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Wäre ein Verbotsverfahren gegen die AfD zielführend? Verfassungsfeinde bekämpfen

»Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.« (Art. 21 II GG)

Über die Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auf Antrag des Bundestages, der Bundesregierung oder des Bundesrates. Ob ein Antrag gestellt wird, steht im Ermessen der Antragsberechtigten. Ausschlaggebend ist also, ob die Antragsberechtigten die Einleitung des Verbotsverfahrens für politisch zweckmäßig halten. Angesichts der erfahrungsgemäß mehrjährigen Dauer eines Verbotsverfahrens vor dem BVerfG sprechen die besseren Gründe dafür, vor den diesjährigen Europa- und Landtagswahlen auf eine Antragsstellung gegen die selbsternannte »Alternative für Deutschland« (AfD) zu verzichten.

Das Dilemma

Die Reaktion großer Teile der Wählerschaft auf Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump legt es nahe, dass sich eine Antragsstellung in anstehenden Wahlkämpfen eher zugunsten, als zulasten der AfD auswirken würde. Es gilt allerdings auch zu berücksichtigen, dass bereits im Jahr 2025 die Bundestagswahl, sowie Landtagswahlen in Nordrhein-Westfahlen und Hamburg stattfinden, weshalb die Verzögerung eines potenziellen Verbotsverfahrens aus wahltaktischen Gründen nicht unproblematisch erscheint.

Es ist ein politscher Gemeinplatz, dass das Verbot einer kleinen Partei eher überflüssig, das Verbot einer großen Partei aber unmöglich ist. Letzteres ist ein politisches, kein rechtliches Argument. Es mehren sich besorgte Stimmen, die vor einem weiteren Erstarken der AfD jetzt ein Verbotsverfahren fordern. Eine solche politische Erwägung ist im Rahmen der rechtlichen Ermessensausübung jedenfalls möglich. Ein Unterlassen schlösse aber die Zulässigkeit einer späteren Antragsstellung nicht aus.

Im Verfahren vor dem BVerfG zum Ausschluss der Partei Die Heimat (ehemals NPD) hat der Berichterstatter Peter Müller darauf hingewiesen, dass das Verbotsverfahren nach Art. 21 II GG, ebenso wie der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung gemäß Art. 21 III GG demokratieverkürzend wirke. Man könnte sie sogar als tendenziell demokratiewidrig bezeichnen, zugespitzt in den Worten Müllers: »Man kann die Demokratie nicht gegen das Volk retten«. So hat denn auch der österreichische Staatsrechtler Hans Kelsen, der Initiator einer eigenständigen Verfassungsgerichtsbarkeit, schon in der Weimarer Republik resignierend festgestellt, dass eine mangels ausreichender Zahl von Demokraten scheiternde Demokratie mit fliegenden Fahnen untergehen müsse.

Die wehrhafte Demokratie lässt sich nicht wie in Weimar von Verfassungsfeinden mit ihren eigenen Mitteln missbrauchen.

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich, gestützt auf Vorarbeiten von vor den Nazis geflüchteten Emigranten, bewusst anders entschieden und zwar für die wehrhafte Demokratie, die sich nicht wie in Weimar, entsprechend der Devise Goebbels`, von Verfassungsfeinden mit ihren eigenen Mitteln missbrauchen lässt. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: »Das Grundanliegen einer Verfassung, die sich nicht durch den Missbrauch der von ihr gewährleisteten Freiheitsrechte zur Disposition stellen lassen will, würde verfehlt, wenn sie nicht über wirksame Instrumente zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung verfügte.«

Das höchste Gut demokratischer Politik ist ihre Glaubwürdigkeit. Diese gefährdet ein vorschneller, nicht hinreichend vorbereiteter, von der Mehrheit der Gesellschaft getragener Verbotsantrag. Ein Verbotsantrag bedarf einer gesicherten Faktenlage, um das gestufte Verbotsverfahren – Fristsetzung für Äußerungen, Vorverfahren zur Zulässigkeit einschließlich zur Wahrscheinlichkeit der Begründetheit, der Fairness des Verfahrens und der hinreichenden Begründetheit, bis hin zur Sachentscheidung – zu sichern.

Der Rechtsstreit der AfD um ihre Einschätzung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist ein wichtiger Beitrag zur Klärung der Faktenlage. Zudem verdeutlicht dieser Rechtsstreit, dass die AfD die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Zielen und Äußerungen – mitentscheidend auf Basis der bereits über Dauer durch das BfV akkumulierten Erkenntnisse über diese – durchaus fürchtet. Die Diskussion, um Voraussetzungen, Aussichten und Folgen eines Verbotsverfahrens darf nicht im kleinen Kreis von Experten bleiben.

»Die notwendige politische Auseinandersetzung hat an Breite und Tiefe gewonnen.«

Die zahlreichen Proteste und Demonstrationen von hunderttausenden Menschen »Gegen Rechts« sind ein Indikator dafür, dass die notwendige politische Auseinandersetzung an Breite und Tiefe gewonnen hat. Die 1,67 Millionen Unterschriften unter die Onlinepetition zur Verwirkung von Grundrechten des Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag sind ein weiterer Indikator dafür, dass die Intention der wehrhaften Demokratie in der Verfassungswirklichkeit verankert ist.

