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picture alliance / photothek | Thomas Koe hler

Verwaltungsreform – dringend erforderlich

 

Im Zeitraum von Anfang der 90er Jahre bis ins Jahr 2021 wurde beinahe ein Dutzend sogenannter Beschleunigungsgesetze verabschiedet. Ging es im Zuge der Wiedervereinigung zunächst um einen raschen Ausbau des Verkehrsnetzes in den neuen Bundesländern, kamen danach andere Bereiche des allgemeinen Planungsrechts, des Baurechts, der Investitionsbeschleunigung, des Netzausbaus usw. hinzu.

Gebracht haben all diese Gesetze letztendlich wenig, mit Ausnahme vielleicht der Verkehrswegeplanung in den neuen Bundesländern. Stuttgart 21, der Flughafen BER, diverse Eisenbahnprojekte, alles Beispiele »unendlicher Planungen« aus der jüngeren Vergangenheit, beweisen dies. Noch deutlicher wird der kritische Befund unter Einbeziehung neuer Vorhaben: Für eine Nord-Süd-Stromtrasse oder für die Elektrifizierung der bestehenden Bodenseegürtelbahn wird mit einem Zeitraum von 20 Jahren zwischen Planung und Umsetzung gerechnet, für neue Windkraftanlagen rechnet man mit sechs Jahren.

Warum aber sind die bisherigen gesetzgeberischen Versuche, Planungen zu beschleunigen, weitgehend ins Leere gelaufen und welche Wege aus diesem Dilemma heraus gibt es? Gründe für die langwierigen Umsetzungsprozesse sind folgende:

Erstens verkennt die bisherige weitgehende Konzentration auf verfahrenstechnische Maßnahmen die Bedeutung des immer komplexer werdenden materiellen Rechts in Verfahren.

Zweitens führt die Verabschiedung neuer oder die Verschärfung bestehender materieller Schutzgesetze und die Ausweitung der Bürgerbeteiligung in Großverfahren in der bestehenden Verwaltungsstruktur zwangsläufig zu Verfahrensverlängerungen.

Drittens wird die Verwaltungsstruktur, der vertikale und sektorale Aufbau, ohne neuartige Formen digitalisierter und projektorientierter Arbeit der komplexen gesellschaftlichen Realität nicht gerecht.

Viertens sind Reformen ohne Verständnis und Berücksichtigung der »inneren Logik« von Verwaltungsarbeit, der »Kultur« in den Verwaltungen, zum Scheitern verurteilt.

Häufig wird übersehen – auch vom Gesetzgeber selbst –, dass in den letzten 30 Jahren nicht nur verfahrensrechtliche Beschleunigungsgesetze verabschiedet wurden. Vielmehr erfolgten auch erhebliche Veränderungen im materiellen Recht mit einem Bedeutungszuwachs bisher gesellschaftlich objektiv zu wenig berücksichtigter Materien wie etwa dem Natur- und Artenschutz, dem Gesundheitsschutz oder dem Immissionsschutz. Diese neuen Anforderungen wurden neben die bestehenden rechtlichen Vorgaben gestellt und gleichzeitig der Zivilgesellschaft ein größeres Mitspracherecht eingeräumt.

Anstatt Bürgeranhörungen und Beteiligungen vor dem konkreten Planungsbeginn zu organisieren, wird die Zivilgesellschaft in die Verfahren erst dann einbezogen, wenn die Grundsatzentscheidungen bereits gefallen sind. Dies trägt nicht zur Akzeptanzsteigerung bei, verlängert aber die Verfahren erheblich. Ungeklärt blieben Einzelfragen nach der Rangordnung bestimmter Schutzgüter untereinander wie Klimaschutz versus Artenschutz oder nach der konkreten Zielsetzung von Gesetzen.

Bleiben derartige Fragen unbeantwortet und werden neue Materien einfach zum großen Normenbestand ohne Priorisierungen hinzugefügt, führt dies bei der gewachsenen Verwaltungspraxis zu Verlängerungen der Bearbeitungszeiten.

Die innere Arbeitsorganisation von Verwaltungen, die Aufbau- und die Ablauforganisation ist seit über 100 Jahren gekennzeichnet von einem sektoralen Nebeneinander unterschiedlicher Materien in den Ministerien, Sonderbehörden, Abteilungen, Referaten, die selbst vertikal aufgebaut sind. Dies steht den komplexen Anforderungen moderner Gesellschaften entgegen. Notwendig sind heute vielmehr abgestimmte Entscheidungen über alle Bereiche der Verwaltungen hinweg. Immissionsschutz, Wasser- und Luftrecht, Bau- und Planungsrecht usw. müssen zusammengedacht werden.

Dies setzt, auch im Interesse einer zügigen und transparenten Bürgerbeteiligung, neue Formen einer gebündelten, sektorenübergreifenden Arbeitsorganisation voraus. Nach wie vor arbeiten die einzelnen Behörden und Ministerien jedoch meistens neben- und nacheinander. Ressortegoismen und die Verteidigung der jeweiligen Fachansichten führen besonders bei großen Infrastrukturprojekten regelmäßig zu großen Zeitverlusten.

