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Terrorismus – ein politisches Problem, kein Krieg

Angesichts der Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 und der damit verbundenen Krankheit COVID-19 stellte der französische Präsident Emmanuel Macron im März 2020 fest, dass Frankreich sich in einem »Gesundheitskrieg« (»guerre sanitaire«) befände. Auch der amerikanische Präsident Donald Trump bezeichnete den Kampf gegen dieses neuartige Coronavirus als »unseren großen Krieg« und sich selbst als »Kriegspräsident«. Die Konstruktion einer solchen Analogie außerhalb klassischer kriegerischer Auseinandersetzungen ist allerdings nicht neu, sondern hat eine längere Geschichte. So rief etwa Lyndon B. Johnson 1964 den »Krieg gegen die Armut« aus und ab den frühen 70er Jahren führten die USA national wie international einen sogenannten »Krieg gegen die Drogen«. Bei allen Unterschieden steht zu vermuten, dass der Bezug auf die Kriegsmetapher in allen diesen Fällen vor allem das besondere Ausmaß der jeweiligen Herausforderung sowie die Notwendigkeit weitreichender kollektiver Gegenmaßnahmen hervorheben sollte. Im »Krieg« – so die dahinterliegende Hoffnung – vereinen sich alle im Kampf gegen den gemeinsamen Feind und mobilisieren sämtliche verfügbaren Kräfte.

Das prominenteste Beispiel für eine solche Rhetorik ist aber wohl der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erklärte »Krieg gegen den Terrorismus«. Im Angesicht des Schreckens von »9/11« erklärte die amerikanische Regierung unter Präsident George W. Bush dem transnationalen Terrorismus, insbesondere in Form von al-Qaida, den Krieg und stellte andere Staaten vor die Alternative »mit uns oder mit den Terroristen«. In den Folgejahren griffen die Vereinigten Staaten mit einigen ihrer Verbündeten zu militärischen Interventionen in Afghanistan und im Irak und schreckten dabei auch nicht vor Folterungen Gefangener zurück, etwa durch das vorgetäuschte Ertränken (waterboarding). Bushs Nachfolger als Präsident, Barack Obama, verabschiedete sich zwar offiziell vom Konzept des »war on terror«. Allerdings scheiterte auch er daran, das Gefangenenlager in Guantanamo Bay zu schließen und verstärkte sogar den Einsatz von Kampfdrohnen und Spezialkräften zum Zweck der »gezielten Tötung« von Terrorverdächtigen.

Auch nach zwei Jahrzehnten ist das Narrativ vom »Krieg gegen den Terrorismus« immer noch verbreitet. Auch wenn viele europäische Staaten sich die Idee des »war on terrorism« nicht explizit zu eigen gemacht haben, blieb die Kriegsmetapher doch keineswegs auf die USA beschränkt. So erklärte etwa der damalige französische Präsident François Hollande nach den Anschlägen in Paris im November 2015 dem islamistischen Terrorismus des Islamischen Staates ebenfalls den Krieg. Sein Nachfolger Emmanuel Macron fordert inzwischen einen Ausbau der militärischen Bekämpfung des Terrorismus in der Sahelzone und hat dazu auch schon auf Drohnenangriffe in der Region zurückgegriffen. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan legitimiert vor allem seit dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 weitreichende militärische Aktionen gegen die türkische Arbeiterpartei PKK und andere Gruppen mit der Bekämpfung vermeintlicher oder realer Terrorist/innen.

Die Ausrufung eines »Kriegs gegen den Terrorismus« wird jedoch der Komplexität des Problems terroristischer Gewalt nicht gerecht, führt gleichzeitig selbst zu weitreichenden Konsequenzen und hat enorme Nebenwirkungen. Terrorismus als eine spezielle Strategie politisch motivierter Gewalt lässt sich nicht endgültig besiegen und wird auch nicht einfach verschwinden. Bei der Bekämpfung kann es nur um das zeitlich und örtlich begrenzte Zurückdrängen bestimmter terroristischer Gruppen und Kampagnen gehen. Da dem »Krieg gegen den Terrorismus« ein konkretes Ziel fehlt, hat sich dieser zunehmend in andere Lebensbereiche ausgeweitet und immer weiter fortgesetzt ohne einen klaren Endpunkt, an dem die Gesellschaft wieder zu einem »Friedenszustand« zurückkehren könnte. Der Ausnahmezustand normalisierte sich und führte zu einer Gewöhnung an drastische Maßnahmen, die – siehe Guantanamo Bay – zum Teil immer noch fortbestehen.

Die Mobilisierung öffentlicher Unterstützung und die Hervorhebung des Ernstes der Lage mögen in Krisenzeiten verständlich sein. Der Rückgriff auf die Kriegsmetapher hat jedoch immer auch realweltliche Konsequenzen. Es wird suggeriert, dass letztlich alle Gegenmaßnahmen legitim seien und andere Güter wie die grundlegenden Menschen- und Freiheitsrechte hintangestellt werden müssten. Die scheinbar klare Gegenüberstellung von Freund und Feind verbunden mit der unterstellten Dringlichkeit erschweren eine offene demokratische Abwägung verschiedener Handlungsoptionen und lässt Opposition schnell als Verrat erscheinen. Darüber hinaus legt die Kriegsrhetorik ein bestimmtes Vorgehen, insbesondere militärische Gewalt, nahe und lässt andere Maßnahmen, etwa Verhandlungen oder breitangelegte Präventionsmaßnahmen, in den Hintergrund treten.

