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Ein kritischer Blick auf die deutsche China-Strategie Von Misstrauen geprägt

Im Juli 2023 hat sich die Bundesregierung auf eine »China-Strategie« geeinigt. Im Kern wird China weiterhin als »Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale« bezeichnet, wobei die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in den letzten Jahren zugenommen haben. Zwar soll weiter die Zusammenarbeit mit China gesucht, andererseits aber »De-Risking«, also die Verminderung von Risiken und Abhängigkeiten, betrieben werden. Die China-Strategie lässt in vielerlei Hinsicht offen, in welcher Form eine rationale Chinapolitik diese drei Faktoren effektiv zusammenbinden und daher politikgestaltend sein kann.

Die Strategie soll die Sicherheit Deutschlands und Europas sowie deren internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken und einen Rahmen für den Umgang mit China setzen. Auch soll Wechselseitigkeit im Hinblick auf Wirtschafts- und Wissenschaftsbeziehungen sichergestellt werden. Statt Abkopplung wird Diversifizierung der Lieferketten angestrebt. Die Strategie bekennt sich zugleich zur »Ein-China-Politik«, und erkennt damit die Volksrepublik China weiterhin als einzig legitime Vertretung Chinas auf beiden Seiten der Taiwanstraße an.

Liegen Prioritätensetzung, Wortwahl und Handlungsempfehlungen im Interesse deutscher Unternehmen?

Positiv ist unter anderem die beabsichtigte Kooperation im Hinblick auf Klima- und Umweltschutz. Wie der Newsletter »China Hirn« allerdings berichtet, haben die zuständigen Ministerien (Wirtschaft, Auswärtiges Amt und andere) beschlossen, dass die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau ab 2024 keine gemeinsamen Klima- und Energieprojekte in China mehr finanzieren darf. Es ist daher fraglich, wie ernst tatsächlich Kooperation bei der Bekämpfung des Klimawandels beabsichtigt ist.

Von wirtschaftlicher Seite kam zum Teil massive Kritik. So erklärte der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA), Michael Schumann »Prioritätensetzung, Wortwahl und Handlungsempfehlungen« lägen nicht im Interesse deutscher Unternehmen. Die deutsch-chinesischen Beziehungen würden durch das Papier »unnötig vergiftet und die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln in der Volksrepublik« erschwert. Es handele sich um eine »Geschäftsverhinderungsstrategie«.

Im Folgenden werden fünf Faktoren kritisch in den Blick genommen: fehlende geopolitische Einordnung, die »Wertefrage«, Dialogverhalten, »Chinakompetenz« und Wissenschaftsaustausch.

Es fehlt die geopolitische Einordnung.

Ein entscheidender Mangel der Strategie besteht in dem Versäumnis, Chinas Entwicklung und die deutsch-/europäisch-chinesischen Beziehungen in den allgemeinen geopolitischen Kontext einzuordnen. Die Geopolitik wird gegenwärtig geprägt von dem Kernkonflikt zwischen den USA und China. Einer der prominentesten US-Experten für Internationale Beziehungen, John Mearsheimer, schrieb bereits vor einigen Jahren, die USA versuchten zu verhindern, dass China aufsteige, China hingegen werde nicht davon ablassen, zur Weltmacht neben den USA aufzusteigen. Dies müsse unweigerlich zu einem Krieg führen.

Deutschland hat seine Interessen an die US-amerikanischen angebunden. Doch die Europäer sind sich darin keineswegs einig. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat nach seiner Rückkehr aus China im April 2023 vorgeschlagen, die EU müsse stärker über eine »strategische Autonomie« nachdenken, europäische und US-Interessen seien nicht identisch, etwa im Hinblick auf die Interessenlage in Ostasien und im Pazifik. Von Berlin ist er dafür gescholten worden. EU-Ratspräsident Charles Michel hat diesen Vorschlag hingegen unterstützt und darauf hingewiesen, dass es innerhalb der EU durchaus unterschiedliche Positionen dazu gebe.

Für die USA ist Ostasien-Pazifik der eigentliche Aktionsschwerpunkt, nicht (mehr) Europa. Schon da unterscheiden sich amerikanische und europäische Interessen. Die Periode Trump hat verdeutlicht, wie zerbrechlich die transatlantische Partnerschaft sein kann. Nach der nächsten US-Präsidentenwahl könnte die trumpsche Position erneut dominieren. Da macht es durchaus Sinn über eine »strategische Autonomie« der EU nachzudenken.

Interessen- oder Wertepolitik?

Nach politikwissenschaftlichem Verständnis ist Außenpolitik Interessen-, nicht Wertepolitik. Der Begriff »wertebasierte Außenpolitik« erscheint insofern als problematisch, weil er unbeantwortet lässt, ob »unsere Werte« anderen übergestülpt werden sollen und man künftig nur noch mit Partnern einer imaginären »Wertegemeinschaft« kooperieren möchte. Und geht es tatsächlich um »Werte« oder nicht doch um Interessen? Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Nils Schmid sprach in einem Beitrag zur Bewertung der China-Strategie davon, dass Deutschland in die Lage versetzt werden soll »unsere Werte und Interessen« gegenüber China »besser zu verwirklichen«. Was aber ist hier mit »Werte verwirklichen« gemeint?

Wertegeleitete Außenpolitik führt schnell zu Ausschließung, Abgrenzung und neuen Konflikten mit denen, die die sogenannten »Werte« der Deutschen/Europäer nicht teilen. Zudem geht »der Westen« davon aus, dass seine Werte die einzig richtigen darstellten und wertet damit die anderer Gesellschaften ab. Wie der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal gesagt hat: Es gebe Werte, an denen wir unbedingt festhalten müssten. Er sei aber absolut dagegen, diese Werte anderen beizubringen. »Weltverbesserung durch Werte« als außenpolitisches Ziel führe in eine Sackgasse. Deutschland und Europa müssten, wie Nikolaus Busse in einem Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb, »lernen, unsere moralischen und politischen Ansprüche an unsere Fähigkeiten und an die Realität anzupassen (…) Die Welt besser zu machen ist ein hehres Ziel, aber es hat mit klassischer Außenpolitik nicht viel zu tun«.

Dialogbereitschaft allein reicht nicht.

Wie die Strategie betont, ist in allen Formen der deutsch-chinesischen Kooperation Dialog ein zentrales Moment. Dialogbereitschaft allein genügt allerdings nicht, es bedarf zugleich dessen, was man als »Dialogkompetenz« bezeichnen kann: Dialog auf Augenhöhe, das heißt, dass man die Argumente der anderen Seite ernst nimmt, nicht nur Forderungen stellt, sondern auch Angebote macht und sich bemüht Kompromisse zu erzielen. Seine eigenen Werte und Sichtweisen als allein richtig anzusehen und die des Dialogpartners abzuwerten, ist einem Dialog nicht zuträglich.

Überdies sollten die Partner nicht nur ihre Interessen und Unterschiede ausloten, sondern vor allem auch ihre Gemeinsamkeiten. Auf dieser Basis sollten Richtlinien für Konfliktminderung und Kooperation konzipiert werden. Gemeinsamkeiten sollten auch im Hinblick auf die künftige Weltordnung und globale Ordnungsvorstellungen sowie Fragen einer unerwünschten Zukunft sondiert werden, um das Risiko der Konfrontation und von Missverständnissen zu minimieren.

Statt von »roten Linien« der Zusammenarbeit sollten wir in Kooperationsdialogen von »Leitplanken« sprechen, das heißt ethischen und politischen Grenzen der Zusammenarbeit, ein weniger konfrontativer Begriff. »Wer miteinander spricht, schießt nicht aufeinander«, lautet eine Regel in der internationalen Politik. Und ein ständiger Kontakt vermag Missverständnissen und wechselseitigen Fehlkalkulationen vorzubeugen.

Zugleich sollte der Austausch auf allen Ebenen (Kultur, Sport, Wissenschafts­austausch, Städte- und Schulpartnerschaften sowie Bürgeraustausch) unbedingt fortgeführt werden. Dies proklamiert die Strategie zwar auch. Wer aber, wie der Verfasser, in den Austausch auf verschiedenen Ebenen involviert ist, stellt fest, dass aufgrund des negativen Chinabildes, pauschaler Vorwürfe (zum Beispiel den der »gelben Spione«), die inzwischen auch in der Gesellschaft virulent sind, und starker politischer Bedenken in nahezu allen Politik- und Gesellschaftsfeldern, Kooperationen mit China nur noch zögerlich verfolgt oder sogar abgebrochen werden.

Was »China-Kompetenz« anbelangt, die gefördert werden soll, so stellt sich die Frage, was eigentlich darunter zu verstehen ist. Meines Erachtens bezieht sich der Begriff auf Personen mit profunden Kenntnissen der historischen, kulturellen, politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die auf längere und regelmäßige Aufenthalte in verschiedenen Regionen Chinas verweisen und das Denken und Handeln von Chinesen daher besser einordnen können, damit verbunden eine differenzierte und durchaus kritische Sichtweise auf das Land haben und über gute Sprachkenntnisse verfügen.

Davon hat Deutschland in der Tat zu wenig. Und es ist zu befürchten, dass sich daran wenig ändern wird. Seit einigen Jahren geht die Zahl an Studierenden in chinabezogenen Studiengängen in Deutschland zum Teil drastisch zurück, was nicht zuletzt dem Image Chinas, wie es durch Medien und Politik geprägt wird, geschuldet ist. Es wäre an der Zeit, dass sich die Bundesregierung in dieser Hinsicht Gedanken macht.

Koppelt sich Deutschland vom Wissenschaftsaustausch mit China ab?

Zwar soll der deutsch-chinesische Wissenschaftsaustausch weiterentwickelt werden. Allein stimmt bedenklich, dass zum Beispiel die vom »China Scholarship Council« finanzierten chinesischen Stipendiaten künftig nicht mehr aufgenommen werden sollen. Pauschal wird ihnen »Spionage« unterstellt. Ein entsprechender Beschluss der Universität Erlangen-Nürnberg wurde von der Bundesbildungsministerin ausdrücklich begrüßt. Der deutsche Hochschullehrerverband kritisierte sofort die »Absolutheit des Verbots« und befürwortet »Einzelfallentscheidungen« gegenüber einem »pauschalen Ausschluss«.

Wenn ganze Stipendiatengruppen eines Landes unter Generalverdacht gestellt werden, stellt sich die Frage, ob Austausch tatsächlich noch gewünscht ist, oder ob sich Deutschland vom Wissenschaftsaustausch mit China nicht abzukoppeln versucht mit fatalen Folgen für die deutsch-chinesischen Beziehungen und den Wissenschaftsaustausch insgesamt. Denn von reziproken Gegenmaßnahmen Chinas dürfte vor allem auch die Entsendung deutscher Stipendiaten nach China negativ betroffen sein.

Aus der China-Strategie der Bundesregierung spricht ein allgemeines Misstrauen – keine gute Grundlage für eine effektive und effiziente Kooperation. Entsprechend soll die Kooperation nur da gesucht werden, wo es »unseren Interessen« nutzt. Das ist letztlich die Krux des ganzen Papiers und dürfte kaum zu konstruktiver Kooperation beitragen. Die Klassifizierung als »Systemrivale« erklärt China zugleich zu einem Herausforderer unserer Demokratie, wobei unklar bleibt, inwiefern Chinas System unser stabiles politisches System überhaupt ernsthaft herausfordern oder gar gefährden könnte.

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