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Visionen und Strategien für das postfossile Zeitalter Transformation(en) des Kapitalismus

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Die Geschichte des Kapitalismus ist eine Geschichte seiner Transformationen. Der Kapitalismus, schreibt Jürgen Kocka, bildete sich als Kaufmanns-, Finanz- und Agrarkapitalismus heraus, noch lange bevor er sich im Verlaufe des 18. Jahrhunderts als Industriekapitalismus durchsetzte.

Der Marktliberalismus breitete sich rasch aus, der Staat griff kaum in die Strukturen und Konjunkturen der Märkte ein. Mit der Intensivierung des Kapitaleinsatzes und der wirtschaftlichen Ausdifferenzierung von Produktion und Distribution wuchsen schon vor der Wende zum 20. Jahrhundert die internen Regulierungsbedürfnisse des Kapitalismus. Der organisierte Kapitalismus entstand. Mit ihm wuchsen Kartelle, Fusionen, Verbände. Selektive Eingriffe in das Eigentum, seine Sozialbindung und die Herausbildung sozialstaatlicher Strukturen folgten.

»Die Koexistenz von sozial eingehegtem Kapitalismus und ›sozialer Demokratie zerbrach an den stagflationären Tendenzen der 70er Jahre.«

Nach 1945 setzte sich in einigen Staaten Westeuropas für knapp drei Jahrzehnte der keynesianisch-wohlfahrtsstaatliche Kapitalismus durch. Die Koexistenz von sozial eingehegtem Kapitalismus und »sozialer Demokratie« (Thomas Meyer) zerbrach an den stagflationären Tendenzen der 70er Jahre. In den Wirtschaftswissenschaften hatte schon länger das monetaristische und angebotsorientierte Paradigma den (Bastard-)Keynesianismus verdrängt. Das Chile Pinochets (etwa die Gruppe der sogenannten Chicago Boys), Großbritannien unter Margaret Thatcher und vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika mit Ronald Reagan an der Spitze exekutierten die angebotsorientierten Paradigmen und zwangen die restlichen kapitalistischen Demokratien auf einen neoliberalen Kurs.

Die Kapitalmärkte dominierten und gaben der neoliberalen Globalisierung einen zusätzlichen Spin hin zur Finanzialisierung des Kapitalismus. Es war die Finanzkrise von 2008, die den Trend der kapitalistischen Entmächtigung der Demokratie stoppte. Schon vorher hatten sich die Konturen eines wachstumsstarken autokratischen Kapitalismus in China entwickelt. Mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums setzte sich in Russland, der Ukraine, Georgien und anderen Nachfolgestaaten Formen des oligarchischen Kapitalismus durch. Der Kapitalismus zeigte erneut seine enorme Transfomationsfähigkeit: Er konnte gleichermaßen in Autokratien wie Demokratien florieren.

»Die meisten kapitalistischen Brüche und Wandlungen sind mit erheblichen Kosten für Staat und Gesellschaft verbunden.«

Hier kann keine Kurzgeschichte des Kapitalismus geschrieben werden. Es geht vielmehr darum, zu erinnern, dass die meisten dieser kapitalistischen Brüche und Wandlungen kurz- und mittelfristig mit erheblichen Transformationskosten für Staat und Gesellschaft verbunden waren. Meist stellten sich erst – wenn überhaupt – verzögert Produktivitätsgewinne, Umverteilungsversuche und sozialstaatliche Kompensationen ein.

Es ist also bei großen ökonomischen und auch politischen Umbrüchen mit einer Ungleichzeitigkeit von ökonomischen Investitionen einerseits und sozialen wie politischen Renditen andererseits zu rechnen. Genau darum soll es hier gehen: Welche Visionen, Strategien oder Konzepte kennen wir, um die »große Transformation« von fossilen zu postfossilen Produktions- und Konsumptionsweisen erfolgreich bestehen zu können? Dabei sollen drei Restriktionen gelten: Die Klimakrise muss schnell und effektiv bekämpft werden, dies soll unter Wahrung demokratisch-rechtsstaatlicher Standards geschehen und die sozialen Zumutungen müssen klein gehalten und fair verteilt werden. Wie kann das Tal der Tränen zügig durchschritten werden, ohne Demokratiemüdigkeit und rechtspopulistische Protestparteien zu nähren?

Mangelkapitalismus: das Postwachstumsversprechen

Da ist zunächst die Idee der degrowth economy, der Post-Wachstumswirtschaft. Eine radikale Begrenzung des Wirtschaftswachstums und eine Besinnung auf die Endlichkeit der Ressourcen, so die Hoffnung, können dennoch »Wohlstand ohne Wachstum« (Tim Jackson 2017) generieren. Das Argument lautet: Weltweit sind fossile Verbrennungen für rund 80 Prozent der Treibhausgasemissionen ursächlich. Diese Menge wird mit aller schöpferischen Zerstörung bei anhaltendem Wachstum nicht rasch genug zurückzufahren sein, um die Klimaerwärmung auch nur zu verlangsamen. Eine Entkopplung von Wachstum und klimaschädlichen Emissionen ist nicht zu haben. Die Weltwirtschaft muss zurückgefahren und postfossil organisiert werden.

