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Verseuchte Wirtschaft

Vor einem halben Jahr brach die Corona-Pandemie in China aus und hat rasch die gesamte Menschheit erfasst. Wie steht es um die wirtschaftlichen Folgen für Deutschland und Europa?

Die ökonomische Krise im Gefolge der Pandemie ist primär politisch gemacht. Wirtschaftlich verheerend waren Maßnahmen wie die Grenzschließungen, Ausgangs- und Kontaktsperren, Schließung von Läden und das Verbot von Veranstaltungen und Reisen. Damit ist die Politik aber wohl nur einer – wahrscheinlich noch größeren – Krise zuvorgekommen, nämlich jener, die bei einer ungebremsten Ausbreitung der Seuche eingetreten wäre. Denn auch ohne Lockdown hätten die Menschen wahrscheinlich von vielen der betroffenen Aktivitäten Abstand genommen – mit entsprechenden Folgen für die Konsumnachfrage. Zusätzlich hätte es aber wohl eine Vielzahl an Toten mehr gegeben, deren wirtschaftliche Bedeutung allein für die USA auf acht Billionen US-Dollar, also etwa 40 % des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP), geschätzt wurde – eine voraussichtlich schlimmere Krise als die sich jetzt abzeichnende.

Die politischen Eingriffe trafen sowohl Angebot wie Nachfrage. Die Produktion wurde in vielen Bereichen heruntergefahren und der Konsum brach massiv ein. In der Folge schrumpften die marktabhängigen Einkommen (sowohl Löhne wie Profite) und die Beschäftigung dramatisch. Die OECD schätzte den Anfangsschock auf ca. 30 % des BIP. Der Ölpreis halbierte sich. Die deutschen Exporte sanken um über 30 %. Ohne staatliche Gegenmaßnahmen drohte nun ein Teufelskreis aus sinkenden Einkommen, daraus resultierender nachlassender Nachfrage und dadurch weiter sinkenden Einkommen. Ab Mitte Februar antizipierten die Börsen eine Katastrophe: Der Dax sank in vier Wochen von fast 13.800 Punkten Mitte Februar auf unter 8.500 Mitte März. Das allein hätte schon eine Finanzkrise auslösen können, als ein Kapitalstock (gleichzeitig die Aktivseite vieler Finanzinstitutionen) in Höhe von etwa 50 % des deutschen BIP 40 % seines Wertes einbüßte. Damit sanken die Kreditwürdigkeit und der Liquiditätszugang vieler Unternehmen.

Dieses Extremszenario wurde durch massive geld- und fiskalpolitische Gegenmaßnahmen verhindert. Die Europäische Zentralbank (EZB) legte zwei Pandemie-Notfallankaufprogramme (PEPP) im Umfang von 1.350 Milliarden Euro auf. Die Bundesregierung stellte 1,27 Billionen Euro (insgesamt über 40 % des BIP) an Hilfen, Krediten und Bürgschaften zur Verfügung, um die Einkommen von Haushalten, Selbstständigen und Unternehmen zu stabilisieren. Anfang Juni verabschiedete sie ein Konjunkturprogramm mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro (u. a. eine Mehrwertsteuersenkung). Andere Länder in der EU (und weltweit) legten ähnliche, wenn auch angesichts ungünstigerer Ausgangsbedingungen (insbesondere einer höheren Verschuldung) meist relativ schwächere Programme (unter 15 % des BIP) auf. Die Europäische Union (EU) ergänzte die nationalen Programme durch zusätzliche Maßnahmen, wobei Umfang und Charakter der Hilfen umstritten blieben. Im Juli einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf ein 750 Milliarden-Programm (sowohl Kredite als auch Zuschüsse).

