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Loyalitätsregime an den Hochschulen und ihre Folgen Über Einzelfälle hinaus

Angenommen, ein leitender Mitarbeiter lädt eine Kollegin ein, sich in die gemeinsame Arbeit einzubringen – eine gängige Praxis im akademischen Alltag. Doch die Kollegin ist nicht irgendwer: Sie ist zugleich die Lebenspartnerin des Hochschulpräsidenten. Was in einer normalen Hochschulkultur ein alltäglicher Vorgang wäre, wird in einer asymmetrisch strukturierten Machtumgebung zur Projektionsfläche für Kränkung und Eskalation. Die Einladung wird nicht mehr als kollegiales Angebot gelesen, sondern emotional umkodiert: als Angriff, als Machtdemonstration.

In einem solchen Klima verwandelt sich die Nähe zur Hochschulspitze in eine Waffe. Der leitende Mitarbeiter, der auf professionelle Maßstäbe besteht, gerät plötzlich unter Verdacht. Seine Leistungen werden hinterfragt, seine Person wird problematisiert – bis hin zur vollständigen Ausgrenzung und systematischem Mobbing. Was mit einem Versuch der Zusammenarbeit beginnt, endet im Machtspiel. Die betroffene Person wird delegitimiert und ihre Haltung wird als »schwierig« etikettiert. Leistungen werden nicht mehr anerkannt, sondern strategisch entwertet. In der Folge wird sie von hochschulischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen – offiziell aus »diversen Gründen«, tatsächlich als Folge informeller Machtallianzen. Gleichzeitig verbreiten sich Gerüchte, die gezielt die Persönlichkeit angreifen.

Sich juristisch zu wehren, ist oft aussichtslos: Untersuchungen ziehen sich über Jahre, während Institutionen durch strategische Verzögerungen Zeit gewinnen. Selbst bei festgestelltem Fehlverhalten bleiben strukturelle Konsequenzen meist aus – das Geschehen wird als »bedauerlicher Einzelfall« abgetan, um strukturelle Probleme zu verschleiern. Der Ruf der Institution wiegt häufig schwerer als das Leid der betroffenen Person. Von solchen fiktiven Fallbeispielen könnte man viele nennen, es gibt sie jedoch tagtäglich in der Wissenschaft auch real in verschiedenen Formen.

Wer sind die Opfer?

Besonders häufig trifft Machtmissbrauch Menschen, die ohnehin am Rande der akademischen Machtstrukturen stehen. Eine aktuelle Studie mit dem Titel Wer stört muss weg von Heike Egner und Anke Uhlenwinkel zeigt deutlich: Vor allem Frauen ohne akademische Herkunft und Menschen mit Migrationsgeschichte sind überdurchschnittlich oft betroffen. Ihre vermeintliche Schwäche – etwa ein Mangel an finanziellen und sozialen Ressourcen und/oder juristischer Unterstützung – macht sie besonders angreifbar. Man spekuliert darauf, dass gerade diese Gruppen sich kaum effektiv wehren können – und sehen sie daher als »leichte Beute« innerhalb eines strukturellen Machtungleichgewichts.

»Der Ruf der Institution wiegt schwerer als das Leid der betroffenen Person.«

Der Verein Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft (MaWi) dokumentiert anonymisierte Fallgeschichten von Betroffenen. Diese persönlichen Erfahrungen bestätigen die erwähnte »leichte Beute-Theorie« und zeigen, dass besonders Wissenschaftler*innen in prekären Beschäftigungsverhältnissen wie wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Postdocs mit befristeten Verträgen, studentische Hilfskräfte systematisch unterdrückt, missbraucht und ausgegrenzt werden. Die Studien und Dokumentationen zeigen, dass Machtmissbrauch in der Wissenschaft kein »Einzellfall« ist, sondern Teil unseres Wissenschaftssystems. So verwandeln sich die Orte der Wissenschaft nicht selten in Räume neofeudaler Praktiken.

»Zweifel ist der Weisheit Anfang«, sagte René Descartes, um die zentrale Bedeutung des Zweifelns und Hinterfragens für die Wissenschaft zu unterstreichen. Wissenschaft lebt vom kritischen Denken, vom freien Diskurs, vom produktiven Streit der Argumente. Doch paradoxerweise herrschen ausgerechnet dort, wo Zweifel und Kritik höchste Tugenden sein sollten, häufig subtile Machtstrukturen. Feudalartige Hierarchien prägen den Alltag, in denen nicht kritisches Denken, sondern Loyalität zählt. Diejenigen, die über institutionelles Kapital verfügen, erzeugen neue Abhängigkeiten durch selektive Bevorzugung, Intransparenz und Nepotismus. In dieser Ordnung entwickeln sich die akademischen Neofeudalen: Akteure, die Kritik als Illoyalität umdeuten und kritische Stimmen systematisch delegitimieren. »Wer stört, muss gehen«. Ein Klima der Angst entsteht, in dem rationales Denken zunehmend durch strategische Anpassung ersetzt wird.

Auf den Türmen der Wissenschaft werden Loyalitätsregime errichtet: informelle Machtstrukturen, in denen

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