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Über den Wert informationeller und kultureller Selbstbestimmung Verdoppelt den Rundfunkbeitrag!

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte Anfang August mit einem Beschluss rückwirkend zum 20. Juli die Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent. Vorangegangen war die Weigerung des Landes Sachsen-Anhalt den Finanzbedarf der öffentlich-rechtlichen Sender zu bestätigen. In der Bundesrepublik Deutschland sichert der Rundfunkbeitrag ein demokratisch legitimiertes und unabhängiges Mediengefüge, das sich komplementär zu den privaten Medien verhält, die gewinnorientiert und fremdfinanziert operieren. Diese duale Finanzierung eines Sektors der Medienlandschaft aus Solidarmitteln und Werbung ist einer der Grundpfeiler europäischer Demokratien.

In der Medienökologie des 21. Jahrhunderts, die sich nicht auf Landesgrenzen beschränkt, erweist sich das Solidarmodell Rundfunkbeitrag als fortschrittliches, kulturproduktives und intellektuell solides System zur Sicherstellung einer demokratischen Öffentlichkeit. Nur das Mit- und Gegeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen, aber auch von aktivistischen, mäzenatischen und sozialen Medien erzeugt die vielfältige Öffentlichkeit, die ein Land mit selbstbestimmten Bürgerinnen und Bürgern verdient. Durch diese Mischung können Gesellschaften dem korrosiven Einfluss von Desinformation oder einer Entprofessionalisierung kultureller Kommunikation nachhaltig entgegenwirken.

Wie wäre es also, wenn sich neben den Rundfunkanstalten auch Verlage, Zeitschriften, Blogs, Vlogs, Produktionsfirmen, Vereine oder andere Medienformen um öffentliche Mittel zur Produktion von Medienbeiträgen bewerben könnten? Wenn das zivilisatorische Interesse der Allgemeinheit an den solidarisch finanzierten Medien hervorgehoben werden würde, anstatt dumpf gegen eine »Zwangsabgabe« zu polemisieren? Wehrhafte Demokratie braucht mehr als Aktivisten. Sie braucht vielfältige, professionelle Medienformate, die Debatten vergesellschaften. Was wäre, wenn bewährte, aber vielleicht zu modifizierende Instanzen wie der Rundfunkrat nicht nur Intendanten wählten, sondern auch ein weitgestreutes, buntes Potpourri von Akteuren an den Mitteln aus dem Solidarmodell partizipieren ließen, um Räume unabhängiger und selbstbestimmter Expressivität zu erzeugen, dann wäre der medialen Wende am Anfang des 21. Jahrhunderts Rechnung getragen.

Die Karlsruher Richterschaft urteilte im August 2021 nicht zum ersten Mal über eine Causa, die die Rundfunkfreiheit in der Bundesrepublik tangiert. Es gibt eine nunmehr 60-jährige Geschichte verfassungsrichterlicher Beschlüsse, die Fragen des Rundfunks verhandeln und wiederum auf einer langen Tradition der Auseinandersetzung mit der Presse gründen. Weil Fragen hinsichtlich des öffentlichen Rundfunks häufig als mondäner Knatsch um Cent-Beträge präsentiert werden, entgeht dem öffentlichen Bewusstsein eine Debatte über den Status der Medien in einem demokratisch verfassten Staat.

Die zwölf Beschlüsse aus Karlsruhe verhandeln kritisch den Charakter, Status und Sinn von öffentlichen Medien auf Basis des Grundgesetzes. Sie flankieren die Statuten der Sendeanstalten und die lebendige, personell repräsentative Debatte im Rundfunkrat, aber auch eine seit der Aufklärung virulente Auseinandersetzung mit der Autonomie und Potenz des menschlichen Geistes in seiner Expressivität und Selbstbestimmung. Dabei ist den Richtern das Paradox stets gegenwärtig, dass einerseits öffentlich-rechtliche Medien den Prinzipien der Unabhängigkeit und Staatsferne treu bleiben müssen, zugleich aber ihre Unabhängigkeit nur durch ein staatlich garantiertes Solidarmodell geschaffen werden kann, das deren Finanzierung dem Druck des Sponsorings oder sonstigen manipulativen Kräften entbindet.

Die Debatte um den Rundfunkbeitrag ist kein Streit um wettbewerbsverzerrende Privilegierung des öffentlichen Rundfunks, sondern fragt, ob und wie der freiheitliche und demokratische Geist der Verfassung in der öffentlichen Kommunikation Entsprechung und Repräsentation findet. Daher ist es notwendig, sich zu vergegenwärtigen, in welchem medialen Kontext der öffentliche Rundfunk im 21. Jahrhundert steht.

Blicken wir zunächst auf den rein ökonomischen Kontext des Rundfunkbeitrags. Er beträgt nach der Erhöhung in Deutschland monatlich 18,36 Euro, in Frankreich beläuft sich die contribution à l'audiovisuel public auf 138 Euro jährlich, die Italiener/innen müssen monatlich 90 Euro abführen. In Ungarn, wo augenblicklich eine groteske Demontage der Demokratie stattfindet, gibt es keinen Rundfunkbeitrag.