Verwaltungen folgen in der Erledigung ihrer Aufgaben – auch aufgrund des überkommenen Dienstrechts – ihrer eigenen »inneren Logik«. Diese steht – mangels eines verwaltungsintern erkennbaren Stellenwerts des Faktors Zeit – in Widerspruch zu abstrakten Beschleunigungsvorgaben. Werden die inneren Motivationen der Verwaltungsmitarbeiter bei Reformen außer Acht gelassen, ist ein Scheitern wahrscheinlich.

Oberstes handlungsleitendes Prinzip von Verwaltungen ist es gemäß Artikel 20 Grundgesetz, zu rechtskonformen Entscheidungen zu kommen. Eine möglichst fehlerfreie Beachtung gibt individuelle Sicherheit und schützt vor Beanstandungen durch Vorgesetzte oder Gerichte. Zum Problem wird diese wesentliche Priorität dann, wenn nicht auch der Zeitfaktor als wichtiger Gesichtspunkt in der Arbeitserledigung eine Rolle spielt. Das tut er rechtlich im Allgemeinen nicht und spielt empirisch allenfalls bei entsprechend denkenden Vorgesetzten eine Rolle. Entscheidungsfreude und rasche Bearbeitung wird in einem fehlerunfreundlichen Milieu nicht belohnt.

Wer in kritischen Fällen nicht oder spät entscheidet oder auch unnötige verwaltungsinterne Beteiligungsschleifen zieht, macht zwar keinen Fehler. In Verbindung mit negativen Faktoren wie Behördenleitungen, die selbst diesem Denken verhaftet sind, einer unzureichenden Personalausstattung, einer mangelhaften technischen und organisatorischen Ausstattung und fehlenden Anreizen, ist eine Art innerer Immigration der Beschäftigten vorprogrammiert.

Die Beachtung der genannten Gesichtspunkte bietet im Unterschied zu den bisherigen, weitgehend wirkungslosen »Beschleunigungsnovellen« die Chancen für reale Veränderungen. Für diese Annahme gibt es empirische Belege: Allein die Neuorganisation der Verwaltungsabläufe, wie sie hier angesprochen wurde, hat in entsprechend arbeitenden Behörden zu Zeitersparnissen von bis zu 50 Prozent geführt.

Was zu tun ist

Die klare Zieldefinition sollte lauten: Weg von der »Abarbeitungsverwaltung« zur »Ermöglichungsverwaltung«. Ein Kulturwandel muss initiiert werden, der die Verfahren aus Nutzersicht statt aus Verwaltersicht steuert.

Mit diesem Anliegen wäre die Bundesrepublik in guter Gesellschaft: US-Präsident Joe Biden hat am 13. Dezember 2021 einen »Executive Order« herausgegeben, der die Ministerien dazu verpflichtet, bestimmte Verfahren auf ihre Nutzerfreundlichkeit und Zeiteinsparungen hin zu überprüfen und neu zu gestalten. Anwenderfreundliche Digitalisierung und ein integriertes »Feedback«-System durch die Nutzer sind zentrale Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Für die nachgeordneten Behörden und die Bundesstaaten sieht die Verordnung die Entwicklung von Leitlinien vor, an denen sich diese Behörden orientieren sollten beziehungsweise müssen.

Die wichtigsten Aspekte der in Deutschland einzuleitenden Veränderungen betreffen den Bundesgesetzgeber, die föderalen Institutionen und die einzelnen Behörden.

Der Bundesgesetzgeber muss seinen »Instrumentenkasten« des materiellen Rechts daraufhin überprüfen, was an Normen noch notwendig ist, was entfallen kann und wie die Priorisierung innerhalb des materiellen Rechts als Abwägungshilfe für die ausführenden Verwaltungen vorzunehmen ist.

So ist beispielsweise daran zu denken, bestimmten materiellen Vorschriften zum Klimaschutz zumindest einen zeitweiligen Vorrang gegenüber anderen materiellen Schutzgütern einzuräumen. Das kann den Bau neuer Infrastruktureinrichtungen wie Strom- oder Bahntrassen betreffen, wie auch die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung regenerativen Stroms. Politisch wie verfassungsrechtlich keine leichte, aber eine lohnende Übung.

Bei einer Reihe von speziellen Gesetzen – etwa zum Denkmal- oder Artenschutz – müsste das Schutzgut konkreter benannt werden. Geht es um den Schutz eines Architekturstils oder um ein konkretes Bauwerk, ein einzelnes Tier, eine Pflanze oder den Schutz der Gattung als solcher?

