Menü

Versteckte Potenziale für eine umfassende gleichstellungspolitische Agenda

Der Schutz vor Diskriminierung bzw. die Gewährleistung substanzieller Gleichberechtigung ist nicht nur im nationalen und europäischen Recht, sondern auch völkerrechtlich verankert. Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ist das umfassendste völkerrechtliche Abkommen zum Schutz der Rechte von Frauen. CEDAW wurde bereits 1979 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Inzwischen haben 187 Staaten das Menschenrechtsabkommen ratifiziert. Seit 1985 gehört auch Deutschland dazu.

CEDAW verpflichtet die Vertragsstaaten zur rechtlichen und faktischen Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen. Dabei müssen sich Staaten nicht nur selbst an rechtliche Diskriminierungsverbote halten, sondern aktiv für die Verwirklichung tatsächlicher Gleichberechtigung von Frauen in der gesellschaftlichen Realität sorgen. Das Übereinkommen konkretisiert daher neben allgemeinen Diskriminierungsverboten substanzielle individuelle Rechte und korrespondierende staatliche Pflichten. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, dem für CEDAW zuständigen Fachausschuss alle vier Jahre einen Umsetzungsbericht vorzulegen (»Staatenberichtsverfahren«). Deutschland hat zudem das sogenannte Fakultativprotokoll unterzeichnet, das es Einzelpersonen oder Personengruppen ermöglicht, sich nach Ausschöpfung aller anderen Rechtsmittel direkt an den UN-Ausschuss zu wenden (»Individualbeschwerdeverfahren«).

Die in CEDAW normierten Rechte und Pflichten ähneln zwar nationalen und europäischen Rechtsnormen, gehen aber in wesentlichen Punkten darüber hinaus. Das Übereinkommen verbietet zum einen nicht jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, sondern nur die Diskriminierung von Frauen. Dieser asymmetrische Ansatz berücksichtigt, dass geschlechtsbezogene Diskriminierungen überwiegend Frauen treffen. Daher normiert CEDAW, zusätzlich zu symmetrischen Diskriminierungsverboten in anderen Menschenrechtsverträgen, besondere Rechte und Handlungspflichten zugunsten von Frauen.

Zweitens erweitert CEDAW das gängige Verständnis von Diskriminierung. Im nationalen und europäischen Recht wird Diskriminierung in der Regel als nicht zu rechtfertigende, geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung zum Nachteil von Frauen definiert. Das Diskriminierungsverbot in CEDAW geht über diesen vergleichszentrierten Ansatz hinaus. Artikel 1 erfasst alle Regelungen und Praktiken, die Frauen beabsichtigt oder faktisch in eine den Männern untergeordnete Position zwingen und so die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Frauen behindern. Diskriminierungen werden demzufolge als Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse verstanden, die auf geschlechterstereotypen Annahmen beruhen. Mit diesem Verständnis lassen sich nicht nur Unterscheidungen, etwa beim Arbeitslohn erfassen, sondern ebenso Hierarchisierungen und Abwertungen, wie sie für sexuelle Belästigungen, sexistische Werbung oder unterschiedliche Ausbildungs- und Arbeitsmarktstrukturen typisch sind. Artikel 5 enthält die explizite Pflicht, auf die Veränderung sozialer und kultureller Verhaltensmuster hinzuwirken, die auf Vorstellungen von der Unterlegenheit oder Überlegenheit eines Geschlechts oder stereotypen Rollenverteilungen beruhen. Als Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts gelten dabei alle an biologische oder soziale Geschlechternormen anknüpfenden Benachteiligungen, Ausgrenzungen oder Abwertungen. Gleichzeitig werden für die Analyse von Diskriminierungen und Gleichstellungsdefiziten die sehr verschiedenen (intersektionell geprägten) Lebensrealitäten von Frauen in den Blick genommen.

