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Virtuelle Dimensionen des Rechtsterrorismus als neue Bedrohungslage

Selten wurde die Gefährlichkeit des Rechtsterrorismus so deutlich wie 2019. Der Spiegel widmete daher dem Thema im vergangenen Jahr gleich drei Titelgeschichten. Spätestens jetzt muss ein Umdenken stattfinden. Im März letzten Jahres ermordete ein Australier nach jahrelanger Planung im neuseeländischen Christchurch in zwei Moscheen 51 Gläubige und übertrug die Tat live mittels einer Kopfkamera bei Facebook. Im Juni sorgte der erste vollendete Mord von rechts an einem Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik für Entsetzen. Der hessische Rechtsextremist Stephan Ernst, der nicht mehr auf dem Radar der Sicherheitsbehörden war, ist angeklagt den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet zu haben. Und am 9. Oktober versuchte der 27-jährige Stephan Balliet am helllichten Tag in Halle in eine Synagoge einzudringen und ermordete nach dem Scheitern willkürlich zwei Menschen. Er nahm sich ein Vorbild an dem Täter von Christchurch und streamte die Tat ebenfalls live. Schülerinnen und Schüler aus Halle bekamen das Video per WhatsApp und anderen Messenger-Diensten zugeschickt.

Alle drei Täter eint, dass sie in der Tatausführung offenbar alleine gehandelt haben. Sie sind so genannte einsame Wölfe, also Menschen, die keiner festen Organisation angehören, selbst für die Propaganda sorgen und aus politischer Überzeugung töten. Solche Rechtsradikalen töten, um ein Fanal zu setzen, autonom und scheinbar unvorhersehbar. Die Weltöffentlichkeit ist sich dieser Gefahr spätestens seit dem 22. Juli 2011 bewusst: Nach jahrelanger Planung ermordete der norwegische Rechtsextremist Anders Behring Breivik 77 Menschen, darunter viele Jugendliche. Genau fünf Jahre später, bewusst gewählt, versetzte der 18-jährige David Sonboly die Stadt München in Angst und Schrecken, als er am Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen ermordete. Erst mehr als drei Jahre später sprach die bayerische Staatsregierung von einer (auch) politisch motivierten Tat. Zuvor wurde sie auf Biegen und Brechen als unpolitisch gedeutet – mit der Folge, dass sie weder im Verfassungsschutzbericht auftauchte noch als politisch motivierte Kriminalität gelistet wurde. Erst ein Fachgutachten seitens der Stadt München und öffentlicher Druck bewirkten ein allmähliches Umdenken. Offenbar tut man sich schwer, die Tatsache von virtuell vernetzten, rechtsextremistisch gesinnten politischen Tätern anzuerkennen.

Die politische Motivation der Täter speist sich aus rassistischen Versatzstücken und einem Überlegenheitsdenken. Eines haben sie gemeinsam: Polizeilich waren sie nicht erfasst. Der Täter von Halle mag die Tat alleine begangen und geplant haben und somit als klassischer »Einzeltäter« gelten. Ideologisch und kulturell ist er aber Teil einer großen radikalisierten und gefährlichen Internet-Gemeinschaft.

Radikalisierung online und offline

Wichtiges Merkmal der einsamen Wölfe scheint zu sein, dass sie eine Phase der eigenen Radikalisierung durchlaufen, die sie mitunter im stillen Kämmerlein, via Internet und sozialer Medien erfahren. Es wäre dennoch übertrieben, allein das Internet als den Hauptort der Radikalisierung auszumachen. Im Grunde haben einsame Wölfe auch immer eine Affinität zu einer Person, Gemeinschaft oder Gruppe, sei es online oder in der realen Welt. Dieser Befund ist umso wichtiger, da er der Behauptung widerspricht, diese Art von Terroristen würden nicht mit anderen Personen kommunizieren oder vorhandenen Gewalttraditionen folgen.

