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Zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Sender #UnsereMedien

Sich ernsthafte Gedanken über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu machen ist immer auch eine Zeitreise. In ihm steckt das Erbe westlicher Besatzungsmächte, der Amerikaner und der Briten vor allem. Die Tagesschau wird jeden Tag vom Hugh-Greene-Weg in Hamburg aus auf unsere Schirme und Displays gesendet. Der britische Offizier war Gründungsintendant des damaligen NWDR und später Generaldirektor der BBC.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der neuen Bundesrepublik so nicht nur ein ganz konkretes Verständnis von gemeinwohlorientierten Medien mit auf den Weg gegeben, sondern auch der Föderalismus, der dieses System prägt. In der DNA unseres Landes lebt bis heute so auch der damalige Geist des »New Deal« fort, eine für heutige Maßstäbe kaum vorstellbare Welle des Wohlfahrtsstaates in den USA – ausgerechnet.

Rund 70 Jahre später haben sich die Vorzeichen gründlich verschoben, beiderseits des Atlantiks und des Ärmelkanals. Die »alte Tante« BBC und auch die britische Regulierungsbehörde Ofcom sehen sich in ihren Grundfesten erschüttert durch populistischen Furor, genüsslich befeuert auf den Seiten der kommerziellen Printpresse, und systematisch vorangetrieben in den Zirkeln der aktuellen politischen Macht. Als Land keine Verfassung – und damit auch keine Verfassungsgerichtsbarkeit – zu haben, macht es nicht leichter und die »Auntie« zusätzlich verwundbar.

In den Vereinigten Staaten ist gerade eine schon fast hilflos-händeringende Debatte im Gange, wie denn eventuell öffentliche Mittel zur Stärkung von Qualitätsmedien genutzt werden könnten. Gelehrte und zunehmend auch Politiker/innen stellen sich diese Frage angesichts von grassierendem Zeitungssterben in der Fläche (news deserts) und in der Hoffnung, so Desinformation und Polarisierung in der Gesellschaft besser entgegentreten zu können.

Fast ungläubig wird dann hin und wieder nach Deutschland geschaut und zu verstehen versucht, wie wir das mit den öffentlich-rechtlichen Medien hinbekommen haben und wie das genau funktioniert. Hier schließt sich der Kreis, was dann regelmäßig noch größeres Erstaunen auslöst. Ja, wir haben Euch das zu verdanken!

Auch die noch jüngere europäische Geschichte bietet interessantes Anschauungsmaterial, gerade nach den Regimewechseln der 90er Jahre in Mittel- und Osteuropa. Dort wurden die Mediensysteme nun wahrlich nicht mit den Mitteln von Besatzungsmächten ersetzt und neu gestartet. Jedoch gab und gibt es bis heute signifikante Anstrengungen von außen, Veränderungen durch »soft power« der Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen.

In einigen Fällen wird so bereits seit Jahrzehnten versucht, dabei behilflich zu sein, postkommunistische Staatssender und -strukturen in unabhängige öffentlich-rechtliche Systeme zu transformieren (der Autor war an einigen dieser Projekte beteiligt). Die Beispiele Polen und Ungarn zeigen uns jedoch gerade auf brutalstmögliche Weise, wie sich solche Ziele – so erfolgreich oder erfolglos sie zuvor auch angestrebt wurden – innerhalb von wenigen Monaten ins genaue Gegenteil verkehren können.

Womit wir in der Gegenwart angekommen wären und bei der Frage, welche Lehren wir daraus für unsere Medienpolitik und speziell für die Frage nach der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Systems ziehen können.

Trügerische Sicherheit

Unstrittig ist, dass wir derzeit vielerorts um ARD und ZDF beneidet werden. Gleichzeitig kommen die Einschläge näher. Ist ein öffentlich-rechtliches System, das diesen Namen verdient, erst einmal marginalisiert oder gar abgeschafft, erscheint es fast unmöglich, es jemals wiederaufzubauen – von einer militärischen Besatzungssituation vielleicht einmal abgesehen. Dieses einzigartige und von außen betrachtet fast unwahrscheinlich und unerklärlich anmutende Wesen öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist verletzlicher, als es auf den ersten Blick scheint. Und darin liegt eine weitere, verborgene Gefahr, nämlich die der trügerischen Sicherheit.

