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Die Meinungen über deutsche Politik gehen in den USA weit auseinander Von Begeisterung bis Ablehnung

In den USA ist deutsche Politik kein zentrales Gesprächsthema. Deutschland stellt für die Vereinigten Staaten keine Bedrohung dar wie Russland oder China, und der Blick ist in den USA sowieso eher nach innen gerichtet. Besonders fremd sind den Amerikanern die politischen Parteien und die Strukturen, die nach 1945 in Westdeutschland aufgebaut wurden und die die gegenwärtige politische Ordnung in Deutschland bestimmen: das parlamentarische System, der Föderalismus, das Gesetzeswerk, auf dem die deutsche Politik beruht. Neben der Wahrnehmung Deutschlands als wirtschaftliche Supermacht, als Reiseziel oder auch als Ursprungsort des Nationalsozialismus herrscht in den USA eine relative Unkenntnis über das politische Leben in Deutschland.

Bei denen, die sich in den Vereinigten Staaten mit deutscher Politik beschäftigen, fallen die Einstellungen entlang zweier Achsen auseinander: der Links-Rechts- oder liberal-konservativen Achse und der innen-/außenpolitischen Achse. Die Ausrichtung der Einstellungen (also die »Beliebtheit« beziehungsweise »Unbeliebtheit« Deutschlands) an diesen Achsen erfolgt nicht einheitlich. So können auf der Linken etwa deutsche Regeln der politischen Ökonomie als durchaus vorbildlich wahrgenommen werden, während die deutsche Außenpolitik zuletzt scharf in die Kritik geraten ist. Auf der Rechten wiederum ist die deutsche Außenpolitik gerade kein großes Problem, dafür kann die politische Struktur als eher fremd erscheinen, ebenso Deutschlands Mitgliedschaft in einer angeblich postnationalen Europäischen Union.

Deutsche Innenpolitik

Seit dem späten 19. Jahrhundert übt Nordeuropa auf die amerikanische Linke eine besondere Anziehungskraft aus, wobei darunter Skandinavien verstanden wird, aber auch Länder wie die Niederlande oder Deutschland. Der Reiz liegt in den sozialdemokratischen Errungenschaften in dieser Region. Insbesondere Deutschland symbolisiert für die meisten Amerikaner Reichtum und wirtschaftliche Macht. Für die Linke ist Deutschland dann Vorbild, wenn es darum geht, die Schaffung von Wohlstand (durch den Kapitalismus) mit der Bereitstellung eines sozialen Sicherungssystems (durch die Sozialdemokratie) zusammenzubringen.

Die Einzigartigkeit des deutschen Modells (jedenfalls so, wie es angelegt ist) besteht in der Verbindung mehrerer Zusagen: Versorgung mit Gesundheits- und andere sozialen Leistungen für die arbeitende Bevölkerung, eine staatlich geordnete Berufsausbildung, ein kostenloses oder zumindest kostengünstiges Studium sowie einen öffentlichen Personennahverkehr und bezahlbaren Wohnraum. Das Ergebnis, so argumentieren amerikanische Progressive, ist eine breite Mittelschicht, die seit 1945 als politisches Fundament dient und Deutschland eine Stabilität verleiht, die es in den Vereinigten Staaten in den vergangenen rund zehn Jahren kaum gab.

Die Wahrnehmung, dass Deutschland eine weitgehend säkulare Gesellschaft ist (ob das nun zutrifft oder nicht), trägt bei der amerikanischen Linken zum positiven Image Deutschlands bei, basierend auf der Annahme, dass Deutschland weniger von religiösem Fanatismus getrübt ist als die Vereinigten Staaten und auch weniger patriarchalisch ist. Dass es in Deutschland grundsätzlich möglich ist, sich frei und rechtmäßig für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden zu können, wird von der amerikanischen Linken als weiterer Beleg für die Solidität deutscher Politik angesehen.

Eher Skepsis als Feindseligkeit

Die amerikanische Rechte beschäftigt sich nicht mit Deutschland; ihr Deutschlandverständnis ist zumeist eher von Skepsis als von Feindseligkeit geprägt. In einem gewissen Sinne verkehrt sich die Deutschlandbegeisterung der Linken auf der Rechten ins Gegenteil. Was den Linken positiv an Deutschland auffällt, ist in den Augen der Rechten Anzeichen dafür, dass Deutschland auf Abwege geraten ist. Auch die Europäische Union hat bei der amerikanischen Rechten einen schlechten Ruf, beide Einstellungsmuster vermischen sich dabei: zu hedonistisch, die traditionelle Familie zu sehr an den Rand drängend, an Militärdienst nicht mehr gewöhnt, zu grenzenlos, zu offen für Feminismus und von Patriotismus und Nationalgefühl zu sehr entfremdet.

