Menü

Die Rolle transnationaler Unternehmen Von Problemverursachern zu Problemlösern – und wieder zurück?

Es ist inzwischen 20 Jahre her, dass der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, der Weltwirtschaft einen globalen Pakt anbot. Transnationale Unternehmen (TNU) sollten fortan als Partner der Vereinten Nationen in die politische Lösung globaler Problemlagen einbezogen werden und sich freiwillig auf die Einhaltung von neun – in Folge zehn – Prinzipien in den Bereichen Menschenrechte, Arbeit und Soziales, Umwelt und Korruptionsbekämpfung verpflichten. Heute zählt der daraus entstandene Global Compact über 13.000 Unterzeichnerorganisationen, darunter knapp 10.000 Unternehmen aus 161 Ländern, die sich freiwillig bereit erklärt haben, politische Strategien zur Verwirklichung der zehn Prinzipien zu entwickeln und über ihr politisches Engagement regelmäßig Bericht zu erstatten. Unter den am Global Compact beteiligten Unternehmen sind einige der umsatzstärksten transnationalen Unternehmen der Welt. So sind aus den Top 10 der Global Fortune 500 Unternehmen des Rankings 2018 mit der State Grid Corporation of China (Platz 2), Royal Dutch Shell (Platz 5) und BP (Platz 8) drei Unternehmen im Global Compact vertreten. Unter den deutschen Mitgliedsunternehmen finden sich Konzerne wie BASF, Bayer, Daimler, Deutsche Bank, Metro, Munich RE, Puma und RWE.

Die Gründung des Global Compact steht im historischen Kontext struktureller Wandlungsprozesse, die sich in der Weltordnungspolitik insgesamt vollzogen haben. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts, der fortschreitenden Globalisierung und später auch der Digitalisierung ging eine Ausweitung der Verdichtungsräume gesellschaftlicher Interaktionen über die Grenzen des Nationalstaats hinaus einher. Dabei wurden TNU zunächst als Problemverursacher aufgefasst, die im Rahmen stetig erweiterter grenzüberschreitender Aktivitäten einen wesentlichen Anteil an Ausbeutung, Unterentwicklung und anderen negativ bewerteten Phänomenen hatten. Prägend im (zwischen-)staatlichen Regieren war das Misstrauen gegenüber diesen Unternehmen, welche die Menschenrechte missachten, diskriminierende und ausbeuterische Arbeitsbedingungen dulden, die natürliche Umwelt schädigen und unterschiedliche Arten von Korruption einschließlich Erpressung und Bestechung betreiben. Kurz gesagt: Unternehmen waren nicht Teil der Lösung, sondern Bestandteil globaler Probleme.

Im zwischenstaatlichen Regieren standen folglich auch nicht Verantwortungsteilung und kooperatives Zusammenwirken im Vordergrund, sondern die rechtsverbindliche Regulierung von Unternehmensverhalten. Aufgrund der begrenzten territorialen Reichweite und dem hürdenreichen zwischenstaatlichen Regieren unter den Bedingungen von Einstimmigkeit und Konsensfindung konnte allerdings keine umfassende globale Regulierung der transnationalen Unternehmen erzielt werden. Mit der Verstärkung negativer Globalisierungseffekte sahen sich die Staaten zudem zunehmend nicht mehr in der Lage, im Modus zwischenstaatlichen Regierens bestimmte öffentliche Güter ausreichend zur Verfügung zu stellen.

Hoffnung in transnationale Unternehmen

Mit der Gründung des Global Compact verbanden die Vereinten Nationen die Hoffnung, dass Unternehmen im Rahmen von freiwilliger Ko- und Selbstregulierung Beiträge zur Lösung globaler Probleme leisten würden. Damit ging ein grundsätzlich gewandeltes Rollenverständnis von Unternehmen einher. TNU galten fortan nicht mehr nur als Problemverursacher und Regelungsobjekte (zwischen-)staatlichen Regierens, sondern auch als potenzielle Problemlöser und eigenständige Regelungssubjekte. Im Ergebnis verschwammen die klassischen Trennlinien zwischen genuin öffentlichen und privaten Verantwortungsbereichen und es entstand eine neue Arbeitsteilung zwischen staatlichen und privaten Akteuren. Dabei kam es auch zur Abkehr von einer rein auf Zwang beruhenden Regulierung politischer Sachverhalte. Daneben sollten auch andere Steuerungsmechanismen wie Anreize oder Lernprozesse wirksam werden. Damit verbunden war die Funktionserwartung, dass transnationale Unternehmen aufgrund ihres Know-hows und ihrer technischen und materiellen Ressourcen in der Lage sind, zur Setzung und Durchsetzung bestimmter Standards angemessenen Verhaltens in einer Form beizutragen, wie es keine anderen Akteure – weder Staaten noch NGOs – können.

