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Deutsche und europäische Afrikapolitik auf dem Prüfstand Systemwettbewerb ist der falsche Blickwinkel

Deutsche Afrikapolitik hat in der vergangenen Dekade auf der außenpolitischen Agenda an Bedeutung gewonnen. Neben einer Fülle an Konzepten und politischen Initiativen belegen konkrete Ressourcenentscheidungen, zuletzt die Schaffung von 40 neuen Stellen für Deutsche Botschaften in Afrika und die Regionalabteilung des Auswärtigen Amtes diesen Trend. Die strategische Ausrichtung der deutschen Afrikapolitik muss jedoch weiter ausdifferenziert werden. Aktuell wird eine verstärkt geopolitische Diskussion geführt, die sich primär auf den globalen Systemwettbewerb zwischen westlichen Demokratien und Staaten mit autoritären Regierungsmodellen bezieht. In Afrika leben jedoch laut Weltbank weiterhin rund 40 % der Menschen unterhalb der Armutsgrenze, und Erfolge in der Armutsbekämpfung können mit dem starken Bevölkerungswachstum nicht schritthalten – sodass Geopolitik allein zu kurz greift. Welche Faktoren muss eine strategische Ausrichtung der deutschen Afrikapolitik richtigerweise berücksichtigen? Ist eine Einbettung in die europäische Afrikapolitik möglich? Welche Trends gilt es in Afrika zu berücksichtigen? Und vor allem: Kann ein erneuertes Angebot auf Entwicklungsperspektiven für die Staaten Afrikas zur Grundlage unserer Afrikapolitik werden – anstelle von Geopolitik und Systemwettbewerb?

Die erhöhte Aufmerksamkeit, die der afrikanische Kontinent in der deutschen Politik erfährt, hat mehrere Ursachen. Das Narrativ des »Chancenkontinents«, welches durch die beachtlichen Wachstumsraten Afrikas seit Mitte der Nullerjahre getragen wurde, prägte auch den Diskurs in Deutschland und verdrängte das Bild vom Krisenkontinent. Eine notwendige Differenzierung unterblieb allerdings. Infolge mehrerer Ereignisse wie dem Bürgerkrieg in Libyen, der Krise in der Sahelregion und zudem der Flucht- und Migrationsdebatte gewann die Afrikapolitik in Berlin seitdem weiter an politischer Relevanz. Die Grundlogik mehrerer afrikapolitischer Initiativen bestand jedoch aus einem negativ konnotierten Handlungswillen, nämlich durch ein Engagement in Afrika die zunehmende Migration nach Deutschland und Europa zu verringern. Das Argument und Leitbild der »Bekämpfung von Fluchtursachen« diente als Begründung für eine verstärkte Investitionsförderung – doch es taugt nicht als Grundlage für einen kooperativen politischen Ansatz mit den Staaten Afrikas. Die Vielzahl an afrikapolitischen Initiativen – vom Marshallplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit bis hin zum sogenannten »G20-Compact mit Afrika« – führten trotzdem zu einer Neuausrichtung der deutschen Afrikapolitik hin zu mehr Außenwirtschaftsförderung und geostrategischer Abwägung sowie einer internationalen Wahrnehmung Deutschlands als afrikapolitisch relevantem Akteur. Die gegenwärtig gültigen afrikapolitischen Initiativen, sowie die sogenannten Reformpartnerschaften der Bundesregierung mit bestimmten Ländern Afrikas sind bisher Einzelteile einer politischen Agenda, die weiter differenziert, abgestimmt und justiert werden muss. Die Vielzahl der afrikapolitischen Initiativen und ein Mangel an kohärenter strategischer Ausrichtung haben zu einer abnehmenden Verständlichkeit der deutschen Afrikapolitik geführt.

