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© picture-alliance/ ZB | Ralf Hirschberger

Wie Frauen die Politik eroberten Vergrämt, verlacht und ausgebootet

Von den »Müttern des Grundgesetzes« bis zum »Feminat« der Grünen: Obwohl Frauen die deutsche Politik nachhaltig prägten, sind ihre Namen bis auf wenige Ausnahmen vergessen. Warum? Wie gelang es ihnen damals, sich durchzusetzen, und welchen Preis zahlten sie dafür? Für sein brillantes Buch In der Männer-Republik und seinen Dokumentarfilm Die Unbeugsamen traf Torsten Körner Protagonistinnen der alten Bonner Republik und hob Schätze aus dem Fernseharchiv, die einen das Staunen und Fürchten lehren. Buch und Film zeichnen Mechanismen eines auch retrospektiven Verdrängens charismatischer Politikerinnen nach und machen auf so kluge wie unterhaltsame Weise klar, warum wir uns gerade in der Gegenwart mit diesen Frauenbiografien befassen sollten.

Während das Buch 2020 erschien, musste der Filmstart corona-bedingt immer wieder verschoben werden. Nun ist er für Ende August geplant.

Als am 31. Mai letzten Jahres der Künstler Christo starb, erinnerten sich viele noch einmal an die Reichstagsverhüllung im Sommer 1995, die er und seine Frau Jeanne-Claude der alten, neuen Hauptstadt Berlin beschert hatten. Ein »sommerlicher Glückskonsens« sei da aufgeleuchtet, schreibt Torsten Körner in seinem Buch In der Männer-Republik, ein »demokratisches Möglichkeitsfeld«. Was aber kaum noch jemand weiß: Ohne Rita Süssmuth, damals Bundestagspräsidentin, wäre diese Möglichkeit ungenutzt verstrichen und die Kunstaktion gar nicht erst zustande gekommen.

Man muss von Glück sprechen, dass die Entscheidung nicht im Verantwortungsbereich des »Kanzlers der Einheit«, Helmut Kohl lag. Der gab sich keine Mühe zu verbergen, wie fremd ihm diese Art von Kunst war. Auch Wolfgang Schäuble warnte, der Reichstag als Symbol könne Schaden nehmen. Parteikollegin Süssmuth hingegen unterstützte Christos und Jeanne-Claudes Pläne von Anfang an und setzte sich gegen die zaudernden Männer durch.

Wie schaffte sie das? Körner bescheinigt der »gefühlt ersten Bundeskanzlerin« etwas, das man bei ihr, geprägt durch die Medienrezeption der 80er und 90er Jahre, gar nicht vermutet hätte: Charisma. Und zwar eines, das »nicht unterwerfend«, sondern durch »verständliche Intellektualität« überzeugend gewesen sei. Männer hatten Angst vor dem Unbekannten, Süssmuth erkannte ein »Moment der Freiheit«. Männer dachten an den überforderten Wähler, Süssmuth richtete ihren Blick bereits auf uns, die wir uns heute, ein Vierteljahrhundert später, immer noch freuen, wenn wir an den glitzernden Reichstag zurückdenken.

Die Geschichte von »Lovely Rita« (so nannte sie Alice Schwarzer) ist nur eines von vielen Beispielen für Biografien, über die man sich als Leserin womöglich schon längst ein Urteil gebildet hatte oder von denen man wenig oder gar nichts wusste. Im Wechsel aus brillanter Analyse und bewegender Erzählkunst arbeitet Körner in seinem verdienstvollen Buch ein frappierendes Muster heraus: Während männliche Politiker mit manchmal recht überschaubarer Bilanz Nachruhm ernten, verblasst die Erinnerung an herausragende Politikerinnen allzu schnell. Aber, und das ist das Entscheidende, das Buch erschöpft sich nicht darin, Gerechtigkeit walten zu lassen. Ohne es explizit zu sagen, lassen all diese Geschichten auch ein anderes Deutschland aufscheinen, eines, das ebenso möglich gewesen wäre. Wenn zum Beispiel Ingrid Matthäus-Maier (erst FDP, dann SPD) Finanzministerin geworden wäre und nicht Oskar Lafontaine, den Gerhard Schröder durchsetzte. Wenn Hildegard Hamm-Brücher (FDP) Bundespräsidentin geworden wäre und nicht Roman Herzog. Wenn Renate Hellwig (CDU), die sich als Lesbe verdächtig machte und mit ihrem progressiven Familienbild aneckte, nicht ständig von Kohl gezielt ausgebremst worden wäre.

In Körners parallel zum Buch entstandenem Dokumentarfilm Die Unbeugsamen sieht man zu Beginn Schwarz-Weiß-Bilder aus der Frühzeit der Fernseh-Berichterstattung. Eine auffallend hochgewachsene Frau, die FDP-Politikerin Marie-Elisabeth Lüders, will eigentlich schnell weiter, aber eine Reporterin fängt sie ab und fragt, wie sie den Stand der Gleichberechtigung einschätze. Lüders, streng: »Zum Teil ist sie erreicht, zum Teil nicht. Wenn die Leute nicht weiterkämpfen, dann werden sie das, was sie haben, wieder verlieren«.