Die in CEDAW verankerten Rechte und Pflichten gehen drittens über den Geltungsbereich bundesdeutscher Gesetze zur Gleichstellung von Frauen und zum Schutz vor geschlechtsbezogener Diskriminierung hinaus. Der Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist zwar weit gefasst, die geschlechtsbezogenen Diskriminierungsverbote beziehen sich jedoch nur auf Benachteiligungen im Erwerbsleben und bei zivilrechtlichen Massengeschäften. Die Gleichstellungsgesetze in Bund und Ländern sind grundsätzlich auf den öffentlichen Dienst beschränkt. Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes verbietet geschlechtsbezogene Diskriminierungen. Grundrechte sind jedoch in erster Linie Abwehrrechte gegenüber staatlichem Handeln. Allein Satz 2 sieht die umfassende Pflicht des Staates vor, »die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern« zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Allerdings bleibt es dem Staat überlassen, diese sehr allgemeine Pflicht zu konkretisieren. Nicht zuletzt handelt es sich um eine Staatszielbestimmung, die individuell nicht einklagbar ist.

CEDAW verpflichtet die Vertragsstaaten nicht nur zur rechtlichen und faktischen Gleichstellung in allen Lebensbereichen und schließt damit sowohl die Privatsphäre als auch die Privatwirtschaft ein. Der Vertragstext konkretisiert darüber hinaus in den Paragrafen 7 bis 16 subjektive Rechte sowie die in verschiedenen Lebensbereichen erforderlichen Maßnahmen. Zu derartigen Maßnahmen gehören nach Artikel 4 ausdrücklich zeitweilige Sondermaßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen. Auch hier geht CEDAW über das sehr viel engere nationale und europarechtliche Verständnis zur Zulässigkeit von positiven Maßnahmen, insbesondere Quotenregelungen, hinaus.

Bislang wird CEDAW in erster Linie von NGOs benutzt, um gleichstellungspolitische Forderungen zu untermauern. CEDAW hat jedoch sehr viel mehr Potenzial, denn durch die Ratifizierung gilt das Übereinkommen – ebenso wie andere Menschenrechtsverträge – als Bundesrecht. Die Regelungen haben damit den gleichen gesetzlichen Rang wie etwa das AGG und gehen allen untergesetzlichen bundesrechtlichen Normen vor. Das Gleiche gilt für alle durch die Bundesländer erlassenen Rechtsnormen, einschließlich der Landesverfassungen. Im Zusammenspiel mit der Bindung an Recht und Gesetz gemäß Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und dem Gebot menschenrechtskonformer Auslegung deutschen Rechts ergibt sich daraus zudem ein rechtlich verbindlicher und umfassender Auftrag für alle staatlichen Institutionen (Verwaltungen, Gerichte und Gesetzgebung), die in CEDAW normierten Maßnahmen umzusetzen bzw. bei der Anwendung und Auslegung deutschen Rechts zu berücksichtigen. Nicht zuletzt ergeben sich aus den in CEDAW normierten Bestimmungen auch subjektive Rechte, die nicht nur über die Individualbeschwerde beim zuständigen UN-Ausschuss geltend gemacht werden können, sondern vor deutschen Gerichten einklagbar sind. Bislang werden völkerrechtliche Abkommen allerdings nur bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts herangezogen. Für eine konsistente Berücksichtigung im Rahmen der Politikgestaltung und Gesetzgebung fehlt es nicht nur an der Aufmerksamkeit für die rechtliche Relevanz, sondern an dafür notwendigen institutionellen Mechanismen und Strukturen. Anders als beispielsweise bei der UN-Konvention zur Einhaltung der Rechte von Menschen mit Behinderungen fehlt es für CEDAW immer noch an einer unabhängigen Stelle, die die Einhaltung der Rechte von Frauen fördert und die Umsetzung der Konvention überwacht.

Umsetzungsdefizite und Handlungsempfehlungen

Dass CEDAW in Deutschland bislang nur lückenhaft umgesetzt wird, zeigt das letzte Staatenberichtsverfahren. Die Bundesregierung legte im Juni 2015 einen kombinierten 7. und 8. Staatenbericht vor. Darüber hinaus reichten mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen Parallelberichte ein, u. a. eine Allianz aus 38 NGOs (sogenannte CEDAW-Allianz), die sich für die Rechte von LSGBTTIQ, Migrantinnen und geflüchteten Frauen sowie Sexarbeiterinnen einsetzen.