Meist jedoch findet ein Zusammenspiel von Online- und Offline-Aktivitäten statt, beide Sphären überlappen sich. Sind die Sicherheitsbehörden dafür gerüstet? Der Fall von München macht diesbezüglich skeptisch. Onlinespiele auch als Plattformen für Kriminelle, speziell Terroristen, anzuerkennen, ist bisher in sicherheitspolitischen Debatten kaum ein Thema. Sie sind aber interessante Vehikel, da sie eine intensive Kommunikation ermöglichen. Ermittler haben sie aber seltsamerweise, anders als etwa Smartphones nicht im Fokus. Deshalb bekamen die bayerischen Sonderermittler/innen der SOKO OEZ, die mit der Aufarbeitung des Attentats von München betraut wurden, von den virtuellen Aktivitäten Sonbolys auch nur wenig mit. Zwar stellten die Behörden kurz nach dem Attentat eine Anfrage bei Valve, dem Betreiber der »Steam«-Plattform, und besorgten sich Profile, Chat-Inhalte und IP-Adressen. Doch wirklich nützliche Erkenntnisse konnten sie nicht daraus ziehen. Vor allem können Spaß und Ernst nur schwer und kaum trennscharf auseinandergehalten werden. Die Sprache ist voller Satire und mit eigenen Codes getarnt, die durchaus auch harmlos sein können.

Ein Beispiel ist der sogenannte Pedobear, auf Deutsch Pädobär (zusammengesetzt aus Pädophilie und Bär), der auf der Seite über Sonboly neben jedem Opfer auftauchte und diese verhöhnen sollte. In einschlägigen Kreisen hat dieser Bär eine hohe Popularität, gilt als Internetphänomen. Er wird in Foren gepostet, die lustig, seltsam oder gruselig erscheinen sollen. Auch wird der Bär durch die Vieldeutigkeit genutzt, um sich mit »Ironie« gegen Sicherheitsmaßnahmen zu wehren. Er dient gerade – wie bei dem heroisierenden Nachruf für Sonboly – dem Spott, wenn er etwa als Papst verkleidet auf einem T-Shirt zu sehen ist. Die Absicht war, Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche anzuprangern. Besonders bedenklich stimmt hier, dass eine derartige virtuelle Ahnengalerie, obwohl halböffentlich, scheinbar unbemerkt entstanden, zu einem Wikipedia-ähnlichen Lexikon ausgebaut werden konnte. Dieser Fall zeigt allzu deutlich: Die ermittelnden Behörden interpretieren derlei Bezeichnungen nach wie vor als »Internet-Pseudonyme«, mit denen sie wenig anfangen können. Es stimmt zwar, dass Nutzer/innen sich bei Steam anmelden können, ohne persönliche Daten zu hinterlassen: Ein Nickname und eine Wegwerf-E-Mail reichen, um auf der Plattform mitzudiskutieren. Doch wer hinter einem Pseudonym steckt, lässt sich mithilfe der IP-Adresse über eine einfache Anfrage beim Provider herausfinden. Solange ein User keine Tools zur IP-Verschleierung benutzt, sollte es für Strafverfolger also keine große Schwierigkeit sein, die Identität von Steam-Nutzer/innen herauszufinden.

Im Mai 2018 bewarb Steam das Spiel Active Shooter, in dem ein Schulmassaker simuliert wird. Der Spieler steckt in der Rolle eines Spezialkommandomitglieds, das in einer Schule nach einem Amokschützen sucht. Dann wird die Perspektive einer wild um sich schießenden Person eingenommen. Der Werbeclip endet mit Bildern von auf dem Boden liegenden Leichen. Dabei wird die Zahl der getöteten Menschen ermittelt. Nach immensen Protesten hat man die realitätsnahe Simulation nun offenbar zurückgezogen. Heißen muss das gleichwohl nicht viel. Hatred, eine andere Simulation von Massenmorden, wurde erst entfernt und dann wieder eingestellt. Daher bestehen erhebliche Zweifel, ob die Spieleindustrie trotz der zahlreichen Schulmassaker eine Kehrtwende vollziehen will und kann. Kommerzielle Interessen stehen über lästigen ethischen Debatten, die angesichts der zahlreichen Vorfälle gerade in den USA eigentlich notwendig wären.

