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Plakat des Jüdischen Filmfestivals 2022 in Potsdam. © picture alliance/dpa | Monika Skolimowska

Die jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik Vielstimmiges Mosaik

Es begann mit einem Pelz: Um seinen Einstieg ins Filmgeschäft zu finanzieren, verkaufte Artur Brauner einen Nerzmantel, den seine künftige Schwiegermutter von Freunden aus den USA zugeschickt bekam, für 200.000 Mark. Diese abenteuerlich anmutende, unüberprüfbare Anekdote aus der unmittelbaren Nachkriegszeit schildert der aus Polen stammende Shoah-Überlebende und spätere Berliner Erfolgsproduzent in seinen 1976 erschienenen Memoiren Mich gibt’s nur einmal. »Damit verwandelte sich Brauner vom Zaungast zu einem der bald wichtigsten Akteure beim Aufbau der Berliner Filmindustrie«, schreibt der Filmwissenschaftler Johannes Praetorius-Rhein in einem Artur Brauners Nerzmantel gewidmeten Beitrag für den Sammelband Einblendungen. Elemente einer jüdischen Filmgeschichte der Bundesrepublik, den er gemeinsam mit der Film- und Medienwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg herausgegeben hat.

Dass die dort abgedruckten Texte vor allem Fundstücke, Anekdoten und biografische Fragmente in den Mittelpunkt rücken, ist kein Zufall. Die beiden Herausgeber haben sich bewusst gegen eine lineare Erzählung der jüdisch-bundesrepublikanischen Filmgeschichte entschieden – sie sei gar nicht möglich, wie Lea Wohl von Haselberg betont. Zum einen hätten die Protagonisten sehr wenig miteinander zu tun: »Es geht um jüdische Filmschaffende aus unterschiedlichen Bereichen wie Film und Fernsehen sowie aus ganz unterschiedlichen Produktionskulturen – aus dem Autorenfilm, dem Mainstreamkino und dem Unterhaltungskino etwa.« Zudem spielten in der bisherigen Film- und Fernsehgeschichtsschreibung der alten Bundesrepublik jüdische Filmemacherinnen und Filmemacher keine Rolle, unterstreicht Wohl von Haselberg: »Wir wollten diese Auslassungen nicht überdecken, sondern wir haben gedacht, man kann das an die Geschichte anschreiben – in ganz vielen kleinen Puzzlestücken, die sich an den großen, kanonisierten Text dransetzen.«

Johannes Praetorius-Rhein spricht von einem »Mosaik, in dem die einzelnen Teile keineswegs zusammenhanglos nebeneinanderstehen«. Man könne vielleicht sagen, dass sich sowohl jüdische Geschichte als auch Filmgeschichte im Nachkriegsdeutschland einigermaßen zusammenhängend beschreiben lassen. »Eine jüdische Filmgeschichte verknüpft aber zwei marginale Stränge, die sich nicht so leicht zu einer geschlossenen Erzählung verbinden und in der man viele Stimmen, viele Perspektiven braucht«, erläutert Praetorius-Rhein das Konzept des Bandes.

Es besteht eine historisch bedingte Forschungslücke

Die meisten der dort versammelten Texte stammen von Mitgliedern des an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und der Frankfurter Goethe-Universität angesiedelten, in diesem Sommer nach vier Jahren seinen Abschluss findenden DFG-Netzwerks »Deutsch-Jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik«. Die aus Deutschland, Israel und Australien stammenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen das deutschsprachige Werk jüdischer Filmschaffender nach 1945. Auf diesem Feld besteht, wie Lea Wohl von Haselberg erläutert, eine historisch bedingte Forschungslücke. So sei zwar der Exilfilm relativ gut erforscht: »Es ist in den Archiven leicht nachvollziehbar, wer als Jude nach 1933 vertrieben wurde.« Für die Nachkriegszeit gelte aber: »Wenn sich die Filmschaffenden nicht öffentlich als jüdisch positioniert haben, dann weiß man das im Zweifelsfall aus der Perspektive der Wissenschaft nicht. Es hat nach 1945 keinen guten Ruf, den Hintergrund von Menschen zu recherchieren.«