Während ARD und ZDF von einem zum nächsten Quotenerfolg segeln, für sie günstige Urteile aus Karlsruhe einsammeln und die Mehrheit der Staatskanzleien auf ihrer Seite wähnen, baut sich auch in Deutschland eine extreme Gegenposition auf. Sie reicht von drastischer Schrumpfung bis zum kompletten Abschaffen und erstreckt sich vom politisch harten rechten Rand über Teile der Union bis hin zur kompletten FDP, heftig angeheizt durch einschlägige Interessengruppen der kommerziellen Medienbranche.

Dieser laute, teils schrille Chor der Gegner hat keinen wahrnehmbaren Gegenpol in der Öffentlichkeit. Während wir Deutsche uns gern in Clubs der Steuerzahler, Bahnkunden und Radfahrer organisieren, gibt es keine organisierte Stimme der – ja was eigentlich? Wir alle sind dauerzahlende Kund/innen und Nutzer/innen von ARD, ZDF und Deutschlandradio, aber darüber hinaus auch Teilhaberinnen, Aktionäre, Mitinhaberinnen dieses Systems.

Viele von uns schätzen die Sender und ihr Angebot aus ganz unterschiedlichen Gründen und manchmal sind wir uns dessen gar nicht bewusst. Einige haben Kritik, Verbesserungsvorschläge oder auch grundsätzliche Zweifel. Vermutlich denkt der weitaus größte Teil der Gebührenzahlenden aber einfach nicht ständig darüber nach und weiß auch wenig über die Hintergründe dieses, wie gesagt, recht merkwürdigen Wesens öffentlich-rechtlicher Rundfunk.

Es könnte fast der Eindruck entstehen, den Verantwortlichen in Sendern und Staatskanzleien ist das auch ganz recht so. Der Zuspruch der Öffentlichkeit wird in Marktanteilen gemessen und alle weiteren Fragen, wenn es sein muss, vor dem Verfassungsgericht geklärt. Diskussionen über den Auftrag von ARD und ZDF finden weitgehend hinter verschlossenen Türen statt. Die Komplexität der Verfahren erfordert Fachkompetenz und politisch-technokratisches Geschick. Man ist unter sich.

Ein aktuelles Beispiel ist der »Diskussionsentwurf zu Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks« – ein Dokument, das die 16 Staats- und Senatskanzleien gerade »öffentlich zur Diskussion gestellt« haben. Ach, wirklich? Es steht eher wie zwei Leitzordner mit den Plänen der neuen Ortsumgehung im Keller eines Tiefbauamtes, um nachher sagen zu können: jeder hätte sich ja beteiligen können. Vielleicht hat das früher so funktioniert. Es mehren sich aber Anzeichen, dass die kuschelige Wagenburg zur Falle werden könnte.

Demokratiedefizit

Zum einen ist da der gesellschaftliche Wandel, demografisch, kulturell und geradezu tektonisch. Unser Volk altert und wir leben länger, einst homogene Milieus lösen sich auf und die Polarisierung von Randgruppen nimmt zu. Da möchte man doch zunächst laut rufen: Angesichts all dieser Entwicklungen brauchen wir öffentlich-rechtliche Medien heute mehr denn je – aber eben nicht die aus dem vorigen Jahrhundert. Wenn sich die Sender nicht mindestens so schnell wandeln wie unsere Gesellschaft – ihr idealerweise voraus sind, dann wird diese grundsätzliche, große Chance vertan und in einen schleichenden Bedeutungsverlust münden. Ab einem gewissen Punkt könnte dieser unumkehrbar sein.

Zweitens sind die politischen Entscheider heute weit weniger auf Präsenz in den traditionellen Massenmedien angewiesen, als noch in analogen Zeiten, und das lassen sie die Sender auch spüren. Gleichzeitig, nicht ganz zufällig, schwindet der Stellenwert der traditionellen Medienpolitik und damit nicht nur der Rückhalt für das öffentlich-rechtliche System, sondern auch dessen ursprüngliche Legitimationsbasis.

