhalten, die eine breite Nachfrage von »links« bis »rechts« bedienen. Darunter system- und kapitalismuskritische Kommentare von KenFM (300.000 Abonnent/innen), establishmentkritische Interviews auf Jung&Naiv (370.000) und linksliberale Kanäle wie LeFloid, der mittlerweile unglaubliche 690 Millionen Mal aufgerufen wurde. Angesichts fehlender Modernität verwundert es nicht, dass im konservativen Spektrum etwa die »Christfluencerin« Jana Highholder mit rund 20.000 Abonnent/innen oder die politisch fragwürdige Sendung der CSU, CSYOU mit rund 6.700 Abonnent/innen nur auf geringe Resonanz stoßen. Erst am rechten Rand findet man wieder hohe Zuschauer/innenzahlen, wie beim national-völkischen Influencer Martin Sellner (119.000). Die Extremismusforscherin Julia Ebner zeigt, wie radikale Ideologien durch die algorithmenbasierten Geschäftsmodelle von Facebook, YouTube und Co. befördert werden und bezeichnet diese als Radikalisierungsmaschinen. In der Analyse der Erfolge rechter Parteien sollten vor allem jene auffälligen Kanäle mehr Aufmerksamkeit erhalten. In sogenannten Echokammern oder Filterblasen können Nutzer/innen durch interessenbezogene Themenvorschläge und selektive Informationen leicht in eine Spirale extremer Inhalte rutschen. Wer sich darunter allerdings faschistoide Parolen, Hetze, gewaltverherrlichende Verbalentgleisungen und offensichtliche Diskriminierung vorstellt, der ist gut beraten, sein tradiertes Bild vom Rechtsextremismus auf den Stand des 21. Jahrhunderts zu bringen. Meinungsführer/innen der Neuen Rechten präsentieren sich im Netz heute mit Bravour als harmlose Bürger und erneuern mit einem frischen Anstrich die alten Reste eines verblassten Wertesystems, nicht selten mit einem salonfähigen Ergebnis.

Namen wie Martin Sellner oder der »Volkslehrer« Nikolai Nerling, dessen Kanal mittlerweile wegen Hassrede gelöscht wurde, aber auch Tim Kellner (212.000 Abonnent/innen) und die Kanäle Laut Gedacht« (52.000) sowie Ruhrpott Roulette (14.000) sind nicht nur in der Szene, sondern teilweise auch dem Verfassungsschutz bekannt. So laufen beispielsweise Untersuchungen gegen Sellner, der nicht nur YouTuber sondern auch Sprecher der Identitären Bewegung Österreichs ist, weil er Spenden des Attentäters von Christchurch erhalten hat. Nerling wurde dereinst wegen Volksverhetzung von seiner Tätigkeit als Grundschullehrer suspendiert.

Während sich die AfD nicht nur durch ihre politische Programmatik, sondern auch in der Beteiligung an wütenden Pegida-Reden als zweifelsfrei nationalistisch entlarvt, verstecken sich viele der digitalen Meinungsführer/innen hinter scheinbar konstruktiver Kritik und sachlichen Analysen. Es werden tagesaktuelle Ereignisse kommentiert und eine vermeintlich tendenziöse Berichterstattung angeprangert. Das mittlerweile etablierte Format des politischen Kommentars soll ein Angebot für »Andersdenkende« schaffen, deren Stimme durch das angebliche »Meinungsdiktat eines linksliberalen Zeitgeistes« unterdrückt werde. Wie gewohnt liegt dabei das Hauptaugenmerk nach rechtspopulistischer Manier auf Kriminalität, Migration und der Ablehnung des politischen Establishments.

Die Inhalte sind eben gar nicht entscheidend. Viel wichtiger ist die Identifikation mit der Person vor der Kamera. Es ist die bürgerliche, »volksnahe« Fassade, hinter der sich rassistische Ideen verstecken und als »normaler« Patriotismus verschleiert werden: wenn Martin Sellner vom Erscheinungsbild als junger bürgerlicher Mann fernab der alten Neonazi-Stereotypen daherkommt und seine Community am eigenen Alltag teilhaben lässt; wenn er sich als fürsorglicher Partner neben seiner Ehefrau Brittany, selbst »neurechte« US-amerikanische Bloggerin und YouTuberin, präsentiert; wenn er in der eigenen Küche Kochtipps für deutsche oder österreichische Gerichte gibt, dann inszeniert er sich als »ganz normale« Person, die ihren Alltag so lebt, wie viele andere Menschen auch. Die suggerierte Nähe zu seinem Publikum lässt dann beiläufige Kommentare, wie den, dass die Kartoffel ungesund für den Mitteleuropäer sei, da sie aus dem Ausland kommt, als gutgemeinten Ratschlag eines Freundes erscheinen, während sie aber gezieltes »Product-Placement« einer xenophoben »Blut-und-Boden-Ideologie« sind.

