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Bücher zur Pandemie Und nichts war anders außer mancherlei

Sehr schnell hat die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 auch den Buchmarkt erfasst. Doch während viele Verlage ihre geplanten Titel zurückhalten mussten, drängten dafür andere, eben dieser Krise gewidmete Bücher vor. Mittlerweile sind einige von ihnen schon seit Monaten auf dem Markt, während das Ende und die Auswirkungen der Pandemie für uns noch immer nicht absehbar sind und die meisten Menschen die Krise vor allem mittelbar wahrnehmen. Das Bild der Seuche wird nicht mehr von nach Luft ringenden Menschen und von an Covid Gestorbenen geprägt, sondern von Masken, vom Abstandhalten und von leeren Veranstaltungsorten.

So sind einige Bücher inzwischen zu Dokumenten einer Phase geworden, die wir längst hinter uns zu haben glauben, was immer öfter zu Exzessen einer vermeintlichen Selbstbestimmtheit und zur Missachtung von Sicherheitsmaßnahmen führt. Nikil Mukerji und Adriano Mannino haben versucht, mit ihrem Band Covid-19: Was in der Krise zählt eine »Philosophie in Echtzeit« zu betreiben und auf Grundlage einer kritischen Analyse des öffentlichen Umgangs mit der Seuche eine praktische Risikoethik zu entwerfen, die über den aktuellen Anlass hinausweist, denn »Pandemien sind erwartbar«. Covid-19 ist auch ein Sinnbild für die Verletzlichkeit unserer übervölkerten und hypermobilen Welt aufgrund der wachsenden Zahl von Kontakten.

Das Medium ist hier auch schon eine Botschaft. Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge haben die Gespräche für ihren Band Trotzdem zwar per Instant-Messaging-Dienst geführt, sie aber dann ebenso in Buchform publiziert wie die Echtzeit-Philosophen Mukerji und Mannino, deren Aktualitätsanspruch ein digitales Medium eigentlich angemessener erschiene. Offenbar erscheint die Pandemie aber als ein so bedeutender historischer Wendepunkt, dass es des ehrwürdigen Mediums Buch bedarf, um ihm seine An- und Einsichten anzuvertrauen und für die Nachwelt zu bewahren.

Während der von Cordt Schnibben und David Schraven herausgegebene Reportageband Corona eine dramatische, mit »Geschichte eines angekündigten Sterbens« untertitelte Chronik der ersten Seuchenmonate bis zum späten Mai 2020 liefert, und während Mukerji und Mannino ein Denken »auf Vorrat« propagieren, wähnen sich andere Autoren bereits einen Schritt weiter. Markus Gürne und Bettina Seidl von der ARD-Börsenredaktion versprechen in ihrem Buch Der Wirtschaftsvirus eine Antwort auf die Frage »Wie Corona die Welt verändert und was das für Sie bedeutet«. Ivan Krastevs Buch Ist heute schon morgen? gibt vor, beschreiben zu können, »wie die Pandemie Europa verändert« und Matthias Horx glaubt in Die Zukunft nach Corona zu wissen, »wie eine Krise die Gesellschaft, unser Denken und unser Handeln verändert«.

Bei so frohgemuter Folgenabschätzung gerät die Ursache aus dem Blick. Vermutungen, persönliche Eindrücke und Wunschdenken ersetzen die Empirie: »Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte reden die Menschen überall auf der Welt über dasselbe und teilen dieselben Ängste«, schreibt Krastev, ohne dies belegen zu können. Noch pauschaler urteilen Gürne und Seidl – »vor dem Coronavirus sind wir alle gleich«. Da fragt man sich, wie den Verfassern entgehen konnte, dass es Risikogruppen und weniger Gefährdete gibt, und dass das Risiko für einen fatalen Verlauf in den USA bei Afroamerikanern deutlich über dem Durchschnitt liegt.

