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Neue Bücher über den Dreißigjährigen Krieg Trauma und Lehrstück

Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 war ein kollektives Trauma. Ein Trauma, das sich tief ins Gedächtnis der Deutschen eingegraben hat, bis ins 20. Jahrhundert. Noch 1890 warnte Generalfeldmarschall Helmuth Karl Bernhard von Moltke in einer Reichstagsrede vor einem neuen großen Krieg in Europa, der ein neuer Dreißigjähriger Krieg werden könnte. Erst die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts überlagerten das alte Opfertrauma, bis nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues Geschichtsnarrativ entstand: »Aus dem Trauma der Opferrolle ist das Trauma der Schuld an furchtbaren Verbrechen geworden«, so Herfried Münkler in seiner großen Darstellung Der Dreißigjährige Krieg. Allerdings könnte, suggeriert er, ein weiterer Zusammenhang bestehen: »Je eindringlicher das Opfernarrativ, desto größer der Anspruch auf Ausgleich.«

Als Politologe versucht Münkler die Geschichte des Krieges auf knapp 1.000 Seiten als Analysefolie für die Kriege der Gegenwart aufzubereiten und zu deuten. So unterscheidet er einleitend verschiedene Kriegstypen, die sich im Dreißigjährigen Krieg manifestierten. Noch mehr als ein Konfessionskrieg war er für Münkler ein Propaganda-, Imperial- und Hegemonialkrieg, auch ein Krieg um die Verfassung sowie ein Bürgerkrieg. In seinem Verlauf kam es immer wieder zu Bauernaufständen, die das Militär blutig niederschlug. Und dies, obwohl viele Soldaten selbst der Landbevölkerung entstammten und sich nur mehr oder weniger freiwillig bzw. der Not gehorchend als Söldner anwerben ließen. Oft genug wurden sie dabei »untergesteckt«, d. h. sie mussten die Seiten wechseln, um eine Gefangenschaft zu überleben.

Nichtsdestoweniger plünderten, brandschatzten, vergewaltigten und mordeten sie – umso wilder, wenn der karge Sold ausblieb. Mitten in dem großen Krieg tobte ein Kleinkrieg zwischen marodierender Soldateska und Not leidender Bevölkerung. Und je länger der Krieg andauerte und je verzweifelter seine Akteure agierten, so die These von Herfried Münkler, desto grausamer entwickelte er sich. Der britische Militärhistoriker Peter H. Wilson schätzt die Dynamik ganz anders ein. Obwohl im Dreißigjährigen Krieg insgesamt acht Millionen Menschen starben, darunter viele an Pest und Typhus, gebe es keinen Grund zu der Vermutung, dass die Plünderei in den späten Kriegsjahren zunahm oder systematischer betrieben wurde.

Wilsons Darstellung auf über 1.100 Seiten fällt insgesamt distanzierter und kühler aus und entspricht einer traditionellen Geschichtsschreibung. Gliederung und Layout des Fließtextes erinnern leider an Schulbücher, während Münklers Text eher literarisch anmutet.

Religion als Brandbeschleuniger

Beide Autoren beginnen mit dem berühmten »Fenstersturz« in Prag, als im Mai 1618 protestantische Adelige in den Hradschin eindrangen, um bei den kaiserlichen Statthaltern gegen das wiederholte Verbot der Ständeversammlung zu protestieren. Ein Frankfurter Nachrichtenblatt berichtete bereits wenige Wochen später darüber. Drei Kaiserliche wurden aus dem Fenster geworfen, »defenestriert«. Und obwohl alle drei überlebten, fiel das kaiserliche Strafgericht drei Jahre später fürchterlich aus. Dem Direktor der Prager Universität, Jan Jessenius, wurde bei lebendigem Leib die Zunge herausgeschnitten, bevor er enthauptet wurde. Für die Hinrichtungen von 24 Adeligen verbrauchte der Henker vier Schwerter. Drei Bürgerliche wurden gehenkt. Münkler schildert diese Episode auf fünf Seiten, Wilson auf eineinhalb.

War der Fenstersturz von Prag nur ein vorgeschobener Anlass oder tatsächlicher Auslöser des Dreißigjährigen Krieges? War der Krieg insgesamt unvermeidbar und musste er sich so und nicht anders abspielen? Oder hätte alles auch anders kommen können? Münkler zeigt an einzelnen Konfliktherden und Konfliktfeldern, wie sich zunächst begrenzte Konflikte ausweiteten und internationalisierten. Die Großmacht Spanien unterstützte das verwandte Haus Habsburg in Wien. Das katholische Frankreich finanzierte teilweise den protestantischen Schweden Gustav Adolf. Der Lutheraner Kurfürst Johann Georg von Sachsen schlug sich die meiste Zeit auf die Seite der bayerischen und kaiserlichen Katholiken.