Planänderungen im laufenden Verfahren sollten in Zukunft nur bei substanziellen Veränderungen der Ausgangsplanung zur gesamten Neuauslegung führen. Nicht zuletzt muss per Bundes- und Landesrecht sichergestellt werden, dass mindestens für zentrale Infrastrukturmaßnahmen immer eine ausreichende Personaldecke (inklusive Vertretungsregeln etwa im Krankheitsfall) vorhanden ist, um fristgerecht arbeiten zu können.

Dies gilt auch für die Verwaltungsgerichte, denen im Gegenzug aber – richterliche Unabhängigkeit hin oder her – Zeitfristen zur Erledigung von Verfahren auferlegt werden sollten.

Daneben würde ein Belohnungssystem für zeitsparende Innovationen als flankierende personalrechtliche Maßnahme die intrinsischen Motive zum Anstoß von Reformen deutlich stärken.

Von herausragender Bedeutung ist die Gestaltung der Abläufe der einzelnen Verwaltungsverfahren, insbesondere bei Genehmigungen von großen Infrastrukturprojekten. Denn in den Verfahren selbst liegen die bisher übersehenen großen Potenziale zur Zeiteinsparung. Hier stellen sich im föderalen Staat mit kommunaler Selbstverwaltungshoheit besondere Probleme. Der deutsche Föderalismus ist heute im Wesentlichen ein Exekutivföderalismus. Während fast alle wichtigen Gesetzgebungskompetenzen beim Bund liegen, haben die Bundesländer die exekutive Verwaltungs- und damit die Durchführungskompetenz. Der Bund kann grundsätzlich nur mit Zustimmung der Länder die Art und Weise der Abläufe der einzelnen Verfahren bestimmen. Angesichts der politisch »diversen« politischen Lage ist dies oft nur schwer erreichbar, materiell- wie verfahrensrechtlich. Die Diskussion um Abstandsgebote bei Windrädern zeigt dies erneut.

Die folgenden Veränderungen im Verwaltungsablauf sind nötig und erfolgversprechend, sollen substanzielle Zeiteinsparungen erreicht werden.

Nach einer Bestandsaufnahme der Abläufe bei den wichtigsten Infrastrukturmaßnahmen mit »best practice«-Vergleichen in den Ländern wird ein Leitfaden für gleichartige effektive Abwicklung solcher Verfahren für alle Länder erstellt. Über Bürgeranhörungen wird noch weit vor Beginn der konkreten Planungsverfahren eine breite gesellschaftliche Beteiligung sichergestellt.

Die Planungs- und Genehmigungsverfahren werden zwingend in Form eines Projektmanagements »konzentriert«, das heißt gebündelt bei einer federführenden Behörde mit Entscheidungs- und internen Fristsetzungskompetenzen durchgeführt. Dies setzt voraus, dass gesetzlich die gebündelte Entscheidungsstruktur pro Verfahrensart auf alle zu beteiligenden Fachgebiete ausgedehnt wird, wo dies bisher noch fehlt.

Die zwingende Vorgabe, solche Großverfahren sternförmig, das heißt gleichzeitig statt im Nacheinander der verschiedenen Behörden durchzuführen, überwindet die sektorale, sequenzielle Arbeit verschiedener Behörden und führt zu starken Zeitgewinnen durch interne Firstsetzungen, deren Versäumung zur Zustimmungsfiktion führt. Derartige Verfahren digital abzuwickeln, Anhörungen technisch aufzuzeichnen und eine für alle Verfahrensbeteiligten jederzeit einsehbare digitale Projektablaufdarstellung zur Verfügung zu stellen, entbindet von großen Zeitverlusten durch handgeschriebene Protokolle von Anhörungen und erhöht gleichzeitig die Transparenz der Verfahren. Hilfreich wäre es, Projektmanagement-Teams aufzustellen, die in Amtshilfe Behörden- oder selbst länderübergreifend in besonders konfliktreichen und komplizierten Fällen zum Einsatz kommen könnten.

Die beschriebenen Reformen sollten im Bundesverwaltungsverfahrensgesetz verbindlich festgeschrieben werden. Beispiele aus der Praxis zeigen, dass auf diesem Weg Zeiteinsparungen bis zu 50 Prozent zu erreichen sind.

Der Koalitionsvertrag der Ampel benennt einen großen Teil der hier aufgezeigten Defizite und will sie beheben. Inwieweit die angesprochenen Maßnahmen wirklich umgesetzt werden und im Sinne einer Beschleunigung erfolgreich sind, wird stark davon abhängen, ob es der Regierung gelingt, die zentrifugalen Kräfte des föderalen Systems sowie ressort- und fachegoistisches Denken einzudämmen und in Mitarbeiterschaft wie Zivilgesellschaft für Akzeptanz zu sorgen. Deshalb ist es ein Irrweg, in Zukunft Großprojekte auch im Wege einer direkten gesetzgeberischen Legalplanung abzuwickeln. Mangelnde Planungskompetenzen des Gesetzgebers und die massive Beschneidung der Bürgerbeteiligung werden im Gegenteil zu weiteren Widerständen und Zeitverlusten führen.

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