Die Stunde der Politik

Wer die Seuche, sprich eine Infektion damit, noch nicht überstanden hat, kann nicht sicher sein, dass es die Zukunft nach Corona, die Horx proklamiert, für ihn überhaupt geben wird. Und die Überlebenden haben erfahren, dass vor dem Virus eben nicht alle gleich und die Krankheitsfolgen nach dem Ende der Infektion oft noch nicht ausgestanden sind. So erwähnt Schnibben in seinem Vorwort den für das Buch geplanten Text eines Kollegen, den dieser nicht schreiben konnte, weil er selbst schwer an der Seuche erkrankt war: »Unter Journalisten kenne ich inzwischen vier Kollegen, die nach überstandenen Wochen im Krankenhaus monatelang damit zu tun haben werden, wieder der Mensch zu werden, der sie mal waren.«

Doch aus der konkreten Krankheit, die Menschen befällt, sie schwer schädigt oder gar tötet, ist längst eine Metapher geworden, die aus dem Bereich der Seuchenmedizin leichtfertig auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft übertragen wird. Man sagt »Corona«, meint aber die Maßnahmen dagegen. In Das Wirtschaftsvirus zählen Gürne und Seidl gleich mehrere »Vorerkrankungen« der Ökonomie auf – »Geldvirus«, »Pleitevirus«, »Ölvirus«, »Kriegsvirus«, und man fragt sich, was die Ökonomie eigentlich für eine Wissenschaft ist, wenn sie solch fragwürdiger Analogien bedarf. Covid-19 befällt nicht die Wirtschaft oder die Gesellschaft, sondern einzelne Menschen. Was Gesellschaft und Wirtschaft lähmt, sind die Abwehrmaßnahmen, die Reiseverbote, Grenzschließungen, Kontaktverbote, kurzum der allgemeine Shutdown. Doch diese Lähmung ist selbstverfügt, ist die Folge vernünftiger Abwägungen und Entscheidungen. Angelehnt an Überlegungen Julian Nida-Rümelins nennen Mukerji und Mannino drei Strategien: Delay (Verzögerung der Ausbreitung des Virus), Containment (Eindämmung der Reproduktionszahl des Virus) und Cocooning (Einigelung besonderer Risikogruppen) und diskutieren deren Rangordnung und praktische Anwendbarkeit.

Das Problem ihres Philosophierens in Echtzeit ist freilich, dass die Autoren bei aller analytischen Kompetenz keine Entscheidungskompetenz besitzen, also keinen direkten Einfluss auf das nehmen können, was sie beurteilen. Von einem wirklichen Urteilen in Echtzeit trennt sie zudem der Umstand, dass Philosophen wie Journalisten oder Sozialwissenschaftler und natürlich auch Politiker keine fachliche Expertise in Sachen Virologie und Seuchenmedizin besitzen. Sie sind im besten Fall Experten aus zweiter Hand und hinken den Fachwissenschaftlern immer hinterher.

Deren Urteil aber ist derzeit nicht nur gefragt, es wird zudem in einem noch nie dagewesenen Maße ernstgenommen und zeitigt politische und exekutive Entscheidungen. Anders als bei anderen großen Entscheidungen etwa in Sachen Klimaschutz wird hier nichts verzögert, beschönigt und zerredet. Flugzeuge sind vom Himmel verschwunden, Kreuzfahrtschiffe an die Kette gelegt worden. Ferdinand von Schirach folgert daraus: »Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte haben wir gesehen, dass die Politik alles ermöglichen kann. Nie wieder wird deshalb ein Politiker zu einer jungen Frau sagen können, Klimaschutzmaßnahmen seien nicht zu verwirklichen, weil sie zu teuer sind, zu kompliziert oder die Wirtschaft zu sehr einschränken.«

… und alle Fragen offen

Nichts ist unmöglich, wenn es als lebensrettend eingeschätzt wird; erst im Anschluss stellt sich die Frage nach dem Nachher. Und dazu gehört auch die, wie stark der Lockdown unseren gewohnten Alltag infrage gestellt hat. Es gibt Dinge, die unentbehrlich sind, wie die berühmten Hortgüter Toilettenpapier und Nudeln. Und es gibt Dinge, die entbehrlich sind, wie etwa die Frühlings- und Sommermode 2020, die zum Ladenhüter wurde. Entbehrlich sind auch viele Geschäftsreisen, die durch Videokonferenzen ersetzt werden können. Entbehrlich sind viele Fahrten zum Arbeitsplatz, nachdem die Krise vielen Arbeitgebern bewiesen hat, dass der befürchtete Kontrollverlust bei einer Auslagerung ins Homeoffice gar nicht eingetreten ist. Hier werden künftige Arbeitsformen erprobt und fortentwickelt, die uns vor neue, praktische Herausforderungen stellen. Viele Büroetagen werden von Homeoffices ersetzt werden, aber was wird aus der betrieblichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer, wenn der analoge Kontakt, der »Flurfunk« ausfällt?

