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Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus der Relevanzkrise kommt Umfassende Reform nötig

Auch wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk von Land zu Land jeweils unterschiedlich ausgestaltet ist, bleibt der Grundgedanke derselbe: Der freiheitlich-demokratische Staat garantiert einen gemeinnützigen Rundfunk, der keinen kommerziellen oder anderen speziellen Interessen unterliegt, sondern unabhängig ist und dem allgemeinen Interesse dient. Doch ob France Télévisions oder Radio France, ob ORF, RAI, BBC, ARD oder ZDF, die Öffentlich-Rechtlichen stecken in einer doppelten Krise. Sie verlieren an Bedeutung, an Zustimmung und an Vertrauen. Sie werden nicht hinterfragt, weil sie übermächtig sind, sie werden hinterfragt, weil sie an Relevanz eingebüßt haben.

Die Ursachen liegen in einer umstürzenden Veränderung der Mediennutzung und einer Vervielfachung an Verbreitungswegen, der ungenügenden Beherrschung komplexer Produktionsformen und in kostspieligen digitalen Transformationsprozessen, schließlich in der Auflösung der Rundfunkordnung und dem rasanten Aufstieg von sozialen Medien und Streamingdiensten.

Dass die schöne neue Medienwelt mit Daten und mit echtem Geld bezahlt wird, bemerken mittlerweile auch die deutschen Nutzer. Zwar hat das Medienbudget des Durchschnittshaushalts noch nicht das US-amerikanische Niveau erreicht, aber wer Kabelgebühren, WLAN, Netflix, Sky und den Smartphone-Vertrag jeden Monat bezahlt, spürt den Beitrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eher als in grauen Vorzeiten und dies selbst dann, wenn die Flatrate nur 60 Cent am Tag beträgt und damit deutlich unter dem Zeitungsabo liegt, was vielleicht auch noch dazu kommen mag.

»Keine Mittel gegen die Abwanderung von Werbung, Zuschauern und Lesern ins Digitale.«

Die Öffentlich-Rechtlichen hinken den internationalen Trends hinterher; aber nicht nur sie. Auch die privaten Sender und die Zeitungsverlage in Deutschland haben keine probaten Mittel gegen die Abwanderung von Werbung, Zuschauern und Lesern ins Digitale gefunden. Die Not ist inzwischen derart groß, dass die Verlage, die in guten Zeiten zweistellige Renditen erwirtschafteten, immer lauter nach einer staatlichen Presseförderung rufen. Verlangt wird nichts weniger als die dauerhafte Subventionierung der Zustellung der lokalen Monopolpresse an immer weniger Abonnenten aus Steuermitteln.

Aus diesem Glashaus heraus wirft der Verband der Zeitungsverleger nun spitze Steine auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der mit seiner regionalen und vermeintlich presseähnlichen Berichterstattung die Existenz der Lokalzeitung bedrohe. Der in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen lebendig gehaltene Ludwig Erhard würde sich angesichts solch durchsichtiger Versuche, jedweden publizistischen Wettbewerb zu unterbinden und Monopole auf lokalen Märkten durch den Besitz der Lokalzeitung, des Lokalradios und des lokalen Anzeigenblattes durchzusetzen, erst recht im Grabe umdrehen. Der Lobbyismus der Verleger hat aber noch ein zweites Gesicht. Dies zeigt sich in dem von der Döpfner-Presse angeführten Kampagnenjournalismus gegen die Öffentlich-Rechtlichen.

Absichtsvoll geschürte Empörung

Den billigen Anlass hierfür lieferte der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst, genauer gesagt der RBB. Dessen (inzwischen abgesetzte) Führungscrew hatte die verfassungsrechtlich bestimmte dienende Freiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Interesse einer freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung mit verdienenden Freiheiten im eigenen Interesse verwechselt und die gesamte ARD in eine tiefe Vertrauenskrise gestürzt. Zweifelsohne handelte es sich um einen Skandal, der eine energische Aufklärung rechtfertigt; nur, die Skandalisierung jedmöglicher Regung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat auch etwas mit einer durchaus absichtsvoll geschürten Empörung gegen einen Konkurrenten auf Medienmärkten und in der öffentlichen Willensbildung zu tun.