Lüders’ Aussage meint ausdrücklich nicht nur die Frauen, sondern »die Leute«, also alle, und hallt bis in die Gegenwart: Besteht die Gefahr, das trotz der Widerstände Erreichte zu verspielen? Lüders’ Wort hatte Gewicht, und sie konnte ihren Zuhörern schon dadurch den Wind aus den Segeln nehmen, dass sie ihre eigene Körperlichkeit zum Thema machte. Nur gibt es von ihrem legendären Auftritt offenbar kaum Fernsehbilder. Körner wurde in den schriftlichen Protokollen von damals fündig, und es macht großen Spaß, im Buch Details zu finden, die im Film nicht gezeigt werden können (und umgekehrt). Sie esse ja wenig, wie man sehen könne, sagte also Lüders 1954 laut Protokoll im Bonner Plenarsaal, um dann eine Performance hinzulegen, wie es sie im Hohen Haus wohl noch nie gegeben hat: Sie imitierte vermutlich parodistisch Kellner und Kellnerinnen im Bundestagsrestaurant und fragte, warum die (trägen) Kellner eigentlich so unverhältnismäßig mehr verdienten als ihre (flinken) Kolleginnen. Die Forderung nach Equal Pay, und das vor einem dreiviertel Jahrhundert.

Überhaupt schien mit den Frauen der Körper in den Bundestag zu ziehen, nicht nur der eigene, weibliche, diffamierte, durch Kleidervorschriften zu kontrollierende, sondern der menschliche Körper mit all seinen konkreten Bedürfnissen. Davor fürchteten sich speziell die Konservativen. Noch 1970 hatte der Vizepräsident des Bundestages Richard Jaeger (CSU) erklärt, er würde es keiner Frau erlauben, vor dem Plenum in Hosen zu erscheinen, geschweige denn ans Rednerpult zu treten. Daraufhin kaufte sich die SPD-Politikerin Lenelotte von Bothmer einen eleganten, hellen Hosenanzug und trat ans Rednerpult. Skandal! Man beschimpfte sie als »unanständiges, würdeloses Weib«. Doch die Kleiderordnung wurde geändert.

Viele der Anzugträger wussten sich bis in die 80er Jahre hinein nicht anders gegen die immer präsenteren Frauen zu wehren, als ihnen Schmähungen, Spott und Drohungen entgegenzuschleudern. Allen voran natürlich dem »Feminat«, dem sechsköpfigen weiblichen Parteivorstand der Grünen. Es waren Frauen wie Antje Vollmer und Christa Nickels, die in bunten Röcken und weiten Pullis den Alltag in den Bundestag brachten und über Sex reden wollten. 1983 erwähnte Waltraud Schoppe in ihrer noch heute äußerst faszinierenden, dabei sehr ruhig vorgebrachten »Jungfernrede« anlässlich der Diskussion um den umstrittenen Paragrafen 218: Es gebe lustvolle Formen der körperlichen Liebe, die nicht der Fortpflanzung dienten. »Früher hätten sie dich verbrannt«, gellte es ihr da entgegen, dazu Johlen und Schenkelklopfen. Sie reagierte souverän: »Ich merke, ich habe das Richtige gesagt, Sie sind getroffen«. Die Männer entlarvten sich selbst.

Macht, sagt die ebenfalls für ihre Schlagfertigkeit gefürchtete SPD-Politikerin Renate Schmidt im Film, werde »nicht als weiblich angesehen«. Das habe sie nie verstanden. »Gerade weil ich eine Frau bin, will ich nicht ohnmächtig sein, und ich will Macht haben, um die Dinge, die ich richtig finde, durchzusetzen.« Deutschlands erste Ministerin wurde 1961 Elisabeth Schwarzhaupt, aber erst, nachdem ein Sitzstreik von CDU-Frauen vor dem Kabinettssaal Kanzler Konrad Adenauer dazu zwang. Adenauer meinte, Männer könnten nicht mehr »frei reden«, sobald eine Frau im Kabinett säße. Er musste zwar nachgeben, war aber nicht bereit, eines der Ministerien einem Mann wegzunehmen. Also schuf er ein neues, das Gesundheitsministerium. Ein Amt, so »überflüssig« wie dieses »Fräulein« selbst, höhnte damals der Spiegel über die promovierte Juristin. Doch das vermeintliche Trost-Amt erwies sich durch den Contergan-Skandal schnell als nicht ganz so unwichtig. Schwarzhaupt setzte eine Reform des Arzneimittelgesetzes durch: Medikamente müssen seitdem vor der Vermarktung auf vorgeburtliche Schäden durch die Einnahme des Medikamentes getestet werden. Das alles änderte nichts daran, dass Adenauer die Regierungsmitglieder weiterhin demonstrativ mit »Guten Morgen, meine Herren« begrüßte.

»Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen sollte«, befand die spätere Bundesgesundheitsministerin Käte Strobel bereits 1959. Doch selbst im Nachhinein, weist Körner nach, werden die Frauen ausgeblendet, etwa wenn in Artikeln zum Jubiläum der Grünen launig von den »Zottelbärten« als Gründungsgestalten geschrieben wird, so, als habe es das »Feminat« nicht gegeben, das letztlich auch Frauen der anderen Parteien – etwa auch der ersten Bundeskanzlerin – die Türen geöffnet hat.

Diese »retrospektive Amnesie« ist Körner zufolge Ergebnis eines Algorithmus, den der »erste Medienkanzler« Adenauer im Verbund mit einer vornehmlich männlichen Journalistenschar geschrieben habe. Dieser Algorithmus werde heute noch sichtbar in der großen Selbstverständlichkeit, mit der der Spiegel in einer Titelstory den Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck als natürlichen Kanzlerkandidaten handele, als gebe es Co-Chefin Annalena Baerbock gar nicht. Oder darin, dass in der Union unhinterfragt mehrere männliche Kandidaten parat standen, aber keine einzige Frau, als es um die Nachfolge von Annegret Kramp-Karrenbauer ging. Besitzt der Geist Adenauers noch immer Macht – oder erneut, weil der Ruf nach autoritären Strukturen lauter wird? Oder weil, Körner rekurriert auf Max Weber, »charismatische Führer« stets männlich gedacht sind?

Es ist immer problematisch, in bester feministischer Absicht Frauen den Anspruch aufzubürden, es besser zu machen als die Männer. Folgt man Körners liebevoller, kenntnisreicher und auch von literarischer Eleganz geprägten Reise in die Vergangenheit, kommt man aber kaum umhin zuzugestehen, dass es tatsächlich, quer durch die politischen Lager, einige Frauen besser machten als viele Männer. Es waren Politikerinnen, die nicht einfach »nur« um ihre Macht und die nächste Wahl kämpften, weil sie jetzt auch mal ran wollten. Sondern die, vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, später im Zeichen von atomarer Aufrüstung und Kaltem Krieg, für ein anderes, wachsameres, ja froheres Deutschland sorgen wollten. Eines, das endlich den »alten Untertanengeist« abstreift, der noch aus wilhelminischer Zeit stammte und die Familie (Stichwort »Gehorsamsparagraf« 1354 BGB, der erst 1957 ersatzlos gestrichen wurde) als verkleinertes Abbild eines autoritären Regimes ansah; ein Deutschland, das sowohl Männern als auch Frauen ermöglichen sollte, als mündige Menschen zu leben.

Körner erzählt ohne agitatorischen Eifer und mit viel Gespür für politische Rede als Performance-Kunst und denkt sich selbst als Lernenden stets mit, als Mann, der sich wundert über seinen eigenen, männlich geprägten Blick. Film und Buch erhellen und vertiefen dabei einander. Im Film verzichtet Körner auf jeden Off-Kommentar und erzielt durch strenge Montagen überraschende Einsichten. In einem der ergreifendsten Kapitel rehabilitiert er Hannelore Kohl vom Ruf der bloßen »Frau an seiner Seite« und entlarvt die misogyne Selbstgefälligkeit der Fernsehjournalisten jener Zeit. Beeindruckend und bewegend, wie er (im Buch) die durchscheinende Petra Kelly und den monolithischen Helmut Kohl als komplementäre Ver-Körperer von Macht analysiert, und wie er (im Film) wiederum »Petra und Hannelore« zusammendenkt, weltläufige Frauen, die neben ihren Männern verloschen. Archivmaterial, Gespräche mit den Politikerinnen von damals in Räumen des »Langen Eugen« in Bonn, dazwischen leere Stuhlreihen oder ein umkreistes Mikrofon: Die Filmbilder evozieren Fragen und geben ungesagte Antworten. Wer darf reden? Ist nicht jeder zu besetzende Stuhl eine Option, es besser zu machen?

»Erstmals nach 20 Jahren ist der Frauenanteil im Bundestag wieder zurückgegangen und beträgt nur noch 31 Prozent«, wird am Schluss eingeblendet. Warum das ein Problem sein soll? Helene Weber, eine der vier »Mütter des Grundgesetzes«, sprach 1949 im Bundestag den Satz: »Der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker«. Die Herren im Parlament, einige von ihnen hatten eine braune Vergangenheit, wussten sehr wohl, welchen Staat sie meinte, und lachten. Weber hatte bereits 1932 vor dem »Männerstaat« gewarnt. Warum sollten sie jetzt auf sie hören?

Torsten Körner: In der Männer-Republik. Wie Frauen die Politik eroberten. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, 368 S., 22 €.

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