Zweifellos verfügen TNU über ein großes materielles und ideelles Problemlösungspotenzial. Die Vermögen und Umsätze einiger dieser Unternehmen übersteigen heute nicht nur das Bruttoinlandsprodukt von Schwellen- und Entwicklungsländern, sondern entsprechen inzwischen sogar dem Bruttoinlandsprodukt wirtschaftsstarker Staaten. Viele von ihnen unterhalten eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und produzieren spezialisiertes Know-how, beispielsweise in den Bereichen Biotechnologie oder künstliche Intelligenz. Im Zuge fortscheitender Digitalisierung erschließen sich transnationale Unternehmen zudem neue und entterritorialisierte Handlungsräume, wie Amazon, Google oder Facebook eindrücklich zeigen.

Wenngleich der Aufstieg des Global Compact und die zahlreichen individuellen und kollektiven Selbstregulierungsinitiativen weltweit davon zeugen, dass TNU heute politische Beiträge in der Weltordnungspolitik leisten, entfaltet sich das Problemlösungspotenzial von Unternehmen nicht automatisch. Dem Rollenwandel von transnationalen Unternehmen von Problemverursachern zu Problemlösern liegt die voraussetzungsreiche Prämisse zugrunde, dass sie nicht nur eng marktrational handeln, sondern durch die sie umgebenden Normen beeinflusst sind und dadurch zum normgeleiteten Handeln angehalten werden. Allerdings belegen die politikwissenschaftliche und die unternehmensethische Forschung, dass sich vor allem große und reputationssensible TNU engagieren, die regelmäßig externen Ansprüchen ausgesetzt sind. Bei Unternehmen, die solchem sozialen Druck nicht ausgesetzt sind, was auf viele kleine und mittelständische Unternehmen in globalen Zulieferketten zutrifft, ist freiwilliges Engagement weit weniger wahrscheinlich. Auch zeugen aktuelle Beispiele wie der Dieselskandal in der Automobilbrache, der durch die Veröffentlichung der »Panama Papers« publik gewordenen Geldwäscheskandale in der Banken- und Finanzindustrie oder der Datenskandal um Facebook und Cambridge Analytica davon, dass transnationale Unternehmen weiterhin beides sein können: Problemverursacher und Problemlöser.

In der Weltordnungspolitik stellen sich damit grundlegende Fragen nach veränderten Rollen- und Kräfteverhältnissen zwischen Staaten-, Wirtschafts- und Gesellschaftswelt. Aus globalisierungskritischer Perspektive wird argumentiert, dass sich TNU durch ihren grenzüberschreitenden und teilweise sogar entterritorialisierten Handlungsradius dem Zugriff rechtsverbindlicher staatlicher Regulierung leicht entziehen können. Dadurch wird die Möglichkeit politischer Steuerung durch Einzelstaaten systematisch untergraben. Das Missverhältnis zwischen transnationalen Problemlagen und nationalstaatlich begrenzter Problemlösungsfähigkeit schränkt die staatliche Handlungsfähigkeit ein und stellt die nationalstaatliche Effektivität infrage. Der Antagonismus zwischen globalem Markt und territorial begrenztem Staat führt zu einem eingeschränkten Handlungsspielraum des Nationalstaats nach außen wie nach innen. Staaten unterliegen den anonymen Kräften des Weltmarktes und TNU richten ihre Standortentscheidungen danach aus, wo die arbeits- und umweltschutzrechtlichen Vorschriften besonders lax sind. Weil sich Staaten im Standortwettbewerb um Investitionen befinden, kommt es zum Abbau rechtsverbindlicher Standards und zur regulativen Abwärtsspirale.