»Das Jahr 1933 konnte lange als Ende jüdischer Filmgeschichte in Deutschland gelten, auch weil das Filmexil nach 1945 nur ganz vereinzelt zurückgekehrt ist«, ergänzt Johannes Praetorius-Rhein. An diesem Punkt setze man nun an: »Denn es gab natürlich nach 1945 noch und wieder jüdische Filmschaffende, die in der Bundesrepublik und natürlich auch in der DDR tätig waren.« Deren Arbeit erforschen die Wissenschaftler anhand thematischer Ausschnitte: So promoviert Johannes Praetorius-Rhein zu Artur Brauners »Filmen gegen das Vergessen«. Auch Lea Wohl von Haselberg hat sich in den letzten Jahren auf einzelne Arbeitsbiografien jüdischer Filmschaffender fokussiert – vor allem auf Imo Moszkowicz, aber auch auf Peter Lilienthal und Gyula Trebitsch.

Dabei hat sie eine Frage stark interessiert: »In welchem Verhältnis steht eigentlich das Selbstverständnis als Filmschaffender zum Selbstverständnis als Jude?« So gebe es Filmschaffende, die ihre jüdische Identität und ihren Beruf strikt trennen. Und es gebe wiederum Regisseure, deren professionelles und identitäres Selbstverständnis ineinandergreifen. Trotz aller Unterschiede verbinde alle jüdischen Filmschaffenden die Konstante des Lebens und Wirkens im postnationalsozialistischen Deutschland, im Land der Täter, mit Widersprüchen und Kompromissen.

Jahrelange Forschung fließt in eine Ausstellung ein

Um die Arbeit jüdischer Filmschaffender in einem widersprüchlichen Land geht es auch in einer von Lea Wohl von Haselberg und Johannes Praetorius-Rhein kuratierten Ausstellung, die ab dem 14. Juli 2023 im Jüdischen Museum Frankfurt zu sehen sein wird: Ausgeblendet – Eingeblendet zeichnet, wie auf der Museumswebseite zu lesen ist, anhand ausgewählter Filme »die bislang ungeschriebene jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik nach«. Der von Artur Brauner produzierte Film Morituri (1948) zählt etwa ebenso dazu wie Die Verliebten (1987) von Jeanine Meerapfel. Filmausschnitte und -requisiten werden neben persönlichen Zeugnissen präsentiert. Die Schau erzähle von Westdeutschland zwischen 1945 und 1989 und sei chronologisch aufgebaut, sagt Wohl von Haselberg. »Wir erzählen keine Geschichte von jüdischen Regisseurinnen und Regisseuren, die von Antisemitismus betroffen sind«, betont die Co-Kuratorin. Es gehe vielmehr um Handlungsmacht: »Wir zeigen, wie sich die Akteure verhalten und positioniert haben, was sie getan haben.«

Für die Präsentation ihrer jahrelangen Forschung haben Lea Wohl von Haselberg und Johannes Praetorius-Rhein bewusst auch das Medium Ausstellung gewählt: »Für diese sehr fragmentarische und auch disparate Geschichte der jüdischen Filmschaffenden in der Bundesrepublik schien uns eine Form sinnvoll, die auch etwas Fragmentarisches und Offenes hat und nicht so festgelegt ist.« Eine Erzählung im Raum ermögliche andere Leserichtungen als ein Buch und lasse neue Bezüge zwischen den Exponaten entstehen, die ursprünglich womöglich gar nicht beabsichtigt gewesen seien.

Auch wenn die unmittelbare Gegenwart nicht zum Forschungsfeld von Filmhistorikern gehört, begleiten Johannes Praetorius-Rhein und Lea Wohl von Haselberg das zeitgenössische jüdische Filmschaffen in Deutschland aufmerksam. Es sei, beobachtet Praetorius-Rhein, selbstbewusster, reflektierter und vielfältiger als in den Jahrzehnten zuvor: »Es ist interessant zu sehen, dass sich junge Filmemacher*innen offenbar sehr bewusst darüber sind, welchen Erwartungen, Zuschreibungen und Instrumentalisierungen sie ausgesetzt sind, wenn sie sich als jüdisch positionieren.« Lea Wohl von Haselberg ergänzt: »Was wir heute auch sehen, ist, dass wir junge Filmschaffende haben, die sich auch als jüdische Filmschaffende verstehen.« Es wachse eine andere Generation heran. Beispielhaft erwähnt Wohl von Haselberg die Regisseurin und Drehbuchautorin Natalia Sinelnikova, die 2022 auf der Berlinale mit ihrem Film Wir könnten genauso gut tot sein Premiere hatte, die israelischen Filmemacherinnen und Filmemacher in Berlin sowie Arkadij Khaets und Mickey Paatzschs mehrfach preisgekrönten Kurzfilm Masel Tov Cocktail (2020).