Die Öffentlich-Rechtlichen haben dagegen zu lange auf die verfassungsrechtliche Bestands- und Entwicklungsgarantie vertraut, Ausmaß und Geschwindigkeit basaler Trends unterschätzt, die die Erreichbarkeit wachsender Segmente der Gesellschaft unterspülten, und sie haben zu spät und zu zaghaft in neuen Content und technologische Innovationen investiert. Hinzu treten Verzögerungen im Umbau der Aufbauorganisation und der Umschichtungen im Personalkörper.

Die Unbeweglichkeit der Sender hängt allerdings auch mit deren Einbettung in die rundfunkpolitische Ordnung und einem zähen medienpolitischen Entscheidungsprozess zusammen, der nun durch eine Kaskade an Medienstaatsverträgen, die gleichzeitig im Umlauf sind, in Schwung gebracht werden soll.

Dahinter steckt der begrüßenswerte Versuch der Rundfunkkommission der Länder, die nebeneinander laufenden Positionen übereinander zu bringen, von denen aus eine Reform des Rundfunks angemahnt wird. In diesem diskursiven Nebeneinander sucht die eine Position das Heil in einer Organisationsreform, mit der Mehrfachstrukturen überwunden, kostenträchtiger Ballast abgeworfen und dadurch neues Vertrauen gewonnen werden soll.

»Technisch-organisatorische Maßnahmen halten den Vertrauensverlust nicht auf.«

Der WDR-Intendant Tom Buhrow hat diese Position in seiner Hamburger Rede stark gemacht. Die übrigen Intendanten der ARD haben sich seinem Appell inzwischen insofern angeschlossen, als sie einen linearen Spartenkanal ins Digitale schicken, die Anzahl gleicher Radiokanäle reduzieren und die Dritten Programme von ähnlichen Formaten entrümpeln und thematische Redaktionen zusammenlegen wollen. Allerdings wäre es ein Irrtum zu glauben, allein technisch-organisatorischen Maßnahmen würden den Vertrauensverlust aufhalten können.

Die zweite Position bezieht sich auf das Bundesverfassungsgericht, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Medium und Faktor einer Meinungsbildung beschreibt, die sowohl der individuellen Selbstentfaltung wie der kollektiven Selbstbestimmung dient. So werden vor allem der demokratiefördernde Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dessen kulturbildende Leistungen hervorgehoben und vor einer Verflachung des Programms – sei es aus Kosten- oder Quotengründen – gewarnt.

Eine solche Betrachtungsweise leidet darunter, dass sie zwar normativ sehr überzeugend argumentiert, aber durch einige empirische Tendenzen dementiert wird. Allzu sehr nämlich verstärkt der öffentlich-rechtliche Rundfunk vorhandene Themen statt eigene Akzente zu setzen, zu oft schätzt er eher die starke Meinung als die nüchterne Sachkenntnis. Und nicht selten unterschätzt er seine Nutzer. Anders gesagt: Er setzt auf Durchsehen und Durchhören, Erfolgsgewohntes und Eintöniges statt auf Ungesehenes, Ungehörtes und Besonderes. Aber es wäre auch ein Irrtum zu glauben, allein ein ansprechenderes Programm könnte die Legitimationskrise beenden.

Eine dritte Position behauptet, den schon genug gebeutelten Bundesbürgern höhere Rundfunkbeiträge nicht länger zumuten zu können. Doch weniger die Höhe des Beitrags löst scharfe Kritik aus, sondern vielmehr dessen Verwendung für zu hohe Gehälter, ungewöhnliche Ruhegelder oder beträchtliche Pensionsansprüche, mithin für eher programmfremde Zwecke. Schon deswegen ist es ein Irrtum zu meinen, die Akzeptanz des ÖRR ließe sich an der Beitragshöhe ablesen.

»Jede Position landet in einer Sackgasse.«

Für sich genommen landet jede Position in einer Sackgasse. Keine von ihnen kann eine Linie definieren, von der aus der öffentlich-rechtliche Rundfunk wieder genügend Vertrauen gewinnen und seine Zukunft selbst in die Hand nehmen kann. Wann ist die Organisationsreform erfolgreich? Bei der Abschaffung von zwei Spartensendern, zehn Radiosendern und vier Klangkörpern? Oder erst bei der Zusammenlegung von ARD und ZDF? Wann führt die Qualitätsdebatte für wen zu besseren Programmen? Wann erscheint der Rundfunkbeitrag akzeptabel? Wenn er bei 24, 18 oder zwölf Euro liegt? Klar ist: Für die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fällt der Beitrag stets zu hoch, die Qualitätsdebatte ständig zu nachsichtig und die Organisationsreform immer zu klein aus.

