Nicht nur die Medien, sondern das gesamte von den intermediären Akteuren (Parteien, Verbände, NGOs etc.) geprägte gesellschaftliche Vermittlungssystem und die von ihnen institutionalisierte Öffentlichkeit stehen vor einem epochalen Wandel: Die Vermittlungsstrukturen für den gesellschaftlichen Austausch ändern sich fundamental.
Digitalisierung und Globalisierung sind nicht die alleinigen Auslöser für die Veränderungen, sie ermöglichen aber die weitere soziale Differenzierung in der Gesellschaft – und sie wirken katalytisch und beschleunigend. Die Digitalisierung verändert die gesellschaftlichen Kommunikationsverhältnisse nicht schleichend, sondern transformiert diese rasant, weil neue Akteure wie die sozialen Medien hinzugekommen sind. Damit bilden sich neue Institutionen (Plattformen) als Kernelemente eines gesellschaftlichen Informations- und Kommunikationssystems, das man als Netzwerk auffassen kann. In der Folge kommt es, wenn wir im Medienbereich bleiben, einerseits zu De-Institutionalisierungsprozessen im Bereich der Massenmedien: Diese – zumeist als disruptiv bezeichneten – Veränderungen lassen sich an der Finanzierungs-, partiellen Nutzungs- und Vertrauenskrise der Massenmedien und des Journalismus ablesen (Stichwort: »Lügenpresse«). Und es kommt durch die Etablierung von neuen medialen Plattformen andererseits zu Neuinstitutionalisierungen. Die mit diesen Intermediären verbundenen Regelveränderungen sind an den Debatten über die Hasskommunikation auf Facebook, über den Einfluss von Algorithmen bei der Steuerung der Verbreitung von Informationen sowie beim Zugang über Google zu Informationen oder über den Einfluss von Social Bots auf Meinungsbildungs- wie Entscheidungsprozesse oder das Wahlverhalten ablesbar.
Die bestehenden nationalstaatlichen intermediären Strukturen und die auf ihnen basierenden Informations- und Kommunikationsprozesse mit ihren Normen werden durch neue, global agierende intermediäre Akteure, die dem Einzelnen wie auch Gruppen und Organisationen neue Formen der Vermittlung, Vernetzung, Beobachtung, Repräsentation und Bewertung ermöglichen, grundsätzlich infrage gestellt. Die Institutionalisierung der Plattformen findet allenfalls noch im Schatten des Staates statt. Es handelt sich zudem um eine Form der kommunikativen Institutionalisierung, auf die die neuen Akteure, die Plattformen, selbst einen starken Einfluss haben – unter legitimierender Mitwirkung ihrer Nutzer.
Welche Rolle Plattformen in der Gesellschaft spielen werden, hängt maßgeblich davon ab, welche Prädispositionen in der Öffentlichkeit vorhanden sind: Wer hat über welche Kanäle welchen Zugang zur Öffentlichkeit? Wer kann gesellschaftlich relevante Themen setzen? Welche Rollen spielen die Leitmedien, wie wir sie bislang kannten, für den politischen Diskurs, auch über Plattformen?
Durch soziale Medien und Plattformen haben erstmals Einzelne und Gruppen (wie Organisationen) die Möglichkeit, sich unmittelbar, direkt, ungefiltert, dauerhaft wie situativ und allgemein sichtbar öffentlich darzustellen und zu äußern. So hat die jederzeit verfügbare Anzahl an persönlichen Mitteilungen wie Meinungen zu allen möglichen Themen massiv zugenommen. Natürlich dominieren – noch – die die Themen selektionierenden und aufbereitenden Massenmedien, aber deren Selektions- und Deutungsrelevanz sowie Reichweite sinken. Die Massenmedien erreichen zudem vorrangig die älteren Menschen der Gesellschaft, weniger die Jüngeren und noch weniger die Zuwanderer. Alle Massenmedien können immer weniger für ihre Leistungen Entgelte beziehen oder adäquate Erlöse realisieren – auch nicht für digital bereitgestellte Angebote. Zur Distribution ihrer mehr und mehr online genutzten Inhalte sind sie auf Dritte, auf Plattformen, angewiesen. Damit transformieren sich die Massenmedien und die mit ihnen eng verknüpfte Öffentlichkeitsstruktur, weil sie diese nicht mehr maßgeblich prägen.
