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Was ist konservativ, was ist rechts? Topografie der Grenzziehungen

Durch den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag und eine Vielzahl an Demonstrationen wütender Bürgerinnen und Bürger, die von Beleidigungen und rassistischen Äußerungen gegen Regierungsmitglieder, Geflüchtete und Andersdenkende geprägt waren und sind, stellt sich verstärkt die Frage, was Zuschreibungen wie Konservatismus, Nationalkonservatismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bedeuten. Was trennt die einzelnen Bereiche voneinander und wo gibt es Verbindungslinien und Übergänge? Auf dieser Basis versuche ich mich einer Antwort auf die Frage anzunähern, welche politische Anschauung bzw. welches politische Denken demokratisch noch verkraftbar ist.

Der Konservatismus stellt eine politische Ideologie dar, die an allgemeinen Wertvorstellungen wie Fleiß oder Familie festhält und den demokratischen Verfassungsstaat positiv wertschätzt. Er ist eine »Antwort gegen [sic!] (…) liberale, sozialistische, anarchische, insgesamt alle auf Veränderung setzende Strömungen in Politik, Gesellschaft und Kultur nach der französischen [sic!] Revolution von 1789« (Lexikon zur Soziologie). Ziel ist die »Bewahrung des Bestehenden«. In eine ähnliche Richtung zielen Klaus Schubert und Martina Klein: Als die drei wichtigsten Säulen des Konservatismus sehen sie »Identität, Sicherheit und Kontinuität« (Das Politiklexikon). Die »herrschende politische Ordnung« soll danach aufrechterhalten sowie die »vorgegebene Verteilung von Macht und Reichtum vor Kritik« geschützt werden. Demzufolge muss der konservative Staat autoritäre Züge tragen – insbesondere wenn es um die Durchsetzung von inner- und außerstaatlicher Sicherheit geht. Insgesamt erkennt der Konservatismus aber »die Einstellung zu den demokratischen Werten (…) spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts (…) mehrheitlich« an (Armin Pfahl-Traughber).

Wie der Konservatismus weist auch der National- bzw. Rechtskonservatismus keinerlei Affinität zum völkischen Nationalismus auf und verstößt »weder gegen Grundprinzipien der Demokratie noch gegen die bestehende Verfassungsordnung« (Richard Stöss). Und auch hier besteht der Wunsch nach einem starken Staat. Damit einher geht ein Plädoyer für Sicherheit und Ordnung. Deutlich wird dies beispielsweise in den Forderungen nach einer restriktiven Asyl- und Ausländerpolitik. Vom traditionellen Konservatismus unterscheidet sich der Nationalkonservatismus insbesondere durch seine »ethnozentristische Sichtweise der Politik« und der Forderung »an den antieuropäischen Isolationismus« (Claude Longchamp).

Rechtspopulisten stimmen mit den Konservativen in dem Punkt überein, »dass sie die gesellschaftlichen Traditionen bewahren wollen und sie als Kontrapunkt zu den neuen, unüberschaubaren Verhältnissen setzen und idealisieren« (Florian Hartleb). Dies darf jedoch nicht über bestehende Unterschiede hinwegtäuschen. Im Gegensatz zum Konservatismus und seinen unterschiedlichen Ausformungen steht der Rechtspopulismus mit seinen verschiedenen Strömungen staatlichen Institutionen und Verfahrensweisen kritisch bis tendenziell sogar ablehnend gegenüber. Folglich werden Parteien und ihre Vertreter diskreditiert und eher negativ bewertet.

Weitere Unterschiede zeigen sich in Hinblick auf die Bekämpfung des sogenannten politischen Establishments. Während Rechtspopulisten vorgeben, »mit des Volkes Stimme zu sprechen«, versteht sich der Konservatismus hingegen meist als Weltanschauung der von den Rechtspopulisten bekämpften gesellschaftlichen Elite.

Im Gegensatz zum Konservatismus, Nationalkonservatismus und Rechtspopulismus steht der Rechtsextremismus dem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat feindlich gegenüber. Auch auf ideologischer Ebene sind klare Unterschiede erkennbar.

