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© picture alliance / dpa Themendienst | Franziska Gabbert

Geschlechterkritische Überlegungen zum StaatÜberraschungslos männlich

Der bundesdeutsche Staat präsentiert sich geschlechterambivalent: Die neue Bundesregierung war bei der Besetzung von Minister/innenposten sichtlich um Parität bemüht. Der Männeranteil im Ampel-Kabinett liegt bei nur 53 Prozent. Allerdings sieht es auf der Ebene der Ministerien nicht mehr ganz so frauenfreundlich aus, beispielsweise beträgt der Männeranteil auf der Staatssekretärsebene im grün geführten Ministerium für Wirtschaft und Umweltschutz 71 Prozent, unter den sieben neu benannten Staatssekretären sind nur zwei Frauen.

Im Bundestag stieg der Frauenanteil seit den 80er Jahren kontinuierlich an und liegt im derzeitigen 20. Bundestag bei 34,9 Prozent, etwas weniger als im 18. Bundestag mit dem höchsten bisherigen Frauenanteil von 36,5 Prozent. Eine Frau, Angela Merkel, steuerte 16 Jahre lang als Bundeskanzlerin die Republik, und sowohl in ihren Kabinetten wie auch im derzeitigen Ampelkabinett waren und sind einst als klassisch männlich angesehene Ressorts wie das Außen- oder das Verteidigungsministerium mit Frauen besetzt.

Weisen diese Trends auf einen sich anbahnenden Untergang des männlichen Staates in der Bundesrepublik Deutschland hin? Die weitsichtige erste österreichische Frauenministerin, die Sozialdemokratin Johanna Dohnal, betonte immer wieder aufgrund ihrer leidvollen Erfahrungen auch in ihrer eigenen Partei, dass Frausein kein politisches Programm sei. Dohnal brachte damit eine Einsicht feministischer Politikwissenschaft zum Ausdruck, die zwischen einer »Politik der Präsenz« (Anne Phillips) oder quantitativer Repräsentation von Frauen und ihrer substanziellen Repräsentation, also dem Handeln für Frauen unterscheidet.

Die »Männlichkeit des Staates« äußert sich daher nicht allein in der Besetzung zentraler Entscheidungspositionen mit Männern, also in der »Bemanntheit« staatlicher Institutionen – selbst, wenn diese ein wichtiger Indikator für Staats-Männlichkeit ist. Staatliche »Männlichkeit als System«, wie die Politikwissenschaftlerin Eva Kreisky es formulierte, ist mehr als das Geschlecht (sex) oder auch die Geschlechtsidentität (gender) seiner zentralen Akteure. Die kritisch-feministische Staatstheorie differenziert in ihrem Unterfangen, das männliche Geschlecht des vermeintlich neutralen Staates sichtbar zu machen, fünf Dimensionen, wie die Männlichkeit des Staates analytisch gefasst werden kann.

Erstens ist der Staat als Apparat ein Normen- und Institutionengefüge zur Durchsetzung von gesellschaftlicher Ordnung, die Staatsgewalt, mit der landläufig spezifische Organe wie die Polizei, das Militär und die Bürokratie bezeichnet werden. Der moderne bürokratische Staatsapparat ist gezähmt durch rechtsstaatliche Vorschriften wie die Gewaltenteilung und Grundrechte, aber auch durch demokratische Verfahren wie Wahlen und Abstimmungen. Trotz rechtlicher Gleichstellung der Geschlechter weisen viele rechtsstaatliche wie auch demokratische Institutionen nach wie vor eine überproportional hohe Männerquote auf.

Diese »positionale« Männlichkeit erfuhr zwar eine deutliche Abschwächung, weil zunehmend mehr Frauen Ämter in der Legislative wie in der Exekutive einnehmen und auch Gerichte allgemein feminisierter wurden. Über ein »positionales« Männlichkeitsverständnis hinaus ist eine »organisationelle« oder »versachlichte« Männlichkeit historisch in den Staatsapparat eingeschrieben, die aus einem vermeintlich rationalen, entemotionalisierten Regelsystem, einem maskulinistischen Denkstil, einer geschlechtsspezifischen hierarchischen Arbeitsteilung, dem Senioritätsprinzip sowie persönlichen Netzwerken von Männern staatlicher Institutionen entstand und immer wieder reproduziert wird.