Differenzierte Herangehensweise vonnöten

Afrika ist ein in jeglicher Hinsicht diverser Kontinent und die deutsche und europäische Herangehensweise bedarf vor allem einer Differenzierung. Trotz für alle Staaten Afrikas gültigen Charakteristika – z. B. starkes Bevölkerungswachstum, eine vorwiegend informelle Ökonomie, starke Urbanisierung und massive Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft – sind die Staaten wirtschaftlich, gesellschaftlich und vor allem politisch sehr verschieden. Politische Antworten sind daher schwer zu verallgemeinern. Als wegweisend gilt derzeit die Unterstützung der afrikanischen regionalen Freihandelszone (AfCFTA), um Wachstum und Wertschöpfung auf Basis zunehmenden innerafrikanischen Handels zu erreichen, während externe Akteure vor allem auf Entschuldungsinitiativen, Investitionsförderung mit einem positiven Effekt für lokale Unternehmen und Beschäftigungsförderung, sowie eine Unterstützung des Zugangs zu öffentlichen Gütern – vor allem sozialer Sicherung – insbesondere für Beschäftige in der informellen Ökonomie setzen.

Infolge der geostrategischen Einordnung der europäischen und deutschen Afrikapolitik wird der Systemwettbewerb zwischen westlichen Demokratien und Staaten mit autoritärem Regierungsmodell als wichtigste Rahmenbedingung gefasst. So zeigt sich eine starke chinesische Präsenz auf dem Kontinent und die Beziehungen zwischen den Staaten Afrikas und China gewinnen stetig an Bedeutung. Und doch trügt der Schein. Die EU ist mit 32 % des afrikanischen Außenhandelsvolumens der mit Abstand wichtigste Handelspartner, wie Robert Kappel in einer aktuellen Publikation der FES darlegt – zum Vergleich: China 17 %, USA 6 %. Die EU ist zudem mit Abstand für die meisten ausländischen Direktinvestitionen in Afrika verantwortlich (222 Milliarden Euro in 2017 gegenüber USA 42 und China 38 Milliarden Euro). Die Europäische Union bleibt also der eindeutig wichtigste wirtschafts- und handelspolitische Partner Afrikas. Damit sind die europäisch-afrikanischen Beziehungen für Afrika auch künftig von zentraler Bedeutung. Doch sind mit China – und anderen Staaten wie Indien und der Türkei weitere Akteure einflussreich. Insbesondere die chinesischen Infrastrukturfinanzierungen und -projekte (Flughäfen, Schnellstraßen, Eisenbahnen, Parlamentsgebäude etc.) sind symbolträchtig und haben eine hohe Sichtbarkeit. Auf den ersten Blick ist diese Diversifizierung für die Staaten Afrikas eine Möglichkeit, sich aus den stark postkolonial geprägten Beziehungen – und damit strategischen Abhängigkeiten – mit Europa zu emanzipieren. Das von Rohstoffinteressen geprägte Engagement Chinas beinhaltet jedoch trotz all der medialen und politischen Einbettung kein Angebot der Zusammenarbeit, sondern schafft letztlich nur neue strategische Abhängigkeiten.

Betrachtet man den Anteil am globalen Handel, so zeigt sich, dass Afrika mit gut 2 % vom internationalen Handel und Investitionsgeschehen weitgehend abgehängt bleibt, auch wenn es einzelne Staaten wie Äthiopien geschafft haben, ihre Exporte nach Europa zu diversifizieren. Insgesamt ist eine Beteiligung an globalen Lieferketten mit lokaler Wertschöpfung gering. Die COVID-19-Pandemie hat das Problem weiter verschärft, durch unterbrochene Lieferketten haben viele Menschen ihre Arbeit vermutlich nicht nur temporär verloren. Es kann also zunächst nur darum gehen, neue Entwicklungsperspektiven für Afrika schaffen, und Europa kommt dabei als wichtigstem Partner eine zentrale Rolle zu. Diese Aufgabe hat durch die COVID-19-Pandemie an Dringlichkeit gewonnen, denn die Staaten Afrikas wurden in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung stark zurückgeworfen. Der Verlust von Millionen Arbeitsplätzen und ein gesunkenes Pro-Kopf-Einkommen (2020 laut Internationalem Währungsfonds um über 4 %) sprechen für sich. Nun müssen die Staatsschulden wieder auf ein nachhaltiges Niveau gebracht, Unterstützung für die Hauptleidtragenden der Pandemie, nämlich die »neuen Armen der Großstädte« organisiert, und für die Wirtschaft konkrete Perspektiven aufgezeigt werden.

