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Wasser, Gras, Sonne © picture alliance / Westend61 | Oleksandra Troian

Mit konsequenter Kreislaufwirtschaft die Welt von morgen gestalten Vom Ursprung zum Ursprung zurück

Wir stellen uns vor, es ist das Jahr 2050. Wir leben in einer Welt, in der unsere Ökosysteme intakt sind, in der wir saubere Luft einatmen und unsere Gewässer rein sind. Unsere Städte und andere Siedlungsformen sind lebenswert und grün, widerstandsfähig gegenüber Starkregen oder Hitze. Unsere Gebäude tragen zur Biodiversität und zum Wohlbefinden aller Nutzer*innen bei.

Die Produkte, die wir in unserem Alltag nutzen, sind gesund für uns und unsere Umwelt. Alle Menschen arbeiten unter menschenwürdigen Bedingungen, die die Gesundheit nicht beeinträchtigen und die individuellen Bedürfnisse jeder einzelnen Person berücksichtigen. Die Menschen leben im Einklang mit ihrer Umwelt und hinterlassen als Nützlinge einen positiven ökologischen Fußabdruck.

Diese intakte Welt ist möglich geworden, weil ein globales Umdenken vonstattengegangen ist. Wir haben begriffen, dass wir unser Denken und Handeln am Beispiel der Natur orientieren müssen. Es ist für uns selbstverständlich geworden, dass die Menschen ein Teil dieses natürlichen Systems und nützlich für die Erde sind. Genau wie in der Natur gibt es keinen Müll, sondern alles wird zu Nährstoff für etwas Neues.

Diesem kulturellen und gesellschaftlichen Wandel liegt der Gedanke zugrunde, dass wir Probleme nur dann langfristig lösen können, wenn wir Klima- und Ressourcenkrise als zusammenhängende Herausforderungen begreifen und berücksichtigen, dass ökologische, wirtschaftliche und soziale Probleme zusammenhängen. Mit unserem Tun können wir in allen drei Bereichen Mehrwerte schaffen. Weil wir das verinnerlicht haben, diskutieren wir 2050 nicht mehr darüber, wie wir ein bisschen weniger Schaden anrichten können. Statt uns auf reinen Verzicht und Reduktion zu fokussieren, sind wir mutig und mit innovativen Ideen vorangegangen.

Durch Suffizienzstrategien konnten wir die Klima- und Ressourcenkrise verlangsamen und uns wichtige Zeit verschaffen, doch 2050 geben wir uns nicht länger mit Übergangslösungen zufrieden. Die Ziele der Weltgemeinschaft beschränken sich nicht länger darauf, bestimmte Gradzahlen und Grenzwerte nicht zu überschreiten. Stattdessen setzen wir uns positive Ziele und gestalten so eine ganzheitliche Zukunftspolitik.

Auf Umdenken folgt Umgestalten

Dieses Umdenken spiegelt sich auch in unserem Wirtschaftssystem wider. 2050 haben wir eine Wirtschaft geschaffen, in der es unvorstellbar ist, dass Produkte linear produziert werden und nach der Nutzung auf der Müllkippe landen. Wir haben ein anderes Verständnis von Qualität entwickelt und sehen es als selbstverständlich an, dass unsere Produkte gesund für die Menschen und ihre Umwelt sind. In einer solchen Wirtschaft, die nach dem Prinzip Cradle to Cradle (C2C, vom Ursprung zum Ursprung) funktioniert, sind alle Produkte von Beginn an so designt, dass ihre Bestandteile und Rohstoffe in kontinuierlichen technischen und biologischen Kreisläufen zirkulieren können.

Es kommen ausschließlich kreislauffähige Materialien zum Einsatz, die für das konkrete Nutzungsszenario eines Produktes geeignet sind. Alle Ressourcen, die der Biosphäre entnommen werden, müssen nach ihrer Nutzung in einem Produkt entweder in die Biosphäre rückführbar sein, oder endlos in einer menschlich geschaffenen Technosphäre zirkulieren können.

Dabei unterscheiden wir zwischen Verbrauchsprodukten und Gebrauchsprodukten. Die Bestandteile von Verbrauchsprodukten gelangen bei der Nutzung zwangsweise in die Natur. Sie müssen daher komplett biologisch abbaubar sein. Das gilt zum Beispiel für Reinigungsmittel, Kosmetika, Schuhsohlen oder Fahrradreifen. Bestandteile von Gebrauchsprodukten, die nicht in die Biosphäre gelangen, können endlos in technischen Kreisläufen zirkulieren.

Dafür müssen diese Produkte so designt sein, dass ihre Materialien sortenrein trennbar sind, sodass sie bei mindestens gleichbleibender Qualität recycelt und zu Ausgangsstoffen für etwas Neues werden können. Das gilt für Fensterrahmen, Waschmaschinen oder Fahrzeuge. Produkte können Materialien beider Kreisläufe enthalten: Der Abrieb eines Fahrradreifens muss für die Biosphäre geschaffen sein, der Rahmen kann in der Technosphäre zirkulieren.

In Zukunft ist es undenkbar, dass wir für unsere Produkte schädliche Materialien nutzen. Potenziell krebserregende Stoffe in Kinderspielzeug? Fehlanzeige. Endlose »frei-von«-Listen auf Etiketten? Gehören der Vergangenheit an. Stattdessen verfolgen wir eine positive Definition unserer Inhaltsstoffe. Bei jedem Produkt fragen wir uns bereits beim Design: In welchem Szenario wird dieses Produkt genutzt werden? Dementsprechend wählen wir die Materialien aus. Materialien, die egal in welchem Nutzungsszenario toxisch sind, wurden schon vor langer Zeit verboten.

2050 ist es selbstverständlich, dass wir ausschließlich Erneuerbare Energien nutzen: Warum sollten wir länger endliche fossile Energieträger nutzen, wenn Sonne und Wind endlos vorhanden sind und durch kreislauffähige Anlagen produziert werden können? In allen Produktionsprozessen herrscht außerdem ein anderer Umgang mit Wasser, Böden und Luft: Es geht nicht länger darum, unsere Umwelt nicht zu verschmutzen, sondern wir verbessern Wasser-, Luft- und Bodenqualität durch unser menschliches Tun.

In so einer C2C-Wirtschaft spielen soziale Aspekte ebenfalls eine große Rolle: Entlang aller Wertschöpfungsketten herrschen faire, menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Damit ist nicht die Einhaltung von Menschenrechtsstandards gemeint – sie sind das absolute Mindestmaß. Vielmehr verstehen wir Arbeit als etwas, dass nicht nur Unternehmen ökonomischen Mehrwert liefert, sondern auch an die persönlichen Bedürfnisse der Menschen angepasst ist.

So eine C2C-Wirtschaft basiert auf entsprechenden Geschäftsmodellen: Nutzung statt Eigentum steht im Vordergrund. Produkt-Service-Systeme unterstützen dabei, Kreisläufe zu schließen und haben zu einem anderen Verständnis von Besitz geführt. Muss ich eine Waschmaschine wirklich besitzen oder möchte ich einfach nur saubere Wäsche haben? Um Fragen wie diese zu beantworten, haben sich neue Geschäftsfelder und Märkte entwickelt. Diese zirkulären Geschäftsmodelle sind eingebettet in eine entsprechende Rückwärtslogistik, die die Rückführung und genaue Verteilung von Ressourcen zum Ziel hat. Unterstützt werden diese Prozesse durch eine umfassende Digitalisierung, mit der wir Informationen über Qualität und Quantität einzelner Produktbestandteile und ihrer Lieferkette sammeln und transparent machen.

Diese Weichen müssen wir stellen

Um diese Vision zu erreichen und die kulturellen Errungenschaften, die uns Menschen auszeichnen, zu erhalten und fortzuführen, benötigen wir einen wirtschaftlichen und technischen Wandel, aber auch einen gesellschaftlichen. Wir brauchen eine Transformation unserer gesamten Gesellschaft, von der Politik über die Wirtschaft und Wissenschaft bis hin zur Kultur und Zivilgesellschaft. Wir alle müssen begreifen, dass der Ansatz von Verzicht und Reduktion unsere Probleme zwar verlangsamt, nicht aber langfristig löst.

Stattdessen müssen wir uns überlegen, wie wir als Menschheit echte Mehrwerte schaffen können. Für die Umwelt – aber auch für uns Menschen. Denn es geht nicht um die Rettung der Erde – der Planet existiert auch ohne uns weiter. Nur wenn in allen Bereichen unserer Gesellschaft dieser Grundgedanke verankert ist, können wir die gesamtgesellschaftliche Aufgabe von Klima- und Ressourcenkrise bewältigen.

Auf politischer Ebene müssen wir jetzt wichtige Weichen stellen. Dazu brauchen wir andere Strategien und politische Ansätze und dürfen uns nicht mehr im Silo-Denken verlieren: Umwelt-, Klima- und Ressourcenpolitik muss mit Wirtschafts- und Sozialpolitik zusammengedacht und umfassende Lösungsansätze entwickelt werden. Außerdem müssen wir dringend damit aufhören, schädliche Produkte und Produktionsweisen direkt und indirekt zu subventionieren. Stattdessen sollten Preise von Produkten die Realität abbilden. Reale Preise entstehen nur dann, wenn auch alle negativen Folgen berücksichtigt werden, die ein Produkt oder eine Dienstleistung verursacht: Verschwendete Ressourcen, verschmutzte Natur, aber auch die Entsorgung, langfristige Umweltzerstörung und Gesundheitskosten.

Die Abbildung echter Preise kann die Umwandlung hin zu einer oben beschriebenen C2C-Wirtschaft beschleunigen. Wenn alle Folgekosten mit eingepreist werden, lohnt es sich schlicht nicht mehr, Produkte linear herzustellen. So entstehen Anreize für die Produktion von gesunden, kreislauffähigen Produkten.

Stand jetzt, 2023, diskutieren wir vor allem über die Senkung von CO2-Emissionen. Doch dieser Ansatz lässt außen vor, dass Kohlenstoff ein wichtiger Rohstoff ist, der sich am falschen Ort, der Atmosphäre, befindet. Statt über die Senkung von Treibhausgasemissionen zu sprechen, brauchen wir ein intelligentes Kohlenstoffmanagement, mit dem wir den wichtigen Rohstoff in einem kontinuierlichen Kreislauf halten. Das kann beispielsweise so aussehen, dass wir einen Kohlenstoffgehalt in der Atmosphäre definieren, der vielfältige Ökosysteme ermöglicht. Oder, dass wir statt einer festen Zahl ein funktionierendes Kohlenstoffmanagement aufsetzen, das flexibel auf Bevölkerungswachstum oder Technologiesprünge reagieren kann.

Die Krisen und Probleme unserer Zeit sind zu groß, als dass einzelne Staaten sie allein bewältigen könnten. Diese Aufgabe können wir nur auf globaler Ebene lösen. Dazu brauchen wir Kooperationen und Allianzen, in denen gemeinsam globale ökologische, ökonomische und soziale Ziele definiert und verfolgt werden. Doch auch wenn wir auf globaler Ebene handeln müssen, fängt Veränderung immer im Kleinen an. Wenn jedes Schulkind, jeder Handwerker und jede Politikerin verstanden haben, warum wir Cradle to Cradle für eine lebenswerte Zukunft brauchen, können wir uns gemeinsam auf den Weg machen. So kann die Vision von sauberer Luft und Gewässern, lebenswerten Städten, grünen Gebäuden, gesunden Produkten, guten Arbeitsbedingungen und vielen positiven Fußabdrücken Realität werden.

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