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Reinhart Koselleck und Carl Schmitt im Briefwechsel »Unter intellektueller Hochspannung«

Es ist nicht selten das Unausgesprochene, das diesem Briefwechsel seine Spannung verleiht. Da ist auf der einen Seite der brillante Staatsrechtler, dessen Wurzeln noch im 19. Jahrhundert liegen, der über ein unverwechselbares Gespür für Formulierungen verfügt. Er wird bereits mit 33 Jahren zum Professor, später zum Preußischen Staatsrat ernannt und dient sich den Nationalsozialisten an. Nach dem Zweiten Weltkrieg, aller Ämter enthoben, zieht er sich in seinen Geburtsort Plettenberg zurück, von wo er aus der »Sicherheit des Schweigens« eine ungeahnte Wirkung entfaltet.

Und da ist der 35 Jahre jüngere Briefpartner aus bildungsbürgerlichem Milieu, der sich 1941 freiwillig zur Wehrmacht meldet, zwei Brüder im Krieg verliert, nach der Kapitulation Deutschlands zu Aufräumarbeiten nach Auschwitz geschickt wird,1947 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrt und ein Studium in Heidelberg beginnt. Mittlerweile einer der innovativsten Historiker der Bundesrepublik, begründet er später die Wahl seines Studienfachs mit den Worten, »die NS-Zeit und den Krieg in die Reflexion einzuholen«. Doch in den 30 Jahren ihrer 119 Briefe umfassenden Korrespondenz verlieren Reinhart Koselleck und Carl Schmitt kein Wort über die prägenden Wegmarken ihres Lebens.

Dennoch ist gerade dieser Komplex auf gedanklichen Umwegen stets präsent. So ist es der geistige Kosmos des jungen Doktoranden Koselleck, seine These, dass die Kritik am Absolutismus und die Entstehung einer bürgerlichen Welt eine Krise der Staatenwelt des 18. Jahrhunderts auslöste und in der Französischen Revolution kulminierte, die zweifellos das Interesse Carl Schmitts weckte. Sah er sein Werk doch ebenfalls in dieser Denktradition und war davon überzeugt, dass sich seine eigene Lebenswirklichkeit als Teil dieser von Koselleck historisch erforschten Krise verstehen ließ.

Dem Briefwechsel, den Koselleck im Januar 1953 aufnimmt, waren durch Nicolaus Sombart vermittelte Begegnungen in Heidelberg vorausgegangen. Bereits der erste Brief steckt die intellektuelle Flughöhe des brieflichen Austauschs ab. Gleich zu Beginn gibt sich ein selbstbewusster junger Forscher zu erkennen, der in seinem berühmten Gegenüber offenbar einen ebenso aufmerksamen wie hilfsbereiten Gastgeber findet. Entsprechend bedankt sich Koselleck in dem erwähnten Brief dafür, dass Schmitt ihm nicht nur das Arbeitszimmer für die Nacht überlassen und unbemerkt den Benzintank seines Autos gefüllt habe, sondern so überaus gründlich auf seine Arbeit eingegangen sei.

Gemeinsame Bezugspunkte

Bei dieser Arbeit handelt es sich um die inzwischen legendäre Dissertationsschrift Kosellecks, erstmals 1959 unter dem Titel Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt erschienen. Auch Kosellecks Arbeit an einer enzyklopädischen Begriffsgeschichte, die in den Jahren 1972 und 1997 entsteht, wird von Schmitt bis zu seinem Tod 1985 aufmerksam begleitet. Die Programmatik dieses von Koselleck zusammen mit Otto Brunner und Werner Conze herausgegebenen Standardwerks, das den Titel »Geschichtliche Grundbegriffe« erhält, zeichnet sich früh ab und lässt wiederum den Geist Schmitts erkennen. Bereits 19 Jahre vor Erscheinen des ersten Bandes schreibt Koselleck nach Plettenberg: »Die Schwierigkeiten einer Verbindung ›systematischer‹ und ›historischer‹ Betrachtungsweisen, an denen die heutige Historie in so hohem Maße krankt (…), sind mir in verschärftem Maße klar geworden, und ich bin Ihnen für die strenge Mahnung dankbar, die Begriffe im Zuge ihrer Klärung stets auf die ihnen entsprechende Situation zurückzuführen.«