Aber selbst wenn die Idee der Post-Wachstumsgesellschaft ökonomisch langfristig funktionierte, durchzusetzen wäre sie in Demokratien nicht. Denn ein Umschalten auf die Post-Wachstumsstrategie würde zumindest kurzfristig zu erheblichen ökonomischen Turbulenzen führen. Wenn etwa Deutschland oder auch Europa den post-growth path einschlügen, gäbe es keine Anzeichen dafür, dass die USA, China, Indien und die restlichen BRICS-Staaten der selbstgefällig-asketischen Wohlfahrtsreduzierung Europas folgen.

In den degrowth-Volkswirtschaften würde schlicht die Nachfrage einbrechen, Investitionen würden anderswo auf der Welt getätigt werden. Deindustrialisierung in den Post-Wachstumsgesellschaften wäre die Folge. Die Nachfrage würde in einer offenen Welt globalisierter Finanz- und Gütermärkte in pro-growth economies abfließen, die Arbeitslosigkeit in den Post-Wachstumsökonomien ansteigen. Wohlstandsverluste und politischer Protest wären die Folge. Dem Klima wäre nicht geholfen.

Für politische Parteien wäre dies in der Wettbewerbsdemokratie ein suizidales Programm. Die Wähler würden degrowth-Regierungen abwählen und sie nach einem solch verlustreichen Wirtschaftsexperiment länger von der politischen Macht fernhalten.

»Ein wirtschaftliches Systemversagen hätte auch Rückwirkungen auf die geopolitische Machtkonstellation.«

Zudem vernachlässigt die Post-Wachstumsidee die Konkurrenz der beiden großen kapitalistischen Systeme: den liberalen »meritokratischen Kapitalismus« des demokratischen Westens und den »politischen Kapitalismus« des autoritär-asiatischen Ostens. Weder die USA noch die EU könnten eine Null-Wachstumspolitik verantworten, wenn der politisch gesteuerte chinesische Kapitalismus gleichzeitig Wachstumsraten zwischen fünf und zehn Prozent liefert. Denn ein wirtschaftliches Systemversagen hätte auch Rückwirkungen auf die geopolitische Machtkonstellation zwischen China und seinen artverwandten autoritären Regimen einerseits und dem demokratischen Westen andererseits.

Politische Strategien, die die zentrale Randbedingung der wirtschaftlichen Offenheit in einer globalisierten Ökonomie nicht ernst nehmen, sind untauglich für das 21. Jahrhundert. Der große Verlierer wäre wieder einmal die untere Hälfte der Gesellschaft. Wenn degrowth keine verheißungsvolle Utopie, sondern eine unbeabsichtigte Dystopie ist, wie lassen sich dann die sozialen und ökologischen Verwerfungen des neoliberal-fossilen Wirtschaftsregimes vermeiden?

Branko Milanović zeichnete unlängst die Konturen eines sozioökonomischen Designs, das er »Volkskapitalismus« nennt. Sein Modell will nicht erst nach dem Marktversagen sozialstaatlich umverteilen, sondern schon im Markt »vorverteilen«. Dazu soll an vier Stellschrauben gedreht werden: Kapitalbesitz, Bildung, Steuersystem, politischer Einfluss. Zunächst muss der Kapitalbesitz viel breiter in der Gesellschaft gestreut werden als dies bisher der Fall war. Dies kann unter anderem über Aktien-Erwerbspläne für die Beschäftigten auf der Unternehmensebene organisiert werden. Aber nicht nur Kapital muss breiter in der Gesellschaft gestreut werden, sondern auch deren kognitive Ressourcen.

Die real existierenden Bildungssysteme reproduzieren in nahezu allen kapita­listischen Ländern die Ungleichheit tatsächlicher Bildungs-, Berufs- und Einkommenschancen. Eine Teilausnahme bilden die nordeuropäischen Länder. Die Ungleichheit der Bildungschancen gilt aber nicht zuletzt für Deutschland, wie die OECD dem Land Jahr für Jahr vorrechnet. Dabei geht es nicht nur darum, mehr Geld in die Bildungssysteme zu pumpen, sondern es geht auch um die Umlenkung der Finanzierungsströme: Speziell die frühkindliche Bildung und die Grundschulen müssen besser finanziert werden. Investitionen in die Universitäten sind unverzichtbar, für die Reduktion der Ungleichheit und die Umverteilung der Lebenschancen kommen sie im individuellen Bildungszyklus jedoch zu spät.