Debatten zusammenführen

Deswegen kommt es darauf an, die Organisations-, Qualitäts- und Beitragsdebatte zusammenzuführen. Das kann kein Konvent, keine Kommission, kein Publikums- oder Zukunftsrat. Dies kann nur die Politik, die den gesetzlichen Auftrag des Rundfunks gesetzlich festlegt. Aus ihm entspringen Organisation, Qualität und Beitragshöhe. Die Rundfunkkommission der Länder versucht inzwischen den Reformprozess zu orchestrieren. Neben ihren Gesetzesnovellen laufen der dreistufige KEF-Mechanismus (Kommission zur Ermittlung des Finanzbeadrfs der Rundfunkanstalten), die jeweiligen Reformbemühungen der Sender und natürlich die öffentliche Debatte.

Weil an ihr auch Ministerpräsidenten teilnehmen, sei an dieser Stelle noch auf einen anderen Glashaus-Effekt hingewiesen. Die Zuständigkeit für die Medienpolitik liegt bei den Ländern, diese führen auch die Rechtsaufsicht über die Sender, und sie regulieren die deutschen Medienmärkte. Ein Großteil der Wortmeldungen bezieht sich auf die ARD, also die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland, die ebenso wie die Länder ein Konstrukt des Föderalismus ist.

Manche Landespolitiker sind sich aber offenbar über die unitarische Wirkung ihres Steinewerfens nicht ganz im Klaren. Denn an die Länder lassen sich dieselben Fragen richten wie an die ARD: Welchen Sinn etwa macht der Bestand eines Landes wie Sachsen-Anhalt mit nur knapp zwei Millionen Einwohnern, das sich aus dem eigenen Steueraufkommen schwerlich finanzieren lässt? Warum gibt es in Mitteldeutschland drei Ministerpräsidenten mit drei Landesverwaltungen und zahllosen Behörden, die dieselben Aufgaben wahrnehmen? Es gibt dort doch auch nur einen ARD-Sender mit einer Intendantin?

»Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist auch eine Föderalismusdebatte.«

Und wenn es schon viele kleine Länder nebeneinander gibt: Arbeiten deren Einrichtungen wenigstens auf derselben IT-Basis? Finanzieren sie ihre hoffentlich einheitliche, mit Bund und Gemeinden abgestimmte Digitalisierungsstrategie durch Einsparungen an anderer Stellen in ihren Haushalten oder durch Kreditaufnahmen? Wo arbeiten sie nach dem Einer-für-alle-Prinzip? Und wäre es aus einer unitarischen Sicht nicht gleich besser, die Länder aufzulösen und aus ihnen Provinzen zu machen, in denen rein regionale Dinge erledigt werden, während ansonsten eine einheitliche Bundesverwaltung die nationalen Dinge regelt? Kurzum: Die Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland ist immer auch eine Debatte um den deutschen Föderalismus.

Sicher: Es bedarf schlankerer Organisationen, flacherer Hierarchien, White-label-Produkte, notwendig ist der Aufbau redaktioneller Kompetenzzentren sowie guter Mantelprogrammen in der ARD, und wir brauchen eine moderne öffentlich-rechtliche Mediathek im europäischen Maßstab. Ein solcher Reformprozess wird ein Mehr an Spezialisierung und Konzentration hervorbringen, aber er darf nicht in eine Uniformität an Sichtweisen, Einstellungen, Abläufen und Produktionen umschlagen.

Um an den Ausgangspunkt dieser Betrachtungen zurückzugelangen: Wenn der Legitimationskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein Relevanzproblem im Zuge eines neuerlichen Strukturwandels der Öffentlichkeit zugrunde liegt, dann sollten die Reformbestrebungen der wohlmeinenden Kritiker sich danach richten, ihn angemessen zu stärken und nicht, ihn weiter zu schwächen. Sie würden sich ansonsten mit denen gemein machen, die den gemeinnützigen Rundfunk kritisieren, weil sie ihn zerschlagen wollen.

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