Folgen für die politische Kommunikation
Es gibt kein Grundgesetz für Öffentlichkeit. Sie war nie ein statisches Konstrukt, sondern stets ein dynamischer Prozess. Öffentlichkeit verändert sich nicht außerhalb, sondern immer mit und also innerhalb der Gesellschaft. Zwar beeinflussten die Massenmedien, so auch die jeweils neuen Medientechnologien, die Formen wie die Normen von Öffentlichkeit. Der Wandel aber vollzog sich langsam, weil die Innovationszyklen lang und zudem von staatlichen (Rechts-, Infrastruktur-, Frequenz- und Lizenz-)Entscheidungen maßgeblich geprägt waren. Aber auch mit den jeweils neuen Medien (erst Radio, dann Fernsehen, später das Satelliten- oder Kabelangebot und bisher schließlich das Internet) wurden spezifische Medienangebotsformen und Inhalte möglich. So stellte die Etablierung des kommerziellen Rundfunks eine Erweiterung an Nutzungsmöglichkeiten dar und es stehen seitdem im größeren Umfang vor allem unterhaltende Angebote zur Nutzung zur Verfügung. Hatte dies Folgen für die politische Kommunikation?
Es sind nicht Technologien allein, die zu sozialen Veränderungen führen: Es ist das Zusammenspiel von Technologien und Akteuren, die die mediale Kommunikation ermöglichen, vorstrukturieren und verändern. Die politischen wie ökonomischen Interessen der Akteure bestimmten Strukturen und Prozesse – die einzelnen Bürgerinnen und Bürger aber blieben bei der Institutionalisierung der Massenmedien außen vor. Im derzeitigen Institutionalisierungsprozess hingegen sind sie dabei, wenngleich (noch) als statusschwache Nutzer. Doch: Sie wirken kommunikativ mit. Deshalb kann man von einer kommunikativen Institutionalisierung sprechen.
Der Medienwandel wurde bislang durch wenige Akteure nationalstaatlich gestaltet. Medienpolitik als rechtliche Ordnungspolitik: So wurde mittels der »dualen Rundfunkordnung« versucht, eine Balance zwischen unterschiedlichen Medientypen mit ihren je spezifischen Inhalten für die Gesamtgesellschaft zu finden. Auch für private Rundfunkunternehmen gibt es Lizenzen und Aufsichtsgremien. Auf diese Weise werden gesellschaftliche Erwartungen an die Unternehmen heran- und in die Redaktionen hineingetragen: Der private, kommerzielle Rundfunk wurde auf die bestehende politisch-mediale Kultur verpflichtet. Dieser Modus der Institutionalisierung wie politisch-kulturellen Verpflichtung und Prägung gilt aber nicht mehr für das Internet, Social-Media-Plattformen oder Suchmaschinen. Zum einen deshalb nicht, weil die Mehrzahl dieser Unternehmen global tätig ist. Zum anderen handelt es sich nicht mehr um traditionelle Formen von Medien – so wie bislang Medien in nationalstaatlichen Ordnungen rechtlich definiert werden. Sie müssten, falls reguliert werden soll, zudem einem internationalen oder zumindest gesamteuropäischen Rechtsrahmen unterstellt werden. Kein einfaches, wohl aber notwendiges Unterfangen.