Neuaufstellung der europäisch-afrikanischen Beziehungen

Während den Beziehungen zwischen beiden Kontinenten eine hohe Relevanz zukommt, befinden sie sich in einer Phase der institutionellen Neuaufstellung. Es ist jedoch aufgrund der internen politischen Widersprüche in Afrika und Europa bisher nicht gelungen, ein kohärentes institutionelles Arrangement für die Beziehungen zu finden. Die Parallelität des Post-Cotonou-Arrangements (verhandelt für eine Laufzeit von 20 Jahren), der afrikanisch-europäischen Partnerschaft (zwischen der EU und der Afrikanischen Union) und der bis heute nicht zu Ende verhandelten sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen WPA, wird weiterbestehen.

Die Verhandlungen über ein Post-Cotonou-Abkommen, in dem die Grundlagen der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen geklärt sind, haben sich jedoch derart verzögert, dass auch das derzeitige Interimsarrangement noch einmal bis mindestens März 2022 verlängert werden muss. Die letzten Streitpunkte lagen interessanterweise keineswegs bei Handelsfragen, sondern bei der Migrationspolitik und den Formulierungen zum Thema reproduktive Gesundheit. In Afrika wie Europa bleibt es unklar, in welchem Umfang die supranationalen Organisationen EU und AU ein Verhandlungsmandat für die interkontinentalen Beziehungen haben. Auf afrikanischer Seite wurden die Post-Cotonou-Verhandlungen nicht von der AU geführt, sondern von einer Verhandlungsgruppe unter togolesischer Führung. Auf europäischer Seite hat zwar die Europäische Kommission verhandelt, doch existiert ein grundlegender Dissens darüber, ob das nun verhandelte Abkommen lediglich von der Kommission gezeichnet wird oder auch in den einzelstaatlichen Parlamenten zustimmungspflichtig ist.

Angesicht dieser zähen Verhandlungen kommt der für das nächste EU-AU-Gipfeltreffen vorgesehenen Neufassung einer afrikanisch-europäischen Partnerschaft große Bedeutung zu. Pandemiebedingt wurde das Gipfeltreffen jedoch verschoben und unter der deutschen Ratspräsidentschaft 2020 hat Afrika auf der politischen Agenda an Bedeutung verloren. Möglicherweise wird der Gipfel nun erst während der französischen Ratspräsidentschaft 2022 stattfinden. Die institutionellen Hindernisse werden einer Neuausrichtung der europäisch-afrikanischen Beziehungen letztlich nicht im Weg stehen. Entscheidend ist, dass klare politische und wirtschaftliche Grundzüge der Beziehungen erkennbar sind, denen eine künftige AU-EU-Partnerschaft folgen kann.

Differenzen liegen in den Fragen der Gestaltung demokratischer, offener Gesellschaften – die allerdings sowohl in Afrika als auch in Europa und global umstritten sind. Doch die Idee von offenen Gesellschaften, Demokratie und Rechtsstaat ist für Europa konstitutiv und muss auch in einer künftigen Partnerschaft Grundlage bleiben. Der globale Systemwettbewerb ist kein gutes Argument, um selbst die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen aus dem Blick zu verlieren. Europa steht für demokratische Normen und bleibt nur glaubwürdig, wenn es diese auch in den Beziehungen zu Afrika thematisiert. Vereinbarungen zu Demokratie und sozialem Wandel dürfen jedoch nicht zu einem Deutschen Assessment Center für afrikanische Staaten verkommen. Die Notwendigkeit zu politischer Rechenschaftspflicht muss zunächst in der afrikanisch-europäischen Zusammenarbeit konkretisiert werden, sowohl durch Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure und nationaler Parlamente, als auch durch ein Gesamtarrangement, das so vereinbart ist, dass die zugrundeliegenden Umsetzungsinstrumente Transparenz und Überprüfbarkeit zulassen.

