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Bücher zum Thema Autoritarismus Unvergängliche Größe

Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und den martialischen Drohungen der »Volksrepublik China« gegen Unterstützer Taiwans hat sich der politische Autoritarismus zu einem akuten weltpolitischen Konfliktthema entwickelt. Nun ist Autorität der Begriffsherkunft nach eine durchaus positive Eigenschaft. Autorität besitzen Personen oder Institutionen, deren Kompetenzen allgemein respektiert werden. Aber welche Person oder Institution könnte das im Westen heute noch von sich behaupten, wenn allenthalben Politiker öffentlich und von vornherein als unfähig, Experten als ahnungslos und Journalisten als professionelle Lügner hingestellt werden?

Schon 2018 schrieb Wilhelm Heitmeyer, der langjährige Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, mit Autoritäre Versuchungen seine schon Jahrzehnte zuvor begonnenen Studien zur sozialen Desintegration fort. Unsicherheit und Angst seien im »autoritären Kapitalismus« ein »zentrales Instrument zur Durchsetzung von Konformismus und Leistungsdruck«, konstatierte der Autor und wies auf den statistischen Zusammenhang zwischen ökonomistischen Einstellungen und den verschiedenen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hin. Hier bestehe die höchste Korrelation bezüglich jener Gruppen, »denen aufgrund solcher Einstellungen eine besonders geringe Nützlichkeit, Effizienz und Verwertbarkeit zugeschrieben wird: Langzeitarbeitslose, Obdachlose, Behinderte und Fremde«.

Eine »rohe Bürgerlichkeit« macht sich breit

Wachsender Arbeitsdruck wird dann nicht als Ausdruck forcierter Profitinteressen wahrgenommen, sondern mit dem Zwang erklärt, immer mehr »unnütze Esser« mit durchfüttern zu müssen. Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden in eine parasitäre Übergriffigkeit umgedeutet. Als gesunder Egoismus getarnt mache sich eine »rohe Bürgerlichkeit« breit – ein zentraler Begriff in Heitmeyers Darstellung, den er so bestimmt: »Die soziale Ungleichheit wird in Ungleichwertigkeit verwandelt. Damit wird den Ärmeren die Anerkennung verweigert, die für die soziale Integration zentral ist.«

In dem Kapitel, das »Medial aktive Eliten als Transmissionsakteure und Legitimationsspender einer rohen Bürgerlichkeit« überschrieben ist, kritisiert Heitmeyer zwei 2009 und 2010 erschienene Aufsätze Peter Sloterdijks aus der FAZ und der Zeit, deren Grundgedanke die Infragestellung des umverteilenden Steuersystems sei, die nach Ansicht des Philosophen »die spontane Hilfsbereitschaft des Stärkeren ruiniere«.

Ihre volle Virulenz vermag die rohe Bürgerlichkeit aber erst dort zu entfalten, wo der Funke auf breiter Linie überspringt, wie in der »Deutschland schafft sich ab«-These von Thilo Sarrazin und ähnlichen Schlussfolgerungen der AfD. Während Sloterdijk eine angebliche Umverteilung von oben nach unten anprangert, lautet die populistische Simplifizierung, ein Volk deutscher Leistungsträger würde unter der Last einer zunehmenden Armutsmigration erstickt. Den Verlockungen des Autoritären erliegen dabei weniger die »sozial Abgehängten« in Ost und West als diejenigen, die sich als Leistungsträger, aber zunehmend auch als Melkkühe sehen.

Zuflucht beim Altbewährten

Vor dem Hintergrund eines durch Globalisierung und technische Innovation extrem beschleunigten sozialen Wandels, so ließe sich Heitmeyers komplexe Darstellung auf den Aspekt der Entwicklung autoritativer Einstellungen und Verhaltensweisen bezogen zuspitzen, lässt sich deren Entstehung als »Suche nach neuen Vergemeinschaftungsformen verstehen, oft geprägt von der Suche nach einer ethnischen Homogenität«.