Nicht die Gewaltspiele sind das eigentliche Problem, sondern die sozialen Plattformen, in denen sich Communities wie »Kill the Jews« oder »Neo Nazi Fascist Party« als öffentliche oder private Gruppen zusammenfinden. Die Huffington Post konnte 2017 Tausende von Accounts und Nutzergruppen identifizieren, in denen sich einzelne Personen als Nationalsozialisten, School-Shooters oder Rassisten ausgeben. Gerade der beliebte Einsatz von Satire soll die wahren Absichten verschleiern, die Grenzen zwischen geschmacklosem Spaß und bitterem Ernst bis ins Unkenntliche verwischen. Gerade auf Steam tummeln sich schwarze Schafe, die offenbar unbehelligt halböffentliche extremistische Foren gründen, Voice- und Textnachrichten verschicken und unter dem Radar von Sicherheitsbehörden kommunizieren und Gewaltfantasien teilen. Mittlerweile lässt sich nicht mehr von Einzelfällen sprechen, da sich hier gezielt Gleichgesinnte zusammenfinden und vernetzen.

Im Fall von David Sonboly ist pikant, dass im März 2017 die Ermittlungen offiziell abgeschlossen wurden. Alle Spuren waren nach Aussagen der Behörden gründlich überprüft. Gut 60 Ermittler/innen der Sonderkommission OEZ werteten rund 1.750 Hinweise aus und sichteten mehr als 1.000 Dateien. Dennoch blieb das virtuelle Netzwerk unerkannt. Ebenso heikel: Das BKA wusste ab dem 9. Dezember 2017 von der Verbindung zwischen dem 21-jährigen Rechtsextremisten William Atchison, der am 17. Dezember 2017 an der Highschool in Aztec zwei Schüler hispanoamerikanischer Herkunft erschoss, und Sonboly. Nach eigener Auskunft des BKA wurde das LKA Bayern aber erst am 14. Juni 2018 davon unterrichtet, obwohl es federführend ermittelte. Die fehlende Weitergabe mitsamt dem mangelnden Informationsabgleich verwundert, »begleitete und unterstützte« das Bundeskriminalamt doch auf Ersuchen die zuständige bayerische Polizei in seiner Zentralstelle. Dies beinhaltete »die Koordinierung und Steuerung des kriminalpolizeilichen Informationsaustausches mit dem Ausland«.

David Sonboly war über das Forum »Anti-Refugee-Club« auf Steam mit Gleichgesinnten weltweit vernetzt. Darauf wird vor einer muslimischen Invasion in Europa einschließlich Deutschland gewarnt. Die Gruppe hatte zum Zeitpunkt der Tat 261 Mitglieder. Sie gründete sich offenbar als Reaktion auf die Silvesternacht in Köln 2015/16, der Moderator war William Atchison. Im realen Leben wären zahlreiche der dort getätigten Äußerungen strafbar, da Holocaustleugnung in Verbindung mit einer feindlichen Haltung gegenüber Flüchtlingen vorherrscht. Kommentare wie »damals habt ihr Deutschen es auch hinbekommen« oder Überschriften wie »Viertes Reich, wann?« oder Bezeichnungen der Gruppenmitglieder als »Gruppenführer SS« und dergleichen sind keine Seltenheit. Der US-amerikanische Administrator Atchison, der im Besitz vieler Accounts war und diverse Foren administrierte, sorgte für Sonbolys Eintrag in eine virtuelle Ahnengalerie von rechten Attentätern. Der Club bestand bis September 2017 weiter, also noch lange nach dem Fanal von München. Im Dezember 2017 beging Atchison dann selbst ein Attentat an einer Schule in New Mexiko und anschließend Selbstmord. Man hätte alles wissen können: Schon im Januar 2010 beschwerte sich ein Spieler in einem deutschen Forum über die Verbreitung zahlreicher Hassgruppen.