Für das Jahr 2020 rechnen die Ökonomen (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Sachverständigenrat, OECD) nun mit einem Rückgang des deutschen BIP um 5–7 %, einem dank über sieben Millionen Kurzarbeiter nur mäßigen Anstieg der Arbeitslosenquote, einem Einbruch bei den Exporten, einem Haushaltsdefizit von ca. 5 % bei weiter sehr geringem Preisanstieg. In den anderen europäischen Ländern sieht es teils deutlich schlimmer aus (z. B. in Italien und Spanien), gelegentlich auch besser (in Skandinavien und im Baltikum). Die Krise trifft die Branchen sehr unterschiedlich. Reisebranche, Luftverkehr, Gastronomie und Hotelgewerbe, Veranstaltungsbereich (Sport, Kultur, Kino, Theater, Konzerte etc.), der Einzelhandel und persönliche Dienstleistungen (auch Bildung und Gesundheit), aber auch die Automobilindustrie sind massiv betroffen (teilweise 90 % Rückgang). Zwar können die Unternehmen Löhne durch Kurzarbeit sparen und geben weniger für Vorleistungen und Steuern aus, aber oft bleiben noch erhebliche Fixkosten (z. B. Mieten). Liquide Reserven reichen oft nur für ein paar Monate und neue Kredite sind angesichts unsicherer Ertragsaussichten schwer zu bekommen – vor allem, wenn schon hohe Schulden da sind. Hier drohen zahlreiche Insolvenzen, die eventuell nur durch staatliche Rettungsaktionen zu vermeiden sind (typisch: Lufthansa). Andererseits: Weltweit ging der CO2-Ausstoß um etwa 8 % zurück. Und zumindest die Börse erholte sich schnell, ab Juni lag der DAX wieder bei über 12.000.

Trübe Aussichten vom Schuldenberg?

Seit Mai wurden die staatlichen Einschränkungen schrittweise gelockert. Die folgenden Überlegungen zur wirtschaftlichen Entwicklung gehen von der Prämisse aus, dass es zu keiner erneuten Schließung angesichts einer zweiten Infektionswelle kommt, bei der alle Negativwerte nochmals überschritten würden. Rein theoretisch könnten alle Wirtschaftssubjekte einfach da weitermachen, wo sie im Februar aufgehört haben, da ja keine physischen Zerstörungen (wie nach Kriegen oder Naturkatastrophen) eingetreten sind. Damit ist aber aus mehreren Gründen nicht zu rechnen: 1. Einige Beschränkungen (z. B. Großveranstaltungen) werden länger bleiben. 2. Viele Konsumenten werden sich weiter zurückhalten, teils aus Angst vor Ansteckung, teils aus dem Wunsch heraus Ausgaben zu kürzen, um Einkommens- und Vermögensverluste zu kompensieren. 3. Die Nachfrage auf den Exportmärkten mag wegen größerer Probleme, vor allem in den ärmeren Ländern, weiter schwächeln. Dazu kommt eine schleichende Deglobalisierung, um lebenswichtige Lieferketten zu sichern, aber auch wegen der chinesisch-amerikanischen Handelskonflikte. 4. Viele Selbstständige und Unternehmen werden insolvent oder weiter große Finanzprobleme (in Form von Schulden) haben, vor allem in stark betroffenen Branchen. 5. Der Staat muss sich mit seiner gestiegenen Verschuldung und sinkenden Steuereinnahmen auseinandersetzen, vor allem, wenn auch noch viele der gewährten Kredite und Bürgschaften ausfallen. Unterm Strich droht eine 90 %-Ökonomie, wie der Economist Anfang Mai feststellte.

Das zentrale Post-Corona-Dilemma könnte der Nexus von Schulden und Inflation sein. Schon vor der Coronakrise hat die Bruttoverschuldung aller Sektoren in Europa Rekordhöhen erreicht: für die Eurozone insgesamt stieg sie vom Achtfachen des BIP 2000 auf das Zwölffache 2019, in Deutschland lag sie eher konstant beim etwa Achtfachen des BIP. Das entspricht einem gleich starken Aufbau von Vermögen, vor allem bei privaten Haushalten und im Finanzsektor (u. a. bei der EZB, deren Bilanz auf ca. sechs Billionen Euro angestiegen ist). Wie reagieren die Schuldner? Verschuldete Unternehmen dürften versuchen, Einnahmeüberschüsse – auch angesichts vielleicht stagnierender Absatzmengen – durch höhere Preise und Einsparungen bei Inputs (Beschäftigung, Löhne, Vorprodukte) zu erzielen. Preissteigerungen lassen sich einerseits leichter durchsetzen, wenn Konkurrenten insolvent und/oder leicht zu übernehmen oder durch Protektionismus (Deglobalisierung) benachteiligt sind. Andererseits drohen die Einsparungen die Nachfrage zu dämpfen, da sie die Einkommen Dritter reduzieren. Das gilt besonders für Reallohnsenkungen und Entlassungen, wenn die Unternehmensprobleme auf dem Rücken der Beschäftigten gelöst werden (Achtung beim Mindestlohn!). Um die Bilanzen wirklich zu bereinigen, müssten die vermögenden Gläubiger den Schuldnern mehr zahlen (z. B. abkaufen) als sie von ihnen bekommen. Das geht leichter bei Inflation, während weitere Sparsamkeit der Gläubiger kontraproduktiv ist. Ob sich unterm Strich die deflatorische Nachfrageschwäche oder die inflatorische Schuldenlösung durchsetzt, hängt stark von der Geld- und Finanzpolitik ab.

Ein fiskalischer Sparkurs, um die Schulden durch langfristig hohe Haushaltsüberschüsse absolut zu senken, wäre ein Rezept für Deflation, Rezession und Arbeitslosigkeit, das obendrein wahrscheinlich die Schuldenstandsquote eher nach oben triebe, wie man es im Fall Griechenlands und der ihm aufgezwungenen Austeritätspolitik beobachten konnte. Eine kluge Fiskalpolitik würde starke Ausgabenkürzungen (die ja die Einnahmen oft ärmerer Dritter mit hoher Konsumneigung darstellen) vermeiden. Stattdessen sollte sie dort Einnahmen generieren, wo sie die Nachfrage wenig beeinträchtigen und/oder den notwendigen Umbau der Wirtschaft fördern. Hier bieten sich vor allem Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen sowie eine CO2-Steuer an. Schließlich geht es auch darum, eine weitere Zunahme der Ungleichheit im Zuge der Pandemie zu verhindern, die Vermögensbesitzer und gut verdienende Büroarbeitende begünstigt, während die Menschen ohne Zugang zum Homeoffice in Armut und Arbeitslosigkeit abzustürzen drohen.

Die Geldpolitik befindet sich in einer Zwickmühle: Würde die Inflation trotz der Nachfrageschwäche zunehmen, müsste sie die Zinsen erhöhen, was die Lage hoch verschuldeter Akteure (sowohl Unternehmen wie Staaten) verschärfen würde und eine Finanzkrise auslösen könnte. Bleibt sie bei der Niedrigzinspolitik und toleriert sie die Inflation, setzt sie sich der schon in Zeiten ohne Inflation starken Kritik aus, ihr Mandat zu verletzen und die Sparer und Gläubiger zu schädigen. Die Erfahrung aus Nachkriegszeiten, als die Staatsverschuldung sehr hoch war, spricht dafür, auf eine Kombination von leichter Inflation und finanzieller Repression (= niedrige Zinsen) zu setzen. Ziel sollte ein langfristiges nominales BIP-Wachstum von 4–6 % mit einem möglichst hohen Realanteil sein.

Europäische Divergenzen

Die Coronakrise traf die Mitgliedstaaten der EU sehr unterschiedlich. Am härtesten waren Spanien und Italien betroffen, die ohnehin schon unter einer schwächelnden Wirtschaft litten. Die unterschiedlichen Fähigkeiten, staatliche Abhilfe zu schaffen, verschärfen die Unterschiede zusätzlich. Deutschland (mit einem guten Viertel des EU-BIP) gönnt sich fast die Hälfte aller Staatshilfen in der EU, was den Wettbewerb im Binnenmarkt bedroht. Solidarität war nur schwer zu erzielen. Die »sparsamen Vier« (Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden) wehrten sich gegen Eurobonds und Zuschüsse an die hart betroffenen Südländer. Deutschland zögerte ebenfalls lange, raffte sich dann aber zu einem gemeinsamen Vorschlag mit Frankreich auf, der in das Ende Juli verabschiedete 750-Milliarden-Euro-Paket der EU einfloss.

Grundsätzlich böte die Krise auch für Europa neue Chancen. Das erwähnte EU-Programm öffnet einen Einstieg in eine supranationale fiskalische Kapazität, die viele Kritiker der Währungsunion schon lange angemahnt haben. Allerdings müssten auch die Förderkonzepte für die schwächeren Mitgliedstaaten überdacht werden. Bisher waren die Regionalpolitik der EU ebenso wie die neoliberalen »Reformen« kaum erfolgreich. Aber eine stärkere gemeinsame Industriepolitik könnte neue Wachstumsimpulse setzen. Wenn man – aus Gründen der Versorgungssicherheit oder Geopolitik – die Deglobalisierung wegen der Abhängigkeit von entfernten Zulieferern voranbringen will, wären ärmere Regionen in der EU die idealen Standorte, um etwa Importe aus China oder Indien zu ersetzen. Mehr zukunftsorientiert wäre die Förderung der ökologischen Transformation, etwa im Energie- und Verkehrssektor, um Ölimporte zu reduzieren, die einen großen Teil der Außenhandelsdefizite der Mittelmeerländer ausmachen.

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