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Die dritte Schraube ist das Steuersystem. Es müssen wirksame Steueranreize zur Vermögensbildung für die breiten Mittelschichten etabliert werden. Den Fokus legt Milanović auf Erbschaftsteuern. Insbesondere die Vererbung großer Vermögen (ab einer Million Euro) muss progressiv und hoch besteuert werden, um die Festschreibung von Privilegien, Vermögens- und Statuspositionen über Generationen hinweg aufzubrechen.

Die vierte Maßnahme trifft die Verbindung von Geld und politischem Einfluss. Dies gilt vor allem für die USA. Die direkte Privatfinanzierung von Politikern, Parteien und Wahlkämpfen soll zurückgedrängt, die Einflussnahme von privaten Thinktanks und politischen Stiftungen enger kontrolliert werden.

Diese Maßnahmen sind nicht neu, aber doch einleuchtend. Dennoch sind sie bisher kaum verwirklicht worden. Das verweist auf ein chronisches Repräsentationsdefizit der unteren Schichten in den kapitalistischen Demokratien. Die ökonomische Ungleichheit beschädigt je nach Schärfe das demokratische Prinzip der politischen Gleichheit. Bisher hat die repräsentative Demokratie noch kein wirksames Mittel gegen das Gift der sozioökonomischen und politischen Ungleichheit gefunden. Der cultural turn progressiver demokratischer Politik hat das Problem der Ungleichverteilung individueller Lebenschancen in der ökonomischen Sphäre abgedunkelt. Die mittelschichtsorientierte ökologisch und kulturalistische Linke steht verteilungspolitisch mit leeren Händen da.

Klimakapitalismus: das grüne Wachstumsversprechen

Allerdings wird es im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nicht nur um die soziale Frage gehen. Es wird vor allem um die postfossile Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft gestritten werden. Die Klimakrise verlangt eine Umstellung von naturverbrauchenden Produktions- und Konsumgewohnheiten auf ressourcenschonendes und emissionsneutrales Wirtschaften. Die soziale muss mit der ökologischen und technologischen Frage verknüpft werden.

»Die soziale Frage wird sich im gegenwärtigen Transformationsjahrzehnt eher noch verstärken.«

Technologische Innovationen werden eine wichtige Rolle in der »großen Transformation« spielen. Allerdings wissen wir von früheren technologiegetriebenen Wachstumszyklen, dass gerade in der Anfangsphase einseitig unternehmerische Pioniergewinne anfallen und einfachere Arbeiten entwertet werden. Schumpeters »schöpferische Zerstörung« und die ungeheure Innovationskraft des Kapitalismus mögen technologisch dazu beitragen, die postfossile Transformation voranzutreiben. Aber die soziale Frage wird damit nicht einfach en passant gelöst werden. Sie wird sich im gegenwärtigen Transformationsjahrzehnt eher verstärken. Wird aber die postfossile Transformation vor allem der Bepreisung der CO2-Emissionen und dem Markt überlassen, kommen erhebliche Transitionskosten auf Industrie und Verbraucher zu. Führt man kompensatorisch ein Klimageld ein, wird man auch ja zu einem Bürokratieausbau sagen müssen. Ob der gegenwärtige Zustand der langsam arbeitenden Bürokratie diese Transformationsaufgabe bewältigen kann, darf bezweifelt werden.

Eine sozial gerechte, demokratisch gestützte und effektive Transformation des fossilen Kapitalismus hat mindestens drei Aufgaben zu lösen. Sie muss erstens Sorge tragen, dass die kommenden Transformationszumutungen gerecht verteilt werden. Der Markt alleine wird dies nicht richten. Erhebliche fiskalische Umverteilungen werden unvermeidbar, um die sozial verletzlichen unteren und politisch volatilen Mittelschichten zu stützen. Ob dies ein Haushalt unter dem Diktat der Schuldenbremse leisten kann, muss gegenwärtig bezweifelt werden.

Zweitens müssen die Bürger davon überzeugt werden, dass kurzfristige Zumutungen sich schon mittelfristig amortisieren werden. Wenn diese Hoffnung nicht glaubwürdig durch praktische Politik unterlegt wird, könnten weitere Gruppen für rechtspopulistische Politikangebote anfällig werden.

Drittens muss die Politik zeigen, dass ihre Anstrengungen kein nationalstaatlicher Alleingang sind. Sie muss darlegen können, dass andere große Emissionsstaaten wie die USA, China und Indien vergleichbare Anstrengungen gegen den Klimawandel unternehmen. Andernfalls dienen nationalstaatliche oder europäische »Alleingänge« nicht dem Klimaschutz, sondern nur der regionalen Verlagerung der klimaschädlichen Emissionen von Treibhausgasen und von Wohlfahrtsgewinnen. Das postfossile Transformationstal der Tränen darf nicht zu tief und zu lang werden. Das ist nicht die Quadratur des Kreises. Aber die bisher gezeigte Regierungskunst genügt nicht.

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