Dies gilt auch für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit, welche für die Anerkennung des gegenseitigen Rollenverständnisses von besonderer Bedeutung ist. Für eine kooperative Beziehung zwischen den Staaten beider Kontinente müssen z. B. für den Umgang mit der Krise in der Sahelregion kluge Antworten gefunden werden. Für Deutschland, als Truppensteller im multilateralen Rahmen von UN-Missionen und europäischen Ausbildungsmissionen für Polizei und Militär, ist dies auch innenpolitisch relevant. Die gängigen Grundlagen deutscher Außenpolitik, nämlich die Einbettung deutscher Unterstützung in einen multilateralen Rahmen und ebenso eine Einbettung in eine abgestimmte europäische Vorgehensweise muss klar erkennbar sein, auch wenn dies z. B. eine konstruktive Emanzipation, also auf Basis sehr enger Abstimmung, von der stark auf Terrorismusbekämpfung ausgerichteten französischen Sahelpolitik bedeutet. Zentral für eine kooperative Beziehung ist eine Fortsetzung der deutschen und europäischen Unterstützung regionaler Akteure wie der Afrikanischen Union und der Regionalorganisationen ECOWAS (Westafrika). Die Übernahme von mehr Verantwortung durch die deutsche Außenpolitik muss durch eine signifikant verbesserte Abstimmung flankiert werden, in Europa, in der Bundesregierung und mit internationalen und lokalen Partnern vor Ort. Der Einsatz von Instrumenten wie die Ausbildung lokaler Truppen im Namen der sogenannten Ertüchtigungspolitik (deren Ergebnisse von Experten infrage gestellt werden) müssen jedoch kritisch evaluiert werden.

Die afrikanisch-europäische Partnerschaft als globaler Impuls

Auf dem anstehenden EU-AU-Gipfeltreffen bedarf es also klarer Angebote an die Staaten Afrikas, die über einzelne politische Initiativen und Instrumente hinausgehen. Dies ist nicht mehr nur eine entwicklungspolitische Aufgabe, doch auch die derzeitige Fokussierung auf Investitionsförderung greift zu kurz, solange sie nicht einen konkreten Beitrag zur wirtschaftlichen Transformation in Afrika leistet. Die Rezepte der vergangenen Dekade, Schaffung von Sonderwirtschaftszonen, Deregulierung des Arbeitsmarktes usw. haben sich bisher als nicht erfolgreich erwiesen.

Die Konturen eines solchen Angebotes liegen letztlich auf der Hand, denn um aus den überkommenen Asymmetrien auszubrechen, muss es um gemeinsame Zielvorstellungen gehen und nicht nur darum, dass Europa die wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche in Afrika begleitet. Ein Angebot könnte auch geostrategisch begründet sein, z. B. in der Verminderung einer Abhängigkeit von China, doch braucht es angesichts der durch die Pandemie drastisch verschlechterten Lage des Kontinents ein solches erneuertes Angebot hinsichtlich der Entwicklungsperspektiven Afrikas im globalen Zusammenhang. Wenn dieses entsprechend gefasst wird, können von einer neuen afrikanisch-europäischen Partnerschaft globale Impulse ausgehen, die nicht nur als geostrategischer Faktor Gültigkeit hätten, sondern auch auf einer normativen Ebene als Zeichen der solidarischen internationalen Zusammenarbeit Wirkungsmacht entfalten könnten.

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