Allerdings verkennt die globalisierungskritische Argumentation, welche dem Staat keinen signifikanten Einfluss (mehr) auf transnationale Unternehmen bescheinigt, den Rollenwandel, den auch der Staat im Gang der jüngeren Geschichte durchlaufen hat. Der Staat ist zum kooperativen Akteur geworden, der für die Steuerung gesellschaftspolitischer Sachverhalte politische Autorität mit privaten Akteuren teilt. Durch die Teilung politischer Autorität mit Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren substituiert der Staat hierarchisches Regierungshandeln, minimiert die Kosten für politische Konflikte, verschafft sich Unterstützung für die Umsetzung bestimmter Politiken und organisiert sich so quasi selbst die eigene Entlastung. Die kooperative Staatlichkeit ist dem Interesse geschuldet, Regulierungs- und Handlungsdefizite durch die Kooperation mit privaten Akteuren auszugleichen und sich den Zugang zu Informationen und Ressourcen zu sichern, welche die Effektivität staatlicher Regulierung erhöhen. Die Tendenz zu kooperativer Staatlichkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass staatliche Politiken ohne die Mitwirkung von TNU vielfach nicht mehr durchführbar sind.

»Smarte« Regulierung als Lösung

Seit Ende der Nullerjahre treten Staaten wieder stärker als regulative Rahmensetzer in Erscheinung. Zwar kooperieren Staaten nach wie vor mit transnationalen Unternehmen in partnerschaftlichen Initiativen, scheuen jedoch in Abhängigkeit des Politikbereichs auch nicht mehr davor zurück, Unternehmensverhalten rechtsverbindlich zu kontrollieren und zu sanktionieren. Zuvor auf dem Prinzip der Freiwilligkeit initiierte Selbstregulierungsinitiativen erhalten teilweise Rechtsverbindlichkeit. In der Europäischen Union steht hier beispielhaft die unternehmerische Berichterstattungspflicht von nichtfinanziellen Kennzahlen. Während die Berichterstattung zuvor auf reiner Freiwilligkeit beruhte, trat im Dezember 2014 die Direktive 2014/95/EU in Kraft, wonach Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter/innen nichtfinanzielle und die Diversität betreffende Informationen berichten müssen. In den Politikfeldern Menschenrechte und Transparenz von Lieferketten stehen ebenfalls stärkere staatliche regulative Eingriffe in der Diskussion, etwa über die strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen und die Entwicklung eines verbindlichen Menschenrechtsabkommens zur Regulierung der Aktivitäten von TNU und anderer Unternehmen im Rahmen der Vereinten Nationen.

Die Notwendigkeit globaler Ordnungsstrukturen kann aber nicht bedeuten, zu einer vollständigen Revitalisierung des allein auf Hierarchie fixierten Etatismus zurückzukehren. Weder werden aufstrebende einzelstaatliche Nationalismen (wie die »America First«-Politik Donald Trumps) die Lösung sein, noch ist eine Weltregierung in Sicht – wahrscheinlich sind wir von dieser gegenwärtig auch weiter entfernt als selten zuvor. Gleichzeitig ist es ebenso wenig angemessen einen generellen Abgesang auf den Staat als politischen Akteur anzustimmen. Die Staaten verfügen nach wie vor über die legalen Ressourcen für autoritative Regelsetzung und -durchsetzung. Die staatliche Autorität äußert sich heute aber nicht mehr allein und unmittelbar, vielmehr umfasst sie die Koordinierung, Integration, Initiierung und Ergänzung der Herrschaftsausübung durch nichtstaatliche Herrschaftsträger. Der zwischenstaatlichen Rahmensetzung kommt daher die Funktion zu, eine »regulierte Selbstregulierung« zu gewährleisten, wobei die aktuellen Bestrebungen darauf zielen, eine intelligente Mischung, einen sogenannten »smart mix«, aus freiwilligen und verbindlichen politischen Regulierungsansätzen zu etablieren. Eine Zukunftsaufgabe wird dabei sein, die angemessene Balance und Feinsteuerung unterschiedlicher Regulierungsansätze zu gewährleisten, anstatt auf die umfassende rechtsverbindliche Regulierung transnationaler Unternehmen zu pochen.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben