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Religionstoleranz und -freiheit im Jahr des Reformationsjubiläums Von Luther zu Trump

»Reformationsjubiläum 2017 als welthistorisches Ereignis würdigen« – diesen Titel wählten die Bundestagsabgeordneten im Jahre 2008 vorausschauend für ihren ersten von zwei Anträgen zum Jubiläum des Anschlags der 95 Thesen Martin Luthers an die Wittenberger Schlosskirche. Sie setzten es damit in einen neuen, internationalen Rahmen in der Reihe der hundertjährigen Reformationsjubiläen.

Nach dem ersten Jahrhundert wurde es insbesondere protestantisch-triumphalistisch und antikatholisch gefeiert. 1717 nutzten die Pietisten, Frühaufklärer und Orthodoxen das Erbe der Reformation jeweils für ihre Glaubensausprägung. Zum 300. Reformationsjubiläum wurde Luther nach den Kriegen gegen Napoleon als Vorkämpfer nationaler Selbstbehauptung inszeniert und auch 1917 wurde das Jubiläum aus dem Krieg heraus in preußisch-nationalistischer Emphase begangen.

Der Bundestagsantrag zum diesjährigen Reformationsjubiläum entstand nach Anhörungen und in enger Zusammenarbeit mit Kirchenvertretern, Tourismusschaffenden und Kulturvertretern und setzte einen zehnjährigen Prozess in Gang, der im Rahmen einer »Lutherdekade« u. a. in Veranstaltungen, Ausstellungen und Konferenzen die Wirkungsgeschichte der Reformation und deren Errungenschaften für Kunst, Musik, Kultur, Sprache und Bildung in Themenjahren bearbeitete. In diesem Rahmen bekamen auch wichtige kritische Aspekte wie der Antijudaismus von Luther im Themenjahr »Reformation und Toleranz« 2013 einen breiten Diskussionsraum, in dem insbesondere die Frage der Religionsfreiheit und -toleranz behandelt wurde. Dieses Thema kann man nicht nur historisch abhandeln, es hat höchste Aktualität.

Die Reformation war bei Weitem nicht auf die deutschen Länder beschränkt, die Bewegung ging quer durch Europa und war von verschiedenen Protagonisten maßgeblich geprägt. Neben Luther sind Johannes Calvin, Huldrych Zwingli, Erasmus von Rotterdam, Johannes Bugenhagen, Philipp Melanchthon und Mikael Agricola zu nennen. Sie und ihre Schüler haben diese Bewegung mit hervorgebracht. Diesen Aspekt haben Wissenschaftler unter der Überschrift Perspektiven für das Reformationsjubiläum 2017 in einer Thesenschrift als wissenschaftliche Grundlage für das ökumenische Gespräch mit aufgegriffen. Die europäische Dimension wurde insbesondere in den Thesen drei bis fünf herausgearbeitet.

Dort heißt es: »Indem die Reformation das Auseinandertreten der westlichen Kirche in eine Mehrzahl Widerspruch und Gemeinsamkeit verbindender Konfessionen auslöste, hat sie die religiös-kulturelle Differenzierung und Pluralisierung zur Signatur Europas gemacht« (These drei). »Diese Differenzierung ist in einer Welt, die auf religiöse Gegensätze mit Gewalt reagierte, zwar nicht die ausschließliche, aber, zusammen mit anderen Faktoren, eine Ursache geworden für Konfessionskriege und Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen, deren Ausläufer bis in die Gegenwart reichen« (These vier). »Zugleich hat diese Entwicklung Europa genötigt, Regelungen zu entwerfen, um das friedliche Neben- und später auch Miteinander der getrennten und verfeindeten Konfessionen zu gewährleisten und das Zusammenleben exklusiver Wahrheitsansprüche auf Toleranz und wechselseitigen Respekt zu gründen. Diese Entwicklung beginnt mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, der dem Konzept ›Frieden durch Trennung‹ verpflichtet ist – einem Konzept, das keine Lösung auf Dauer darstellen kann, aber in schwierigen Situationen erste Ansätze zu einem friedlichen Nebeneinander ermöglicht. Die weitere Entwicklung hat gezeigt, dass der Friede unter den Konfessionen und Religionen eine entscheidende Voraussetzung für den Frieden einer Gesellschaft ist« (These fünf).

Wie schwierig jedoch die religiöse Grundvoraussetzung dazu war, zeigt der Theologe Eugen Drewermann in Luther wollte mehr auf: »Im dogmatisch verfestigten, tradierten Christentum konnte und kann der Begriff der Toleranz eigentlich nur begriffen werden als Verrat an der Wahrheit.«

Der Historiker Heinz Schilling arbeitete in seiner Biografie (Martin Luther – Rebell in einer Zeit des Umbruchs) heraus: »Auch Pluralität und Toleranz waren nicht Kinder, sondern allenfalls die Urenkel der Reformation. (…) Luther war Toleranz im modernen Sinne fremd. Eine Pluralität religiöser Wahrheit konnte er sich nicht vorstellen. (…) In seinen letzten Lebenstagen war er von der heilsgeschichtlichen Notwendigkeit einer absoluten kirchlichen und dogmatischen Einheitlichkeit und Reinheit der protestantischen Konfessionsgesellschaften geradezu besessen.«

Diese von Luther ausgehende intolerante Haltung zwischen den Konfessionen, die zu einer tiefen Spaltung führte, hielt sich in bestimmten europäischen Ländern bis ins letzte Jahrhundert, wie das Beispiel des Nordirland-Konfliktes zeigt. Es war daher ein wichtiges Zeichen der Ökumene, dass beim Auftaktgottesdienst zum Reformationsjahr im schwedischen Lund auch der Papst und die Schwedische Erzbischöfin mitwirkten. Auch in Deutschland ist ein kritischer Punkt zwischen Christentum und Judentum ausgeräumt worden: Die Evangelische Kirche in Deutschland hat auf ihrer Synode im November 2016 in Magdeburg von der bisherigen Grundhaltung einer Judenmissionierung Abstand genommen.

Dennoch ist die religiöse Toleranz in Deutschland und Europa noch nicht hinreichend entwickelt, wie man u. a. an der Debatte über die Verwendung religiöser Symbole und Kleidung im öffentlichen Raum sehen kann. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass einige europäische Länder aus dem Schatten des Westfälischen Friedens von 1648 immer noch nicht wirklich herausgetreten sind, in dem festgelegt war, dass der jeweilige Landesherr die Religionszugehörigkeit seiner Untertanen bestimmte. Umso wichtiger ist es, die Frage nach Religion im öffentlichen Raum zu thematisieren. Religionen haben das Recht, auch durch Gebäude öffentlich erkennbar zu sein, auch wenn etwa versucht wird, auf die Architektur von Moscheen Einfluss zu nehmen.

Neben dem erstmaligen Selbstverständnis, das Reformationsjahr 2017 europäisch und international anzugehen und die Welt einzuladen, gibt es auch eine neue gesellschaftliche und religiöse Vielfalt in Deutschland und Europa. Gleichzeitig lässt sich eine zunehmende Säkularisierung beobachten, von der insbesondere in einigen ehemaligen sozialistischen Ländern mittlerweile die Mehrheit geprägt ist. Dass vor allem zunehmend säkularisierte Gesellschaften neuen, noch unbekannten Religionen im Alltag unsicher gegenüber stehen, ist eine Tatsache, mit der man umgehen muss.

Zusammen mit meinem Kollegen Rainer Wieland habe ich 2015 als überparteiliche Initiative innerhalb des Europaparlaments einen Aufruf zur Verteidigung der Religionsfreiheit als Menschenrecht verfasst, welcher von über 100 Abgeordneten aus 28 Ländern mit verschiedenen oder keiner Religionszugehörigkeit unterzeichnet wurde. Darin steht unter anderem: »Das Recht auf Religionsfreiheit gehört zu den universellen Menschenrechten. Es wurde im Jahr 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben und ist Teil vieler nationaler Verfassungen und internationaler Abkommen. Die im Jahr 2000 verabschiedete Charta der Grundrechte der Europäischen Union schützt die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit als besonderes Recht. Das schließt auch die Freiheit ein, seine Religion oder Weltanschauung öffentlich zu bekennen, zu wechseln oder keinerlei Religion anzugehören. Die Europäische Union hat sich in den letzten Jahren verstärkt für einen weltweiten Schutz der Religionsfreiheit eingesetzt. Im Juni 2013 haben die EU-Außenminister Leitlinien zur Religions- und Glaubensfreiheit verabschiedet, die besonderen Wert auf den Schutz vor religiöser Gewalt, religiösem Hass und Diskriminierung legen. Das Europäische Parlament engagiert sich seit vielen Jahren für einen stärkeren Schutz der Religions- und Gewissensfreiheit. Als Abgeordnete des Europäischen Parlamentes, die sich ganz unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen verbunden fühlen, werden wir auf diesen Vorarbeiten aufbauen und weiter auf einen besseren weltweiten Schutz des Menschenrechtes auf Religionsfreiheit drängen. Das Recht auf Religionsfreiheit gilt für alle Religionen gleichermaßen. Jegliche Form der religiösen Verfolgung muss bekämpft werden. Eine freie Religionsausübung darf nicht als zweitrangiges, im Notfall verzichtbares Recht behandelt werden. Jeder Staat hat die Verantwortung, das Recht auf Religionsfreiheit für alle Menschen auf seinem Territorium zu garantieren.«

Der Aufruf richtete sich insbesondere an alle nationalen Abgeordneten für ihre bilateralen Beziehungen außerhalb Europas. Zum Zeitpunkt des Aufrufes war noch nicht abzusehen, dass im Jahr 2017 auch die USA mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten und seiner unverhohlenen Dekrete zur Verhinderung der Einreise von Muslimen ins Land zu Adressaten dieses Aufrufes geworden sind. Denn Religionsfreiheit und -toleranz gehören zu den Kernbestandteilen der westlichen Wertegemeinschaft. Leider müssen inzwischen auch verschiedene europäische Staaten als Adressaten einbezogen werden.

Insbesondere in den letzten Jahren, in denen Kriegsflüchtlinge überwiegend muslimischer Glaubenszugehörigkeit in Europa um Schutz baten, gibt es massive antimuslimische Reflexe mit entsprechenden politischen Entwicklungen und Entscheidungen. In Deutschland hat die Antiislambewegung »Pegida« mittlerweile eine parteipolitische Heimat und Programmatik in der AfD gefunden. Auch Vertreter von konservativen Parteien, die angeblich auf religiös-basierten Werten fußen und sich in Dingen wie Religionsfreiheit und -toleranz auskennen sollten, haben kategorisch ausgeschlossen, dass der deutsche Bundespräsident Muslim sein könnte. Ist diese Argumentation mit dem Grundgesetz vereinbar?

In ehemaligen osteuropäischen Ländern wie Polen, der Slowakei und Ungarn wird die Verweigerung einer Aufnahme von Kriegsflüchtlingen mit der Religionsfrage begründet. Die Protagonisten dieser Sichtweise finden sich bei Weitem nicht nur in konservativen oder nationalen sondern auch in sozialdemokratischen Parteien. Damit ist die offene Religionsdiskriminierung in der Mitte der Gesellschaft salonfähig geworden. Die Gewissens- und Glaubensfreiheit wird damit infrage gestellt, was den Beginn einer Einschränkung der Religionsfreiheit in Europa bedeuten kann.

Deswegen muss Europa alles dafür tun, dass sich alle Mitgliedsstaaten zu den Menschenrechten und ihrer Einklagbarkeit verpflichten, damit das Menschenrecht auf Religionsfreiheit nicht weiter unterhöhlt werden kann.

Vom 20. 05 bis 10. 09. 2017 wird es in Wittenberg eine 95-tägige Weltausstellung der Reformation geben, in deren Rahmen interreligiös und ökumenisch zeitaktuelle, kulturelle weltweite Herausforderungen und Selbstverständnisse diskutiert werden. Deutschland und Europa täten gut daran, wenn das Jubiläumsjahr in Deutschland nicht als Abschluss, sondern als Auftakt der ja nach dem Thesenanschlag Ende Oktober dann erst folgenden inhaltlichen oder nationalen Reformationsjubiläen genutzt würde. Diese Anlässe bieten immer wieder neuen Raum für gesellschaftliche Debatten um den Umgang mit Religion, die damit auch zu einer zentralen europäischen »Gretchenfrage« geworden ist, weil daran mittlerweile auch die Frage nach einer dringend notwendigen Reform der Integrations- und Migrationspolitik gekoppelt ist.

Eugen Drewermann: »Luther wollte mehr« – über den Reformator und seinen Glauben. Herder, Freiburg im Breisgau 2016, 320 S., 19,99 €. – Heinz Schilling: Martin Luther – Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie. 4. Aufl., C.H.Beck, München 2016, 728 S., 29,95 €.

 

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