Der Erbfolgestreit um Jülich-Kleve-Berg am Niederrhein, der böhmisch-pfälzische Krieg und der niedersächsisch-dänische Krieg hätten sich je nach Interessenlage und Finanzkraft der Akteure jederzeit ganz anders entwickeln können. Und nicht nur Heerführer und Kommandeure, sondern auch Zufall, Glück und Pech konnten über Sieg oder Niederlage entscheiden. Nicht zuletzt deshalb erzählen Münkler und Wilson einzelne Schlachten detailliert nach – bis in die Aufstellung von Infanterie, Kavallerie und Artillerie. Linker Flügel, rechter Flügel, Staffelung der Regimenter und Anzahl der Reiter und Kanonen. Das wirkt mitunter allzu kleinteilig und liest sich mühsam. Allerdings wird erst dadurch halbwegs verständlich, wie sich der Kampf mit Säbeln, Lanzen, Piken und Musketen zu Fuß und zu Pferde abgespielt haben muss. Der Begriff »Schlachtfeld« ist wörtlich zu nehmen: Ein Feld vor den Toren der Stadt, auf dem sich die Kontrahenten buchstäblich abschlachteten, sodass es binnen weniger Stunden übersät war mit Tausenden von Toten und Sterbenden. Magdeburg wurde 1631 von den Katholiken innerhalb einer Nacht gestürmt und niedergebrannt. 20.000 Menschen verloren dabei ihr Leben.

Auch der britische Historiker Wilson hält die These vom Konfessionskrieg für längst überholt, wenngleich religiöse Überzeugungen, Fanatismus und Hass den Krieg zusätzlich schürten, wie nicht nur der Fall Magdeburgs zeigt. »Religion als Brandbeschleuniger« nennt Münkler das Phänomen zeitgemäß. Trotzdem dienten protestantische Schotten in der polnischen und kaiserlichen Armee und schottische Katholiken ließen sich von protestantischen Mächten anwerben. Die Armeen wurden nicht als protestantisch oder katholisch wahrgenommen, schreibt Wilson, sondern als schwedisch, böhmisch, pfälzisch, bayerisch oder kaiserlich. In der schwedischen Armee dienten auch dänische und deutsche Soldaten, in der französischen Armee Schweizer, Iren, Deutsche, Elsässer und Italiener. Offiziere wechselten die Seiten, wenn sie sich von anderen Dienstherren bessere Karriereaussichten erhofften.

Analogien zur Gegenwart

Prominente Feldherren wie Johann T’Serclaes von Tilly und Wallenstein agierten gleichermaßen als Kriegsunternehmer, als »Warlords«, die mit eigenem oder fremdem Geld Truppen aufstellten, ausrüsteten und in die Schlacht schickten. Dafür ließen sie sich fürstlich bezahlen, nicht nur mit Geld und Gold, sondern auch mit Adelstiteln und Ländereien. Sie rafften ein Vermögen zusammen, während Kinder und Greise, Bauern und Bürger verhungerten.

Herfried Münkler entdeckt in solchen und anderen Handlungsmustern Strukturanalogien zu den aktuellen Kriegen im Nahen Osten: wechselnde Bündniskonstellationen und Feindschaften, verdeckte Finanzierungs- und Waffenhilfe, Freiwilligenverbände und militärische Interventionen, mal mit, mal ohne Kriegserklärung. Auf diese Weise kann der Krieg nicht »ausbrennen«, sondern erhält Nachschub an Kämpfern, Waffen, Munition und Geld. Konfessionelle Frontlinien etwa zwischen Schiiten und Sunniten bestehen zwar, können aber wechseln, wenn die politischen Akteure wechseln, die hinter diesen Konfliktlinien stehen. Häufig geht es dabei um die Hegemonie des Raums, wie derzeit am Kriegsschauplatz Syrien im Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zu beobachten ist. Ein Dauerkonflikt, der durch die Beteiligung externer Mächte wie den USA, Russlands und der Türkei befeuert wird, auch wenn die Motivlagen sehr unterschiedlich sein mögen.

Wer sich von den jeweils rund 1.000 Seiten schweren Werken des Politologen Münkler und des Historikers Wilson überfordert fühlt, kann sich mit dem rund 300 Seiten langen Taschenbuch des Journalisten Christian Pantle einen schnelleren Überblick verschaffen. Pantle schreibt nicht mit wissenschaftlichem Anspruch, sondern versucht eher reportageartig die wichtigsten Phasen des Dreißigjährigen Krieges bis zum Westfälischen Frieden von Osnabrück und Münster zu resümieren.

Die Lehre daraus für heute könnte lauten: Wenn es Mitte des 17. Jahrhunderts möglich war, nach einem europäischen Krieg von 30 Jahren Dauer wieder Frieden zu schaffen, dann könnte und müsste dies auch heute im Nahen Osten gelingen.

Herfried Münkler: Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648. Rowohlt Berlin 2017, 976 S., 39,95 €. – Christian Pantle: Der Dreißigjährige Krieg. Als Deutschland in Flammen stand. Propyläen, Berlin 2017, 368 S., 18 €. – Peter H. Wilson: Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie. Theiss, Darmstadt 2017, 1.160 S., 49,95 €.

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