Statt aber tatsächlich neue Formen der Vergemeinschaftung zu entwickeln, wird auf vermeintlich Altbewährtes zurückgegriffen, auf Nationalgeschichte und nationale Homogenität. Man wendet sich von der erschreckenden Zukunft und der tristen Gegenwart ab und dem scheinbar Altbewährten zu – und erliegt einem reaktionären Fehlschluss, indem man den Wandel des Bestehenden als Angriff auf das Altbewährte auffasst und nicht als Zeichen dafür, dass auch das Bewährte sich irgendwann überlebt. Autoritäre Regime leben von und mit der Beschwörung vergangener Größe und nationaler Einheit, weil sich dadurch Kritik von innen wie von außen kategorisch abfertigen lässt.

Der ungarische Romancier und Historiker György Dalos beschreibt in seinem aktuellen Buch Das System Orbán die politische Entwicklung seines Heimatlandes mit einem Hang zum Anekdotischen. Dalos spricht von einer »autoritären Verwandlung« Ungarns in ein Land, in dem demokratische Institutionen zwar formal vorhanden, durch die Zweidrittelmehrheit von Orbáns Fidesz-Partei aber marginalisiert worden sind. Schamlose Vetternwirtschaft mithilfe von EU-Geldern bei ostentativer Unbotmäßigkeit gegenüber EU-Direktiven, Verspottung und Verächtlichmachung von Opposition und Minderheiten und Selbststilisierung als gönnerhafter Patriarch, der Privilegien – etwa durch ein Staatsmonopol auf den Tabakverkauf – verteilt und entzieht, kennzeichnen Orbáns Führungsstil.

Sie vermögen allerdings nicht seine Anhänglichkeit an den russischen Präsidenten Putin zu erklären. In einem Kapitel über »Recycling der Geschichte« liefert Dalos dafür einen wunderbar ironischen Abriss der vertrackten ungarischen Denkmalspolitik: »Geschichtspolitik des Systems zielte auf die Abnabelung von früheren Demokratie-Versuchen«, schreibt der Autor, denn »weder 1918 noch 1946 noch 1956 konnten als Vorbild dienen, schon allein aufgrund der jeweils damit verbundenen Fiaskos«.

Demgegenüber betreibt Ungarns großer Bruder im Osten eine unverhohlene Anknüpfung an eine Geschichte Russlands, die gewaltsam von allen Fiaskos und dunklen Flecken gereinigt werden soll. Die Journalistin Catherine Belton charakterisiert den frühen Wladimir Putin in ihrem Buch Putins Netz während dessen Zeit als KGB-Agent in Dresden als hoch talentierten und qualifizierten Konspirateur, der sich dann Jahre später als stellvertretender Bürgermeister von St. Petersburg zunächst dem In- und Ausland als durchaus lernfähig und lernwillig, als reform- und kooperationsbereit präsentierte.

Aus jener Zeit zitiert sie ihn als einen Befürworter der Marktwirtschaft, der für die »Schaffung kleiner und mittlerer Betriebe als Rückgrat« einer neuen Ökonomie plädierte. Viel bedeutsamer aber erscheint aus heutiger Sicht seine damalige Feststellung, die Revolutionäre von 1917 seien verantwortlich für die »Tragödie, die wir heute erleben« – gemeint ist der Zusammenbruch der Sowjetunion: »Sie teilten das Land in Republiken auf, die es zuvor nicht gab.«

Putins Inszenierungen und Strategien

Als Präsident agierte Putin eher als Dompteur von Oligarchen denn als Vater eines neuen Mittelstandes. Er betrieb eine vom KGB lange vorbereitete strategische Lenkung der Marktbeziehungen, mit der Russlands enormer Rohstoffreichtum zum Lock- und Druckmittel einer revisionistischen Außenpolitik wurde. Zugleich inszenierte er sich gegenüber dem In- und Ausland als Naturbusche mit nacktem Oberkörper, seine politischen Auftritte allerdings eher zugeknöpft vor der Kulisse der endlosen Zimmerfluchten des Kreml, wo alles, inzwischen sogar die Tische, ein pompöses Format besitzt, das die »Tragödie des Zusammenbruchs« vergessen machen soll.