Während bislang ein jeweils langsamer Wandel von Medien wie Öffentlichkeit stattfand, wird durch die Digitalisierung mit den neuen Akteuren nun ein schneller Transformationsprozess von Öffentlichkeit ausgelöst. Dabei aber verändern nicht allein Facebook, Instagram oder Snapchat die Öffentlichkeit, sondern die Nutzer tun es mit. Mit einem Klick akzeptieren sie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und legitimieren die Geschäftsmodelle. Durch Nutzungsverhalten, Meinungsbekundungen und Äußerungen wirken sie auf Regeln und Normen der öffentlichen Kommunikation mit ein. Der Normen- wie Regelwandel findet somit unter Beteiligung von Individualnutzern mit statt. Maßgeblicher aber ist, dass die neuen technischen Möglichkeiten vor allem von strukturierenden Akteuren benutzt werden – um Geschäfte zu machen, ohne sich an nationalstaatliche Vorgaben oder kulturelle Normen halten zu müssen. Dies geschieht zum Teil sogar in manipulativer Absicht und systematisch, verdeckt und durch technische Apparaturen wie die sogenannten Social Bots.
Wir sind alle Journalisten
Öffentlichkeit verändert sich unter diesen neuen (medialen Geschäfts-)Bedingungen: Die bislang dominant von den Massenmedien definierte allgemeine Öffentlichkeit, in der vornehmlich Journalisten dafür sorgen, dass die als für alle relevant erachteten Themen wie Meinungen zirkulieren konnten, ist durch Plattformen erweitert. Der öffentlich sichtbare wie auch verfügbare kommunikative Raum ist damit größer, zugleich aber weniger komplett sichtbar geworden. Journalisten sind nicht mehr der Flaschenhals, durch den alles hindurch muss, um in die mediale Öffentlichkeit zu gelangen. Neben den kommunikativen Profis können nun auch Laien öffentlich agieren. Das ist zweifellos ein Zugewinn an Artikulations- und Meinungsäußerungsmöglichkeiten. Doch wie – und durch wen – wird dieser Zuwachs verarbeitet und nutzbar gemacht?
Öffentlichkeit, der Raum also zwischen Privatsphäre und staatlicher Autorität, soll normativ als kommunikativer Raum für die Debatte über kulturelle, soziale und politische Themen dienen. Diese Debatten im Vorhof der Macht, ob nun deliberativ oder nicht, sind nötig, damit gesellschaftliche Interessen sichtbar, diskutiert, priorisiert und verhandlungsfähig werden. Zum Schluss sollen Regelungen durch solche politische Entscheidungen gefunden werden, die von allen Gesellschaftsmitgliedern als bindend angesehen und akzeptiert werden können. Öffentlichkeit ist deshalb grundsätzlich als offen, als unabgeschlossen wie für alle sichtbar anzusehen, so dass jedes Gesellschaftsmitglied daran teilnehmen wie teilhaben kann.
Teilhabe wie auch Teilnahme wurden bislang an die Massenmedien wie an gesellschaftliche Akteure weitgehend delegiert. Vor allem für die Teilhabe sind die Massenmedien relevant: Sie sind spezifische Organisationen, die auf Dauer gestellt sind und in denen nach einem selbstdefinierten publizistischen Programm, so auf der Basis einer publizistisch-politischen Ausrichtung (die redaktionelle Linie), professionell (durch Journalisten) und arbeitsteilig agiert wird. Publizistische Betriebe gehören zu den weltanschaulichen Tendenzbetrieben, mit denen normative Zielvorstellungen verbunden sein sollen. Im Kern dieser Organisation arbeiten Personen journalistisch, indem sie Informationen auswählen, aufbereiten und bereitstellen. Dies tun sie professionell, zugleich aber auch verbunden mit dem Ziel, gewissen gesellschaftlichen Kräften oder Ideen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Massenmedien der Gesellschaft sind zwar ökonomischen Zielen verpflichtet, sie positionieren sich aber zugleich auch politisch, so entlang der großen politischen Linien der Gesellschaft. Damit ermöglichen sie Beobachtung und schaffen Teilhabevoraussetzungen.
Massenmedien sind nicht nur Organisationen, sie sind auch Institutionen. Institutionen sind soziale Systeme, sie ermöglichen soziales Handeln. Sie setzen Regeln, steuern damit Erwartungen und etablieren dadurch eine soziale Ordnung, die sie zugleich auch repräsentieren. So werden von den verschiedenen Massenmedien in unterschiedlicher Weise Nachrichten produziert und bereitgestellt. Die Institution Massenmedien verfügt aber über gemeinsame Normen und Regeln und innerhalb der organisationalen Felder, die die Mediengattungen bilden, finden sich spezifische regulative, normative wie kulturell-kognitive Regeln, die den Gesellschaftsmitgliedern bekannt sind.