Die im März 2017 veröffentlichten abschließenden Bemerkungen des Ausschusses würdigen zentrale Reformen der letzten Jahre, etwa die Verankerung des Grundsatzes »Nein heißt Nein« im Strafgesetzbuch, die Einführung des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen, die Einführung des Mindestlohngesetzes sowie weitere Maßnahmen, die zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen beitragen sollen.

Gleichzeitig weist der Ausschuss auf zahlreiche Umsetzungsdefizite hin und fordert diverse zusätzliche Maßnahmen ein. Dazu gehören beispielsweise Bildungsmaßnahmen im Bereich der Justiz, um die Durchsetzung der Konvention über nationale Gerichte zu fördern. Aufgrund der lückenhaften Umsetzung dieser Konvention, u. a. im Bereich der Landeskompetenzen, empfiehlt der Ausschuss nicht nur koordinierende Maßnahmen auf Bundesebene, sondern institutionalisierte Strukturen, die eine einheitliche und konsequente Umsetzung sicherstellen, etwa über das Deutsche Institut für Menschenrechte. Weitere Empfehlungen betreffen u. a. Änderungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, die Überarbeitung des Transsexuellengesetzes, Verbesserungen beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, Strategien zur Armutsreduzierung, Forschung zur Beurteilung der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Scheidung und viele andere Maßnahmen.

Der Ausschuss wiederholt zudem eine Reihe früherer Empfehlungen, die bislang nicht umgesetzt wurden, u. a. zur Umsetzung von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting sowie zur Beseitigung diskriminierender Stereotype, insbesondere in den Medien. Auch die Bemühungen zur Bekämpfung aller Formen geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen werden weiterhin als unzureichend kritisiert. Das gilt insbesondere für Frauen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben, sowie Frauen in Flüchtlingsunterkünften und Aufnahmelagern. Die Empfehlungen entsprechen Forderungen der Istanbul-Konvention, die zwar seit August 2014 in Kraft (Deutschland hat im Oktober 2017 ratifiziert), aber bislang nicht ausreichend umgesetzt ist. Die auf das Erwerbsleben bezogenen Empfehlungen zeigen, wie wenig sich in diesem Bereich verändert hat. Der Ausschuss thematisiert nach wie vor die anhaltend hohen Unterschiede beim Einkommen und bei der Alterssicherung, die Fehlanreize des deutschen Steuersystems durch Ehegattensplitting und Lohnsteuerklassen, die fortbestehende horizontale und vertikale Unterteilung des Arbeitsmarktes und die unzulängliche Betreuung von Kindern nach der Einschulung. Das erst kürzlich in Kraft getretene Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen ist ein sehr unzureichender erster Schritt, um Diskriminierungen im Erwerbsleben zu beenden. Auch die fehlenden Bemühungen, die Anzahl von Frauen in gewählten Entscheidungsorganen auf Bundes- und Landesebene zu erhöhen, werden zum wiederholten Mal kritisiert. Angesichts des gesunkenen Frauenanteils nach der letzten Bundestagswahl muss nach gesetzlichen Lösungen gesucht werden.

Es ist bedauerlich, dass Deutschland die 1985 selbst ratifizierten Normen immer noch nicht voll umgesetzt hat. Dabei ließe sich auf der Basis der CEDAW-Dokumente, einschließlich der abschließenden Bemerkungen des Ausschusses, eine umfassende geschlechterpolitische Agenda aufstellen. Inwieweit Deutschland die aktuellen Empfehlungen nunmehr aufgreift, wird spätestens in zwei Jahren geprüft. Dann ist ein Zwischenbericht zu ausgewählten Themen vorzulegen. Der nächste Staatenbericht folgt im März 2021.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben