Die Welt ist im Umbruch. In vielen Staaten ist mehr oder weniger das Ende des fossilen Zeitalters spürbar, das 2015 mit dem Klimaabkommen von Paris eingeleitet wurde. Trotzdem ist der Kampf um das Öl wieder in vollem Gange. In unterschiedlichster Weise werden wirtschaftliche Lösungen für den Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien gesucht. Manche Länder sind in dem Prozess schon weiter, manchen steht die Zeitenwende erst noch bevor.
Auch in der deutschen Energiewende sind immer noch nicht alle Weichen für eine zügige Fahrt zum wahrscheinlich inzwischen utopischen, aber immer noch wichtigen Zwei-Grad-Ziel gestellt. So wird das »Klima-Musterländle« die selbst gesteckten Ziele einer Minderung des Ausstoßes von klimaschädlichen Treibhausgasen um 40 % bis 2020 nicht erreichen. Der Emissionshandel ist aufgrund des niedrigen CO2-Preises derzeit nahezu wirkungslos. Von einem strukturierten Ausstieg aus der Kohle kann nicht die Rede sein. Wegen lautstarker Proteste der Lobby wagt man nicht einmal simple, aber wirkungsvolle Maßnahmen wie die Einführung einer Kohlesteuer. Das sonst so innovative Autofahrerland Deutschland hat in der Paradedisziplin nachhaltige Mobilität erstaunlich wenige Erfolge vorzuweisen. Im Gegenteil: Der VW-Abgasskandal schadet dem Ansehen deutscher Umweltpolitik weltweit. So ist die Bundesregierung mehr denn je gefordert, gegen alle widerläufigen Wirtschaftsinteressen Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen.
Dank der vergangenen Investitionen aus Deutschland, der steigenden Nachfrage und der damit verbundenen Skaleneffekte sind die Kosten erneuerbarer Energien weltweit massiv gesunken. Global fließen mehr Investitionen in erneuerbare als in fossile Energien – und dies trotz noch immer hoher Subventionen in letztere. Allerdings mittlerweile nicht mehr in Deutschland. China holt hier massiv auf, investiert deutlich mehr in erneuerbare Energien und will auch im Bereich Elektromobilität Weltmarktführer werden. Höchste Zeit, dass Deutschland nicht den Anschluss verpasst!
Die neue Bundesregierung muss die Energiewende und den Klimaschutz als zentrale Elemente auf der politischen Agenda platzieren. Die Klimakonferenz in Bonn im November 2017 hat einmal mehr eindrücklich gezeigt, dass der Klimaschutz schnell erfolgen muss, da wir keine Zeit mehr zu verlieren haben. Wenn die Menschheit die globalen Treibhauseffekte stoppen will, muss sie die Emissionen reduzieren, und das so schnell wie möglich. Denn global steigen die Emissionen wieder, sie sinken nicht. Über 80 % der Kohleressourcen und über 60 % der Öl- und Gasressourcen müssen im Boden verbleiben, wenn die Emissionen bis zur Mitte dieses Jahrhunderts um 80 bis 95 % sinken sollen. Das bedeutet, dass nahezu alle Investitionen, die jetzt und in naher Zukunft getätigt werden, nicht in fossile oder atomare, sondern in erneuerbare Energien und Ökoenergien fließen sollten. Daneben bedarf es größerer Anstrengungen für das Energiesparen und für mehr klimaschonende Antriebstechnologien im Verkehrssektor.
Vom Vorreiter zum Nachzügler
Die Bilanz der Klimaschutzpolitik der vergangenen beiden Legislaturperioden ist mau. Die Emissionen sinken nicht, sie steigen. Der Anteil des umweltschädlichsten Energieträgers in Deutschland, der Braunkohle, an der Stromerzeugung ist so hoch wie nie. Die erneuerbaren Energien werden ausgebremst. Es gibt keine nachhaltige Verkehrspolitik, die auf Verkehrsvermeidung, -verlagerung und -elektrifizierung sowie auf Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz setzt – auch nicht nach dem Dieselskandal. Die selbst gesteckten Klimaschutzziele werden verfehlt. Kluge Energiewende geht anders. Dabei müsste es umgekehrt sein: Kohle und Atom deckeln, erneuerbare Energien forcieren.
Dabei dulden die Erfüllung der Klimaschutzziele und die Umsetzung der Energiewende keinen Aufschub: Der Kohleausstieg muss heute eingeleitet und spätestens in den kommenden zwei Jahrzehnten abgeschlossen werden. So würde der Markt bereinigt und ausreichend Platz für erneuerbare Energien und in der Übergangszeit für Gaskraftwerke und mittelfristig mehr Speicher geschaffen werden. Die Klimaziele von Paris geben das maximale Emissionsbudget auch im Stromsektor vor, das nicht überschritten werden sollte. Ähnlich dem Atomausstieg könnte so ausreichend Flexibilität geschaffen werden, um die Kraftwerksbetreiber im Rahmen des Strukturwandels und Umbaus zu unterstützen. Die ältesten und gleichzeitig ineffizienten Kohlekraftwerke, also solche, die vor 1990 gebaut wurden, sollten möglichst rasch vom Netz genommen werden. Dies würde den Umbau erleichtern. Die erneuerbaren Energien müssen weiter wachsen, am besten dort, wo sie auch benötigt werden (lastnah) und es dem System am meisten nützt. Es bedarf dezentraler Netze samt intelligenter Steuerung, um die Energiewende so kosteneffizient wie möglich zu machen. Dies gelingt natürlich nur, wenn der Strukturwandel klug begleitet wird. Anstelle »Kohleabwrackprämien« für das Stilllegen von Kraftwerken zu bezahlen, die ohnehin vom Netz gegangen wären, sollten besser Finanzhilfen für betroffene Regionen und Beschäftigte bereitgestellt werden.
Der Umbau des Energiesystems muss heute eingeleitet und die Rahmenbedingungen für die kommenden Jahrzehnte müssen vorgegeben werden. Schnell warnen die Mahner: Es müsse doch Innovationen und einen Wettbewerb um die besten Technologien geben. Die viel gepriesene »Technologieoffenheit« im Rahmen einer Transformation des kompletten Energiesystems kann zu Fehlentwicklungen, einseitigen Ausrichtungen und Lock-in-Effekten – als die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern – führen, die man durchaus vermeiden kann. Technologieoffenheit kann zu erheblichen Diskriminierungen von für die Energiewende wichtigen Technologien führen. Das zeigt das Beispiel des Verkehrs. Die Emissionen müssen in den kommenden 15 Jahren halbiert werden. Die Erfüllung des Zieles, die Treibhausgase im Verkehrssektor zu mindern, hat unbequeme Wahrheiten zur Folge, die kein politischer Entscheidungsträger gern offen ausspricht. Es kann nicht weitergehen wie bisher. Der Verkehr muss verringert und optimiert werden. 45 Millionen Fahrzeuge, die durchschnittlich knapp 23 Stunden am Tag herumstehen, wird es nicht mehr geben können. »Autogerechte Städte« werden zu »menschengerechten Städten«. Die Digitalisierung wird die Mobilitätsdienstleistungen völlig verändern, hin zu Carsharing und autonomem Fahren.
Da die erneuerbaren Energien im Zentrum des künftigen Energiesystems stehen werden, ist eine direkte Elektrifizierung des Verkehrs technologisch und wirtschaftlich effizient und mit einem realisierbaren Zubau der Anlagen vereinbar. Die Einbindung von Batterien kann systemdienlich zur Stromspeicherung und Entlastung der dezentralen Netze beitragen. Der Güterverkehr kann ebenso mit elektrischen LKWs oder aber direkt auf Schienen stattfinden. Für lange Distanzen bieten sich flüssige Treibstoffe an, die aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, wie beispielsweise Power-to-Gas. Der großflächige Einsatz von Power-to-Gas, einem mit Ökostrom hergestellten Brenngas, oder Wasserstoff für alle Verkehrsbereiche würde einen bis zu siebenfachen Mehrausbau erneuerbarer Energien nach sich ziehen. Und es bedarf einer adäquaten Infrastruktur, die heute errichtet werden muss. »Technologieoffenheit« kann auch zu erheblichen Fehlentwicklungen führen, welche »sunk investments« (verlorene Erstinvestitionen) nach sich ziehen. Der Aufbau mehrerer unterschiedlicher Infrastrukturen ist teuer und ineffizient.
Bei den Ausschreibungen für erneuerbare Energien würde Technologieoffenheit vor allem preiswerte Anlagen, also Onshore-Windanlagen, favorisieren. Zum Gelingen der Energiewende sind aber ebenso lastnahe Stromerzeugungsanlagen wichtig, die Energie bedarfsgerecht und versorgungssicher herstellen. Dazu können Solaranlagen oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf der Basis von Biomasse genauso gehören wie mittelfristig jedwede Art von Speicherlösung. Diese würden bei technologieoffenen Ausschreibungen kaum eine Chance bekommen. Erneuerbare Energien sind Teamplayer, man darf sie nicht gegeneinander ausspielen.
Bei Netzentgelten und Energiesteuern ansetzen
Wenn man schon unbedingt markt- statt planwirtschaftliche Lösungen einbringen will, sollte man bei den Netzentgelten anfangen. Die staatlich garantierten Traumrenditen für Netzbetreiber führen zu hohen Netzentgelten und Kosten für Verbraucher. Man könnte systemdienliche Ausschreibungen auch für Netze einführen, ähnlich wie es jüngst die Monopolkommission vorgeschlagen hat. Müssten sich auch die Netzbetreiber einem Wettbewerb um günstigste Lösungen stellen, würden die Kosten sicherlich sinken können, und wir könnten einen optimierten und auf Systemdienlichkeit ausgerichteten Netzbedarf steuern und umsetzen.
Die Energiesteuern müssen reformiert werden. Strom ist zu hoch, fossile Energien – allen voran Diesel –, viel zu niedrig besteuert. Eine konsequent auf Klimaschutz ausgerichtete Steuerreform sollte vor allem Heizöl, Diesel und Benzin deutlich stärker besteuern. Die Steuereinnahmen sollten für die energetische Gebäudesanierung und den Umbau des Verkehrssystems genutzt werden, sodass die umweltbewussten Heizungs- und Autokäufer finanziell bevorteilt werden.
Klimaschutz schafft Arbeitsplätze: Deutschland ist Weltmarktführer als Anbieter von Klimaschutztechnologien, über zwei Millionen Menschen arbeiten in diesem Sektor. Eine jüngst veröffentlichte Studie des Bundesverbandes der Deutschen Industrie bestätigt ebenfalls, dass sich Klimaschutz ökonomisch lohnt und die Wirtschaft und Industrie stärkt. Durch Unterstützung der klimaschonenden Zukunftsmärkte werden Investitionen, Wertschöpfung und Arbeitsplätze geschaffen. Ökonomie und Ökologie sind zwei Seiten einer Medaille.
Es sind überall große Schritte in Richtung Klimaschutz erforderlich. Die Industriestaaten müssen die Investitionen in Klimaschutz forcieren und kanalisieren. Erneuerbare Energien bringen Wertschöpfung und Wohlstand und vermeiden Ressourcen- und Klimakriege. Erneuerbare Energien schaffen somit ebenso Partizipation und können die Demokratie stärken. Klimaschutz ist das beste Friedensprojekt, das wir derzeit haben – für alle Länder.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!