Maskulinistische Schieflage

Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Carole Pateman erklärt die versachlichte Männlichkeit des Staates ideengeschichtlich: Sie weist darauf hin, dass das liberale Individuum, frei von Geschlecht, Klasse und ethnischem Hintergrund konstruiert, eine maskulinistische Fiktion ist und dass dem Gesellschaftsvertrag, der den modernen Staat begründen soll, ein verheimlichter »sexueller Unterwerfungsvertrag«, zugrunde liegt. Nur die »Brüder« sind in den bürgerlichen Vertragstheorien berechtigt, einen Vertrag untereinander zu schließen, mit dem sie den »Vater« entmachten, der Frauen aber – nicht nur in der politischen Theorie seit Thomas Hobbes und John Locke – nachhaltig aus dem Staatswesen ausschließt.

Diese maskulinistische Schieflage erklärt sowohl eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen von formal-demokratischen Prozessen wie auch die Unterrepräsentation von Frauen in politischen Institutionen trotz ihrer rechtlichen Gleichstellung. Repräsentations- und Wahlverfahren setzen eher (männliche) Partikularinteressen durch, als dass sie Universalität und Gleichheit realisieren.

Darüber hinaus wirken staatliche Politiken wie geschlechtsselektive Filter, d. h. Staatstätigkeit nimmt mittel- und unmittelbar Einfluss auf Geschlechterverhältnisse und perpetuiert vor allem ungleiche Geschlechterverhältnisse. Diese „policy-Geschlechtlichkeit«, wie dies die britische Politikwissenschaftlerin Joni Lovenduski nennt, führte historisch dazu, dass primär männlich-erwerbsbezogene Interessen in Politiken repräsentiert, aber z. B. die schwerer organisierbaren Interessen von Frauen als partikular de-thematisiert werden.

Die Geschichte des deutschen Sozialstaats ist ein prägnantes Beispiel, erhielten Frauen doch lange Zeit nur von ihrem Ehemann abgeleitete soziale Rechte. Auch die neue Bundesregierung hat in ihrem Regierungsprogramm den kapitalistischen Systemfehler, nämlich die Nicht-Anerkennung von Reproduktions- bzw. Sorgearbeit, die wie selbstverständlich un- oder schlechtbezahlt von Frauen übernommen werden muss, nicht in Angriff genommen.

Staatlichkeit ist zweitens nicht nur ein Apparat, sondern ein Terrain, ein soziales Kräftefeld, in dem unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen um die Realisierung ihrer Interessen ringen und auf dem sich soziale und kulturelle Differenzen zu konflikthaften Ungleichheitsstrukturen verknüpfen. Der bürokratische Staatsapparat ist also die Institutionalisierung von gesellschaftlich ungleichen Verhältnissen, in den Worten des neo-marxistischen Staatstheoretikers Nicos Poulantzas die »Verdichtung« von gesellschaftlichen Verhältnissen – nicht nur von Klassen-, sondern auch von ungleichen Geschlechterverhältnissen. Staatlichkeit entsteht aus Geschlechterverhältnissen, und Zweigeschlechtlichkeit wird in unterschiedlichen Arenen und mit unterschiedlichen Mitteln durch den Staat produziert, durch ihn stabilisiert und aufrechterhalten.

Das geschlechtsspezifische Kräftefeld ist im bürgerlich-kapitalistischen Staat durch trennende Vorfestlegungen gekennzeichnet, die vor allem gesellschaftliche Widersprüche um Arbeit und Generativität aufrechterhalten hilft, indem sie in Gegensätzlichkeiten überführt werden: die Trennung zwischen öffentlich und privat, zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit, zwischen inner- und außerstaatlich, dem Eigenen und dem Fremden.

Nationalstaaten zogen nicht nur Grenzen an ihren territorialen Rändern und schlossen andere Ethnien aus, sondern Grenzziehungen verliefen auch quer durch das Staatsvolk selbst: Frauen waren zwar Staatsangehörige, fundamentale staatsbürgerschaftliche Rechte wurden aber als Männerrechte festgeschrieben und nur langsam auf Frauen ausgedehnt.

