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Die Villa Massimo praktiziert moderne Künstlerförderung Über die Zeiten springen

Die Villa Massimo in Rom ist eine der wichtigsten deutschen Fördereinrichtungen für Künstlerinnen und Künstler durch Studienaufenthalte im Ausland. Über 100 Jahre reicht ihre Geschichte zurück. Nun ist ein Bildband erschienen, der die Arbeit dreier Stipendiat*innen im akademischen Jahr 2019/20 abbildet. Er zeigt auf, wie Künstlerförderung funktionieren kann, wenn sie mit der Zeit geht.

Schwer zu sagen, was im multimedialen Kunstwerk »Haus für einen Boxer« am schönsten ist. Vielleicht ist es die Musik, der man vieles zusprechen würde, aber keinerlei Verbindung zum alten Rom. Sie legt los wie eine polyphone Sirenenmaschine, sie wabert und klackert, ist von Sprachfetzen durchsetzt, aber auch: von Beats. Sie verinnerlicht das Selbstverständnis elektronischer Tanzmusik, ist nicht nur Kunst, sondern auch etwas, das in Bauch, Beine, Arme geht. Vielleicht sind es aber auch die Gedichte, die lakonisch anmuten, aber auch voller Sehnsucht sind und bisweilen ganz einfach: erzählen. Oder es ist die eher akademische, aber reich illustrierte Auseinandersetzung mit einem Baukörper, der Versuch, architektonische Strukturen nicht nur nachzubilden, sondern ihnen auch nachzuspüren.

Eigentlich aber lebt dieses Buch vom Zusammenspiel genau dieser drei Disziplinen. Die Tracks, die sich auf der beigefügten CD und als Stream beim Musikportal Bandcamp finden, stammen von Theresa Stroetges, die als Golden Diskó Ship seit über zehn Jahren die Grenzen zwischen Avantgarde und Techno auslotet. Erwähnte Gedichte werden eins mit dieser Musik; für sie zeichnet ebenso wie für die Bilder die fotografierende Autorin Sabine Scho verantwortlich. Der Komplex Architektur wurde schließlich von Sebastian Felix Ernst beackert. Alle drei waren sie im akademischen Jahr 2019/20 Stipendiat/innen in der Villa Massimo in Rom.

Scherben, in den Himmel geworfen

Es ist nicht ungewöhnlich, dass diese zusammenfinden; Schnittmengen suchen, ihre Arbeiten und Disziplinen in den Dialog schicken. Dass dabei ein Projekt wie »Haus für einen Boxer« erscheint, ist hingegen bisher nicht die Regel, und das betrifft sowohl Form als auch Inhalt. Gleich bei Hatje Cantz, einem der wichtigsten Kunstverlage des Landes, erscheint das Debüt des Trios – eine Ansage. Wichtiger: Alles daran sitzt; um in der Bilderwelt des alten Roms zu bleiben: »Haus für einen Boxer« wirkt so, als hätten drei Menschen verschiedene Scherben in den Himmel geworfen – um am Ende eine völlig intakte Vase aufzufangen.

Der Küchenzuruf des Buches ist dabei eigentlich einfach. Es sind zwei Themenkomplexe, die näher untersucht und bereits im Titel erwähnt werden. Da ist zunächst das Haus. Sebastian Felix Ernst beschäftigte sich intensiv mit dem »Palazzetto dello Sport« von Pier Luigi Nervi, 1960 aus Fertigteilen erbaut für die Olympischen Spiele. Es ist sicher nicht das Gebäude, an das die meisten denken würden, wenn es um die Architektur Roms geht. Nervi, Weggefährte von Gio Ponti entwarf eine Sporthalle im kühnen internationalen Stil, 60 Meter Durchmesser besitzt die Kuppel, in gerade einmal einem Monat wurde sie aus über 1.000 Stahlbetonelementen montiert.

