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Briefwechsel aus der DDR Träumen und nicht verzweifeln!

Als Johann Wolfgang von Goethe einige Jahre nach Friedrich Schillers Tod ihre Briefe für eine Publikation vorbereitete, meinte er, dieser Briefwechsel sei »eine Gabe, die den Deutschen, ja ich darf wohl sagen den Menschen geboten wird«. Solches Selbstbewusstsein ist den meisten heutigen Autoren fremd, auch wenn sie ahnen, dass ihre Korrespondenz irgendwann erscheinen wird. Solche Editionen sind beim Publikum nach wie vor beliebt, wobei ein Schuss Neugier mitspielt, weil man beliebte Autoren sehr persönlich kennenlernt.

Vom russischen Germanisten, Bürgerrechtler und am Ende exilierten Dissidenten Lew Kopelew (1912−1997) und der Schriftstellerin Christa Wolf (1929−2011) sind bereits mehrere Bände mit Briefen erschienen, die in jeweils eigener Weise persönliche Schicksale und allgemeine gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen spiegeln. Jetzt hat die Literaturwissenschaftlerin Tanja Walenski deren Briefwechsel in einer bebilderten Ausgabe herausgebracht, die fast alle Briefe von 1969 bis zu Kopelews Tod 1997 enthält.

Beide hatten sich im Sommer 1965 bei Anna Seghers kennengelernt; bald danach sahen sie sich in Moskau wieder. Insgesamt kam es bis zu Kopelews Tod zu rund 20 Begegnungen. Im November 1969 schreibt Kopelew im Zug von Eriwan nach Moskau an die »liebe Christa« (»da ich jetzt wirklich ein graubärtiger Großvater bin, wage ich es ohne weiteres, Christa Wolf zu duzen«) und äußert sich geradezu überschwänglich über deren neues Buch Nachdenken über Christa T. Christa Wolf fühlt sich unmittelbar angesprochen und geht in ihrer Antwort weit über den üblichen Dank hinaus.

Beide spürten sofort die Geistesverwandtschaft zwischen ihnen. Kopelew war bereits Ende der 60er Jahre in Moskau ein geächteter Autor, der kaum noch publizieren durfte. Christa Wolfs früherer Einsatz für den Sozialismus war zu diesem Zeitpunkt einer zunehmend kritischen Haltung gegenüber der SED-Politik gewichen. Ihre erfolgreichen Romane Der geteilte Himmel, Kindheitsmuster und Nachdenken über Christa T. ließ die Partei nur widerwillig passieren. Das Gefühl, Außenseiterin zu sein, verband Christa Wolf und Lew Kopelew ebenso wie ihr Eintreten für die Freiheit der Literatur und ihre auf Kenntnis beruhende Liebe zu den großen Autoren beider Länder.

Der »Mechanismus des Sündenbocks«

Von Anfang an durchzieht eine große Herzlichkeit diese Briefe. Wo es Differenzen gab, etwa als Kopelew 1989 überglücklich über den Fall der Mauer jubelte, während Christa Wolf reserviert blieb, hatte das auf das beiderseitige Verstehen keinen nachhaltigen Einfluss. Kopelew, der psychisch Robustere, sprach der oft zweifelnden, manchmal auch verzweifelten Freundin immer wieder Mut zu: »Dein Roman (gemeint war Kindheitsmuster) ist ein Roman im klassischen Sinn – ein Bildungsroman, wie er im Buche steht. Zugleich aber auch ein lyrisches, dichterisches Bekenntnis zur Zeitgeschichte und zu zeitlosen Werken der Menschlichkeit.« Und im August 1963 aus Moskau: »Du brauchst nichts. Du hast nichts von anderen zu lernen (…) Du brauchst einzig und allein Dir selbst nicht Mühe, sondern nur Freiheit zu geben.«

Mitunter werden Christa Wolfs Briefe zu Selbstdeutungen. Über Kindheitsmuster schreibt sie: »Ich erzähle auf verschiedenen Ebenen. Also ein kompliziertes Geflecht, ein Organismus, den andauernd in Balance zu halten gar nicht so einfach war.« Über das imaginäre Gespräch zwischen Heinrich von Kleist und Karoline von Günderode in Kein Ort. Nirgends: »Ich will an den beiden nachzeichnen, wie die Gesellschaft allzu empfindliche Instrumente vernichtet.« Über ihr Medea-Buch: »Mir geht es unter anderem darum, den Mechanismus des Sündenbocks aufzudecken, der sich bis heute nicht geändert hat und dessen Unausweichlichkeit und Wirksamkeit darauf beruht, dass in Krisenzeiten Menschen sich psychisch entlasten, indem sie ihr Versagen, ihre Schuld auf den Sündenbock projizieren und an die Gerechtigkeit ihres Tuns wirklich glauben.«

Lew Kopelew starb im Sommer 1997 in Köln, wo er seit seiner Exilierung 16 Jahre zuvor lebte. Christa Wolf hielt die Totenrede: »Wer sein Leben kannte, traf einen schlichten, aus tiefstem Herzen menschlichen Menschen (…) Wie andere ein absolutes musikalisches Gehör haben, hatte er einen absoluten Sinn für Anstand und Menschlichkeit. Er brachte fast jeden, der ihm nahekam, dazu, seine besten Seiten herauszukehren.«

Im November 1995 hatte Kopelew nach Erscheinen des Briefwechsels zwischen Christa Wolf und ihrem Schriftstellerkollegen Franz Fühmann (1922−1984) anerkennend geschrieben: »Ihr wart frei in der unfreien Welt.« Das trifft auch für Fühmann durchaus zu. Der 1949 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft in die DDR zurückgekehrte Autor hatte sich mit Feuereifer in den »Aufbau des Sozialismus« gestürzt. Mitte der 60er Jahre kam die Ernüchterung; immer mehr fühlte er sich eingeengt und gegängelt und widersetzte sich, indem er junge Autoren unterstützte und 1976 die vielzitierte Biermann-Petition an die Staatsführung der DDR unterschrieb. Hart am Rande der offiziellen Ächtung verfasste er viele in Ost und West gleichermaßen geschätzte Erzählungen, Essays und – zum »Broterwerb« – Kinderbücher.