Die auf Freiwilligkeit beruhenden Gebühren für Streamingdienste stören dagegen anscheinend niemanden: Ein Monat Netflix kostet zwischen 7,99 und 12,99 Euro; Disney+ 8,99, YouTube-Premium 11,99 und Amazon Prime 7,99 Euro. Ein Digital-Abo der Frankfurter Allgemeinen Zeitung liegt bei 39,90 Euro im Monat. Warum gibt es im Hinblick auf diese Preise für Medienprodukte keine Debatten? Wo bleibt die empörte öffentliche Kritik im Hinblick auf Angebot, Inhalt, politische Orientierung oder gesellschaftliche Relevanz privater Medien? Wo liegen die demokratischen Partizipationsmöglichkeiten bei diesen Diensten?

Zudem arbeiten einige andere Staaten daran, ihren Einfluss auf die Öffentlichkeitsbildung in Deutschland zu verstärken. Während das manipulative Agieren mancher Regierungen in den sozialen Medien häufig im Fokus der medialen Diskussion steht, steht es in seinen informellen Gestalten (Bots, Influencer etc.) weniger im Rampenlicht. Einige Länder haben Rundfunkanstalten aufgebaut, die einen Programmauftrag (meist in englischer Sprache) im deutschen Medienmarkt wahrnehmen, so etwa Russia Today, das chinesische CCTV, der BBC und CNN, Al Jazeera oder der türkische Sender TRT.

Hinzu kommt eine hohe Anzahl von Medien, die mit ihren Geschäftsmodellen auf sprachlich und kulturell definierte Gruppen zugeschnitten sind, wie etwa die konservative Zeitung Hürriyet aus Istanbul oder die linksliberale Milliyet (beide mit deutschsprachigen Beilagen), aber auch die deutschsprachige Ausgabe der amerikanischen Literaturzeitschrift The Paris Review. Weitere Beispiele für die vielgestaltigen Medienkonzepte in Deutschland finden sich unter den teilweise kostenlosen Wochen- und Monatszeitungen in russischer Sprache, wie die TVRUS (Auflage in Deutschland 120.000), Annonce (250.000) sowie die an sogenannte Spätaussiedler gerichteten Monatsschriften, z. B. der Aussiedlerbote (150.000) oder die Neue Semljaki (60.000).

Wie beeinflussen milieuspezifische Medien die Gesellschaft? Hierzu fehlen Untersuchungen und Debatten, denn es ist festzustellen, dass die mediale Öffentlichkeit in Deutschland polyglott ist, aber in Sphären und Einflussbereiche zerfällt. Was zeitigen diese Einflüsse? Die rechtspopulistische, strategisch Ressentiments befördernde Epoch Times erreicht z. B. in Europa fast vier Millionen Menschen (davon überwiegend Auslandschinesen): Weltweit erreicht die Epoch Times Media Group in 21 Sprachen etwa 25 Millionen Menschen täglich und hat im Juli 2021 eine von Pegida und AfD-Anhängern geliebte Ausgabe Die Neue Epoche auf Deutsch neu lanciert (Die Zeit nannte im Übrigen die Epoch Times, »eine stetige Quelle der Wut«).

Diese kurze Revue zeigt, dass die Medienökologie in Deutschland keineswegs von großen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten erdrückt wird. Es findet stattdessen ein beispielsloser Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Einfluss statt. Dieser ist stark segmentiert und ruft bei seinen Konsumenten spezifische Haltungen, Meinungsbilder und Orientierungen hervor.

Eine Erkenntnis aus dem digitalen Medienwandel lautet, dass durch seine partizipationsfähige Grundstruktur das Verhältnis von Medien zur öffentlichen Wahrnehmung verändert wurde. Das hieße für den Rundfunkbeitrag, dass er zu einem Instrument medialer Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern wird. Seine Funktion des Erzeugens einer Agora bliebe dabei erhalten. Zugleich müssten zivile und private Initiativen der medialen Kommunikation Förderung erhalten. Das voraussetzungsreiche wie rare Gut, das der fünfte Artikel des Grundgesetzes konstituiert, sollte mehr sein als eine inspirierende Floskel: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.« Dieser Artikel erfordert nicht nur individuellen Respekt, sondern auch eine gesellschaftliche Anstrengung, auf die gesellschaftliche Ressourcen systematisch ausgerichtet werden. Damit Bürger/innen nämlich am Medienschaffen teilnehmen können, wäre es erforderlich, den Rundfunkbeitrag zu verdoppeln und neben Rundfunkanstalten eine fluide, vielfältige, fragmentierte, milieuspezifische und agile Landschaft von Medienproduzenten hervorzubringen und zu fördern.

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