Die junge Generation reflektiert ihre jüdische Identität

Arkadij Khaet, der 1991 in Moldawien geboren wurde und im Alter von wenigen Monaten mit seiner Familie nach Deutschland kam, hat sich, wenn auch nicht als Wissenschaftler, mit dem jüdischen Filmschaffen in der alten Bundesrepublik auseinandergesetzt. Jahrzehntelang sei das jüdische Kulturangebot in Deutschland von Nichtjuden für ein nichtjüdisches Publikum geschaffen worden, sagt er. Und selbst jüdische Künstler wie Dani Levy hätten eigentlich Filme für nichtjüdische Zuschauer gemacht: »Das sieht man ganz deutlich, weil er die Perspektive des nichtjüdischen Publikums in seinen Filmen übernimmt.«

Eine Veränderung sei, so Khaets Beobachtung, erst mit der Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion eingetreten. Vor allem hebt er die Generation hervor, die, wie er selbst, im jungen Alter eingewandert ist oder bereits in Deutschland geboren wurde: »Diese Generation sagt: ›Wir wollen nicht so erzählt werden, wie ihr denkt, wie wir zu sein haben.‹« Denn jüdisches Leben bestehe aus ganz vielen Dingen und viel weniger aus dem, was man sich im deutschen Film darüber lange Zeit erzählt habe. Es sei, erläutert Khaet, zum einen nicht nur im Kontext der Shoah zu sehen. Und: »Jüdisches Leben ist nicht nur religiös, sondern zu 90 Prozent säkular, und es ist über 90 Prozent migrantisch und nicht deutsch.«

Die Möglichkeit, Filme zu drehen und auf diese Weise über Identität zu reflektieren, betrachtet Arkadij Khaet als ein Privileg: »Das ist etwas, was sich die Elterngeneration nicht leisten konnte.« Dass junge Jüdinnen und Juden heute die Möglichkeit haben, selbstbestimmt an ihr filmisches Schaffen heranzugehen sei ein deutlicher Unterschied zu der alten Bundesrepublik. Jüdisches Leben sei damals viel einsamer gewesen: »Ich glaube, es ging viel darum, überhaupt arbeiten zu können und Filme machen zu dürfen.« »Und deswegen muss man auch milde sein mit der älteren Generation und mit den Filmen, die hier in Deutschland entstanden sind«, resümiert Khaet.

Bis das gegenwärtige jüdische Filmschaffen in die universitäre Forschung einfließt, muss indes noch einige Zeit vergehen. Gleichwohl betont Johannes Praetorius-Rhein, dass das Forschungsfeld künftig anders konzipiert werden müsse: »Das Konzept einer jüdischen Filmgeschichte, so wie wir es uns aus der Gegenwart der letzten Jahre heraus für die alte Bundesrepublik überlegt haben, wird ziemlich sicher nicht auf dieselbe Weise fortgeschrieben werden können.« Lea Wohl von Haselberg lenkt den Blick auf die institutionelle Ebene und betont die Vielseitigkeit des Forschungsfeldes: »Es ist nicht nur für die Film- und Medienwissenschaft und für die Filmgeschichte, sondern auch für die Jüdischen Studien, die Geschichtswissenschaften und angrenzende Bereiche interessant.« »Ich würde mir wünschen, dass sich da ein interdisziplinärer Forschungszusammenhang bildet, der auch wächst«, sagt sie. Schließlich gebe es viele interessante Fragen, die noch bearbeitet werden könnten.

Johannes Praetorius-Rhein/Lea Wohl von Haselberg (Hg.): Einblendungen. Elemente einer jüdischen Filmgeschichte der Bundesrepublik. 186 S., Neofelis, Berlin 2022, 14 €.

Ausgeblendet – Eingeblendet. Eine jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik. 14.07.2023 bis 14.01.2024, Jüdisches Museum Frankfurt/M.

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