Eine andere Frage ist, ob dem Anliegen dieser 1,67 Millionen jetzt entsprochen werden soll. Im Unterschied zum Verbotsverfahren gegen eine Partei können die Fakten, die den Missbrauch von Grundrechten durch einen einzelnen Politiker beweisen, weniger aufwändig ermittelt werden – zumal bei einem Verkünder »wohltemperierter Grausamkeiten«. Hemmend dürfte sich aber auswirken, dass bisher noch kein Verwirkungsverfahren nach Art. 18 GG erfolgreich beendet worden ist, im Unterschied zu den Verbotsverfahren nach Art. 21 II GG.

Vor den Wahlen in 2024 ist eine Entscheidung nicht erreichbar.

Das auf Antrag des Bundestages, der Bundesregierung oder einer Landesregierung eingeleitete Vorverfahren und Hauptverfahren ist daher wenig eingeübt. Anzumerken ist jedoch, dass sich die vier bereits bestrebten Grundrechtsverwirkungsverfahren vor dem BVerfG weder gegen Personen mit vergleichbarem Einfluss wie Björn Höcke, noch aufgrund einer annährend so umfassenden Faktenlage geführt wurden. Zwei Verfahren wurden nur mangels der Gefährlichkeit der inkriminierten Person eingestellt, was im Fall Höcke nicht zu erwarten ist. Zudem ist die Verfassungsmäßigkeit der einschneidenden, nur in § 39 II BVerfGG, nicht aber im Grundgesetz geregelten Rechtsfolge, der Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts, sowie der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht unumstritten. Wie auch immer, vor den diesjährigen Wahlen ist eine Entscheidung nicht erreichbar.

Das Urteil des BVerfG zum Ausschluss der Partei Die Heimat von der staatlichen Finanzierung hat die Frage aufgeworfen, ob anstelle eines Verbotsverfahrens nach Art. 21 II GG als milderes Mittel ein Verfahren nach 21 III GG zum Entzug der staatlichen Finanzierung eingeleitet werden sollte. Das Urteil hat die unterschiedlichen Tatbestandsmerkmale von Art. 21 II GG – »darauf ausgerichtet sein«, statt »darauf ausgehen« in Art. 21 III GG – gewürdigt und den weitgehenden Gleichklang der jeweiligen Tatbestandsmerkmale festgestellt. Der letztlich ausschlaggebende Unterschied zwischen beiden Verfahren besteht darin, dass es beim Verfahren nach Art. 21 III GG der Potenzialität, also der Gefährlichkeit, der Partei nicht bedarf. Der weitgehende Gleichklang der Tatbestandsmerkmale schließt eine kurze Verfahrensdauer aus.

Gemäß § 43 II BVerfGG kann eine Landesregierung ein Verbotsverfahren nur für eine Partei beantragen, die auf das Gebiet ihres Landes beschränkt ist. Da die AfD zwar in Thüringen besonders stark, aber nicht auf Thüringen beschränkt ist, könnte die derzeitige Minderheitsregierung dort kein Verbotsverfahren beantragen.

Option des »beschränkten Antrags«

Ein von Bundestag, Bundesregierung oder Bundesrat beantragtes Verbotsverfahren könnte allerdings auf einen rechtlich oder organisatorisch selbstständigen Teil der Partei »beschränkt werden« (§ 46 II BVerfGG). Zutreffend ist bereits darauf hingewiesen worden, dass der Landesverband Thüringen der AfD – der maßgeblich durch das Gebaren des Fraktionsvorsitzenden Höcke geprägt ist – Gegenstand eines solchen beschränkten Antrags sein könnte. Würde ein solcher Antrag vor der diesjährigen Wahl gestellt werden, so würde das wahrscheinlich der AfD mehr nutzen als schaden. Möglich wäre es aber, die ernsthafte Prüfung eines Verfahrens gemäß Art. 21 II oder III GG und eines Verfahrens gemäß Art. 18 GG für die Zeit nach der Wahl schon jetzt anzustreben.

»Die intensivierte politische Debatte um den Einsatz der Instrumente der wehrhaften Demokratie stärkt die Glaubwürdigkeit demokratischer Politik.«

Anträge auf Verbot der AfD wegen Verfassungswidrigkeit und/oder auf Feststellung der Verwirkung von Grundrechten wegen Missbrauchs sind vor den in diesem Jahr anstehenden Wahlen nicht zielführend. Die in diesem Jahr intensivierte politische Debatte um den Einsatz beider Ins­trumente der wehrhaften Demokratie stärkt die Glaubwürdigkeit demokratischer Politik und bereitet den Boden für einen erfolgsversprechenden Einsatz, insbesondere des Verfahrens nach Art. 18 GG vor dem BVerfG. Rechtsradikale Überzeugungswähler würden dadurch nicht unmittelbar zurückgewonnen werden, wohl aber Protestwähler, im Verbund mit einer, auch in schwierigen Zeiten einsichtigen, Sachpolitik.

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