Die politische Figur der amerikanischen Rechten, die diese Positionen mit größerer Intensität vertrat als es unter amerikanischen Konservativen üblich ist, war natürlich Donald Trump, für den Deutschland ein Symbol für alles ist, was in der Politik schieflaufen kann. Das ideale europäische Land für Trump und die amerikanische Rechte ist hingegen Viktor Orbáns Ungarn.

Deutsche Parteipolitik ist für die meisten Amerikaner nicht von besonderem Interesse. Progressive, die Deutschland als Vorbild sehen, könnten ihre Positionen bei den Grünen oder der SPD wiederfinden, allerdings würde in den USA sogar Angela Merkel als Progressive gelten gemessen an ihren politischen Positionen. Die CDU/CSU unterscheidet sich zwar von der Demokratischen Partei, sie könnte für die amerikanische Linke aber dennoch attraktiv sein.

Dass Angela Merkel Christdemokratin ist, spielte für Donald Trump keine Rolle. Sie war ihm vor allem wegen ihrer Haltung beim Thema Zuwanderung ein Gräuel. Zwischen Trump-Wählern und der AfD gibt es offensichtlich Schnittmengen, aber der Antiamerikanismus der AfD würde die amerikanischen Konservativen auch abstoßen. Letztlich verkörpert keine deutsche Partei die Grundhaltungen amerikanischer Konservativer in Fragen von Wirtschaft, Religion oder Waffenrecht.

Barack Obama und Angela Merkel hatten eine hervorragende Arbeitsbeziehung. Sie standen sich, bei allen Unterschieden, in ihren innenpolitischen Agenden nicht entgegen und außenpolitisch waren sie sich weitgehend einig. Beide betonten Menschenrechte, Umweltschutz, demokratische Normen und die zentrale Rolle von Beratungen in internationalen Angelegenheiten, insbesondere wenn sie durch multilaterale Institutionen vermittelt werden.

In Bezug auf die großen Herausforderungen, vor denen Deutschland und die Vereinigten Staaten stehen – China, Russland, Terrorismus und so weiter – hatten Merkel und Obama den gleichen Instinkt, beide schätzten das, was sie die liberale internationale Ordnung genannt hätten, eine Vision für internationale Angelegenheiten auf der Grundlage von Regeln und Kooperation.

Theoretisch haben Joe Biden und Olaf Scholz die deutsch-amerikanische Partnerschaft von Obama und Merkel übernommen. Die Situation ist 2023 aber eine völlig andere als 2016, als Präsident Obama sein Amt niederlegte, und die deutsch-amerikanische Partnerschaft ist angespannter als damals, nicht wegen Trump, sondern wegen Russlands Invasion in der Ukraine.

Ein kleiner Teil der amerikanischen Linken macht sich Sorgen über das Eingreifen der USA in der Ukraine, aber im Großen und Ganzen stehen die amerikanischen Progressiven eindeutig hinter der Biden-Regierung und ihrer Haltung zum Krieg. Die Ukraine wird als zentrales progressives Anliegen verstanden: Sie repräsentiert einerseits den Widerstand des Underdogs gegen die neoimperiale Aggression, und zugleich repräsentiert die Ukraine die gefährdete Demokratie.

Angst ist der Frustration gewichen

In einer bemerkenswerten Wendung der Geschichte ist die lange Tradition der Angst vor dem deutschen Militarismus (in der amerikanischen Linken) der Frustration über Deutschland gewichen, weil es sich in der Ukraine vermeintlich nicht ausreichend militärisch engagiert hat. Ernsthafte Zweifel an der deutschen Führung durchziehen zwar das gesamte amerikanische politische Spektrum, aber unter amerikanischen Progressiven sind sie besonders verbreitet. Deutschlands ausgeprägte politische Ökonomie ist nicht unbeschadet aus dem aktuellen Krieg hervorgegangen, Erinnerungen an die jüngsten Bemühungen Deutschlands zum Bau der Nord-Stream-2-Pipeline kreuzen sich mit Bedenken über die starke Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China.

Deutschlands zentrale Rolle in Europa wird von amerikanischen Progressiven anerkannt, auch die Haltung Deutschlands gegenüber Flüchtlingen, zuerst aus Syrien und später aus der Ukraine. Dennoch gilt Deutschland als hinterherhinkend, als reaktiv, als außenpolitisch orientierungslos, als Folge all dessen, was Russlands schrecklicher Krieg in den letzten zwölf Monaten angerichtet hat.

Bei den amerikanischen Rechten gibt es außenpolitisch zwei Lager, die Trumpisten und die »Reagan-Republikaner«, und jedes hat sein eigenes Deutschlandbild. Sofern Trump nicht 2024 ins Weiße Haus zurückkehrt, ist sein Lager in der Minderheit, vielleicht nicht unter der Untergruppe der republikanischen Wähler, aber unter den Entscheidungsträgern in Washington. Trumps Bild von Deutschland ist das eines Trittbrettfahrers, der den Schutz des US-Militärs genießt und das Geld nutzt, das es nicht für die Verteidigung ausgibt, um sich dem Geldverdienen durch internationalen Handel und Gewerbe zu widmen.

Dieser Lesart folgend haben die Europäer im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen das NATO-Bündnis ausgenutzt, um amerikanische Sicherheitsverpflichtungen gegenüber Europa zu erzwingen, ein bewusster Versuch, die europäische Verantwortung für die europäische Sicherheit abzuschieben. Trump hat zwar keine stimmige Analyse des russischen Krieges gegen die Ukraine vorgelegt, beschimpft aber die Haltung von Präsident Biden gegenüber Russland mal als zu schwach, mal als zu dominant.

Was auch immer die trumpsche Sicht auf den Krieg ist, sie hat den Gesamteindruck von Europa nicht verändert: keine Bastion der liberalen internationalen Ordnung, sondern eine Last für die Vereinigten Staaten; eine Last, die sie klugerweise fallen lassen könnten. Auch wenn Trump 2024 keine Nominierung seiner Partei erhält, werden seine Überzeugungen die Republikanische Partei insgesamt weiterhin prägen.

Das andere Lager der amerikanischen Rechten, die Reagan-Republikaner, sind aus ganz anderen Gründen irritiert über Deutschland. Ihr europäischer Protagonist ist nicht Ungarn wie bei den Trumpisten sondern Polen. Dieses Land sieht in ihrer Wahrnehmung klar die russische Bedrohung, auf die es schnell mit großangelegter Militärhilfe für die Ukraine reagiert hat. In dieser Erzählung kann man noch das Echo von Donald Rumsfelds Äußerung über die Spaltung in ein »altes« und ein »neues Europa« vernehmen: die Vorstellung, dass Länder wie Polen wissen, was Demokratie und was Tyrannei ist, und deshalb bereit sind, sich selbst in Gefahr zu bringen, um die Demokratie zu retten und die Tyrannei zurückzuschlagen.

Dieses Denken hat in dem Krieg, der am 24. Februar 2022 begann, eine Renaissance erlebt. Das »alte Europa« habe sich aus dem Irak-Krieg herausgehalten, klagte Rumsfeld, und von der amerikanischen Rechten wird Deutschland heute ein ähnlicher Vorwurf gemacht. Deutschland sei militärisch unfähig und gegenüber Russland ziemlich naiv gewesen. Deutschland sehe die Welt nicht so, wie sie ist, da sie Russland nicht so gesehen habe, wie es war, und laufe deshalb Gefahr, China nicht so zu sehen, wie es sein wird.

Deutschland lerne vielleicht, aber es lerne zu langsam und hinterlasse damit ein Loch in der Mitte Europas, denn Deutschland sei – ob Führungswille da ist oder nicht – das führende europäische Land. Interessanterweise sind es die Grünen, die diesen Republikanern am nächsten stehen, ein Hinweis auf die politische Diskrepanz zwischen Joschka Fischer und Annalena Baerbock.

Deutschland ist nicht in der Lage, Amerikas Kulturkriege zu lösen. Deutschland hat für seine Soziale Demokratie einen guten Ruf aufseiten der amerikanischen Linken und für seine Geschäftstüchtigkeit auf der der amerikanischen Rechten, zudem hat die große Mehrheit der Amerikaner einfach Sympathien für Deutschland – die meisten dieser positiven Assoziationen sind aber im Kern nicht wirklich politisch.

Das Kernproblem liegt in der amerikanischen Wahrnehmung deutscher Außenpolitik, das gilt für das linke Spektrum wie für die Rechten aber auch der politischen Mitte (wo die meisten der in der amerikanischen Außenpolitik Handelnden beheimatet sind). Deutsche Politik sollte sich mit diesen kritischen Wahrnehmungen auf zweierlei Weise auseinandersetzen: Zum einen anerkennen, dass Deutschland sich ändern muss, wie Bundeskanzler Scholz es selbst gesagt hat. Die Zeitenwende wird ein unabhängigeres, militärisch engagierteres, proaktiveres Deutschland hervorbringen.

Zum anderen müssten deutsche Politikerinnen und Politiker aber auch erklären, warum Deutschland nicht wie Polen auf die russische Invasion reagiert hat, warum den Deutschen die Hoffnung auf eine Konfliktlösung wichtig ist, warum Deutschland möglicherweise mit diplomatischem Engagement ein militärisches Gleichgewicht im Umgang mit Russland aufbauen möchte.

Amerikaner können diese Erklärungen akzeptieren oder nicht. Aber angesichts dessen, wie wenig Amerikaner über die deutsche Politik wissen, wird es für sie interessant sein zu erfahren, warum Deutschland die Welt so sieht, wie es sie sieht. Und das nicht durch die polnische, nicht durch die amerikanische, sondern durch die deutsche Brille.

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