Der Rostocker Hinstorff Verlag betreut bis heute sein Werk in vorbildlicher Weise. In Ergänzung zu Belletristik und Essay hat er eine umfangreiche Briefedition aufgelegt, deren erster Band die Korrespondenz Fühmanns mit seinem Lektor Kurt Batt (1931−1975) enthält. Batt hat es immer wieder verstanden, diesen rauen, mitunter ruppigen Mann zu bändigen. Als Fühmann ihm seine Erzählung Die Gewitterblume schickt, rühmt er die »souverän gehandhabte poetische Prosa«. Und als Fühmann einmal ganz am Boden ist, schickt er ihm ein Telegramm: »Träumen und nicht verzweifeln!« 1974 erhält Fühmann den Nationalpreis der DDR III. Klasse, wozu Batt gratuliert und meint, durch Fühmann erst habe er erfahren, »dass nur eine äußerste Strenge, ein äußerster Ernst in windiger Zeit literarisch bestehen kann«. Batts plötzlicher Tod im Frühjahr 1975 (er hatte sich gerade in Greifswald habilitiert) trifft Fühmann tief. Seinen Nachruf beschließt er mit dem Satz: »Ich will jetzt schweigen und arbeiten.«

Verzweiflungsstandhaftigkeit

Etwas überraschend hat der Verlag noch einen weiteren Briefband Fühmanns herausgebracht, nämlich seine Korrespondenz mit dem Bildhauer und Schriftsteller Wieland Förster (geb. 1930). Förster wurde 1946 nach einer Denunziation in Bautzen inhaftiert, wo ihn nur eine vorzeitige Entlassung vor dem Tod rettete. Seine erfolgreiche Arbeit als Bildhauer und Maler wurde durch ein rigoroses Ausstellungs- und Ankaufsverbot von 1968 bis 1973 unterbrochen, erst danach begann eine zögerliche Rehabilitation. Dieses schwere Schicksal und Fühmanns düstere Weltsicht prägen diesen Band auf ganz eigene Weise.

»Selbstverständliche Aufrichtigkeit – es gibt in Dingen der Kunst nichts Anderes«, das machten sie sich zum Maßstab ihrer Freundschaft. Oft genug war Förster mutlos und fühlte sich, auch aufgrund von Herzproblemen, der schweren physischen Arbeit nicht mehr gewachsen. Fühmann munterte ihn mit den Worten auf, dass er in Försters Werken dessen »Verzweiflungsstandhaftigkeit« bewundere. Als umgekehrt Fühmann im Herbst 1976 schreibt: »Ich drehe mich im Kreis herum. Ich weiß nur, dass es nicht weitergeht so, und dass es so weitergehen wird. Ich stoße überall auf meine Grenzen (…)«, antwortet Förster: »Vertraue nur für ein einziges Jahr Deiner Vitalität, dem, was Dich bedrängt, was Dich sehnsüchtig macht (…) wir dürfen unsere innere Freiheit nicht weggeben, es gäbe Leute, die nichts lieber hätten als das!«

Solche sich wiederholenden Selbstvergewisserungen und Ermutigungen gehören zu den intensivsten Passagen dieses vibrierenden Briefwechsels. Im Juni 1984 musste sich Fühmann, der sein Alkoholleiden nur mühsam unterdrücken konnte, mehreren Tumor-Operationen unterziehen – deren letzte er Anfang Juli nicht überlebte. Der schockierte Wieland Förster fand für Frau und Tochter des Freundes kaum Worte.

Die sorgfältigen Editionen der Briefe sind durchweg mit gut informierenden Anmerkungen versehen, ergänzende Texte und Einführungen tragen zum Verständnis von Leben und Werk der Protagonisten bei. Sie alle lebten, um das Wort von Kurt Batt aufzugreifen, »in windiger Zeit«; paradoxerweise oder gerade deswegen haben sie ein bleibendes, immer wieder faszinierendes Werk geschaffen.

Christa Wolf/Lew Kopelew: Sehnsucht nach Menschlichkeit. Der Briefwechsel 1969–1997. Hg. von Tanja Walenski, Steidl, Göttingen 2017, 358 S., 28 €. Franz Fühmann: Die Briefe, Band 1. Briefwechsel mit Kurt Batt. »Träumen und nicht verzweifeln«. Hg. von Barbara Heinze und Jörg Petzel, Hinstorff, Rostock 2017, 205  S., 22 €. Franz Fühmann/Wieland Förster: Nun lesen Sie mal schön! Briefwechsel 1968–1984. Hg. von Roland Berbig, Hinstorff, Rostock 2016, 343 S., 24 €.

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