Es wird vorsichtig mit der eigenen Gesinnung gespielt. Tatsächlich findet sich selten eindeutige Ausländerfeindlichkeit. Meistens wird mit humoristischen Andeutungen, ironischen Bemerkungen und einem Augenzwinkern zur Diskriminierung ermutigt. Was damit bewirkt wird, machen die beliebtesten Kommentare unter den Videos deutlich: »DIESE SIPPE LIEGT DEUTSCHEN STEUERZAHLER SO WAS ZUR LAST JAGT SIE ENDLICH ZUM TEUFEL«, »Germany first !!!!!!!!!!«, »Man kann heute nur noch die AFD wählen, ALLE ANDEREN sind für mich kriminelle Schwerverbrecher.«

Im Prinzip verbindet fast alle diese Kanäle eine sehr demokratische Idee: Der Kampf für und Wille zur Meinungsfreiheit, die sie in Zeiten politischer Korrektheit in Gefahr sehen. Tim Kellner bezeichnet das politische System der Bundesrepublik dementsprechend kurzerhand als DDR 4.0. Seine gerichtliche Vorladung wegen Beleidigungen gegen Sawsan Chebli, der Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales, die er als »islamische Sprechpuppe« und »Quotenmigrantin der SPD« bezeichnete, wird zum lautstarken Kampf für die Meinungsfreiheit, den man doch bitte finanziell unterstützen solle. Der Titel des Kanals »Laut Gedacht« deutet bereits auf das Prinzip hin, das alles sagbar sei. Claudia Zimmermanns »Games of Truth« zeigt, wie leichtsinnig, wie subjektiv, wie willkürlich dieses »Sagbare« den Status von »Wahrheit« zugesprochen bekommt. Kellner wurde freigesprochen und die vor dem Amtsgericht Tiergarten versammelte Anhängerschaft bejubelte den Sieg für ihre »Freiheit« mit Deutschlandfahnen und Nationalhymne.

Martin Sellner, Sprecher der Identitären, konstatiert, dass der Kampf nicht im Parlament, sondern bei der »Wahrnehmung« der Menschen beginnt. Es sei ein »metapolitischer« Kampf, ein Kampf der Ideen. Nationalismus und Ethnopluralismus, das Ideal der Segregation von Ethnien, die Idee des exklusiven »Volkstums«, soll die »Kulturelle Hegemonie« (Antonio Gramsci) zurückerobern. Die Influencer als Stimmen des »Volkes« bereiten so den Weg zu einer medialen »Gegenöffentlichkeit«: ideologisch gepflegt durch Verlage wie Götz Kubitscheks Antaios und »rechtsintellektuelle« Zeitschriften wie Sezession, finanziell unterstützt durch Initiativen wie »Ein Prozent – Deutschlands größtes patriotisches Netzwerk«, mit politischer Durchsetzungskraft von AfD und NPD. Diese »Gegenöffentlichkeit« soll die Phalanx im sogenannten »Informationskrieg« bilden. Alternative Nachrichtenportale, nach US-amerikanischem Vorbild, schießen aus dem digitalen Boden und versorgen die Community weiter mit »alternativen Fakten«. Dass die aufwendig produzierte Berichterstattung mit konventionell seriöser Ästhetik kaum von professionellem Journalismus zu unterscheiden ist, sorgt für die Extrabrise Verunsicherung bei der Frage, was denn nur wahr sei.

Mit ihren Maßnahmen gegen rechte Agitation und Hetze im Netz stochert die Politik noch immer im Nebel. »Freiheit braucht Regeln, und neue Freiheiten brauchen neue Regeln«, zieht der Bundespräsident in seiner Rede auf der re:publica 2019 Bilanz. Auch wenn das noch ein wenig an Annegret Kramp-Karrenbauer erinnert, wird er im Verlauf deutlicher: Während jede Zensur nur einen Pyrrhussieg einfährt und meist den Nährboden für den Vorwurf der Meinungsdiktatur nur vergrößert, konstatiert Steinmeier, dass mit der Meinungsfreiheit auch Meinungsverantwortung verknüpft sei, die wiederum bei jedem Einzelnen als auch bei der Gemeinschaft liege.

Was in den klassischen Medien an Diskurs ausbleibt, findet nämlich seinen Weg automatisch in die Neuen Medien. Statt in den klassischen Polit-Talkshows finden nun also in YouTube-Shows wie »Multikulti trifft Nationalismus« vergleichsweise sachliche Gespräche zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und ehemaligen NPD-Mitgliedern statt. Dass sich dadurch das sogenannte Overton-Fenster verschiebt und rechtes Gedankengut eventuell salonfähig macht, ist selbstverständlich problematisch. Andererseits scheint es mit Blick auf die erfolgreiche AfD scheinbar ein lang unterdrücktes Bedürfnis gegeben zu haben, auch über reaktionäre Werte zu diskutieren. Was passiert, wenn dieses Bedürfnis nicht in einer offenen (analogen) Diskussion endgültig argumentativ als menschenunwürdig beigelegt, sondern ausschließlich vom Frontalunterricht der Influencer gestillt wird, hat Julia Ebner in ihrem Buch Radikalisierungsmaschinen beschrieben.

Denkbar wäre eine Kennzeichnung politischer Inhalte im Netz. Die meisten der genannten Kanäle wären als »ideologische Dauerwerbesendung« leicht zu labeln. Viel wichtiger ist es aber, allen Menschen das Handwerk zu vermitteln, ideologische Meinungsmache zu erkennen. Die Bildung hinkt schon viel zu lange der sich rasant entwickelnden Digitalisierung hinterher. In einer Gesellschaft in der die Meinungsbildung immer unabhängiger wird, muss das Individuum in seiner Meinungsfindung und -beurteilung gestärkt werden. Die sogenannten Digital Natives kennen ein Leben ohne Online-Informationsquellen gar nicht mehr. Deshalb muss Reflexion und kritischer Umgang in sozialen Medien, wie im Netz generell, gefördert werden. Ansonsten werden digitale Räume, vor allem jene radikaler Ressentiments, immer häufiger zu Auffangstellen für eine politisch verschuldete Orientierungslosigkeit.

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