In den Jahren ihres brieflichen Austauschs und den gelegentlichen persönlichen Begegnungen sind es die Lektüren und geistesgeschichtlichen Pfade, mit denen die Briefpartner einander herausfordern. An erster Stelle Thomas Hobbes, ferner Augustinus und William Shakespeare, aber auch Zeitgenossen wie Arnold Gehlen, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Christian Meier, Jacob Taubes und Jürgen Habermas tauchen in dem Briefwechsel auf. Habermas unterzog Kosellecks Dissertationsschrift in der Zeitschrift Merkur 1960 einer scharfen Kritik, indem er die »Eleganz der hergestellten Perspektiven« als »eigentümlich von Ressentiment begleitet« charakterisierte, um am Ende festzuhalten: »Immerhin sind wir dankbar, von so gescheiten Autoren zu erfahren, wie Carl Schmitt (…) die Lage heute beurteilt.« Ein ebenso faszinierender wie boshafter Verriss, der – indem er Koselleck zu treffen schien – auf Schmitt gemünzt war. Neben konkreten Personen sind es aber auch historische Konstellationen oder Betrachtungsweisen, die die Briefschreiber aneinander erproben. Dazu gehören Begriffe wie »Land und Meer« (so der Titel einer 1942 erschienenen Schrift Schmitts), der Ost-West-Gegensatz, die Entwicklungen des Kalten Krieges, aber auch allgemeine Reflexionen über das Wesen der Geschichte. Das gilt vor allem für die Zeit zwischen 1954 und 1956, als der als Lecturer in Bristol tätige Koselleck buchstäblich vom Meer umgeben war und seinen Blick nach Westen richtete.

Wachsende Nähe und Verbundenheit

In den folgenden Jahren, in denen Kosellecks berufliche und private Verpflichtungen zunahmen – Hochzeit, Familiengründung, Habilitation, 1966 schließlich die Berufung auf einen Lehrstuhl in Bochum – ließ die Intensität der Korrespondenz merklich nach. Erst in den 70er Jahren werden die Briefe wieder länger, ihre zeitlichen Abstände kürzer. Es sind diese Jahre, in denen sie einander regelmäßig Sonderdrucke übermitteln und die Schriften wechselseitig, nicht selten ausführlich kommentieren. Nun begegnen sie einander auf Augenhöhe, obwohl Kosellecks bemerkenswertes Selbstbewusstsein von Anfang an einem Gefälle wie zwischen Schüler und Lehrer entgegenstand. Freilich sprach er Schmitt bis zum Schluss als »sehr verehrter Herr Professor Schmitt« an und empfahl sich in der Regel als »ergebener« Koselleck. Insbesondere in den Briefen der 80er Jahre lässt sich eine persönliche Verbundenheit, ja gewachsene Nähe erkennen. Deutlich wird dies etwa, als Koselleck dem 95-jährigen Schmitt im November 1983 zum Tod seiner Tochter Anima kondoliert: »Im Rückblick auf das abgeschlossene Leben liegt herbe Bitternis: daß Anima so schwer leiden musste und so früh von ihrer Familie Abschied nehmen musste und vor Ihnen sterben musste. (…) Aber vielleicht befinden Sie sich schon in der Lage des Alters, in dem sich alle Trauer verzehrt und einer, von Jüngeren unerreichbaren, Gelassenheit Raum gibt.« Es waren die letzten Worte, die Koselleck seinem Mentor zwei Jahre vor dessen Tod brieflich übermittelte.

Der von Jan Eike Dunkhase ausgezeichnet edierte und kommentierte Briefwechsel zeigt einen aufmerksamen und zugewandten Carl Schmitt, der, wie Koselleck in einem Interview 1994 bekannte, »immer unter intellektueller Hochspannung stand«. Die Korrespondenz, die umfangreichste im Nachlass des 2006 verstorbenen Koselleck, enthüllt aber vor allem, wie sehr dieser auf dem Weg vom Doktoranden zum prägenden Historiker der Bundesrepublik an seinem Briefpartner wuchs. Nicht zuletzt offenbart ihr Briefwechsel eine Gelehrsamkeit, die den heutigen Leser beschämt.

Reinhart Koselleck/Carl Schmitt: Der Briefwechsel 1953–1983 und weitere Materialien (hg. von Jan Eike Dunkhase). Suhrkamp, Berlin 2019, 459 S., 42 €.

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