Solche praktischen Fragen stellen sich nicht, wenn man wie Matthias Horx glaubt, »im Auge des Sturms der COVID-Krise« zu schreiben: »Re-Gnose statt Pro-Gnose« verkündet der Klappentext, was sagen soll, dass dieser »Trend- und Zukunftsforscher« gewissermaßen aus der Zukunft auf unsere Krise zurückblickt. Für eine solide Prognose fehlt ihm auch die empirische Basis. Die Welt »hinter uns« ist für ihn voller Kreuzfahrtschiffe, die »durch die Ozeane« und nicht wie üblich über sie »dampften«, ist eine Welt, in der Shitstorms »blühten« und Populisten immer »unsäglicher« wurden. Zwar liegt die Ära der Dampfschiffe tatsächlich »hinter uns«, aber hier sind nicht einmal Klischeebilder richtig in Worte gefasst: »›Hic sunt dracones‹ hieß es auf alten Seekarten, mit denen die Seefahrer über die unbekannten Ozeane navigierten«, weiß der Autor. Aber sind Ozeane, von denen es Karten gibt, unbekannt? Navigare necesse est – Seefahrt tut not, wussten schon die alten Dampfschiffer, und der Autor weiß: »Auch Zukunftsforscher können die offenen Stellen, die Riffe, die Untiefen, die Stürme, die auf uns warten, nicht vollständig kartografieren.« Aber eine Pandemie ist eben keine lustige Seefahrt; es geht dabei nicht um Riffe und Untiefen, und wer zudem auch noch Stürme kartografieren will, verliert dabei das eigentliche Thema aus dem Blick.

Doch wie lässt sich die Coronakrise überhaupt erfassen? Cordt Schnibben postuliert »Zahlen sind für uns wie Frontberichte« und führt aus: »Was vor Monaten noch ein einig Volk von Coronabürgern war, ist jetzt eine Klassengesellschaft. Die Klasse der Homeoffice-Eltern mit Kind denkt anders über den Lockdown als die Klasse der Homeoffice-Singles, die Klasse der Homeoffice-Bürger mit Großeltern denkt anders über das Leben ohne Lockdown als die Klasse der Homeoffice-Bürger ohne Großeltern.« Solch metaphorische Benutzung von Begriffen wie »Front« und »Klasse« führt zu deren Verwässerung und Banalisierung, so als seien richtige Kriege und Klassenkonflikte durch den Shutdown aus der Welt geschafft worden.

Sind sie aber nicht, und hier liegt das große Dilemma nicht nur der Corona-Bücher, sondern auch der Corona-Politik. Die Pandemie drängt zu sofortigen und einschneidenden Maßnahmen und lässt uns bisherige Probleme anders beurteilen. Sie löst diese Probleme aber nicht auf, und die Handlungsoptionen, die der aktuelle Krisendruck der Politik gewährt, sind befristet. Von Schirachs Bewertung der Krise als große Ermöglicherin kann sich schnell ins Gegenteil verkehren, wenn Geldmittel, Kraft und Geduld erschöpft sind und die allgemeine Reizbarkeit steigt.

Markus Gürne/Bettina Seidl: Das Wirtschaftsvirus. Wie Corona die Welt verändert und was das für sie bedeutet. Econ, Berlin 2020, 352 S, 20 €. – Matthias Horx: Die Zukunft nach Corona. Wie eine Krise die Gesellschaft, unser Denken und unser Handeln verändert. Econ, Berlin 2020, 144 S., 15 €. – Ivan Krastev: Ist heute schon morgen? Ullstein, 90 S., 8 €. – Nikil Mukerji/Adriano Mannino: Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit. Reclam, Stuttgart 2020, 120 S., 6 €. – Ferdinand von Schirach/Alexander Kluge: Trotzdem. Luchterhand, München 2020, 80 S., 8 €. – Cordt Schnibben/David Schraven (Hg.): Corona. Geschichte eines angekündigten Sterbens. dtv, München 2020, 368 S., 18,90 €.

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