Normalisierungsmechanismen wie die Familie, der Arbeitsvertrag und die Staatsangehörigkeit überführen diese Ungleichheiten in staatlich geregelte Bahnen. Die familiäre geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Abhängigkeit der Frauen vom männlichen Familienernährer ist in Deutschland in grotesker Weise noch immer im Ehegattensplitting festgeschrieben; Arbeitsverträge sind trotz gewerkschaftlicher Kämpfe nach wie vor Verträge, die – in mehr oder weniger schamloser Weise – Mehrwert abschöpfen, und Staatsbürgerschaft ist trotz der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts eine Institution, die Zugehörigkeit und Ausschluss bzw. politische Rechtlosigkeit in ganz Europain Gesetze fasst. Als Arena ist der Staat überraschungslos männlich.

Aus der Vorstellung des Kräftefelds ergibt sich, dass der Staat drittens ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen und Mächten, das Ergebnis mächtiger Netzwerke und Strategien ist. Er ist folglich keine einheitlich agierende Institution mit einer – beispielsweise patriarchalen – Logik, und er kann weder als ein kohärenter Agent einer spezifischen gesellschaftlichen Gruppe, der Männer beispielsweise, noch mit Intentionalität, z. B. die Kontrolle von Frauen, agieren.

Der Staat ist vielmehr ein gegenüber Geschlechterverhältnissen relativ autonomer Akteur, da sich aus ihm heraus auch neue Kräftekonstellationen entwickeln können, die Veränderung ermöglichen. In der Geschichte gab es solche Überraschungen: So haben gesellschaftliche Bewegungen immer wieder darum gekämpft, das staatliche Trennungsdispositiv zu überwinden und Grenzen zu verschieben. Nicht nur die Arbeiterbewegung veränderte den Staats- zum Wohlfahrtsstaatskompromiss, auch der Frauenbewegung gelang es, Geschlechterverhältnisse zu verändern, und die Politikfelder Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik konnten die männerzentrierten Funktionsweisen staatlicher Institutionen auf nationaler wie internationaler Ebene zumindest partiell modifizieren.

Staaten sind viertens Projekte, die diskursiv-hegemonial abgesichert werden müssen. In demokratischen Politikprozessen werden hegemoniale Wahrnehmungs- und Wissensformen von Geschlecht, aber auch von Sexualität, Klasse und Ethnizität sowie von Religion, Behinderung und Alter ausgehandelt und schließlich in gesetzliche Normen gegossen.

Fünftens können soziale Positionen und politische Identitäten nicht schlicht durch staatliche Normen und Institutionen verordnet, sondern müssen aktiv angeeignet bzw. von den Individuen entworfen und gelebt werden. Staatlichkeit umfasst Praxen von Menschen; sie müssen ihnen selbstverständlich sein (dies wird mit Gramscis Begriff der Hegemonie bezeichnet), müssen in den Köpfen und Körpern sitzen. Foucaults Konzept der Gouvernementalität als »Selbstregieren« der Individuen eröffnet für die feministische Staatssicht die Perspektive, Staatlichkeit und Subjektivierung zusammen zu denken.

Geschlechtsspezifische Herausforderungen der Ampel-Regierung

Regieren ist dann nicht mehr ausschließlich das Privileg von Staaten, sondern der zeitgleiche Prozess der Herausbildung und Unterwerfung der Individuen aus freien Stücken sowie der Staatsformierung. Staatliche Politiken sind daher Interpretationsmuster, die vergeschlechtlichte Subjektpositionen überhaupt erst konstruieren – beispielsweise den männlichen Familienernährer und die abhängige Ehefrau als Hausfrau – und die dann bestimmte Maßnahmen, wie das Ehegattensplitting, diesen Menschen »rational« erscheinen lassen. Die maskulinistische staatliche Hegemonie ist recht resilient, weil sie so wenig überraschend ist, sondern im Gegenteil als normal erscheint.

Dieses Konzept von Staatlichkeit macht die geschlechtsspezifischen Herausforderungen der Ampel-Regierung deutlich: Wirkliche Demokratisierung muss Geschlechterverhältnisse neu denken, muss die historisch sedimentierte Männlichkeit des Staates in der staatlichen Bürokratie, im parlamentarischen Politikprozess, in der Rechtsprechung, vor allem aber auch in den Köpfen und Körpern der Menschen infrage stellen. Ohne ein umfassendes Emanzipationsprojekt, das die kapitalistische Unterwerfung von Natur und von Arbeitskraft beseitigt, wird die Männerzentriertheit des Staates nicht überwindbar sein – dazu hängen diese Strukturmuster im bürgerlich-kapitalistischen Staat zu lange schon zusammen.

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