Die Entstehung von Teilöffentlichkeiten
Den Massenmedien ist eines gemein: Sie wollen eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen, beziehen sich auf die ganze Gesellschaft und verpflichten sich deshalb zur Herstellung von Öffentlichkeit. Sie sollen dabei eine spezifische journalistisch-publizistische Kultur repräsentieren. Als intermediäre Organisationen verfolgen die uns bekannten Massenmedien eigenständige, spezifische Vermittlungsinteressen (politisch »links« oder »rechts«; bestimmte Themen oder Gruppenziele) oder werden, wie der öffentliche Rundfunk, auf allgemeine Vermittlungsleistungen verpflichtet. Die Bürger kennen das jeweilige Medienprofil und richten ihr Nutzungsverhalten danach aus.
Neben diese publizistisch ausgerichteten Massenmedien sind nun mit den Anbietern sozialer Medien Organisationen getreten, die nicht dem organisationalen Feld der Massenmedien zugerechnet werden können – und die sich in diesem Feld auch nicht verankern wollen. Bei diesen Anbietern handelt es sich somit um Formen der Neuinstitutionalisierung von Medien, die einer grundsätzlich anderen Medienlogik folgen. Social-Media-Plattformen oder Suchmaschinen beeinflussen aber das Informationssuch- und -auswahlverhalten und damit die private wie öffentliche Meinungs- und Willensbildung als auch die Entscheidungen. Damit wirken die neuen medialen Formen auf die Konstitution der Öffentlichkeit wie auf die öffentlich geltenden Kommunikationsnormen und -regeln ein. Mit ihnen entsteht eine neue, zudem dynamische Öffentlichkeits- wie Themenlandschaft.
Geht aufgrund der Vielzahl an Mitteilungen der gemeinschaftlich geteilte Blick auf die »Wirklichkeit« verloren? Nehmen nun verschiedene Gruppen nicht nur unterschiedliche Haltungen ein, sondern sehen sie Sachverhalte – gar Fakten – gar nicht oder ganz unterschiedlich? Diese Effekte können durch Algorithmen, die die Verteilung von Informationen steuern oder die Auswahlmöglichkeiten bei der Nutzung von Suchmaschinen definieren, verstärkt werden, wenn diese Prozesse personalisiert sind. Wer wird dann noch mit anderen Fakten oder Positionen konfrontiert? Algorithmen in sozialen Netzwerken ermöglichen den individuell gewünschten wie zielgruppengerechten Bezug von Informationen, können aber den Beobachtungsraum wie das individuelle Informationsverhalten einschränken und sogar zu sogenannten »Filterblasen« und »Echokammern« führen.
Öffentlichkeit unter digitalen Bedingungen ist zweifellos bezogen auf ihre Sichtbarkeit, Struktur, Prozesse und Dynamik anders als die traditionelle Öffentlichkeit. Es gibt nämlich weniger die »eine«, stark von Massenmedien, und dabei besonders von den sogenannten Leitmedien, geprägte Öffentlichkeit, sondern es existieren viele (Teil-)Öffentlichkeiten, zum Teil auf Dauer wie aber auch situativ, nebeneinander. Öffentlichkeit kann man, wie auch die (Massen-)Medien, nicht mehr allein im Singular ansprechen: Es existieren parallel verschiedene und von unterschiedlichen Medien(logiken) geprägte Öffentlichkeiten.
Die Medien wie die Öffentlichkeit haben sich ausdifferenziert. Das hat Folgen für die Vermittlung von Themen wie für die Beobachtung von sozialen Sachverhalten durch die Bürger. Und diese Veränderungen wirken sich auf demokratische Institutionen wie Prozesse aus. Darüber muss die Debatte geführt werden.
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