Viele politische Akteure verwenden den Terrorismusvorwurf primär als ein politisches Label zur größtmöglichen Delegitimierung bestimmter Handlungen, Personen und Überzeugungen sowie zur Legitimierung besonders drastischer, in anderen Fällen kaum vorstellbarer Gegenmaßnahmen bis hin zur Folter. Gerade in autoritären Staaten kann diese Zuschreibung auch gegen unliebsame Gruppen und politische Gegner/innen instrumentalisiert werden. Der Terrorismusforscher Bruce Jenkins stellte dazu schon 1974 fest, dass Terrorismus stets das sei »was die bösen Jungs machen«. Gegen dieses personifizierte Böse sind dann letztlich alle Mittel recht. Der »Krieg gegen den Terrorismus« überschreitet daher schnell Grenzen. Reale Terrorist/innen wiederum leben von dieser Logik, indem sie einen eigentlich überlegenen Staat mit geringen Mitteln in kostspielige und langanhaltende Auseinandersetzungen zwingen, die gleichzeitig neue Ängste und Konflikte hervorbringen. Medien und Öffentlichkeit können diese Dynamik zusätzlich befördern, wenn sie die öffentliche Inszenierung terroristischer Gewalt durch dramatisierende Berichterstattung, etwa in Livetickern, weiter verstärken.

Wir sollten Terrorismus stattdessen als eine bestimmte Strategie politisch motivierter Gewalt verstehen, mit der wir in der Vergangenheit bereits Erfahrungen gesammelt haben. Es ist daher weder ein Krieg noch ein Ausnahmezustand, der alle Mittel rechtfertigt. Vielmehr stellt er ein ernstes, für die meisten Gesellschaften aber nicht existenzielles politisches Problem dar, für das es zwar kein Allheilmittel, sehr wohl aber verschiedene Möglichkeiten zu seiner Bewältigung gibt. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen dem Umgang mit terroristischer Gewalt innerhalb und außerhalb breiterer bewaffneter Auseinandersetzungen.

Laut den Zahlen des Global Terrorism Index entfielen fast drei Viertel der weltweit 15.952 Todesopfer durch terroristische Gewalt im Jahr 2018 auf nur fünf Länder: Afghanistan, Irak, Nigeria, Somalia und Syrien. In all diesen Ländern finden komplexe bewaffnete Konflikte statt, in denen Terrorismus nur als eine Gewaltstrategie neben anderen zum Einsatz kommt. Diese Konflikte stellen das eigentliche Problem dar und bedürfen in der Tat dringend einer nachhaltigen Lösung, für die auch die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft notwendig ist. Dabei mag in bestimmten Situationen mitunter auch der Einsatz militärischer Gewalt eine Komponente einer breiteren, langfristigen und auf den konkreten Einzelfall ausgerichteten Strategie sein. Den verworrenen Konfliktkonstellationen vor Ort mit unterschiedlichsten Akteuren lässt sich aber gerade nicht angemessen begegnen, indem all diese unter der einseitigen und kurzfristig angelegten Überschrift eines »Kriegs gegen den Terrorismus« subsumiert werden.

Bei der Bekämpfung terroristischer Gewalt innerhalb weitgehend befriedeter demokratischer Gesellschaften greift die Logik eines »Kriegs gegen den Terrorismus« noch kürzer. Die Wurzeln terroristischer Gewalt sind meist innerhalb der eigenen Gesellschaften zu finden, wobei nicht nur in Deutschland zunehmend rechtsextremistische und rechtsradikale Gewalt dominiert. Diese lassen sich nicht durch einen kurzen intensiven Kampf mit einem klaren Sieg beseitigen. Die Geschichte lehrt uns, dass alle terroristischen Kampagnen irgendwann enden und alle terroristischen Gruppen irgendwann verschwinden. In einigen Fällen geschieht dies sehr schnell, in anderen dauert es Jahrzehnte; in manchen Fällen lösen sich Gruppen wegen fehlender Unterstützung und ausbleibendem Erfolg selbst auf, in anderen werden die zugrundeliegenden politischen Konflikte durch Verhandlungen und Kompromisse weitgehend gelöst, während in anderen Kontexten langfristige staatliche Gegenmaßnahmen terroristischer Gewalt die Grundlage entziehen. Entscheidend sind daher pragmatische und breit angelegte Strategien mit langem Atem, die sich konkrete Ziele setzen. Dabei können sich Staat und Gesellschaft an historischen Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit terroristischer Gewalt orientieren und sich aus einem umfangreichen Instrumentenkasten bedienen. Neben klassischer polizeilicher und geheimdienstlicher Ermittlungsarbeit können dazu Maßnahmen zur Erschwerung der Tatbegehung, zum Beispiel durch die Sicherung besonders gefährdeter öffentlicher Räume, oder die Entwicklung von Gegen-Narrativen und alternativen Deutungsangeboten ebenso gehören wie Versuche der Prävention und Deradikalisierung.

Auch wenn es kein universelles, einfaches Pauschalrezept gibt, lässt sich das Problem terroristischer Gewalt politisch innerhalb demokratischer und rechtsstaatlicher Vorgaben bearbeiten, ohne die Nebenwirkungen eines vermeintlichen Kriegs- oder Ausnahmezustandes in Kauf nehmen zu müssen. Wir sollten daher auch darauf achten, welche Begriffe wir in der Auseinandersetzung mit terroristischer Gewalt benutzen und welche Konsequenzen damit verbunden sind. Auch wenn die Verhinderung terroristischer Anschläge viele ansonsten sehr unterschiedliche politische Akteure grundsätzlich vereinen mag, sollten gerade demokratische Politiker/innen diesem gemeinsamen Ziel nicht alles unterordnen und auch ihre Verbündeten daran erinnern, dass ein Kriegsnarrativ in die Irre führt und keineswegs alle Mittel rechtfertigt. Diese Erfahrungen mögen uns dann vielleicht auch in der aktuellen Corona-Krise helfen.

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