Der zweite entsteht um eine legendäre Bronzefigur: Der »Faustkämpfer vom Quirinal« wurde 1885 am Südhügel des Quirinals in Rom ausgegraben: »Die Statue war nicht einfach abgeräumt oder eilig verscharrt, sondern äußerst sorgfältig behandelt und verborgen worden. Man hatte sie wie auf einen Hocker auf ein dorisches Kapitell gesetzt und der für das Versteck angelegte Graben war mit gesiebter Erde wieder aufgefüllt worden, um die Oberfläche zu schonen«, schrieb Rodolfo Lanciani, der verantwortliche Archäologe, Ingenieur und Topograf seinerzeit. Sebastian Felix Ernst fügt heute an: Das bei­gefügte Foto der Ausgrabungsstätte wirkt sur­real, fast so, als habe man die über 2000-­jährige Ruhephase eines entkräfteten Kämpfers krude gestört.«

Dass ein Boxer in einen Sportpalast passt, ist klar. Wer im Buch blättert wird rasch bemerken: Entsprechend gut geht es auf, die Geschichte weiterzudenken. Über die Zeiten zu springen, die Antike mit der Moderne zusammenzubringen, das Alte Rom mit – nun ja, nicht dem ganz Neuen, aber dem der jüngeren Vergangenheit. In der Gegenwart wird all das dann ja mit der Musik, mit den Fotos aktueller Boxkämpfe, vielleicht auch mit dem sehr klaren Grafikdesign festgezurrt, das aber zwischen strengen, beinahe kataloghaften Strecken immer wieder ausbricht.

Ein Telefonat mit Rom. Julia Draganović ist am Telefon. Sie leitet seit Juli 2019 die Villa Massimo. »Haus für einen Boxer« ist eines der ersten Projekte, die unter ihrer Ägide entstanden. »Es ist ein Modellprojekt. Und ich hoffe, dass wir das noch häufiger erleben werden«, sagt sie über das Buch. Die Idee dazu kam von Sabine Scho. »Sie hat ja ihre Gedichte schon häufig mit Fotografien begleitet und hatte so ein ähnliches Projekt auch für Rom vor«, sagt Draganović. »Sie hat ganz eifrig alle Museen der Stadt besucht und war zunächst begeistert von dem Boxer und dann vom Nervi – und hat natürlich gleich den Zusammenhang gesehen, und bald mit dem Sebastian Felix Ernst gesprochen. Der war in Rom schon mit einer großen Begeisterung für Beton angekommen, was ja ein Material ist, ohne das die Römische Antike gar nicht zu denken ist. Und der Nervi setzt da einen ganz anderen Akzent. Golden Diskó Ship schließlich ist im Grunde genommen Stipendiatin geworden, weil Sebastian Felix Ernst und Sabine Scho gesagt haben, die muss dabei sein. Und wir hatten praktischerweise noch ein Kurzzeitstipendium zu vergeben. So ist das ganze zusammengewachsen.«

Ein Stipendium, das den bereits vorhandenen Stipendien einen Mehrwert hinzufügt. Und, ebenso wichtig: das nicht in einem klassischen Auswahlverfahren vergeben wird, sondern auf Anregung derer, die bereits in der Villa wirken. Eine schöne Geschichte, die vielleicht auch etwas über einen neuen Wind verrät, der in diesem deutschen Außenposten in Rom weht. Denn wer die Villa Massimo vor Augen hat, denkt wohl in aller Regel erst einmal zurück. Das bedingt ja schon der Blick aufs Gebäude; majestätisch wirkt es; aber eben auch sehr klassisch, größer als es tatsächlich ist, sagen alle, die bereits einmal vor Ort waren, ein Kniff des Architekten.

Alte Erzählstränge aufbrechen

Ein Blick auf die Liste der Stipendiatinnen und Stipendiaten wirkt als zusätzlicher Lautsprecher der Historie. Karl Schmidt-Rottluff, aber auch Arno Breker. Nach dem Krieg Fritz König, Anton Lamprecht und Anselm Kiefer. Sie sind die Ahnen der Künstler*innen aus den Sparten Musik, Architektur, Literatur und Kunst, die sich hier dieser Tage niederlassen und zu besten Bedingungen arbeiten dürfen. Ein eigenes Atelierhaus, Familienzuzug möglich, ach, erwünscht! Eine finanzielle Ausstattung, ebenso wie eine mit allem nötigen künstlerischen Bedarf versehene. Ausstellungsmöglichkeiten, Public Relation, gelegentliche Exkursionen in die Stadt.