Das Attribut »Extremismus« signalisiert bereits, dass es sich um einen Gegenpol zum demokratischen Verfassungsstaat handelt, der diesen ablehnt, ihn einschränken oder beseitigen will. Rechtsextremisten vertreten überdies eine Ideologie der Ungleichwertigkeit der Menschen, welche sich u. a. in dem Streben nach einer ethnisch homogenen »Volksgemeinschaft« widerspiegelt. Armin Pfahl-Traughber spricht in diesem Kontext von einer »Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit«, d. h. es wird »jeweils die eigene ›Nation‹ oder eigene ›Rasse‹ zum obersten Kriterium für Identität« erhoben. Daraus folgt »die Abwertung bzw. Zurückstellung demokratischer Prinzipien wie etwa der Menschen- und Bürgerrechte, die gegenüber dem Kriterium der Zugehörigkeit zur Nation einen geringeren Status erhalten«. Dementsprechend ergibt sich eine Gesellschaftsvorstellung, in der demokratische Werte wie Freiheits-, Gleichheits- und Grundrechte negiert werden. Hier zeigt sich der Grenzverlauf zum Rechtspopulismus.

Wenngleich Rechtspopulisten ebenfalls rassistische und fremdenfeindliche Ressentiments schüren, zeigt sich, dass »das Weltbild der Rechtspopulisten meist weniger geschlossen« und »ihre Ideologie flexibler und anpassungsfähiger« (Werner T. Bauer) ist als die der Rechtsextremisten. Zudem beabsichtigt die rechte Variante des Populismus »keine radikale Umwälzung der bestehenden Werteordnung und keine revolutionären Veränderungen« (Hartleb) der Gesellschaft.

Demzufolge kann Rechtspopulismus – im Gegensatz zum Rechtsextremismus – nicht per e als verfassungsfeindlich deklariert werden.

Auch mit Blick auf die Einstellung zur Gewalt zeigen sich deutliche Differenzen zum (National-)Konservatismus und Rechtspopulismus. Während diese Gewalt nicht als Mittel zur Durchsetzung eigener politischer Ziele betrachten, zeigt sich bei Rechtsextremisten eine »latente Bereitschaft zur gewaltsamen Propagierung und Durchsetzung« (Wolfgang Benz) ihrer Ideen und eine Form »der Akzeptanz von Gewalt als Handlungsform« (Peter Sitzer/Wilhelm Heitmeyer).

Was ist demokratisch noch verkraftbar?

 

Unsere Demokratie als Staatsform ist geprägt von einem hohen Maß an Freiheit. Anders als die Weimarer Verfassung stellt das Grundgesetz im Artikel 1 den Schutz bestimmter unverletzlicher Freiheitsrechte des Einzelnen als Grundlage jeder menschlicher Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Diese Werte können gemäß Artikel 79 Absatz 3 nicht geändert werden (sogenannte Ewigkeitsklausel).

Wenn es um den Schutz dieser Demokratie geht, ist von Seiten des Staates daher immer auch darauf zu achten, nicht selbst zu einer möglichen Gefahr für die Demokratie zu werden – sei es beispielsweise durch bestimmte Sicherheitsmaßnahmen oder gesinnungsethische Kategorisierungen (z. B. Videoüberwachung und Radikalenerlass/Notstandsgesetzgebung).

Es gehört zum Leitbild pluraler Demokratien, unterschiedliche Meinungen und radikale Kritik, d. h. Kritik, die an die Wurzel geht, zuzulassen. Das Selbstverständnis überzeugter Demokraten zeigt sich – und hier liegt der entscheidende Unterschied zu den Demokratiegegnern – nicht zuletzt auch darin, die Verfassungsrechte auch für Feinde der Demokratie gelten zu lassen und das eigene Schmerzempfinden gegenüber nur schwer aushaltbaren Meinungen zu kräftigen. Geschieht dies nicht, werden Diskurse verweigert, gesellschaftliche Gruppen ausgeschlossen und das Entstehen von Echokammern, in denen unter Gleichgesinnten Bestätigung gesucht wird, gefördert. Die Folgen sind dann brisant und spiegeln sich in einer immer ausgeprägteren Polarisierung der Gesellschaft wider.

Toleranz, also das Aushalten von anderen Auffassungen, bedeutet für eine Demokratie jedoch nicht, potenzielle Gefahren zu verharmlosen oder gar zu ignorieren. Für die Einschätzung, welche politische Anschauung in einer Demokratie noch tolerierbar ist, dient das Grundgesetz als Bezugsnorm. Es zieht klare Grenzen, insbesondere dann, wenn es um Formen unterschiedlicher Delikte gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und um extremistische Unterwanderung der Demokratie geht. Die alleinige Fokussierung auf die juristische Perspektive beinhaltet jedoch die Gefahr, dass Bestrebungen, die (noch) nicht mit dem Grundgesetz kollidieren, aber eine potenzielle Gefährdungsdynamik haben, nicht erfasst werden können, da der Verfassungsstaat erst dann intervenieren darf, wenn ein Anfangsverdacht für extremistische Bestrebungen besteht.

 

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