Als der frisch gekürte Präsident bei seiner Amtseinführungszeremonie am 7. Mai 2000 »durch die hohen Säle des großen Kremlpalastes schritt«, berichtet Belton, »kündigten Trompeter in weiß-goldenen Paradeuniformen sein Erscheinen an«. Ihr auf Basis von Interviews mit zahlreichen, inzwischen oft in Ungnade gefallenen Insidern verfasstes Buch berichtet vom Fortwirken alter KGB-Strukturen, von der konspirativen Entwicklung von Verbindungen zur organisierten Kriminalität, dem Transfer von Milliardensummen ins Ausland und einer klaren Kontrolle der politischen und gesellschaftlichen, speziell der wirtschaftlichen Prozesse in der Russischen Föderation durch den KGB-Nachfolger FSB. So wurde aus der kommunistischen Planwirtschaft ein Hybrid aus kapitalistischer Marktwirtschaft und kontrollierter Oligarchie, in der die enormen Rohstoffreserven Russlands nicht im Lande verarbeitet und veredelt, sondern zu strategischen Zwecken exportiert werden.

Beltons Darstellung beginnt mit einem Porträt des ehemaligen Kreml-Bankiers Sergej Pugatschow, der in einem dreistöckigen Wohnhaus in Londons Reichenviertel Chelsea am rapiden Dahinschmelzen seines Milliardenvermögens ablesen kann, was es heißt, Putins Gnade zu verlieren. Und sie mündet in die Umgarnung des Trump-Clans, bei dem sich Casino-Projekte, Schönheitswettbewerbe und dubiose Kredite mit konspirativer Wahlkampfhilfe gegen Hillary Clinton verbanden. Wenn die neuen Geschäftsleute Russlands aber nicht mehr als treue Paladine funktionieren, erweisen sie sich bald als Marionetten, die an unsichtbaren Fäden hängen. Russlands westlichen Handelspartnern ergeht es ähnlich. Sie hängen an keinem Galgen und keinem Strick, sondern an ungefüllten Pipelines.

Putin, der in den goldgeschmückten Sälen des Kreml zwar nie heimisch wirkt, aber insgeheim ein Milliardenvermögen anhäuft, erscheint hier weniger als ein neuer Zar denn als Haupt eines konspirativen Feudalismus, der seine Lehen im Verborgenen verteilt und entzieht. »Sie können nichts anderes als Geheimoperationen durchführen«, zitiert die Autorin einen ehemals hochrangigen Regierungsmitarbeiter, um die Mentalität der alten KGBler zu charakterisieren. So agiert Putin als öffentlich omnipräsenter Führer, der darauf trainiert ist, sein wahres Gesicht zu verbergen. Er konfrontiert die Welt mit einem brutalen Krieg zur Restitution eines untergegangenen Imperiums, der im eigenen Lande nicht »Krieg« genannt werden darf. Und er setzt damit seine Politik einer Verklärung der russischen Vergangenheit fort, die befürchten lässt, dass eine Neuauflage des »Großen Vaterländischen Krieges« seine Ultima Ratio ist.

Dabei kämpft Russlands autoritäres Regime nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen die Öffentlichkeit im eigenen Land. SpiegelOnline meldete im August, dass der Internetriese Yandex seine Nachrichtenseiten und Plattformen an den Rivalen VK verkauft, der dem russischen Staat nahesteht: »Es sei im Interesse der Anteilseigner, sich aus dem Mediengeschäft zurückzuziehen.« Während der russische Vormarsch in der Ukraine zu scheitern droht, werden die gegnerischen Kräfte zuhause immer weiter zurückgedrängt.

Catherine Belton: Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste. Harper Collins, Hamburg 2022, 704 S., 26 €. – György Dalos: Das System Orbán. Die autoritäre Verwandlung Ungarns. C.H.Beck, München 2022, 224 S., 18 €. – Wilhelm Heitmeyer: Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung 1. Suhrkamp, Berlin 2018, 394 S., 18 €.

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