So schön das klingt, bedient es natürlich auch alte Erzählstränge, etwa jenen von den Künstler*innen, die vor den Zumutungen der Welt fliehen müssen – und ausgerechnet in Italien landen, diesem ewigen Sehnsuchtsland der Deutschen. Die sich dann in einem gepflegten Paradies in der Ewigen Stadt wiederfinden, das Abgeschlossenheit ausstrahlt, so sehr, dass Legendenbildung einsetzt: Die Süddeutsche Zeitung war einmal zu Besuch, schrieb nicht ohne Ehrfurcht von der Likörproduktion der Villa; Draganović lacht, weist darauf hin, dass zumindest im letzten Jahr lediglich Marmelade aus den Zitrusfrüchten gekocht wurde, die es in der Tat im Garten gäbe. Andere rümpfen die Nase, zumindest, was die Umgebung angeht – und kratzen damit auch ein wenig an den gelben Mauern der Villa. Niklas Maak etwa schrieb: »In Rom zu sein, ist für einen Künstler so, als habe man sein Mobiltelefon weggeworfen.«

Julia Draganović sagt, das stimme nicht. Es sei ein deutsches Wahrnehmungsproblem. Die meisten Besucher würden sich eben auf 3000 Jahre römische Geschichte stürzen und dann denken, das sei es gewesen. Vielleicht auch eine Reaktion darauf: Sie und ihre Stipendiat/innen igeln sich nicht ein, sie senden aus. Werden Teil der durchaus vorhandenen modernen Kunstwelt Roms.

Man kann diesen Satz sogar in die Vergangenheitsform setzen, denn zwar startete die Kulturmanagerin ihre Arbeit in der Villa in einer schwierigen Zeit, in einer, in der man aufgrund der COVID-19-Pandemie phasenweise nicht einmal das Haus verlassen, nicht einmal spazieren gehen durfte und in der es schon schwierig war, so etwas simples wie Anwesenheiten zu planen. »Haus für einen Boxer« wurde deswegen zu einer Studie auf Papier, Dinge wie Begehungen des Sportpalastes waren schließlich nicht möglich. Aber: Während der Pandemie mit ihren nächtlichen Ausgangsbeschränkungen entstanden nicht nur Gemeinschaften, von denen Draganović glaubt, dass sie bleiben werden, sondern auch eine für die Villa neue Nähe zur Nachbarschaft.

Die erwähnten alten Erzählstränge wurden also aufgebrochen. Aus der Festung wurde Kunst ausgesendet. Etwa von Esra Ersen, die auf Steintafeln an der Wand in römischen Lettern aus Istanbul erzählte oder von Tatjana Doll, deren fluoreszierendes Bild der Wölfin mit Romulus und Remus so auf der Mauer der Villa positioniert wurde, dass es weithin sichtbar war.

Und: »Wir haben die letzte Abschlusspräsentation des letzten Jahrgangs außerhalb der Villa organisiert, und das mit Hilfe unserer direkten Nachbarn. Wir haben lauter Partnerschaften gegründet, haben in der Kirche nebenan ausgestellt und im Blumenladen und im kleinen Theater. Wir werden versuchen, weiter nach außen zu gehen und auch Leute hier reinlassen.«

Ein vereinfachtes Bewerberverfahren

Übrigens wurde das Bewerbungsverfahren für die Villa Massimo kürzlich geändert. Wo der Weg bisher ein etwas komplizierter war, der über die einzelnen Bundesländer und zwei Stufen ging, ist jetzt die Kulturstiftung der Länder zuständig, die entsprechende Website ist ohne allzu große Probleme auffindbar, auch das ist neu. Das wiederum führt zu einem deutlich größeren Feld an Bewerberinnen und Bewerbern.

Blickt man auf den aktuellen Jahrgang, hat man den Eindruck: Julia Draganović hat da ein ganz gutes Händchen. Der koreanische Philosoph Byung-Chul Han, der Schriftsteller Thomas Melle, vor allem aber das Architektur-Team Something Fantastic: Die, so sagt Draganović, hätten schon elf Vorschläge gebracht, es ginge dabei um Firmen- und Vereinsgründungen, mit Hilfe derer sie Verbesserungsvorschläge für Infrastruktur in Rom machen wollen. »Das hat viel mit dem Ineinandergreifen von Natur und Kultur zu tun, aber auch mit neuen Lebensmodellen und Fortbewegung in der Stadt. Die sprudeln nur so vor Ideen. Das klingt gleichzeitig abstrakt und handfest; nach Prozessdesign und nach jenen süßen Spinnereien, die es braucht, um damit die Realität anzupieksen. Im Idealfall wird ein Buch daraus.

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