Präventionsversuche mit stumpfen Waffen

Staatschefs wie die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern und der französische Präsident Emmanuel Macron unterzeichneten gemeinsam mit Vertreter/innen aus der Industrie im Mai 2019 den »Christchurch-Appell«, der Onlineinhalte mit terroristischem und gewalttätigem Extremismus verhindern soll. Die USA, in denen neben Facebook, Twitter und Co. Plattformen wie Steam betrieben werden, verweigerten die Unterschrift. In Deutschland ist Anfang 2018 das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft getreten. Es schreibt vor, dass Onlineplattformen wie Facebook klar strafbare Inhalte binnen 24 Stunden nach einem Hinweis löschen müssen. In weniger eindeutigen Fällen haben sie eine Woche Zeit. Bei Verstößen drohen Strafen von bis zu 50 Millionen Euro. Wenn die Netzwerke nicht schnell genug reagieren, können sich die User beim Bundesamt für Justiz beschweren. Computer- und Videospiele fallen aber nicht unter das Gesetz, weshalb die Wirksamkeit begrenzt sein dürfte. Offenbar hat es die Lobby der Spieleindustrie geschafft, dass Onlinespiele ausgenommen sind. Der Fokus auf Facebook und Twitter wirkt angesichts der aktuellen Bedrohungslage ohnehin antiquiert. Somit bleibt das NetzDG eine stumpfe Waffe.

Die Gamer haben offenbar eine große Lobby. Das zeigt sich auch nach Halle. Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) kritisierte den Vorstoß ihres Parteifreundes, Bundesinnenminister Horst Seehofer, die Gamerszene ins Visier nehmen zu wollen. Die interfraktionelle Bundestagsparlamentsgruppe eSports & Gaming hat kürzlich eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht und sich dabei klar gegen Behauptungen positioniert, die eine grundsätzliche Verbindung zwischen Gaming und rechtsextremen Gefährdern suggerieren.

Rechtsterroristisch motivierte Einsame-Wolf-Terroristen sind nicht nur psychisch auffällig, sondern auch Teil eines größeren ideologischen Rudels. Radikalisierung sollte als ein sozialer Prozess gelten. Sie zeigen sich von Aggressionsdarstellungen jedweder Art angetan und sehen hier ein probates Mittel, ihre Probleme und Wünsche zu artikulieren. Sie vermischen großspurige politische Erklärungen mit dem Mord an Menschen, die ihnen nichts getan haben und zu denen keine persönliche Verbindung besteht. Ihr rassistisches Weltbild teilt die Welt in Freund und Feind, ihr Hass richtet sich gegen Minderheiten.

Es wäre fatal, den neuen rechten Terrorismus allein mit den einfachen Zugangsmöglichkeiten im Internet zu erklären. Die größer werdende Spaltung der Gesellschaft und wachsender Verbalradikalismus tragen ebenso dazu bei. Moderne Gesellschaften sind daher angehalten, feinere Sensoren für narzisstische Muster und rechtsextremistisch motivierte Botschaften zu entwickeln. Schließlich haben sich ja neue, virtuell vernetzte Tätertypen herausgebildet, die nach wie vor nur sporadisch als Gefahr wahrgenommen werden. Auch Terrorismus, die extremste und gefährlichste Form sozialen Handelns, hat damit zu tun, wie es um eine Gesellschaft und ihre etwaigen Schieflagen bestellt ist. Auch Einsame-Wolf-Terroristen sind »Kinder ihrer Zeit«.

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