Dieser Trend wird bedingt und beschleunigt durch einen Webfehler des Systems, welchen Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff zutreffend als »Demokratiedefizit« bezeichnet hat. Eine Gewaltenteilung, die diesen Namen verdient, existiert nämlich ausgerechnet in dem höchst sensiblen Politikfeld Medien kaum.

Wenn sich die 16 Chefinnen und Chefs der Exekutive einmal auf einen Staatsvertrag verständigt haben, ist der Einfluss der Parlamente marginal – oder katastrophal. Entweder sie winken die Vorlage einstimmig durch, oder es bleibt nur die »nukleare« Option, wie zuletzt geschehen. Die Ablehnung in nur einem Landtag, aus welchem abseitigen Grund auch immer, bedeutet das Ende des gesamten Verfahrens – und Wiedervorlage in Karlsruhe.

Schließlich ist da die digitale Zeitenwende, die von den Entscheider/innen innerhalb und außerhalb der Sender immer noch viel zu sehr als weiterer Vertriebsweg missverstanden wird. Tatsächlich ist es aber ja gerade die Rückkanal- und Dialogfunktion, die das Internet so gründlich vom klassischen »Rundfunk« unterscheidet. Das Ergebnis ist nicht nur eine völlig veränderte Wettbewerbssituation, sondern auch eine individuellere, mündigere und souveräne Mediennutzung.

Diese drei externen Treiber, sozial, politisch und technologisch, waren schon immer und sind nach wie vor kausal aufs Engste miteinander verwoben. Für die öffentlich-rechtlichen Sender gibt es nur einen fundamentalen Unterschied. Vor Jahrzehnten waren Radio und Fernsehen selbst einmal die zentralen Schlüsseltechnologien für gesellschaftlichen Wandel und ein Großteil der Medienpolitik hat darum gekreist.

Und so kreisen Intendanzen und Staatskanzleien noch heute umeinander, während sich das Gravitätszentrum inzwischen ganz woanders hin verschoben und zum Teil aufgelöst hat. Für die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Sender ist dieser Paradigmenwechsel keine theoretische Betrachtung, sondern eine existenzielle Bedrohung.

Das macht das aktuelle, politik-technische Verfahren zur Auftragsdefinition von ARD und ZDF mehr als deutlich. Einerseits illustriert es, wie es gerade nicht laufen sollte. Gleichzeitig öffnet es aber auch ein Fenster der Möglichkeiten. Die Frage, was das öffentlich-rechtliche System leisten soll, geht uns schließlich alle an. Sie muss jetzt gesellschaftlich verhandelt werden und nicht nur auf Referentenebene in den Staatskanzleien – und auch nicht nur punktuell, weil das Verfassungsgericht das gerade fordert, sondern kontinuierlich.

Als Ergebnis dieses Prozesses müssen nicht nur Ziele stehen, sondern auch klare Kriterien, wie die Zielerreichung gemessen werden kann und zwar in Abgrenzung zur kommerziellen Konkurrenz.

Ein britischer Offizier war unser Segen im Röhrenzeitalter. Die Phase analoger Transistoren ist zeitgleich mit unserer alten Bundesrepublik zu Ende gegangen. Unser medienpolitisches Betriebssystem braucht jetzt ein dringendes Update, um für eine digitale, globalisierte und wohl zunehmend durch die Klimakrise geprägte Zukunft gerüstet zu sein.

Den Auftrag von öffentlich-rechtlichen Medien zu definieren ist zunächst ein Auftrag an uns alle, den wir nicht allein den Landesregierungen überlassen dürfen. Vielmehr als früher müsste es dabei auch im Eigeninteresse der Anstalten selbst liegen, nicht nur zu senden, sondern uns auch zuzuhören. Letztendlich aber sollten die öffentlich-rechtlichen Medien das sein, was wir aus ihnen machen. Es sind schließlich unsere Medien.

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